Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 46.

13)

for

Freitag, den 4. März.

( Nachdruck verboten.)

Efther Waters.

Roman von George Moore  . Den Tag darauf gewann ein zwei Jahre altes Pferd des Alten" ein Rennen, und am folgenden Tage gewann Silber­schwanz den Chesterfieldcup- Preis.

So regnete das Gold plötzlich in Strömen auf die kleine Stadt hernieder, die so alt und farblos dalag zwischen ihren hohen Dämmen am Meere und ihrem verschilften, schmutzigen, kleinen Strom. Lustig tanzte das geliebte Gold in den Lustig tanzte das geliebte Gold in den Taschen, beschleunigte die Schritte, erleichterte die Herzen, zauberte Lächeln hervor und ließ die Augen froher blicken. Sanft und dicht fiel das geliebte Gold herab, wie ein weicher Sommerregen, und erquickte die schweren, harten Tage der Arbeiter. Manche bis dahin von schwerer Arbeit nieder­gedrückte Eristenz erhob sich plöglich wieder und erging sich in frohen Zukunftsträumen. Das geliebte Gold wirfte wie ein narkotisches Mittel. Erinnerungen an Elend, Kummer und Sammer waren plötzlich wie hinweggewischt; man betrachtete auf einmal das Leben mit froherer Miene, lachte über seine Besorgnisse um den kommenden Tag und wunderte sich, warum man das Leben je so schwer genommen, so hart und unüber­windlich gefunden hatte. Das geliebte Gold erfreute die Sinne, wie ein auf seinem Zweiglein fitzender Vogel, wie eine auf ihrem Stengel blühende Blume, denn es sang ein be­strickend füßes Lied und erglänzte in prächtigen Farben.

Nie hatte der Handel des Städtchens selbst in früheren, befieren Zeiten eine solche freudige Aufregung verursacht, wie die vier Hufe dieses Pferdes. Der Staub, den diese Pferde­füße aufgewirbelt hatten, war als beglückender, goldener Regen wieder heruntergefallen auf Shoreham  . Aus allen Ecken und Winkeln des Lebens sah man es hervorgligern. Die Frauen hatten neue Kleider, die Mädchen neue Bänder und Federn, die Männer neue Beinkleider von schreienden Farben und Cigarren im Munde, und alles das hatte das Gold von Goodwood gethan! Dort sieht man es an jenes Mädchens Ohren, hier an dieses Mädchens Finger blizen.

"

1904

Auf den Karten stand fettgedruckt:" Balltoilette ist un­erläßlich" Durch diese Ankündigung hofften die Haus­hofmeister, Diener, Köche, Kammerjungfern, Wirtschafte­rinnen und Hausmädchen dem Ball ein vornehmeres Air zu verleihen. Für Esther jedoch schienen diese Worte nur zu be­deuten, daß sie verurteilt sein würde, das Aschenputtel zu spielen und zu Hause zu bleiben.

X.

Es war unmöglich gewesen, nur denen Einlaß zum Ball 3 gewähren, die einen Frackanzug besaßen; infolgedessen sah fröhlich herumhüpfen. Ein junges Mädchen hatte das Braut­man auch viele karierte Beinkleider und bunte Krawatten kleid ihrer Großmutter angelegt und ein junger Mann trug eine strohgelbe Weste und einen ganz altmodischen blauen Rock. Diese Kostüme zogen jedoch ganz deutlich die Schranke zwischen den Dorfbewohnern und den Dienstboten aus guten" Häusern. Letztere hatten sich solcher Verstöße nicht schuldig ge­macht. Die Haushofmeister sahen beständig aus, als suchten fie Platten zum Herumreichen, und die Kammerdiener, als bermißten sie die Haarbürste und den Topf heißen Wassers in ihrer Hand, den sie allmorgendlich ihrem Herrn zu bringen hatten. Da waren Köchinnen in schwarzseidenen Schlepp­fleidern, breiten weißen Kragen und großen goldenen Broschen mit dem Bilde ihrer verstorbenen Männer darauf. Am Ende des langen Saales stand ein rundes Büffett, und in dieser Gegend hielten sich die meisten Männer auf. Doch wandten sich alle um und der Eingangsthür zu, als Esther eintrat. Sie sah sehr hübsch aus. Miß Mary hatte ihr ein weißes Mullkleid geschenkt, mit viereckig ausgeschnittener Taille, halb­furzen Nermeln und einer blauen Schärpe; und während sie durch den Saal ging, hörte man von gar manchem die Worte: Das ist ein nettes, hübsches Mädchen!" William wartete schon auf sie, und sie tanzten sofort eine flotte Polka mit­einander.

Viele der Tänzer waren in den Garten hinausgegangen, um sich abzukühlen, aber einige Paare drehten sich nach der Musik im Streise herum. Mr. Leopold ließ es sich angelegen sein, die Männer vom Büffett fortzukriegen; tanzen sollten sie, ob sie konnten oder nicht.

Der Alte" hat mir den Auftrag gegeben, genau auf­zupassen, daß auch alle Mädels Tänzer haben!... Nun seht Euch bloß mal den Saal an, die Hälfte von den Mädels hat ja noch nicht die Beine gerührt... Hier ist eine Tänzerin für Sie," sagte er, und mit diesen Worten zog der Haushofmeister einen jungen Waldaufseher zu einem eben eingetretenen jungen Mädchen hin. Dieses kam langsam herein, die Hände vorn über der Brust gefaltet, die Augen zu Boden gesenkt, und diefer Anblick war so seltsam, daß Mr. Leopold furzweg in Plötzlich flüsterte einer dem seiner Rede stecken blieb. andern zu:

Die trägt zum erstenmal in ihrem Leben ein aus­geschnittenes Kleid!"

Die Gerüchte erzählten sich, daß das Städtchen Shoreham  zweitausend Pfund bei diesem Rennen gewonnen habe. Mr. Leopold, fagte man, habe zweihundert Pfund gewonnen, William Latch fünfzig Pfund, der Kutscher Wall fünfund­zwanzig Pfund, und der Alte" sollte gar vierzigtausend Pfund gewonnen haben. In einem Umkreise von zehn Meilen und mehr sprach man von fast nichts anderm mehr, als von dem Reichtum der Barfields, und wie Müden um das Kerzenlicht flattern, so drängten sich plöglich alle Nachbarn an Woodview heran. Selbst die Reserviertesten und Vornehmsten gaben ihre Starten ab, andre wieder sah man im Park mit dem Alten" herumspazieren und begierig seinen Erzählungen lauschen. Die strahlende, goldene Sonne des Erfolges schien auf das gelbe italienische Haus herab. Zu jeder Tagesstunde konnte man Wagen vorfahren sehen. Das Gerücht wußte auch, daß große Veränderungen am Besitztum geplant würden. Man zu wollte großartige Gesellschaften und Feste veranstalten, man redete von einem Garten in italienischem Stile, von Terrassen, Fontänen. Schon wurden neue Ställe gebaut, eine Menge Rennpferde angekauft. Täglich konnte man sie ankommen sehen, die schlanken, zierlichen Geschöpfe, in ihre Decken gehüllt, ihre Kapuze auf dem Kopf, durch deren Gudlöcher man die großen, dunklen Augen blizen sah, und die vom Bahnhof bis zum Hause von einer neugierigen, fritisierenden und be­wundernden Menge begleitet wurden.

Man trant, man gab viel Geld aus, man tanzte und fang in den Herrschaftsräumen und in denen der Dienerschaft, und die tolle, ausgelassene Stimmung gipfelte schließlich in einem Dienstbotenball in den Shoreham Gardens. Das ganze Personal von Woodview, mit Ausnahme von Mrs. Latch, fand fich dort ein, desgleichen die Dienerschaft von Mr. Northcote und von Mr. George Preston, zwei der tonangebenden Familien der Umgegend. Von West- Brighton, Lancing und Worthing   tamen ebenfalls eine Menge Dienstboten zu dem Ball herüber im aan en waren es wei- bis dreihundert

-

Die Grover kam ihr rasch mit ihrem Taschentuch zu Hilfe. Wie machst Du's nur möglich, bei dieser Hitze trocken bleiben?" fragte ein Mädchen ihren Tänzer.

ein Bär," und er 30g ein Taschentuch aus der Tasche seines Trocken?" sagte der junge Mann. Ich schwitze ja wie Sammetrockes hervor und trocknete sein Gesicht ab.

,, Kann ich die Ehre dieses Tanzes haben?" fragte der junge Mr. Preston, der älteste von Sir Georges Söhnen, das junge Mädchen.

,, Gottchen, Mr. Preston, ich schwize ja so furchtbar, aber schadet nichts, mit Ihnen tanze ich doch."

"

Die eleganten weißen Hemdfronten mit den echten Perl­knöpfen, die mit blaßgrauen Handschuhen bedeckten Hände, die ausdrucksvollen, schmalen Gesichter des jungen Mr. Preston und des jungen Mr. Northcote, zweier von Gingers" Freunden, fielen unter dieser Gesellschaft von Arbeitern und Bedienten auf. Ginger" bewegte sich am liebsten in der vornehmsten Gesellschaft, und jetzt fanzte er auch seine Polta nach der neuesten Londoner   Mode; mit weit von sich gestreckten Ellbogen und flatternden Rockschößen flog er mit seiner Tänzerin den Saal herauf und herunter.