Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 51.
[ 18]
Freitag, den 11. März.
( Nachdruck verboten.)
Efther Waters.
„ Aber was, Esther?"
" Ja, gnädige Frau, das ist es... ich habe mich selber gehaßt, weil ich Sie so betrügen mußte... ja, das that ich! Aber ich kann nun doch nicht länger bloß an mich denken. Jetzt muß ich doch noch an ein andres denken!"
1904
stehen sehen als Sünde und Kummer und Verzweiflung: Sie find nicht das erste Opfer; o, welches Elend, welches Elend, welcher Jammer!"
Mrs. Barfield bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen, als wolle sie die Erinnerungen, die auf sie einstürmten, von sich abwehren.
Onein, gnädige Frau! Sie sind die gütigste Herrin wage" aber ich glaube auch, daß dies Wetten auf Renn" Ja, gnädige Frau, verzeihen Sie, daß ich es zu sagen gewesen, die je ein armes Mädchen hatte; aber pferde viel Unglück bringt! Den Tag, als die Herrschaften Strand; ich wollte mal sehen, wie der Strand hier aussieht; alle fort waren in Goodwood, da ging ich hinunter nach dem ich bin doch auch in einer Seestadt geboren. Und da traf ich am Strande Mrs. Leopold, ich meine Mrs. Randal, Johns Frau; und die sah so unglücklich und so traurig aus, daß ich sie, um ihr Gesellschaft zu leisten, zum Thee nach Hause begleitete. Und sie war so erregt, gnädige Frau, daß sie vergessen hatte, daß ihre Theelöffel verfekt waren, und als ihr dann einfiel, daß sie mir nun feinen Löffel zum Thee geben fonnte, da brach sie ganz zusammen und weinte sehr und erzählte mir all ihr Unglüd."
Mrs. Barfield sah sie jetzt fast mit Bewunderung an. Und sie fühlte, daß ihre Beurteilung des Charakters dieses Mädchens doch keine falsche gewesen war. Sie sagte darum in viel weicherem Tone:
,, Vielleicht haben Sie recht, Esther. Wenn ich es gewußt hätte, hätte ich Sie wohl nicht hier behalten können wegen des schlechten Beispiels für die andern. Ich hätte Ihnen nur mit Geld heisen können. Großer Gott! Wenn ich es bedenke! Ein junges Weib in diesem Zustande sechs Monate allein in London ... Es ist ganz gut, daß Sie es mir nicht früher gesagt haben, Esther. Und da Sie, wie ich sehe, die Verantwortung für Ihr Kind schon jetzt empfinden, so will ich hoffen, daß Sie ihm nie eine schlechte Mutter sein werden, wenn Gott es Ihnen lebendig schenkt!"
O nein, gnädige Frau, das werde ich gewiß nicht sein." „ Armes Mädchen! Armes Mädchen! Sie wissen jetzt noch gar nicht, welche harte Prüfungen Ihnen bevorstehen! Ein Mädchen von zwanzig Jahren! D, das ist eine Schande!! Mag Gott Ihnen Mut geben, Ihr Unglück geduldig zu ertragen!"
" Ich weiß, daß eine schwere Zeit vor mir liegt, gnädige Frau. Aber ich habe Gott um Kraft gebeten. Er wird fie mir geben, und ich darf nicht murren. Ich bin noch immer nicht so schlecht daran, wie manche andre. Ich besitze noch fast acht Pfund. Ich hoffe, ich werde durchkommen, gnädige Frau, das heißt, wenn Sie so gütig sein wollen, mir mein Zeugnis nicht zu verweigern."
,, Kann ich, darf ich Ihnen ein Zeugnis geben? Aber ja; die Versuchung war da, Sie sind verführt worden; die Verantwortung trifft eigentlich mich; ich hätte besser auf meine Leute aufpassen sollen.- Sagen Sie mir, nicht wahr, es war nicht Ihre Schuld, Esther?"
,, Was hat sie Ihnen denn erzählt, Esther?"
"
„ Ich kann mich nicht mehr so auf alles befinnen, aber es war auch immer ein und dasselbe! Wenn das Pferd nicht gewann, waren sie ruiniert; und wenn es gewann, wurde so lange weiter gewettet, bis sie auch so gut wie ruiniert waren. aber so schlecht, wie an dem Tage, als Silberschwanz den Preis gewann, wäre es ihnen noch nie gegangen, sagte sie. Wenn er nicht gewonnen hätte, wären sie auf die Straße geworfen worden, und nach allem, was ich gehört habe, wäre es der halben Stadt ebenso ergangen."
Also der kleine Mann hat auch schon darunter gelitten! Ich hielt ihn für flüger als die andern! Ja, dieses Haus ist der Ruin der ganzen Gegend, und anstatt Rechtlichkeit und feit und Laster verbreitet." Tugend um uns herum zu pflanzen, haben wir nur Gottlosig
Mrs. Barfield ging im Zimmer auf und ab und sprach erregt weiter, wie zu sich selber:
" Ich habe mein Lebtag dagegen angekämpft, aber ohne Erfolg. Wieviel Elend werde ich noch daraus erwachsen fehen?"
Dann wandte sie sich zu Esther und sagte:
" Ja, das Wetten ist eine große Sünde, und viele, viele haben schon darunter gelitten und werden noch leiden. Jetzt aber handelt es sich um Sie, Esther. Wieviel Geld haben Sie?" ,, Beinahe acht Pfund, gnädige Frau."
Die
„ Und wieviel, glauben Sie, werden Sie brauchen, um Zeit zu überstehen?"
" Ich weiß es nicht, gnädige Frau, ich habe ja keine Erfahrungen. Ich denke, Vater wird mir erlauben, zu Hause zu bleiben, wenn ich bezahlen kann. Für sieben Schilling die Woche wird er mich wohl behalten. Und wenn dann meine Beit kommt, werde ich ins Krankenhaus gehen."
O, gnädige Fraut, es ist immer die Schuld der Frau! Er hätte mich nur nicht so grausam verlassen dürfen, wie er es gethan hat; das ist der einzige Vorwurf, den ich ihm machen fann. Das übrige ist alles ebenso sehr meine Schuld wie die feine. Ich hätte an jenem Abend nicht so viel Bier trinken dürfen. Außerdem aber liebte ich ihn, und Sie wissen ja, gnädige Frau, wie das dann ist. Ich dachte mir auch zuerst gar nichts Böses und ich ließ mich von ihm küssen. Wir Während Esther so sprach, hatte Mrs. Barfield rasch ho gingen abends viel zusammen spazieren. Er sagte mir, daß rechnet, daß zehn Pfund ungefähr genügen könnten. Syre er mich liebe, und daß er mich heiraten wolle; so ist dann alles Rückfahrt nach London , zwei Monate Pension a sieben Schilling gekommen. Nachher verlangte er dann, ich solle bis nach dem die Woche, das Zimmer, das sie sich in der Nähe des Hospitals St. Leger warten; das ärgerte mich und ich sah mun eigentlich würde mieten müssen vor ihrer Entbindung, und in welches erst ein, wie sehr ich gesündigt hatte! Von da an wollte ich fie nachher mit ihrem Baby zurückkehren müßte alles dieses nicht mehr mit ihm gehen und nichts mehr mit ihm zu thun zusammen würde wohl vier bis fünf Pfund kosten. Dann haben. Und während wir nun so miteinander grollten, ist müßte sie Kinderzeug kaufen. Wenn sie ihr vier Pfund Wiß Peggy ihm nachgegangen und hat ihn mir weg- schenfte, hätte Esther zwölf Pfund, und damit würde sie wohl durchkommen.
genommen.
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"
Bei dem Namen Peggy bewölfte sich Mrs. Barfields Antlig.
,, Sie sind wirklich schmachvoll behandelt worden, mein armes Kind; von alledem habe ich nichts gewußt. Also er Jagte, er wolle Sie heiraten, wenn er seine Wetten beim Leger gewänne? O, dieses Wetten! Ich weiß, ich weiß; in diesem ganzen Hause wird an nichts andres gedacht, oben und unten; das ganze Haus ist wie vergiftet durch und durch, und es ist doch alles nur die Schuld von
"
Mrs. Barfield ging schnell ein paarmal im 3immer auf und ab, dann sah sie Esther an und sprach erregt weiter::
„ Ich habe es mit angesehen, mein halbes Leben lang, nichts andres als das; und ich habe nichts andres daraus ent
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Mrs. Barfield ging zu ihrem altmodischen Schreibpult hinüber, holte aus einem Schubkasten ein Papierröllchen hervor und entnahm diesem etwas Geld.
,, So, Esther, nun hören Sie mal zu. Ich werde Ihnen vier Pfund geben, dann haben Sie zwölf, und dies wird wohl genügen. Sie sind mir ein guter Dienstbote gewesen, Esther, ich habe Sie sehr gern, und es thut mir leid, mich von Ihnen zu trennen. Sie müssen mir schreiben und mitteilen, wie es Ihnen geht, und wenn Sie dann wieder eine Stelle haben wollen und ich eine frei haben sollte, so werde ich Sie gern zurücknehmen."
Härte hatte auf Esther stets die Wirkung, auch sie zu verhärten und trogig zu machen; Güte aber rührte immer schnell