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einigen Tagen waren Mrs. Latch und Esther in der Küche sehr| Leierkasten Berpetuum mobile, das die Schreden der Hölle beschäftigt gewefen mit Hühnern, Basteten und Eingemachtem, felbft unendlich komisch walzt. In dem Widerspruch zwischen der und im Korridor standen ganze Risten voll mit Obst und Wein. natürlichen Talentlosigkeit und einer zur firen Idee gewordenen Auch die Schneiderin war aus der benachbarten Stadt her- Reimlust, die doch die Form nicht zu beherrschen vermag, liegt ber unwiderstehliche Lachreiz ihrer Gedichte. Auf welchem Stoff übergekommen, und mehrere Tage waren die jungen Damen Friederite fich immer reimend niederläßt, er verwandelt sich sofort ihr kaum von der Seite gewichen; und eines Morgens ganz in einen Karnevalblödsinn. früh, es war faum acht Uhr, wurden im Hofe die Pferde vor den Drag gespannt, der von Brighton herübergekommen war, und die Klänge des Waldhorns ertönten lustig und hell. Ginger" war's, der darauf blies, gerade unter dem Fenster feiner Schwester.
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Macht schnell," rief er, Ihr kommt sonst zu spät." ( Fortfehung folgt.))
Die poffe des Rubms.
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Aber der poetische Stich" war es nicht allein, der dieses Menschenschicksal, das zu einer tollen Gautelei ward, gestaltete. Friederike scheint von Anfang an der Fopperei zum Opfer gefallen zu sein. Schon ihre ersten Versuche, die sie, fast noch ein Kind, errötend einem alten Professor zeigt, um zu erfahren, ob ich in Wahrheit eine Dichterin und es wert sei, zu den Herzen der Menschen zu reden" schon diese ersten Versuche wurden ihr Verhängnis; denn der alte Professor schrieb ihr, offenbar schalthaft, einen schwärmerischen Brief, der ihre Gaben überschwänglich preist. Das ermutigte sie. Da fie Geld hatte, verschaffte fie fich einen Verleger. Ihre Gedichtfammlung erschien, alle Welt wand fich in Lachkrämpfen und jeder wollte das Buch lesen. Noch im Vorjahre konnte die achte Auflage der Gedichte erscheinen, ein Erfolg, wie er den bedeutendsten Dichtern bersagt bleibt. 1 Friederike aber wurde mit Kundgebungen spottender Verehrung überschüttet. Nun war fie Wenige jahn's ihr an. sicher, daß sie eine Dichterin von Gottes Gnaden war. Sie nahm den Erfolg der unfreiwilligen Komik für blutigen Ernst, und sie Ich weiß nicht, ob auch das zu der ungeheuren Fopperei gehört, ist aus dem Leben gegangen, ohne jemals das Bewußtsein erlangt die mit dem Dasein der ehrsamen Rittergutsbefizerin Friederike Kempner von der Mitwelt getrieben worden ist. Jedenfalls er zu haben, daß man mit ihrer Narretei nur seinen Spaß getrieben. Aus den Vorworten ihrer Gedichte läßt sich erkennen, wie sich zählt die Legende, die alle großen Männer umwirrt, Friederike habe der Wahn ihres Poetenberufes festsette und ausbildete, die foppende einen Teil ihres Vermögens für Leichenhäuser mit Telephonanschluß Bande, die ihr Publikum darstellt, ging so raffiniert vor, daß sie in gestiftet; jeder Sarg sollte mit einem Fernsprechjapparat ausgestattet den Lorbeer Friederikens schließlich auch ein paar Dornen flocht. werden, also, daß der Scheintote sich durch Schließung des elektrischen im Vorwort zur zweiten Auflage berichtet sie froh:" Es freute mich Stroms und die in diesem Falle als Auferstehungsglöcklein wirkende unbeschreiblich, daß aus allen Gegenden Deutschlands , von nah Klingel fofort als lebendig melden konnte. Nun ist schon fast eine und fern, Anfragen und das Verlangen nach diesen Gedichten Woche vergangen, seitdem Friederike Kempner gestorben, kein Telephon hat bisher Kunde gegeben, daß sie nur versehentlich in den Sarg gelegt worden sei, und man darf daher wohl ihr, der bekanntesten aller Dichterinnen Deutschlands , einen kleinen Nachruf widmen, ohne daß man befürchten müßte, sie würde ihn mit einem geharnischten Boem erwidern.
Da Friederike schier unter Antvendung der erdenklichsten Vorfichtsmaßregeln in den Sarg gelegt sein wird, so wird sie mit Befriedigung bereits haben feststellen können, daß fie gottlob nicht scheintot gewesen. Denn die Furcht vor dem Scheintod bildete den Dämon ihres Lebens. Ihre Poesie bekämpft neben der Vivisektion und der Einzelhaft in immer erneuten Lachbildern des Grausens das Lebendig- Begraben- Werden; dazu verlangt fie eine allgemeine Einführung einer ausgiebigen Quarantäne in einem fomfortabel ausgestatteten Leichenhaus. So führt sie einen wackern Kriegersmann ein:
Ein Leichenhaus, ein Leichenhaus, Ruft er aus vollem Halse aus,
Wir wollen nicht auf bloßem Schein Beseitigt und begraben sein!
Und das Gedicht schließt mit der erschütternden Moral:
Für Tänzer giebt es Raum und Zeit-
D, tiefbetörte Menschlichkeit!
So lang' nicht Leichenhäuser sind,
Seid alle Ihr so schlecht als blind!
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an mich schriftlich ausgesprochen wurden. Ich bin stolz darauf und ganz besonders davon gerührt, daß alle Farben und Parteien dabei vertreten waren; scheint es doch, als wenn jeder im Innern fühlte, daß es Aufgabe und Ziel der Poesie ist: die Wahrheit für alle zu veranschaulichen, und durch ihren Sieg dereinst alle zu versöhnen."( 1882.)
Diese bedingungslose Verherrlichung reichte bis zur 4. Auflage. Ihren Höhepunkt bildete wohl die leberreichung einer Adresse und eines goldenen Lorbeerkranzes durch einen Studenten im Auftrag der„ B. Studentenschaft". Alsbald widmete sie dem Ueberbringer Herrn B. von M." diese Verse:
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Jn des Lorbeers gold'nen Zweigen, Sonnig strahlend und mein Eigen, Rauscht es hörbar und es spricht: „ Solch Geschenk vergißt man nicht."
Dann aber fand man eine neue Variation des Ults. Irgend ein Anonymus scheint ihr einmal einen Droh- und Schmähbrief wegen ihrer anarchistischen Aufheßerei geschrieben zu haben. Das machte einen tiefen Eindruck auf Friederiken. Halb erschrocken, halb geligelt, foftet sie nun auch die Poeten- Wollust des Märtyriums, und in der 5. Auflage erzählt sie: Es fehlte freilich auch nicht au anonymer Feindschaft, ja an Haß und Verfolgung niedrigster und widrigster Art, und wie mancher Beherrscher von Rußland , sah ich mich fast täglich von anonymen Briefen heimgesucht, eine Ehre, die ich gar nicht erwartet hätte, die ich aber zu würdigen wußte. Denn
In einem Gedicht an den Kronprinzen Friedrich Wilhelm ergiebt es in der That ein einziges Streben oder eine einzige Schrift,
fucht sie ihn:
Die Gefallnen lasse
Nicht vergraben bald, Heldenmienen, blasse,
Sterben nicht sobald!
„ Der Scheintote" find die folgenden Zeilen überschrieben: Und er schlief und schlief so lange, Daß ihn feine Macht mehr weckt Unsichtbar beim Grabgesange Sich der Totgeglaubte streckt.
Jm Dienst der guten Sache versendete fie eine Denkschrift an die Regierungen und Potentaten. Von Napoleon III. erhielt sie ein höchst würdigendes Kabinettschreiben", und sie feiert dies Ereignis wie folgt:
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Würdigtest mit Hellem Blick Unfrer Sitten Mißgeschick: Anerkanntest die Gefahren Allerschrecklichsten, furchtbaren,
Grausem Los, das jedem droht
Jenen, ach, lebeud'gen Tod!
黃
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Nicht der Scheintod, der unablässig ihre Phantasie beschäftigte, war das Verhängnis ihres Daseins, sondern ein Scheinleben, das ihr eine Verschwörung von Ulfbrüdern verschaffte. Friederike war eine gutherzige, nachdenkliche, harmlose Frau, die einen Stich hatte. Dieser Stich trieb fie zum Reimen, in dem die an geborne Nüchternheit und Phantasielosigkeit plöglich dem Stoff nach lyrisch schwärmt, in der Form aber dem plattesten Geschäftsstil verfällt. Ihre dichtende Seele ist wie ein
welche etwas will und nicht angefeindet worden wäre?"
Nach diesem stolzen Bekenntnis erwacht jedoch ihr Gewissen. Sollte sie nicht etwa doch die Anarchisten auf dem Gewissen haben? Und so kam ich zu der Ueberzeugung, daß denn doch hier und da ein vorurteilsloses, harmloses Gedicht, ein humaner Gedanke, objektiv zur Anschauung gebracht, frei von aller Parteilich keit, gezündet, d. h. manchen Böjewicht aufgestachelt haben müsse, so daß er zu Dynamit und Gift greifen wollte. Aber Dynamit und Gift sind schlechte Waffen, die sich überlebt haben, und die unparteiische Wahrheit trifft beides nicht, und so hat denn das liebenswürdige Bublifum diese gemeinen Angriffe faum seiner Entrüstung gewürdigt und in seiner reichen Gunst find die Gedichte ein bleibendes Buch geworden."
Die socialen" Gedichte, die man durch jene Schmähbriefe ver höhnte, verraten ihre Gutmütigkeit und ihre wahrhaft geniale Fähig feit, das Entsetzen lachen zu machen. Ein Bettler tritt an den Wagen, in dem ein reiches Ehepaar zum Ball fährt:
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" Ich fleh" spricht er ,, um ein Almosen" Und füßt der schönen Frau die Hand, Sein schwacher Kuß zerdrückt die Rosen, Die an des teuren Handschuh's Rand.
Mein Freund" sagt sie mit talten Mienen, Erzürnt durch diese Frevelthat
" Ich habe keine Zeit zu Ihnen! Ob Robert etwa Kleingeld hat?"
Das Gedicht flingt aus:
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Jetzt rollte fort der rasche Wagen, Der Kutscher wischt ein Aug' fich ab: Er denkt an all' die großen Fragen, Die solch Kontrast zu lösen gab.