Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 48.
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Dienstag, den 8. März.
( Nachdruck verboten.)
Esther Waters.
Sarah wollte es scheinen, als wären Esther und William nicht mehr die guten Freunde von ehedem; sofort hellte ihr mürrisches Gesicht sich auf.
„ Na, so was? Seht die bloß an, sitzt sie doch da und starrt in ihre Theetasse hinein, mit' nein Gesicht, als wäre sie in' ner Bibelklasse."
,, Was geht das Sie an?" fragte William.
1904
Sie hatte kaum mehr Furcht vor Entdeckung; was that es denn, ob andre es erführen oder nicht, da sie es doch wußte? Und in stiller Nacht bat sie auf den Knien Gott um Vergebung; aber er schien streng zu bleiben und ihr nicht vergeben zu wollen, denn ihre Sünde war die unverzeihlichste es war gerade die, gegen welche ihre Sekte besonders auverrichtetem Gebet allnächtlich nieder. kämpfte. Mit schwerem, bedrücktem Herzen legte sie sich nach
Die Tage vergingen und schienen in ihr keine Ver änderung hervorzurufen, und William ward es endlich müde, ihr nachzulaufen.
er
,, Wenn sie partout mucksch sein will, laß sie!" dachte und ging mit Sarah aus; und wenn Esther dann das Paar vom Küchenfenster aus über den Hof gehen sah, so Was mich das angeht? Ich seh' nicht gern ein häß- sprach's in ihrem Herzen:„ Laß ihn doch mit ihr gehen; ich liches Gesicht am Frühstückstisch.
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Dann ist's gut, daß kein Spiegel hier ist; ein wahres Glück!" erwiderte William.
Sarah und William begannen mun heftig zu zanken, und während dieses Bankes verließ Esther rasch das Zimmer. Auch während des Mittagsessens sprach sie faum ein Wort; wieder riefen die andern ihr zu, sie solle sich mit William versöhnen; sie aber gab kaum Antwort und versuchte, ihm am Nachmittag zu entgehen, indem sie sich in ihrem Zimmer so lange einsperrte, bis sie glaubte, nun sei die Stunde, wo er mit der Equipage auszufahren hatte. Aber sie hatte sich um einige Minuten verrechnet, und als sie die Treppe herunterfam, erblickte William sie und rannte den ganzen langen Storridor hinab ihr entgegen. Er legte seine Hand mit bittender Gebärde auf ihren Arm.
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Rühr mich nicht an!" sagte sie und ihre Augen flammten faft gefährlich auf.
Welcher Unsinn, Esther! Na, mun mach's aber nicht
Bu toll."
„ Geh fort! Du sollst nicht zu mir sprechen."
Aber ich will Dir nur ein Wort sagen; so höre doch zu." ,, Geh von mir fort! Wenn Du mich nicht sofort zufrieden läßt, gehe ich zu Mrs. Barfield."
Unwillkürlich trat William zurüc; sie ging in die Küche hinein und warf die Thüre hinter sich zu.
Er war bei ihren Worten ein wenig bleich geworden, wartete noch einen Augenblick und eilte dann fort nach dem Stall hin. Wenige Momente später sah ihn Esther sich auf feinen Platz neben dem Kutscher auf der Equipage setzen. Da es von Esther nachgerade bekannt war, wie sie mit jemand, mit dem sie sich gezantt hatte, oft acht, auch vierzehn Tage lang nicht sprach, erregte auch ihr Schweigen diesmal wenig Verdacht. Die andern glaubten, die beiden hätten sich irgend einer Kleinigkeit halber veruneinigt, und Sarah meinte: Was für Narren die Männer doch sind! Da bettelt er sie nun in einem fort an, ihm zu verzeihen! Seht ihn bloß an, wie er ihr nachläuft, da eben schon wieder in den Holzschuppen!"
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Sarah hatte recht; William folgte Esther von der Küche in die Auswaschküche, von der Aufwaschküche in den Holzschuppen. Sie gab ihm meist gar keine Antwort, wenn er sprach, sondern glitt rasch an ihm vorüber, und wenn er ihr mit Gewalt den Weg vertrat, sagte sie heftig:
" Raß mich vorüber; ja?- ich muß meine Arbeit 4;“... und wenn er dann noch ein Wort sagte, so sprach sie davon, sich bei Mrs. Barfield zu beflagen.
Es war nicht ihr Wille gewesen, sich ihm zu ergeben; er hatte einen Augenblick der Schwäche bei ihr benutt, das war ihre Auffassung von ihrer Sünde, und wenn ihr Herz fich mitunter für ihn erweichen wollte, und der Gedanke ihr wohl kam, daß es ja egal wäre, da sie einander doch heiraten wollten, so war wiederum ein andrer Impuls in ihr, der sie antrieb, das Gegenteil von dem zu thun, was sie thun wollte. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie seine Achtung nur dann wieder gewinnen, wenn sie ihm lange Zeit hindurch ihre Verzeihung verweigerte. Das strenge religiöse Gefühl, welches beständig ihre Seele erfüllte, der strikte Protestantismus in ihr diente dazu, ihre instinktiven und anerzogenen Vorurteile noch zu verstärken, und die natürliche Scham, die sie zuerst empfunden hatte, verschwand fast vor der Gewalt ihrer plöglich sich aufbäumenden Tugend.
will ihn nicht haben!" denn sie wußte wohl, daß das feinerseits mir ein Versuch war, sie eifersüchtig zu machen; und daß er eine solche List anwandte, um sie rumzukriegen, ärgerte sie noch mehr an ihm; so daß, als sie eines Tages einander im Garten begegneten, wohin sie Futter für die Staßen trug, und er sagte:„ Verzeih' mir doch, Esther, ich bin nur mit Sarah ausgegangen, weil Du mich ganz toll gemacht hast!" sie die Zähne fest zusammenpreßte und ihm gar keine Antwort gab.
Da aber stellte er sich breit vor sie hin in den Weg, entschlossen, sie diesmal nicht los zu lassen.
Ich habe Dich sehr lieb, Esther," jagte er, und ich will Dich heiraten, sobald ich genug verdient oder gewonnen habe, um Dir ein behagliches Heim bereiten zu können."
„ Du bist ein böser, gottloser Mensch," sagte sie. Ich will Dich gar nicht heiraten."
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„ Das thut mir sehr leid, Esther, ich bin nicht so schlecht, wie Du glaubst; aber Deine Heftigkeit geht immer gleich mit Dir durch. Sowie ich ein bißchen Geld zusammen habe Wenn Du ein guter Mensch wärst, würdest Du mich jetzt sofort heiraten."
Das will ich auch thun, wenn Du es willst, aber die Sache ist die, ich besitze im Augenblick nur drei Pfund. Ich habe Pech gehabt in legter Zeit
Du kannst an gar nichts andres denken, als an das gottlose Wetten. Geh nun, laß mich durch, ich will Deine Rügen nicht anhören."
Nach dem St. Leger- Rennen werde ich sicher-" Laß mich durch, ich will nicht mit Dir sprechen." Aber, Esther, so höre doch zu; ob wir uns mun heiraten oder nicht so, in dieser Weise, können wir nicht nebeneinander weiter leben; die werden alle bald was merken
„ Ich werde von Woodview fortgehen," sagte sie. Aber sie hatte noch kaum die Worte gesprochen, als es ihr klar wurde, daß sie in der That fort müsse, je eher, je besser!
Laß mich nun gehen... wenn Mrs. Barfield-" Ueber Williams Antlig glitt ein Zug des Zornes, und er sagte:
" Ich will als anständiger Kerl an Dir handeln; aber Du läßt mich ja nicht. Bist so mucksch und eigensinnig wie ein Maulesel; Sarah hat ganz recht; so eine wie Du würde' nem Mann das Leben zur Hölle machen!"
Sie aber hatte nur einen Gedanken: er mußte sie erst wieder achten können. Von Anfang an hatte sie das Gefühl gehabt, daß dies ihre einzige Hoffnung sei, und diese zuerst undeutliche Empfindung entwickelte sich nun, bis sie zu einem Haren Gedanken wurde, und sie beschloß, nicht eher nachzugeben, als bis er seine Sünde einfähe und sie dann bäte. ihn zu heiraten. Aber die Liebe in ihr für den Mann selbst kämpfte einen gewaltigen Kampf gegen ihre religiösen Vorurteile. Diese Liebe war gleichsam wie ein Sonnenstrahl, der auf ein im Nebel vergrabenes Thal herabscheint; bligartige Budungen von Leidenschaft drangen durch ihren Eigenwillen hindurch, schmolzen ihn beinahe hinweg, und unbewußt fast fuchten ihre Augen mitunter die Williams- unbewußt wandte fie ihre Schritte aus der Küche in den Korridor hinaus, wenn fie dort seinen Schritt zu vernehmen glaubte...
Hätte Esther ein wenig früher nachgegeben, so wäre ihr Schicksal sicherlich ein ganz andres geworden. Denn als ihr Herz endlich ihr Vorurteil besiegt hatte, als ihre Liebe für William das Uebergewicht gewann, als sie sich danach sehnte,