„Na, dann auf Dein Wohl, Mädel." Er nahm einen tüchtigen Zug aus dem Krug, wischte sich den Mund mW sagte: „Wo hast Du es denn geholt?" „In Durhamstreet— im„Engel"." „Konnte ich mir denken! Hier in der„Rose" und „Krone" haben sie so was nicht. Na, ich dank' Dir auch schön. So, nun wird mir aber mein Beefsteak schmecken, und da sehe ich ja auch ein paar Kartoffeln in der Asche liegen. Na, Alte, ist es bald fertig? Du weißt doch, ich mag's nicht so sehr durch- gebraten haben." „Noch nicht ganz fertig, Jim, aber gleich, noch ein paar Augenblicke." Jim begnügte sich noch einmal damit, den Duft des Fleisches mit der Nase einzuziehen: dann sagte er zu Esther: „Na, die scheinen Dich ja da unten ganz gut zu behandeln. Tonnerwetter, wie Du fein aussiehst, wie'ne Dame! In Stellung gehen ist immer das beste für Mädels, das habe ich immer gesagt! He, Jenny, möchtest Tu nicht auch in Stellung gehen, wie Deine Schwester? Das scheint mehr abzuwerfen als die Spielhunde, für dreieinhalb Schilling das Gros." „Ich sollt' meinen: ich möchte schon gern gehen: sowie die Maggie gelernt hat, die Hunde zu machen, werde ich es versuchen." „Das junge Fräulein vom Hause hat ihr das Kleid ge- schenkt," sagte Julie.„Dann muß sie aber doch verstanden haben, sich beliebt zu machen!" Jetzt nahm Mrs. Saunders das Beefsteak vom Rost und legte es auf einen gewärmten Teller, dessen Rand sie mit ihrem Schürzenzipfel faßte und ihn so zu ihrem Mann hin- übertrug. „Nimm die Hände in acht, Jim," sagte sie.„Es ist furchtbar heiß, Jim." Jim versank jetzt in Schweigen, während er aß, und die Kinder sahen ihm zu und bedauerten, daß sie nie solch gute Dinge zu essen bekamen. Er sprach erst wieder, als er das Beesteak zur Hälfte verzehrt hatte, dann nahm er einen tüchtigen Schluck aus dein Bierkrug und sagte: „So famos wie heute hat's mir schon lange nicht ge- schmeckt! Ich war müde wie ein Hund: wenn man aber so ein ordentliches Stück Fleisch in den Bauch kriegt nach'ner harten Tagesarbeit, das bringt einen dann gleich wieder auf die Beine." Nun musterte er Esther noch einmal mit den Blicken, machte ihr ein Kompliment über ihr gutes Aussehen und be- gann sie auszufragen über das.Haus und die Familie, bei der sie diente: aber Esther war nicht in der Laune, um sich mit ihm zu unterhalten. Sie beantwortete seine Fragen kurz und knapp. Ihre Zurückhaltung diente jedoch nur dazu, seine Neugierde zu vergrößern: und diese erreichte ihren Gipfelpunkt, als Esther zufällig die Rennpferde erwähnte. Nun sollte sie ihm davon erzählen. lFortsetzung folgt.). lNachdruck verboten.) Sin Drama aus der Geschichte der Kalmücken. Zu derselben Zeit, in der der gewaltige Staatenloloß im Osten Asiens bedenklich ins Wanken gerät, bereitet sich im Süden des russischen Reiches selbst eine Bewegung vor. die das größte Interesse des Ethnographen wie des Politikers wachruft. Wie nämlich die russische Zeitung„Caspi" meldet, hat schon die seit längerer Zeit bemerkbare Tendenz der Krimtataren zur Auswanderung eine Form und Ausdehnung angenommen, die die Denkungswcise eines NN Aussterben begriffenen Volksstammes und die wirtschaftlichen Ver- Hältnisse treffend illustrieren. Dieser Auszug der Krimtatarcn ist jedoch nur ein Kinderspiel gegen jenes ergreifende Drama, das sich im t3. Jahrhundert an der Wolga und weiter bis in Asien hinein abspielte. Auch damals waren es Tataren, die Kalmücken der Wolga , die aus dem gleichen Grunde, wie heute ihre Stammes- verwandten, der Knechtschaft Rußlands sich zu entziehen und mif asiatischem Boden eine neue Heimat zu gründen suchten. Diese in ihrer Art vielleicht einzige und nur wenig bekannte Völkerwanderung, die sehr anschaulich von Teschner im ersten Teil seiner„Historischen Streifzüge" geschildert ist, dürfte daher gerade jetzt eine kurze Be- sprechung verdienen. Die tatarischen Kalmücken hatten der russischen Macht sich unterwerfen und zur Leistung von Kriegsdiensten verpflichten müssen, sie behielten aber stets ihre eignen Khans und unter der Aufsicht eines russischenGroßpristaws oder Generalkommissärs ihre eigne Gerichtsbarkeit. Als nun unter der gewaltthätigen � Kaiserin Katharina und deren tyrannischem Großpristaw Kichinskoi die Be- brückung immer grausamer wurde, beschloß der Khan Ubascha und sein Vetter Zebeck, die kalmückische Nation zu befreiet?. Nach lang'« wierigen Verhandlungen kam man überein, eine Auswanderung zu veranstalten, als die einzige Rettung aus russischer Knechtschaft. Der 5. Januar 1771 wurde als Tag des Auszugs festgesetzt. Aber trotz der Heimlichkeit und Schnelle, mit der die Auswanderung eines ganzen Volkes betrieben ward, schöpfte der Großpristaw Kichmskor Verdacht. Er ließ den Khan Ubascha kommen und sagte ihm barsch: „Ich weiß, was um mich vorgeht. Ihr Kalmücken wällt Eure Kaiserin verraten und ausziehen, aber ich weiß auch, daß Ihr alle würdet zerschmettert werden, und daß Du die Tollheit nicht wagen wirst, denn Du bist ein Bär an der Kette I" Ubascha steckte diese Beschimpfung ruhig ein und verzog keine Miene. Desto energischer trieb er zur Eile. Der Gouverneur von Astrachan , Bekatoff, ein gewiegterer Kopf als Kichinskoi, bemerkte in seiner Umgebung die Zurüstungen der Kalmücken, und sandte täglich ivarnende Boten an den Großpristaw; aber Kichinskoi war Bckatoffs Feind und beachtete seine Botschaften gar nicht. An dem festgesetzten Tage entfaltete sich plötzlich an dem linken Ufer der Wolga ein großartiges Schauspiel. Weiber. Greise und Kinder, nahezu 300 000 Personen, bestiegen mit ihrem Gepäck Wagen und Kamele. An einem bestimmten Punkte des Wolga - Ufers war der Sammelplatz. Alle halbe Stunde langten große Züge von je 10 000 Köpfen mit ihren Herden und beweglichen Gütern an. In großen Massen von je 20 000 zogen sie fort, dem Ural zu. Drei Tage laug dauerte allein der Abzug, den Ubascha selbst mit 80 000 Reitern deckte. Zebeck und die Vornehmsten der Nation führten den Zug an. Am dritten Tage langten die letzten, mn entferntesten wohnenden Stämme am Sammelplatz an. Aber die ganze kalmückische Bevölkerung des westlichen Ufers, wohl über 200 000 Köpfe, mußte zurückbleiben, teils, weil das Eis der Wolga nicht fest genug war, um eine so ungeheure Last, Menschen, Tiere und Wagen tragen zu können, teils aus Furcht vor den Russen. Ubascha trauerte um die Verlorenen, aber er konnte nichts für .ihre Rettung thun. Jetzt, nachdem die Steppe menschen- und Herden- leer war, gdb der Khar das Zeichen, alle Wohmmgen in Brand zu stecken; er selbst zündete mit eigner Hand seine Residenz an, 30 000 Reiter flogen von Lager zu Lager, von Zelt zu Zelt, die Brandfackel in der Hand, und in einer Zeit von zwei Stunden rötete sich der Himmel vom Widerschein eines ungeheuren Flammenmeeres und mächtige Rauchwolken breiteten sich über die unabsehbare Ebene aus. Als auch die letzte Hütte in Flammen stand, gab Ubascha seinen Reitern Befehl zum Abmarsch. An seiner Seite befmid sich ein ge- fangcner russischer Edelmann, Weseloff, der als Geisel mitgcführt wurde; er war der einzige, dessen man hatte habhaft werden können. Zu spät erkannte der Großpristaw, daß Bekatoff Recht gehabt hatte. Während er sich in das feste Astrachan flüchtete, eilte Bekatoff nach Petersburg , um den Abzug der Kalmücken anzuzeigen. Katharina wütete. Sie befahl die schnellste und energischte Verfolgung. Infanterie, Artillerie. Kosaken. Baschkiren und Kirgisen wurden aufgeboten, um den Strom des wandernden Volkes zu hemmen. Bekatoff aber erhielt Befehl, seinen Feind, den saum- seligen Pristaw, in den schlechtesten Kerker zu werfen. Mittlerweile bewegte sich das Kalmückenvolk langsam vorwärts. Scheinbar endlos war der Zug, den 120 000 eskortierende Reiter mühsam in leidlicher Ordnung hielten. Das Schauspiel, welches der Gefangene Weseloff später in seinen Memoiren schilderte, war über alle Begriffe ergreifend mid spannend. Man denke sich das Rasseln von 90 000 Wagen, das Gestampf von 800 000 Rossen, das Blöken des Viehes, das Oleschrei der Kinder, das Kreischen der Weiber, die unaufhörlich ordnenden und treibenden Rufe der Männer.... Ueber dem riesigen Zuge bewegte sich eine endlos nachziehende Zjaubwolke» welche die Luft verdichtete und die Sonne verdunkelte, und doch war es Winter und der Boden hart gefroren. So lange die Kräfte noch ftisch waren, ging es ohne große Ge- fahren vorwärts. Bald aber kamen schreckliche Drangsale..Am Ufer des Ural, nach siebentägigem Marsche, fielen die Kosaken die Davonziehenden an und vertilgten einen ganzen Stamm, der am hintersten Ende zog, aus Blutrache und aus Groll, daß der fürchter- liche Zug ihr Gebiet verheere. Tann fiel dichter Schnee, verbarg die Marschrichtung und machte den Weg beschwerlich. Zehn Tage lang mußte das wandernde Volk rasten. Krankheiten rissen ein unter Menschen und Vieh. Kaum drei Wochen waren vergangen, und schon lagen über 60 000 Kalmücken tot an der Heerstraße. Außerdem waren 120 OOOStückVieh gefallen. Um die übrigen Tiere zu retten, wurden sie sämtlich geschlachtet und eingesalzen. Nur die Kamele und Rosse blieben am Leben, weil man sie zum Transport gebrauchte. Zwischen dem Ural und dem Torgai mutzte die Gebirgskette des Maschadschar überschritten werden. Diese hatte in dem weiten kaspischen Tiefbecken nur ein einziges enges Defilö. Kamen hier die verfolgenden Russen den Kalmücken mit Artillerie oder nur regulärer Infanterie zuvor, so war das ganze Volk verloren. Darum trieben die Führer zur größten Eile. Alles, was matt war und nicht recht fortgebracht werden konnte, wurde zurückgelassen. Der Weg war in Breite einer halben Viertelstunde mit Leichen, zerbrochenen Wagen und weggeworfenen Geräten bedeckt. Das Tefile war erreicht. Hier stellten sich Kosakenschwärme den Wandernden entgegen. Ubascha und Zebeck griffen mit ihren beiden Kanonen, mit Infanterie und Kavallerie die Todfeinde an. Die Kosaken wurden umzingelt, gegen 30 000 Mann wurden nieder- gemetzelt. Erst nach dieser gräßlichen Schlächterei konnte das Kalmückenvolk das Gebirge passieren. Kaum hatte man aber die Berge hinter sich, da brachten die rckognoscierendcn Reiter die Kunde
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21 (15.3.1904) 53
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