Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 76.
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Sonntag, den 17. April.
( Nachdruck verboten.)
Sie gingen hinein und suchten nach einer Stelle, wo sie sich seßen konnten.
So, dies erinnert mich so' n bißchen wieder an frühere Zeiten," sagte William und setzte sich dicht neben Esther nieder. Wenn Du von solchem Unsinn zu reden beginnen willst, so gehe ich sofort; ich bin nur deshalb hier bei Dir, weil Du sagtest, Du wolltest mir etwas Besonderes über das Kind fagen."
,, Nun, sag' mal, ist es denn nicht natürlich, daß ich meinen Sohn sehen möchte?"
Woher weißt Du, daß es ein Sohn ist?"
" Ich denke, Du sagtest es; aber ich wünschte, daß es ein Junge wäre; ist es einer?"
Ja, es ist ein Junge, und ein wunderschöner Junge, ganz anders als sein Vater. Ich habe ihm immer gesagt, sein Vater sei tot."
„ Und thut ihm das leid?"
„ Gar nicht, denn ich hab' ihm auch gesagt, daß sein Vater nicht gut zu mir war; und er fragt nichts nach solchen Menschen, die böse zu seiner Mutter waren."
" Du hast ihn also gelehrt, mich regelrecht zu hassen." „ Er weiß überhaupt gar nichts von Deiner Eristenz, woher sollte er es denn?"
„ Sehr wahr; aber Du brauchst deshalb doch nicht so häß lich zu mir zu sprechen. Das Geschehene kann nun mal nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Ich weiß, daß ich schlecht zu Dir gewesen bin, aber ich selbst bin auch verdammt schlecht behandelt worden. Du hast allerdings schwere Zeiten durch zumachen gehabt, aber wenn Dir das einen Trost gewährt, kann ich Dir nur sagen, daß es mir ganz ebenso ergangen ist."
„ Es ist gewiß unrecht von mir, aber Dein Anblick hat so viel Bitterfeit in meinem Herzen aufgewühlt, wie ich's gar nicht sagen kann," erwiderte Esther.
William lag lang ausgestreckt in dem dürftigen Grase. Er hielt einen langen Grashalm zwischen seinen kleinen gelben Zähnen und faute daran. Beide schwiegen einen Augenblick. Er sah Esther an, fie faß ferzengerade da und ihr gesteiftes Kattunkleid breitete sich über den fümmerlichen Grasboden hin. Ihre Jacke war vorn offen und hing lose herab. Er fand sie sehr hübsch und stellte sie sich in Gedanken schon vor als feine Frau hinter dem Schanktisch im„ Kings- Head". Seine erste Ehe war kinderlos geblieben und hatte ihm überhaupt in feiner Weise Glück gebracht. Jetzt wünschte er sich eine Frau von Esthers Art, und eine große und wahre Sehnsucht nach seinem Sohn begann in ihm aufzukeimen. Er versuchte in Esthers unbeweglichem Antlig zu lesen. Es sah ernster aus als sonst, verriet aber nichts von der Leidenschaft, die in ihr tobte. Sie dachte nach. Sie mußte es einrichten, daß die beiden Männer einander nicht begegneten. Wie sollte sie William nur loswerden? Sie bemerkte, daß er sie ansah, und um seine Gedanken von ihr abzulenken, fragte sie ihn schnell, wohin er denn damals mit seiner Frau gegangen sei, als sie Woodview verlassen hatten. Er antwortete zuerst nicht, dann sagte er: Peggy wußte die ganze Zeit über, daß ich in Dich verschossen war."
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Ach, das ist ja ganz gleichgültig; erzähle mir doch, wohin Ihr gingt; man sagte, Ihr wäret ins Ausland ge
gangen.
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Ja; wir gingen zuerst nach Boulogne , das ist in Frank reich ; aber fast alle Leute sprechen dort englisch; und ich fand dort gleich ein famoses Billardetablissement, wo alle die großen Sportsleute sich abends versammelten. Wir machten auch die Rennen mit; gleich am ersten Tage hatte ich Glück, ich setzte auf drei Pferde, die alle gewannen. Am zweiten Tage ging es nicht ganz so gut. Dann gingen wir nach Paris ; das muß ich wirklich sagen, die Rennplätze liegen dort riesig bequem, faum eine halbe Stunde zu fahren, so ist man schon da." " Hat Paris Deiner Frau gefallen?"
1904
" O ja, es hat ihr ganz gut gefallen. Da sind ja alle die großen Modewaren zu haben, und die Läden sind wirklich prachtvoll. Aber ich hatte es bald satt, und dann gingen wir nach Italien ."
Wo ist das?"
„ Das ist unten im Süden. Ein scheußliches Land; da bekommt man nichts wie fauren Wein zu trinken, und alles, man nichts als Bildergalerien besehen. Davon hatte ich nun was man ist, ist in Del gefocht, und den ganzen Tag über thut sagte ich:" So, nun ist's genug; ich will wieder nach England auch bald genug, und wie ich's nicht länger aushalten konnte, zurück, wo ich wieder ein ordentliches Beefsteak und ein gutes Glas Ale bekommen kann, und wo man gelegentlich auch ein anständiges Pferd zu sehen friegt!""
Aber sie muß Dich doch sehr geliebt haben?"
,, Ach ja, so auf ihre Weise. Aber sie liebte es immer, sich mit den Sängern und Malern, die wir dort kennen lernten, zu unterhalten, da war ja auch nichts Schlimmes dran; das Schlimme fam erst, nachdem wir etwa drei Jahre verheiratet waren."
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Was geschah denn da?"
Na, da hab' ich sie eben abgefangen."
Ach ja-abgefangen! Ihr Männer glaubt immer das Schlechteste von den Frauen."
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mich nicht mehr ausstehen, und ich konnte sie auch nicht mehr O nein, bei ihr hab' ich ganz recht gehabt, sie konnte: ausstehen. Es war ja auch nichts Natürliches die ganze Geschichte. Ihre Freunde konnten meine Freunde nicht sein, ihreiwegen zu beleidigen. Wenn ich einen Freund mit nach und was meine Freunde anbelangte, so hörte fie nie auf, mich Hause brachte, wollte sie nie in demselben Zimmer mit uns bleiben. So hatten die Dinge sich schließlich zugespitzt und ich mußte doch immer und immer an Dich denken, und manchmal sprachen wir sogar von Dir. Eines Tages fagte fie: Dir thut's wohl schon leid, daß Du nicht lieber einen Dienstboten geheiratet haft?" und darauf sagte ich:" Und Dir thut's wohl leid, daß Du einen geheiratest hast. Wie?""
„ Das war gut; was fagte sie darauf?"
„ O, die! Sie legte ihre Arme um meinen Hals und sagte, sie liebte niemand auf der Welt so sehr wie ihren langen Bill. Aber alle diese Mäßchen fonnten mich nicht mehr blind machen, und ich sagte zu mir selbst:„ Halt die Augen offen." Denn da war ein junger Kerl, der immer um sie rumScharwenzelte in einer Weise, die mir nicht gefiel. Er war immer so furchtbar höflich zu mir, redete in einem fort von Pferden, und dabei konnte ich doch sehen, daß er keine Spur davon verstand. Er ging sogar soweit, mich nach Kempton zu begleiten."
,, Und wie endete die ganze Geschichte?"
" Ich war fest entschlossen, gut acht zu geben auf diesen jungen Schafskopf und mit einem früheren Zuge von Ascot zurückzukehren, als sie mich erwartet hatten. Ohne jedes Geräusch trat ich ein und lief hinauf nach dem Salon. Da saßen sie beide vertraulich zusammen auf dem Sofa. Ich sah ihnen sofort an, daß meine Rückkehr sie erschreckt hatte. Der junge Mensch wurde erst ganz rot, dann blaß, stand auf, stammelte etwas, wovon ich kein Wort verstand, es war natürlich Blödsinn. Sie aber rief: Was, Du bist schon zurück? Wie war es denn in Ascot? Hast Du Glück gehabt?"
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Ausgezeichnet," sagte ich, hab' mich sogar sehr gut amüsiert; aber jetzt werd' ich mich hier noch besser amüsieren.
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Während ich sprach, firierte ich meine Frau scharf, und ich sah es ihr auf dem Gesicht an, daß gar kein Zweifel an der Sache mehr möglich war. Da packte ich ihn denn an der Kehle und schrie:" Ich gebe Ihnen zwei Minuten Zeit, um die Wahrheit zu gestehen, ich weiß ohnehin alles, aber ich will es nun auch noch von Ihnen hören. Nun also raus damit oder ich erwürge Sie." Und ich drückte einmal fest zu, um ihm zu zeigen, daß ich im Ernst sprach. Er verdrehte die Augen wie ein abgestochenes Kalb, und meine Frau schrie:„ Hilfe, Mörder!" Ich ließ ihn los, stellte mich zwischen sie und die Thür, drehte den Schlüssel im Schloß um und steckte ihn in die Tasche. So," sagte ich, nun werdet Ihr beide die Wahrheit gestehen." Er sah totenbleich aus, und es schien, als hätte er sich am liebsten im Kamin verkrochen; fie aber fab aus, als ob fie mich am liebsten umaebracht hätte es war nur nichts
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