-
154
Alle faßen sie gern im Büffettzimmer, und um es Mr. Leopold recht behaglich zu machen, pflegte Mr. Swindles das Wolfsfell, das zum Wagen gehörte, mit hereinzubringen und über Mr. Leopolds Lehnstuhl zu breiten; und der kleine Mann mit dem gelben Gesicht rollte sich dann recht behaglich hinein und diskutierte, während er seine lange dünne Pfeife rauchte, die Pro und Kontra des nächsten Rennens; wenn Ginger" ihm widersprach, ging er zu dem Büffett und entnahm einer Schublade einen Jahrgang von Bells Life" oder einige Nummern vom„ Sportsman".
11
In Mr. Leopolds Büffett hatte wohl seit vierzig Jahren fein Mensch einen Blick hineinwerfen dürfen; er hütete es sorgsam vor jedermanns Augen, und es schien die mannig faltigsten Sachen zu enthalten, denn fast alles, was man verlangte, holte er von dort hervor; es schien die Nüglichkeit eines Porzellan- und Eisenladens mit der einer Apotheke zu verbinden.
-
umfiel und auf dem Grase herumrollte, wobei sie vor Bergnügen laut schrieen. Dann kam der Tag, wo ihr der„ Grüßkopf" anvertraute, daß er verliebt sei; wie sie sich da amüsiert hatte, und wie sie ihn glauben gemacht hatte, daß sie eiferfüchtig sei! Sie hatte einen Strid genommen, ihn sich um den Hals gelegt, als ob sie sich erhängen wollte, hatte die Enden desselben um einen Baumast geschlungen und war dann niedergefniet, wie zum Gebet. Der arme„ Grüßkopf" konnte es nicht länger aushalten, er sprang zu ihr hin und schwor, daß, wenn sie ihm versprechen würde, sich nicht zu erhängen, er nie wieder ein andres Mädchen ansehen wollte; da aber sprangen die andern Jungen, die von weitem zugesehen hatten, plöblich dazu. Wie die den„ Grüßzkopf" nedten! Er war in Thränen ausgebrochen und hatte Esther so leid gethan, daß sie sich aus Mitleid fast hätte entschließen können, ihn zu heiraten.
Ihr Leben wurde immer schöner und schöner jetzt; sie fehrte sich nicht mehr daran, daß Mrs. Latch sie nichts lehren wollte vom Kochen und Backen, auch an Sarahs Anspielungen auf ihre Unwissenheit hatte sie sich nachgerade genicht Kleider genug, und ihr Leben bot immer noch genug Blackereien und Mühen jeder Art; aber es gab auch Freuden und Belohnungen für sie. So zum Beispiel tam Mrs. Barfield stets zu ihr, wenn sie etwas schnell haben wollte, und auch Miß Mary wandte sich lieber an sie als an die Köchin, wenn sie Milch für ihre Kazen oder Futter für ihre Kaninchen brauchte.
Das Büffettzimmer hatte seine ganz besondere Etikette und Disciplin. Die kleinen Jockeyjungen wurden hier nur selten zugelassen, außer wenn er die Absicht hatte, zum Stiefelwichsen oder Messerpußen sich ihrer Dienste zu verwöhnt. Sie war immer noch sehr arm und hatte bei weitem fichern. William aber durfte hereinkommen und war sehr stolz auf dieses Recht. Für diese halbe Stunde im Büffettzimmer gab er jederzeit mit Freuden den Spaziergang mit Sarah auf. Als aber Mrs. Latch von seinen Besuchen dort hörte, beschattete sich ihr Gesicht, und der Lärm, den sie mit ihren Töpfen und Kesseln machte, war fürchterlich. Mrs. Barfield hatte das gleiche Entsetzen vor dem Büffettzimmer wie ihre Köchin und nannte Mr. Leopold nur jenen kleinen Manu". Obwohl er nach außen hin der Haushofmeister war, Der„ Alte" und seine Rennpferde, die Heilige" und ihr hatte er doch nie aufgehört, des Alten" persönlicher Diener Gewächshaus das war der Inhalt des Lebens in Woodview. zu sein. Er war ein übriggebliebenes Inventarſtück aus Die wenigen Gäste, die dort hinkamen, wurden meist von Miß Mr. Barfields Junggesellenleben, und Mrs. Barfield schrieb Mary empfangen und im Salon oder auf dem Tennisplaye es seinem Einfluß allein zu, daß ihr Mann zum Laster des unterhalten. Mrs. Barfield empfing niemand; sie war zuWettens und Rennens zurückgekehrt war. Legenden ver- frieden, wenn man sie in ihrem alten, abgetragenen Kleide hängnisvollster Art hatten sich um Mr. Leopold und sein ein von ihrer Tochter beiseite geworfenes Kleidungsstück Büffettzimmer schon lange gebildet, und Esther hielt in ihrer und ihrem alten Hut mit einer verblaßten Mohnblume auf naiven Denkweise gar bald diesen kleinen Raum mit seinem dem Kopfe, ruhig herumlaufen ließ. In diesem Anzug ging Tabaksqualm und überall herumstehenden Branntweingläsern fie durch ihre Gewächshäuser, begoß, pflanzte und pflegte ihre für ein Symbol von allem Gottlosen und Sündhaften, und wenn sie an der Thür vorüber mußte, hielt sie sich, die Ohren zu, um das laute Reden nicht zu hören, und senkte instinktiv die Blicke zu Boden.
"
Liebe zu Gott und Gottesfurcht waren die stärksten Principien Esthers, aber wir sind doch zuerst Menschen, dann Christen; die menschliche Natur ist stärker als der stärkste Buritanismus, und in dieser Zeit war Esther vor allen Dingen ein blühendes junges Mädchen. Ihre zwanzig Jahre stürmten in ihr; sie war jetzt nicht mehr übermüdet, und neues frisches Blut floß in ihren Adern; sie sang heiter bei ihrer Arbeit und erfreute sich an dem Blick in den Hof, den sie dabei hatte. Sie sah den jungen Vögeln zu in den grünen Bäumen und Sträuchern, dem Gärtner, der hin und her ging mit Pflanzen und Blumen in den Händen, den Kazen, die in der Sonne saßen und sich rechten oder den jungen Damen entgegenliefen, die ihnen Schüsseln mit Milch brachten; dann sah sie auch immer die Rennpferde hinaus- und wieder zurückführen; mitunter waren sie so beschmußt, wenn sie heimkamen, daß ein Teil ihrer Toilette im Hofe besorgt wurde. Von ihrem Küchenfenster aus sah sie dann, wie das schöne Tier mit einer Kette an dem Haken in der Mauer befestigt wurde, und wie der kleine Junge in Hemdärmeln und aufgekrempelten Hosen an die Arbeit ging. Ohne Furcht vor dem Pferde zu haben, schrie er es an und zwang es zum Gehorsam mit dem Stock, wenn es, gefigelt durch die Bürste, mit der sein Bauch gereinigt wurde, stoßen und beißen wollte. Dann sah sie die Jungen, die, wenn ihre Arbeit vorüber war, dort miteinander rangen und Ball spielten, und das blasse, dünne Gesicht des„ Kleinen Teufels", der ihnen neidisch zujah. Sie sah den„ Kleinen Teufel", wie er herauskam, fertig zu seinem langen SpazierTauf hin und zurück nach Portslade, in einen, wie er es nannte, " glühend heißen Ofen von Ueberzieher" gehüllt.
Esther sehnte sich öfter danach, sich mal mit diesen Jungen herumzubalgen. Sie war jetzt schon sehr beliebt bei ihnen; einmal trafen sie im Heuschuppen zusammen, da amüsierten sie sich köstlich, indem sie einander mit Heu bewarfen; mit unter wallte ihr heißes Blut auf und sie wurde ärgerlich, aber sowie sie die andern lachen hörte, wurde fie auch wieder fröhlich und heiter. Mitunter gingen fie auch in Gedanken verfunten nebeneinander her, bis einer plößlich dem nächsten einen so geschickten Stoß versetzte, daß die ganze Gesellscha't
Blumen. Diese Pflanzen waren ihr, mit Ausnahme ihrer Kinder, das liebste auf der Welt! Sie behandelte sie in der That fast wie ihre Kinder und konnte den ganzen Tag über im Gewächshause sizen, sie reinigen und von Insekten befreien, während die glühende Sonne durch die Glasscheiben ihr auf Rücken und Schultern herabbrannte. Kannen und Eimer voll Wasser schleppte sie selbst den langen Gartenweg hinab bis zum Gewächshause hin und klagte doch nie über Müdigkeit. Schelten fonnte sie überhaupt nur, wenn Miß Mary ihre Lieblinge zu füttern vergaß. Sie hatte deren eine große Anzahl: Kaninchen, Kaken, Vögel, und die ganze Sorge für diese Tiere ruhte auf ihren Schultern. Sie konnte es nicht mit ansehen, daß diese armen, stummen Geschöpfe hungerten, und ging darum lieber selbst nach der Küche und den Ställen, um ihnen Futter zu besorgen. Aber mitunter war es mehr Arbeit, als zwei Hände zu bewältigen vermochten, und sie schickte in solchen Fällen Esther mit Stücken Fleisch und Brot und Schälchen voll Milch zu den armen Vögeln hin, die Mary mitleidslos vergessen hatte.
" Ich will gar keine Lieblinge mehr halten," pflegte sie zu sagen. „ Miß Mary will nicht nach ihnen sehen, und die ganze Mühe fällt auf meine Schultern. Seht bloß diese armen Kaßen an, wie hungrig sie sein müssen, daß sie so um einen herumkriechen und miauen!"
stumme Geschöpfe, namentlich mit Esther, und brachte das Sie sprach gern von ihrer unerschöpflichen Liebe für Mädchen so allmählich dahin, ihr die Geschichte ihres eignen Lebens zu erzählen.
" 1
Die Heilige" hörte gern, wenn Esther von ihrem Vater und dem kleinen Trödlerladen in Barnstaple erzählte, sowie von den Betabenden und dem Ernst und der Frömmigkeit dieser Brüder. Die Verhältnisse, in denen sie nun so lange schon lebte, hatten ihre einst so festgewurzelten Gewohnheiten etwas verwischt; die Religion war bei ihr wie ein blühender Garten, etwas weniger gut gepflegt als früher, darum aber noch ebenso heiß geliebt; und während sie Esthers Geschichte 30g anhörte, zog ihr eignes früheres Leben noch einmal an ihrer Seele vorbei, und diese Erinnerungen erfüllten sie mit stiller
Seligkeit.
( Fortsetzung folgt.):