Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 50.
17)
Donnerstag, den 10. März.
( Nachdruck verboten.)
Elther Waters.
Spät am Abend, als die Dienerschaft sich eben zu Bett Begeben wollte, erfuhr man, daß Peggy das Haus verlassen und mit dem Sechsuhrzuge nach Brighton gefahren sei. Esther stand schon am Fuß der Treppe, als sie das hörte. Mit einem entsegten Ausdruck auf dem Gesichte wandte sie sich jäh herum. Margarete hielt sie fest.
„ Es nüßt nichts, Liebchen, Du kannst heute abend nichts mehr thun."
" Ich kann zu Fuß nach Brighton gehen." Nein, das fannst Du nicht; Du weißt den Weg nicht, und selbst wenn Du ihn wüßtest, wie wolltest Du die beiden finden?" Sarah und die Grover sagten gar nichts, und schweigend gingen die Dienstboten in ihre Zimmer hinauf. Margarete schloß die Thür und blickte Esther an, die auf einen Stuhl niedergesunken war und vor sich hin ins Leere starrte.
Ich weiß, wie Dir zu Mute ist," sagte sie.„ Gerade so ging es mir, als man Jim Story rauswarf. Zuerst scheint es, als fönnte man es gar nicht überleben. Aber es geht schließlich doch."
,, Ob er sie wohl heiraten wird?"
"
Wahrscheinlich; sie ist ja furchtbar reich."
1904
schweren Herzen zu, wie sie es zu Anfang September gethan hatte. Sie hatte jett feinen Feind und keinen Gegner im Hause. Sie that allen jezt leid, Sie würdigten und erkannten es alle an, daß Esther schwer gelitten hatte und noch litt. Und nun, wo sie sich nur von Freunden umringt sah, konnte Esther an gar nichts andres mehr denken, als welch ein glückliches Leben sie in diesem Hause hätte führen können, wenn William nicht gewesen wäre.
Latch war eben hinaufgegangen, um ein Schläfchen zu machen, Es war eines Nachmittags im Anfang Dezember; Mrs. Esther saß in der Küche, in der Nähe des Feuers. Ein frankes vorbei in den Hof hinausgeführt worden; es wurde zu einemt Rennpferd mit verbundenen Beinen war vorher an der Küche fleinen Spaziergang geleitet, und als der Klang seiner Hufe sich in der Ferne verloren hatte, war Esther ganz allein. gegenüber. Einen Fuß hatte sie auf den Feuervorsatz gestellt, Sie saß auf ihrem hölzernen Stuhle, dem Küchenfenster den Ellbogen auf die Lehne ihres Stuhles gestützt, und ihre Wange ruhte in ihrer Hand. Wange ruhte in ihrer Hand.
Kattunkleide, und während sie da so ruhig saß, sich nicht beDer rote Schein des Feuers spielte auf ihrem bunten wegte, kaum mehr dachte, fühlte sie plöglich, wie etwas in ihr Wie das Flügelschlagen eines Vogels fühlte es sich an! Ihr ganzer Körper erzitterte, und ihr Herz schien still zu stehen.
zum Leben erwachte.
Als diese Ohnmachtsanwandlung vorüber war, sprang Zwei Tage darauf stand im Hof vor dem Küchenfenster auf die Süften gepreßt, ihr Antlig war totenbleich, und große sie entsetzt vom Stuhl empor. Ihre beiden Hände hatte sie eine Droschke.
gezogen.
Peggys Gepäck wurde darauf geladen. Zwei schöne, Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Hell und blendend, Peggys Gepäck wurde darauf geladen. Zwei schöne, wie ein Stern am Himmel, war plötzlich die Wahrheit vor ihr große Reiseförbe mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens aufgegangen; in einem Augenblick war der Vorhang von dem darauf. Dann fuiete der Kutscher auf seinem Sit nieder, darauf. Dann fuiete der Kutscher auf seinem Sit nieder, beugte sich über das Verded des Wagens und machte Platz für furchtbaren Drama, das die Zukunft ihr bringen sollte, hinwegnoch ein Gepäckstück: eine kleine, braungestrichene, mit einem Strick zusammengebundene Kiste. Diese kleine Siste erweckte Diese kleine Kiste erweckte Sie wußte, daß es kein Mittel gab, sie davon zu erlösen, in Esther von nenem die Erinnerung an William, und das daß sie es Stunde für Stunde, Tag für Tag wirklich durchleben mußte. Schmerzgefühl in ihrem Herzen wurde so überwältigend, daß sie die Küche verlassen mußte. Sie ging in ihre Aufwaschküche, Schloß die Thür, setzte sich nieder und bedeckte ihr Gesicht mit der Schürze.
Aber sie weinte nicht. Sie schluchzte ein paarmal krampfhaft auf und dann ging sie wieder an ihre Arbeit, als ob nichts passiert wäre.
XII.
Sie find oben ganz toll darüber. Ginger" und der Alte" sind am wütendflen. Sie fagen, sie können ihr Saus mun gleich wieder verkaufen und sich irgendwo anders an siedeln. Denn mun wird kein anständiger Mensch mehr zu ihnen kommen! Und das jetzt gerade, wo es anfing, ihnen gut zu gehen. Auch Miß Mary ist furchtbar traurig darüber; Sie sagt, sie wird nun wohl niemals heiraten können. Und um die Familie Barfield völlig zu ruinieren, brauchte Ginger" nur noch das Küchenmädchen zu heiraten."
„ Miß Mary ist viel zu gütig, um etwas zu sagen, was die Gefühle eines andern verlegen könnte! Nur so ein böses, heuchlerisches Geschöpf wie Sie bringt es fertig, so etwas zu fagen."
So, da haben Sie Ihr Fett, meine Liebe!" sagte Sarah, die sich mit der Grover gestern gezankt hatte und nun ihre Rache nehmen wollte.-
Die Grover blickte Sarah ganz erstaunt an, und ihr Blick drückte deutlicher noch als Worte aus:" Nimmt denn wirklich jemand die Partei dieses kleinen, dummen Küchenmädchens?" Dann erzählte Sarah, um Mrs. Latch zu schmeicheln, wie groß die Familie Latch vor drei Generationen dagestanden habe! Die Barfields waren damals noch gar nichts und selbst heute hätten sie ja nichts andres als ihr Geld, und das hätten sie bei einer Fuhrhalterei verdient.
"
Und das sieht man ihnen auch ganz deutlich an," sagte Sarah. Vergleicht nur mal unsern Ginger" mit dem jungen Preston oder dem jungen Northcote! Da sieht man so recht den Unterschied!"
Esther hörte diesen Gesprächen jetzt, zu Ende Oftober, mit dem gleichen unbeweglichen Gesicht und dem gleichen
einen kurzen Augenblick glaubte, wahnsinnig zu sein. Und das schien ihr so unermeßlich entsetzlich, daß sie für
Aber nein, nein, sie war nicht wahnsinnig... es war die Wahrheit! Schande... die Schande dieses Geständnisses!.. Sie wird nun Woodview verlassen müssen!... O, die Dies Mrs. Barfield sagen zu müssen!... die so gütig zu ihr gewesen war, die so große Stücke auf sie hielt! Zu Hause bei ihrem Vater wird sie keine Heimstätte finden nein, heimatlos wird sie sich in London herumtreiben müssen... Eine Stelle in der Stadt annehmen?.. unmöglich! Man wird sie ohne Zeugnis entlassen, und heimatlos würde sie in London umherirren, und von Monat zu Monat würde ihre Lage schlimmer und verzweifelter werden!
Es wurde ihr übel. Aber der Körper erlöste die Seele auf einen Moment von ihren Qualen, und fast bewußtlos, frank bis zum Tode, sank sie auf ihren Stuhl zurück.
Sie trocknete mit der Schürze den Schweiß von ihrer Stirn. Vielleicht daß sie sich doch noch irrte!
Sie barg ihr Antlitz in beiden Händen; dann sank sie auf die Knie nieder, lehnte die Stirn auf den harten Stuhl vor sich und betete zu Gott, daß er ihr Kraft verleihen möge, das Kreuz geduldig zu tragen, welches er ihr auferlegt hatte.
Noch immer hoffte sie, daß sie sich vielleicht irre. Diese Hoffnung hielt zwei Wochen vor. Aber am Ende der dritten Woche wurde sie zu Wasser.
Sollte sie sofort zu Mrs. Barfield gehen und ihren Fehl tritt eingestehen?
Aber Mrs. Barfield, wie sehr sie sie vielleicht auch bedauern würde, konnte sie unmöglich behalten, wenn sie die Wahrheit wußte; wenn sie aber keinem etwas sagte, brauchte noch keiner die Wahrheit zu erfahren.
Sie konnte vielleicht noch ein Vierteljahr in Woodview bleiben und den Lohn für dieses Quartal für ihre schwere Zeit zurücklegen... Ihren ersten Vierteljahrslohn hatte sie für Stiefel und Kleider ausgeben müssen; den zweiten hatte sie eben ausbezahlt bekommen. Wenn sie noch ein Vierteljahr hier bliebe, hätte sie acht Pfund in der Tasche und drei Monate Zeit