ften Jahrhundert

-

262

-

-

Mrs. Bingley war eine große, knochige Frau mit kleinen, und da dieser Termin nicht mit ihrem Ausgehsonntag zu­grauen Löckchen, die ihr zu beiden Seiten des Gesichts herab- sammenfiel, konnte sie ihr Baby noch drei lange Wochen nicht hingen. Wenn sie in ihrem schmierigen Schlafrock morgens besuchen. Seit einem ganzen langen Monat hatte sie ihn nicht in die Küche hinunterkam, um das Kochen zu überwachen, gesehen, und eine fast unüberwindliche Sehnsucht nach ihm sprach sie stets mit einer verärgerten, strengen Stimme zu dem erfüllte ihr Herz. Die Sehnsucht, ihn in ihren Armen zu Mädchen. Sonntags trug sie immer ein schwarzes Atlaskleid, halten, ihn an ihre Brust zu drücken, seine weichen Baby­eine goldene Brosche und eine lange goldene Kette um den wangen an die ihren zu legen, feine dicken, weichen, warmen, Hals. An diesen Tagen that sie dann äußerst vornehm, und fetten Füße in ihren Händen zu fühlen. Sie mußte denken, wenn ihr Mann sie Mutter" nannte, erwiderte sie mit ge- wie schnell die vier herrlichen Stunden der Freiheit vorüber­spitztem Munde: fliegen, und wie dann zwei neue Wochen der Sklaverei be­So bemuttere mich doch nicht in einem fort!" ginnen würden. Zwanzigmal schon hatte sie sich resigniert Mitunter war sie auch liebenswürdiger zu ihm, band und entschlossen, ihr Geschick zu ertragen, aber ebenso oft ihm seine Krawatte und schob ihm den Kragen zurecht. Die empörte sich ihr Herz dagegen. Endlich mußte sie sich selbst ganze Woche hindurch trug der Hausherr das gleiche furze eingestehen, daß es ihr unmöglich sei, auf dies Vergnügen zu Sadett. Sonntags aber erschien er stets in einem schlecht ge- verzichten. Sie würde ihr Kleid zum Pfandleiher tragen; es machten, langen, alten Gehrock. Seine lange Oberlippe war war freilich das einzige, das sie besaß. Und was würde ihre glatt rasiert, aber unterhalb des Kinnes trug er ein paar farb- Herrin dazu sagen? Aber gleichviel! Sie mußte ihr Kind Lose Haare, die weder braun noch rot waren, sondern jenes häß- fehen! Und wenn sie dann später ihren Lohn bekam, konnte liche Grüngelb aufwiesen, welches manches Haar beim Ueber- sie ihr Kleid wieder auslösen und würde sich auch ein paar neue gang zum Ergrauen annimmt. Wenn er sprach, öffnete er Stiefel faufen. Und sie schuldete Mrs. Lewis schon einen seinen Mund sehr weit und schien sich nicht im mindesten der ganzen Posten Geld. vielen Zahnlücken und der drei oder vier gelbschwarzen Fünf Schilling die Woche das machte dreizehn Pfund Stummel, die ihm noch übrig geblieben waren, zu schämen. pro Jahr. Es blieben ihr somit nur drei Pfund pro Jahr John, der ältere der beiden Söhne, war ein stiller, schweig- für ihre eignen Siefel und Kleider, die Fahrten hin und zurück samer Mensch, der nichts so gern that, wie an den Thüren zum Kinde und alle weiteren Bedürfnisse des Kleinen. horchen. Er behorchte die Unterhaltungen seiner Schwestern; O, dachte fie, es ist nicht möglich, nicht möglich! die Esthers mit dem kleinen Mädchen, das ihr gelegentlich ein Niemals kann ich das durchführen. paar Stunden in der Küche helfen durfte, und kauerte zu diesem Zweck ungeniert halbe Stunden lang auf der Treppe nieder. Er hatte auch eine Braut, und Esther dachte mitunter für sich, die müßte es wohl sehr nötig haben, um sich mit einem so widerlichen Menschen einzulassen. Wenn er mit ihr aus­ging, rief er ihr grob zu: Komm, Anny!" ging ruhig vor ihr zur Thür hinaus und bot ihr draußen nicht einmal feinen Arm. Wie Jungen und Mädchen nebeneinander herschlendern, wenn sie aus der Schule kommen, so tam auch dieses Brautpaar stets von seinen Spaziergängen zurück. Hubert, der jüngere Sohn, war ganz anders geartet. Er hatte weder das mürrische in Wesen der Familie, noch die häßliche, lange Oberlippe. Er war der einzige rosige Punkt in diesem so grau in grau ge­färbten Haushalt, und Esther hörte stets mit Vergnügen seine herzliche Stimme, wenn er von der Hausthür aus seiner Mutter zurief:

" Ich habe den Schlüssel, Mutter, es braucht keiner mich zu warten."

Und die Mutter rief ihm dann zu:

auf

als

" D, Hubert! Komm nur nicht später nach Hause elf Uhr! Du gehst doch nicht schon wieder zum Ball? Dein Bater wird sicherlich die elektrische Glocke an die Thür machen, um genau zu hören, wann Du nach Hause kommit."

Die vier Töchter hatten sämtlich die lange Oberlippe der Familie und eine recht gesunde Gefichtsfarbe. Die älteste war die häßlichste.

( Fortsetzung folgt.)]

( Nachdrud verboten.)

Thielen Krifchans Wafferkur.

Eine Ostergeschichte aus der Lüneburger Heide

von Erika Riedberg. ( Schluß.)

sein Horn und begab sich auf den Rundgang. Eben schlug es elf Uhr vom Kirchturm. Der Nachtwächter tutete

Krischan schlich leise über den Hof zum Pferdestall, sich den größten Tränteimer, den er finden konnte, zu seinem Vorhaben zu holen.

Ganz von unheimlichen Vorstellungen erfüllt, saß er nun wieder geduldig auf dem Stein, zuweilen vor sich hinmurmelnd, bald einen frommen Liedervers, bald den Bötespruch", dessen er sich zum Glück sicher erinnerte.

"

Dann wieder zerbrach er sich den Kopf, wo sein Buch hin­gekommen sein könne, und mitten in aller Unruhe fiel ihm ein, daß es der Bauer in seinem Schrank haben müsse, dem hatte er's bor Jahren mal gegeben. Na, jest war's zu spät, die Vorschrift nach­zulesen, halb zwölf hatte es schon geschlagen.

Die Angst stieg ihm bis an die Kehle, aber keinen Moment dachte er daran, seinen Plan aufzugeben; er mußte helfen, wo sonst feiner mehr Rat wußte.

In diesen Augenblicken war Thielen Krischan, der oft verhöhnte, abergläubische Krischan ein Held.

Jetzt drei kurze Schläge durch die stille Nacht: Dreiviertel! Mit zitternder Hand griff er nach seinem Eimer, da wisperte auch schon jenseits des Zauns.

"

Büst dor? Denn fumm furns."

Bebend reichte Krischan erst den Eimer hinüber und kletterte mühsam nach.

Drüben knickten ihm fast die Beine ein. Gottsjämmerlich war ihm zu Mute.

Sie führte die Bücher für ihren Vater und buf die Kuchen in der Küche. Die zweite und dritte schienen nach Heiratskandidaten auszuspähen, und die vierte litt an hysteri - es schen Anfällen oder Krämpfen. Das ganze Haus der Bingley sah aus wie sie selber: nüchtern, sauber und hart. Die Treppe war mit weißgrauem Filz belegt, und die von oben bis unten weiß gemalten Wände mußten stets vor Sauberkeit glänzen. In den Fenstern standen keine Blumen; aber die Züge an den Stores mußten stets in vollkommener Ordnung sein. Im Salon standen mehrere schwerfällige Tische, Stühle, ein Sofa und Schränke; die Sessel waren alle mit weißen Deckchen be­legt, und als Zierat standen eine Menge häßlicher Glas- und Porzellanvasen herum; auch ein Klavier war vorhanden, und jeden Sonntagabend mußte eines von den jungen Mädchen Choräle darauf spielen, zu welchem die ganze Familie im Chor mitjang.

Na, nu man freegel( mutig), Krischan," munterte ihn Peters auf." Kniep de Dumen in. Id lat Did nich in' n Stich." Peters, id segg Did," preßte Thiele heraus, wör't nich üm de Gesundheit, id däh't nich."

"

" Jo, jo, de Gesundheit is't aberst of wert. Jd segg ümmer, wenn de Kauh örn Swanz verlarn het, denn markt sei irst, wa hei god tau wäsen is. Nu man los! Los, Krischan, stief de Been! Surasch, olle Bengel, un wiß dat Mul hollen.

Lautlos wie zwei Schatten schlichen die beiden an den Mühlbach. Die feierliche Ruhe über der weiten, noch winterlich schwarzen Seide legte sich schwer und drückend wie ein Alp auf Thieles erregtes Gemüt. Der Schweiß perlte ihm von der Stirn, in angstvollen Schlägen pochte sein Herz gegen die Brust.

-

Mit dem ersten Glockenschlage bückt er sich zum Wasser. Da­ein eisiger Luftzug hat seinen Naden gestreift seine zitternden Hände laffen ums Haar den Eimer sinken.

Dies war das Haus, in welches Esther als Mädchen für alles mit einem jährlichen Lohn von sechzehn Pfund eintrat. Siebzehn Stunden täglich, also zweihundertdreißig Stunden in vierzehn Tagen, mußte sie waschen, scheuern, fegen, kochen, Gänge laufen und ununterbrochen arbeiten, ohne je auch nur einen Augenblick für sich zu haben. Jeden zweiten Sonntag durfte sie vier bis fünfthalb Stunden ausgehen. Ihre Aus­gehezeit war nominell von drei bis neun. Aber es war ihr gesagt worden, fie müsse rechtzeitig zurück sein, um den Abend brottisch zu decken, und wenn sie einmal um fünf Minuten nach neun zurückkam, sah sie schon saure, strenge Gesichter und hörte Klagen und Beschwerden. Geld hatte sie gar feines. Ihr Minutenlang bleibt er wie von Grauen gelähmt, beide Hände Vierteljahrslohn würde erst in vierzehn Tagen fällig sein, an den Eimer vor fich gestützt, auf den Knien. Als aber zum dritten

Bebend am ganzen Körper versucht er's nochmals. Wieder der entsetzliche Hauch! Er weiß nun ganz genau, wer hinter ihm steht. des Baches in die Knie, und so, während der letzte Schlag der zwölften Seine Zähne fchlagen flappernd zusammen, er fällt am Rand Stunde durch die Nacht verhallt, schöpft er das heilungverheißende Ofterwasser.