Sich selber möglichst zuobjektivieren", so zwar, daß auf den ersten Blick alle persönliche Parteinahme verschleiert bleibt, das ist Klara Viebig   ebenfalls gelungen. So dürste denn oberflächliche Kritik leicht geneigt scheinen, in diesem Buche auch wieder die Darstellung eines Kulturbildes" zu erblicken. Dazu fehlen doch aber die hauptsächlichsten Vorbedingungen. Gewiß, der Leser macht Bekanntschast mit einer bunten Reihe lebensvoller Gestalten, als da sind: deutsche und polnische Großgrundbesitzer, Ansiedler und Landarbeiter, Beamte und Geist- liche, Töchter und Frauen, so daß er meinen könnte, dasganze" Volk in seiner Vielgestaltigkeit, in seinen gemeinsamen und seinen widerstreitenden Interessen zu sehen. Ein Blick auf dieHandlungen", in die jene Personen verstrickt wurden, lehrt aber erkennen, daß die ersteren doch zu unbedeutend erscheinen, um auf den Namen eines kulturellen Spiegelbildes Anspruch erheben zu können. Was geht denn vor? Da sind zwei deutsche Rittergutsbesitzer. In dem einen Kestner auf Przhbo- rowo wird ein in xoliticis gleichmütiger, um nicht zu sagen in- differenter Landwirt gezeichnet, dem lediglich am eignen Wohlbestande gelegen ist und der in der Besorgnis guter oder schlechter Ernten schließlich darauf baut, daß ihm, Ivenn's dann nicht mehr geht, dem Bodew iveitere Erträgnisse abzugewinnen, die LandeSkominission sein Gut abkaust. Er ist ein realer Praktiker. Die Polenpolitik läßt ihn kalt. Er lebt mit den polnischen wie deutschen Nachbarn in friedlichem, wenn auch scheelsüchtigem Einvernehmen. Der andre Baron v. Doleschal auf Niemczyce-Deutschau ist das gerade Gegenteil: Großdeutscher, enragierter Patriot hakatistischer Färbung, ist sein einziges Sinnen und Trachten auf die Germani- sicrung der Polen   gerichtet. Er will sie dem Schnapsgeuuß ent- wohnen und sie nicht bloß zu besserer Existenz, sondern auch zu deutscher Sitte, Sprache und Denkweise heranziehen. War' er nur nicht eine so hypersensible, verweichlichte, empfindsame Kreatur. Aber da sitzt das llebel. Er will überall kolonisieren, verstrickt sich mit den Nachbarn wie mit sich selbst in allerhand Fährlichkeitcn, macht eine ganze Skala un- nötiger Leiden durch, bis er sich, von allen als.Kneifer" ge- schnitten, als aussichtsloser Reichstags- Kandidat aus Verzweiflung über seine Deutschtums- Bestrebungen eine blaue Bohne ins Hirn schießt. Geschieht ihm ganz recht. Dekadente Schwächlinge und Schwärmer müssen zu Grunde gehen. Als dritte kommt eine Kolonistenfamilie aus Rheinland   in Bewacht. Man quält sich ein, zwei Jahre mit den, wenig ergiebigen Boden ab. Man verzehrt sich in Sehnsucht nach der schonen Heimat, weil die deutsche Art mit der polnischen nimmer Verschmelzbarl Der Sohn ist zwar schon anpassungsfähiger, er heiratet eine Polin, die er jedoch bald auf konspirationistischen Wegen wie bei Untreue er- kennt und die ihm dann wegläuft. Eines Tages ist der die lieblose Frau Suchende auf Nimmerwiederfindcn verschwunden. Im Moor fand er zufällig oder gewaltsam, wer kann's sagen den Tod. Die Eltern vcr- kaufen und ziehen wieder der Heimat zu. Den Deutschen   stellt Klara Viebig   ein überwältigendes Polentum gegenüber. Da ist ein Vikar, beseelt vom ganzen Fanatismus ftir sein Volk wie für die Hoffnung auf den einstigen Sieg des weißen Adlers. Er hat die Gläubigen in seiner Gewalt. Seine Agitation gegen die Deutschen   fällt stets auf guten Boden. Da ist der polnische'Großgrundbesitzer v. Gar- czynski auf derHerrschastChwaliborczyce. zwar ein echter Edelmann, aber doch auch ein pfiffiger Zweiseelenmcnsch, der den deutschen Landrat in der Tasche hat, sogar Reichstags-Abgeordnetcr wird und weiter die sichere Gewähr besitzt, daß ihm sein Gut von der Ansiedelungs- kommission behufs Parzellierungszlvecken abgekauft werden dürste. Frau und heranwachsende Tochter nebst dem polnischen Inspektor nehmen'S in punctoMoral" nicht gar genau und scheinen das Schlagwort von derpolnischen Wirtschast" zu illustrieren. Ein alter Schäfer bildet gewissermaßen die lebendige Tradition des Polentums. In seinem Gedächtnis haften allerlei legendäre und historische Erinnerungen an Polens   ehemalige Macht und Herrlichkeit. Prophetenhast ist sein Ansehen beim Landvolke. Einst, so verkündet er, mutz der weiße Adler über die deutschen Hunde siegen.Freue dich, Land, mit deinen Wogen deS Korns, mit deinen blinkenden Sensen I Freut euch, ihr Männer, steut euch, ihr Weiber! Ihr Kinder des großen Polen  , freuet euch!" Ist ein Berg auf Baron Doleschals Grund, Lysa-Gora geheißen. Dadrinnen schlafen, nach polnischem Glauben, dreimalhimderttausend gewaffnete Krieger. Einst werden ihre Waffen klirren. Dann wachen sie auf und entsteigen dem Berge, um Land und Volk von allen Feinden Polens   zu säubern.... Wie ein mystisches Wahrzeichen spukt der Lysa Gora   durch alle Handlungen des Romans. Dorthin zog's Doleschal; ihn sieht er gespenstig gleich einem Verhängnis aufragen; auf seiner Höhe erschießt er sich. Damit soll doch angedeutet sein, daß Doleschal am Polenvolke zu Grunde ging? Es scheint so. Denn auch Peter Bräuer, der rheinische Kolonistensohn, der damals im Luch verschwand, wurde ja ein Opfer seiner Polinncnliebe. Fiel er vielleicht durch einen Mordanschlag? Klara Viebig   überläßt diese Deuwng dem Leser. Auf wessen Seite sie also steht, dürfte unschwer zu erraten sein. Polnisch' Volk hat ihre Sympathie nicht. Es müßte beim weniger unerfreuliche Charakterzüge tragen, als ihm die Verfafferin zumutete. Schnaps- brüderliche Verkommenheit, List und Tücke, lästerliches Ge- schimpf und Gefluche, ekelhafte Unsauberkeit haben, wenn Frau Viebigs Milieu- und Wesenszeichnung als richtig hin- genommen wird, alle Vertreter der polnischen Nation an sich. Des Guten und Edelmütigen verblieb so wenig, daß es verschwindet. Wohin hat sich da dieObjektivität" der Epikerin ver- flüchtigt? Aber es find auch sonst noch der UnWahrscheinlichkeiten viele. Zu dick aufgetragen, ja unglaubwürdig scheinen die Sccnen, wo die Verfafferin schildert, loie die Gutsleute zu nächtlicher Stunde einen Sturm auf Doleschals Herrenhaus versuchen, wie eine Rotte, ebenfalls nachts, den Baron auf der Heimkehr von einer Wählcrversammlung durchprügelt, wie sie den Laden des Krämerjuden plündern. Nirgends zeigt sich ein«behelmter Vertreter des Gesetzes", der doch sonst immer gleich zur Stelle zu sein pflegt. Wieviel mehr erst, wenn es sich umgroben Unfug", umAufruhr" handelt? Ist es serner denkbar, daß ein preußischer Landrat, als exekutives Organ der Regierung, ungestraft so offen- fichtige Polenfreundlichkeit an den Tag legt, wie dieser da? Kurz, es ließen sich leicht noch andre Verzeichnungen nach- weiseir, aus denen hervorginge, daß das ViebigscheKultur- bild" vom Osten in einem Vexierspiegel aufgefangen wurde. Dessenungeachtet besitzt der Roman doch auch unbestreitbare Vorzüge. Alles ist, bei perspettivistischer Räumlichkeit, mit realistischer Kraft gestaltet und voll dichterischer, wenn auch schwer atmender Stimmung: So etwa? wieErdgeruch" entströmt dem Ganzen. Desgleichen entspricht es nur derpoetischen Gerechtigkeit", wenn Klara Viebig   ihr Opus mit der zuversichtlichen Hoffnung auf das Erwachen einer neuen Aera des Deutschtums, welche die Sünden der Väter wieder gut zu machen, dem Land und dem Volke Glück und Frieden zurückzugeben berufen sein werde, stohgemut beendigt. Ob diese Hoffnung durch die zur Zeit offenbar unumschränkt Herr- schenden Hakatistischen Machtfaktoren nicht doch kläglich vereitelt wird, dürfte die Zukunft lehren. E r n st K r e o Iv s k i. Kleines feialleton. sin. Der kriegerische Mut. Wenn die Völkerweit hinten" auf- einanderschlagen, dann pflegen fixe Berichterstatter dem Mangel an sicheren Nachrichten durch starke Anspannung ihrer regen Phantasie abzuzhelfen. Grandiose Schlachtgemälde entrollen sie vor den Augen der erstaunten und zum angenehmen Gruseln aufgestachelten Leser, von Heldcnthaten wissen sie zu singen und zu sagen, die, wenn sie nicht gethan sind, doch gethan sein könnten. Das Gewerbe nährt seinen Mann und ist nicht eben schwer, denn alles kann nach Schema F gearbeitet werden und man kann alte Cliches sonder Zahl vertuenden. Am dankbarsten sind die Leser immer für die packende Schilderung kriegerischer Heldcnthaten derjenigen Partei, der jeweilig die all- gemeinen Sympathien zugewandt sind. Kriegerische Heltenthaten, kriegerischer Mut wir lernten es ja alle schon in der Schule, dies seien die edelsten Blüten des tollen Würgens, um sie ersprießen zu lassen, sei der Krieg als ein bedeutsmnes Glied der göttlichen Welt- ordnung eingefügt worden. Die Schulmeister, denen von einer hohen Behörde zum mehreren Ruhme des Militarismus derartige blut- rünstige Aufsatzthemen anbefohlen sind, scheinen mir selbst daran zu glauben und leiern mit dem Brusttone der Ucbcrzcuguug die Phrasen- reichen Schillerdtake jahraus jahrein ihren Zöglingen vor. Sach- kenne r sind fleptischer. Marschall Villars, der im Dienste des fran- zösischen Sonnenkönigs tvahrlich genug Gelegenheit hatte, den Krieg kennen zu lernen, hatte seine eignen Gedanken über denkriegerischen Mut" und sagte:Man sagt, jeder Mensch sei tapfer, aber wenn es an Kopf und Kragen geht, dann merkt mau nur nichts davon!" Und mehr als ein moderner Offizier glaubt nicht daran, daß man im Zeitalter der Magazingewehre imd des rauchlosen Pulvers eine lang auseinandergezogcne Schützenlinie un feindlichen Feuer zum Auf- stehen und Vorwärtsstürmen bringen könne. DerErnstfall" ist doch ein wenig anders, als ihn sich der Bürger beim Zeitungslesen am behaglichen Jrühstückstisch auszumalen pflegt, und alle wahrhcits- liebenden Feldzugstcilnehmcr berichten uns übereinstimmend, daß der Mut und die Zuverlässigkeit des Durchschnittssoldaten im Kriege recht weit hinter den Illusionen bleibe, die man geflissentlich wachzurufen bemüht ist. Uebrigens war in den Kriegen der Neuzeit, über die wir genaue statistische Nachweise besitzen, für die Teilnehmer die Gefahr, ein Opfer der Ueberanftrengungen und der Krankheiten zu werden, stets vielfach größer, als die Wahrscheinlichkeit, von einer feindlichen Kugel zu fallen.Süß und ehrenvoll ist der Tod fürs Vaterland," sagt ein lateinischer Spruch: es erscheint indessen sehr zweifelhaft, ob ein Typhusanfall für einen Krieger angenehmer ist als für einen Civilisten, oder ob dem Tode zwischen Cholerakranken in einem primitiven Feldlazarett irgend welche Süßigkeit innewohnt. Ein- mal muß jeder Mensch sterben, und manchem mag es gleich sein, Ivo und wie der Tod ihn ereilt; aber die meisten pflegen einen andern dem an einer Krankheit im Felde vorzuziehe». Lacombe, der ein gutes Buch über die Psychologie des Krieges geschrieben hat, unterscheidet beim Kampfe mit modernen Feuer- Waffen drei Phasen: den Fernfeuerkampf, den Bajonettangriff und den zwischen beiden liegenden Zeitraum. Dieser erscheint als der wichtigste und über ihn sagt der Autor: wenn das Feuer des Gegners wenig wirksam ist und der Soldat einige Deckung hat, dann pflegt er fortwährend zu schießen und ist nur schwer hervorzubringen; ist er dagegen dem feindlichen Feuer ausgesetzt, dann ist er schwer zu halten und späht nach einer Gelegenheit zum Fliehen aus, nach hinten oder nach vorne! Um die Gefahr aus der Welt zu schaffen, muß er­den Feind aus der Welt schaffen. Und häufig weicht dieser vor einem heftigen Ansttirm zurück, ohne daß eine zwingende Notwendigkeit für ihn vorläge. Die Furcht vor Vernichtung wirkt im Kriege oft-