Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 53.

201

Dienstag, den 15. März.

( Nachdruck verboten.)

Elther Waters.

Roman von George Moore  .

Es war die Stimme der kleinen Ethel, die in ihrer Ecke Jaß und ganz ruhig die großen Bogen des braunen Papiers zerriß. Alle mußten über ihre komische Bemerkung lachen, aber mitten im Lachen befiel Esther wieder der Gedanke an ihr Unglück. Mrs. Saunders sah es ihr an, und ihre Augen füllten sich mit Thränen, und um der unpassend heiteren Stimmung schnell ein Ende zu machen, nahm sie Juliens Hund und sagte ihr, sie müsse ihn noch einmal machen.

Sie selbst war dem Mädchen dabei behilflich.

So," sagte fie, mun ist's ein Hund, nun hat er zwei gleiche Schultern. Er sieht jetzt fast aus, als könnte er laufen." Ach, wie dumm!" schrie Julie. Ich werde mein letztes Dutzend heute abend nicht mehr fertig machen können. Ich habe keine Knöpfe mehr für die Augen, und die schwarzen Stecknadeln, die Jenny für ihre kleinen nimmt, kann ich für diese großen nicht gebrauchen."

Kannst Du denn nicht im Laden welche bekommen? Ich habe so sicher auf das Geld gerechnet, das ihr für die Hunde am Sonnabend bekommen solltet."

,, Nein, im Laden geben sie uns feine Snöpfe. Das ist Hausarbeit, sagen sie, und selbst wenn sie welche dort hätten, würden sie uns nicht erlauben, sie dort zu befestigen. Alles ist bei ihnen immer Hausarbeit". Eine greuliche Ge­sellschaft!"

Aber hast Du nicht sechs Pence, Mutter? Dann laufe ich schnell und hole welche."

Nein, ich habe kein Geld mehr!" Aber ich," sagte Esther, will Euch gerne sechs Pence geben, um Eure Knöpfe zu kaufen."

" Ja, gut; gieb Du uns die sechs Pence. Du sollst sie morgen zurückkriegen, wenn Du noch hier bist. Wie lange bleibst Du denn hier? Aber selbst wenn Du hier wieder fort bist, können wir es Dir ja nachschicken."

Ich werde wohl einige Zeit hier bleiben." " Was? Hast Du Deine Stellung verloren?" Nein, nein," sagte Mrs. Saunders. Esther ist nur nicht ganz wohl, sie ist hergekommen, um sich zu erholen. Nun nimm nur Deine sechs Pence und laufe."

Stann ich auch gehen?" fragte Jenny. Seit acht Tagen schon size ich fest da an der Arbeit, und ich habe nur noch ein paar Hunde zu machen."

Ja, Du kannst mit Deiner Schwester gehen; nur fort, schnell, laßt mich zufrieden. Ich muß das Abendbrot für Euren Vater kochen.

Als Jenny und Julie aus dem Wege waren, konnten Esther und Mrs. Saunders endlich wieder miteinander reden. Die andren Kinder waren noch zu klein, um ihre Worte zu

verstehen.

" Zu Zeiten," sagte Mrs. Saunders, ist er ja ganz gut, aber zu andern Zeiten ist er ganz schrecklich. Es ist so schwer zu wissen, was für eine Laune er mit nach Hause bringt. Manchmal ist es ganz überraschend, wie leicht er alles auf nimmt, und dann wieder kommen Tagena, Du weißt ja, na, Du weißt ja, wie mit dem Stückchen Beefsteak, wovon ich Dir vorhin er zählte. Wenn Du ihn in der Laune antriffst, dann ist es schon möglich, daß er Dich bei der Schulter packt und rauswirft; wenn er aber guter Laune ist, so ist es möglich, daß er sagt: Na, mein Mädel, bleib man hier zu Hause."

,, Er kann mir ja nichts Schlimmeres thun, als mich raus werfen, aber besser ist's freilich schon, wenn Du vorher mit ihm sprichst, Mutter."

" Ja freilich, sprechen werde ich schon mit ihm; aber wie's abläuft, das weiß Gott  ; wenn ich nur ein gutes Abendbrot hätte! So was verbessert gleich seine Laune; aber nun hab' ich zum Unglück nichts hier als ein bißchen Speck; das ist dumm!.. Wenn ich ein Beefsteak oder so was hätte, dann solltest Du mal sehen! Wie er's bloß sieht, bekommt er schon helle Augen und wird vergnügt."

,, Ach, Mutter, wenn Du glaubst, daß das solchen Unter­schied macht, will ich schnell zum Fleischer herumlaufen und

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Na ja, laufe; hol ein halbes Pfund; wenn es schön ge­braten ist, und er's erst im Magen hat, dann ist er gleich ein ganz andrer Mann. Es thut mir nur leid, daß Du Dein Geld hier ausgiebst; Du wirst es schon noch selber nötig genug brauchen."

Das ist nun mal nicht zu ändern, Mutter; ich werde nicht mehr als eine Minute fortbleiben, und ich werde auch einen Liter Porter mitbringen."

Als sie zurückkam, begeanete sie Jenny und Julie, und als sie ihnen erzählte, was sie eingekauft habe, sagten diese: Nun wird es wohl ein vergnügter Abend werden."

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,, Wenn er mit dem Essen fertig ist, wird er ausgehen, um irgendwo mit seinen Freunden eine Pfeife zu rauchen, dann haben wir das Haus für uns, und Du kannst uns alles über Deine Stelle erzählen. War es da nicht schön? Hatten die nicht Diener und Haushofmeister? Sind wohl sehr vor­nehme Leute?... Und wie sah denn der Diener aus? War er nicht sehr schön? Ich habe gehört, daß die Diener alle schön sind?" Und dann mußt Du uns auch Deine Kleider zeigen, ja?" fagte Julie. Wie viele hast Du denn? Und sind sie alle so schön, wie das, was Du anhast? Da mußt Du Dir aber hübsch Geld verdient haben, daß Du Dir solch hübsche Kleider kaufen konntest!"

Das Kleid hat mir Miß Mary geschenkt."

Wirklich? Die muß aber gut sein! Ich möchte auch gern in Stellung gehen. Ich habe die ewige Arbeit mit den Hunden satt. Wir müssen von früh bis spät arbeiten, und dann geht schließlich alles Geld ins Wirtshaus. Vater trinkt jezt mehr als je."

Esthers Einkäufe fanden Mrs. Saunders' Beifall. Sie hatte ein schönes Beefsteak gebracht; schnell wurde das Feuer angeschürt, und wenige Minuten später begann sie das Fleisch auf dem Rost langsam zu braten. Das Ticktack der alten Uhr tönte durch die Küche. Jenny und Julie beeilten sich bei ihrer Arbeit, stopften das Papier mit raschen Fingern in die Formen und riefen dabei von Zeit zu Zeit den kleinen Kindern zu, welche Größe des Papiers sie brauchten. Esther und Mrs. Saunders warteten mit flopfendem Herzen auf den schweren Tritt des Vaters. Endlich hörte man ihn im Hausflur. Mrs. Saunders wandte das Fleisch auf dem Rost um, damit der faftige Geruch ihn schon von weitem begrüßte und ihn in gute Laune versetzte.

Da bist Du ja, Jim. Kommst heute ja ein bißchen früher als sonst; Dein Abendbrot ist noch nicht ganz fertig." " Ist es früher? So? Ha, da ist ja Esther! Zum Be­Riecht ja verteufelt gut." such gekommen? Wie? Was kochst Du mir denn da, Frau?

Ein kleines Beefsteakchen, Jim. Scheint wunderschön zu sein. Ich hoffe, es wird Dir schmecken." Furcht, Du würdest wieder mal nichts haben, wie ein Stück Wird schon schmecken. Gieb nur her; ich hatte schon Speck; und ich bin ganz ausgehungert."

Jim Saunders war ein starker, untersetzter Mann von vierzig Jahren, mit dunklem Haar und Bart. Er hatte sich augenscheinlich seit einigen Tagen nicht rasiert, denn sein Schnurrbart war kurz und stachelig; um seinen kurzen, dicken Gesicht war von Bartstoppeln blauschwarz. Sein schwarzer Stirnnaden trug er ein zerfetztes Halstuch. Seine braune Jacke war mit Staub bedeckt und abgeschabt und seine Hosen unten herum ausgefranst. Er schleuderte seinen Korb in eine Ecke und streckte sich selbst in voller Länge auf der an der Wand stehenden Bank aus; dort blieb er liegen, ohne ein Wort zu sprechen, und zog mit den Nüstern den Duft des Fleisches ein. Plößlich schien ihm der Biergeruch aus dem Krug in die Nase zu kommen. Er streckte seine rauhe Hand danach aus, nahm ihn auf und blickte hinein.

,, Nanu," rief er, was ist denn heute los? Ein Liter Porter! Ihr wollt mir wohl heute etwas ertra Gutes an­thun, was?"

,, Nein, Jim, nein; bloß weil Esther gekommen ist, wollten wir Dir mal was Besseres geben; es geht ihr ganz gut, sie kann sich's leisten."

Jim sah Esther erstaunt an, und da er fühlte, daß er etwas sagen mußte, und nicht recht wußte, was, rief er: