Sie saßen allein in dem Coup6. William beugte sich zu Esther hinüber und nahm ihre Hand in die seine . Versuche doch, mir zu verzeihen. Esther!" sagte er. Sie entzog ihm ihre Hand. Da stand er auf, setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Taille. Nein, nein," rief sie,nichts davon, bitte das ist alles vorüber zwischen uns." Er sah sie fragend an und wüßte nun nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Ich weiß, daß Du schwere Zeiten hinter Dir hast. Er­zähle mir doch etwas davon: was thatest Du, nachdem Du Woodview verlassen hattest?" Unglücklicherweise fügte er hinzu: Bist Du inzwischen irgend einem begegnet, den Du gerne hattest?" Tie Frage irritierte sie, und sie sagte rasch:Was geht das Dich an?" Wieder schwiegen beide. Tann sprach William von den Barfields, und Esther konnte nicht umhin, diese Geschichte aufmerksam anzuhören. Von Woodview her stammte ja all ihr Unglück. Sie war dort hingekommen, als das Vlut in ihren Adern am kräftigsten floß, und Woodview war infolgedessen der deutlichste Eindruck ihres ganzen Lebens geblieben. An alles mußte sie jetzt wieder zurückdenken: wie das Pferd in Goodwood gewonnen hatte; an den Ball in Shoreham Gardens; und sie lauschte auf- merksam, als William erzählte: Der arme Alte, er ist nie mehr drüber hinweggekommen; das hat ihn ganz niedergeschmettert.Ginger" ivar es, der das Pferd ritt, er that wohl alles, was er konnte, aber er verlor den Start. Wohl versuchte er ihn wieder zu gewinnen, abex das Glück war nun mal gegen ihn: es ging nicht. Er verlor das Rennen: das hat dem Alten das Herz gebrochen. Er mußte alle seine Pferde verkaufen und starb bald darauf. Er starb an der Schwindsucht: wie ich höre, ist die in der Familie erblich. Miß Mary auch" O, erzähle mir von ihr," sagte Esther, die die ganze Zeit über an Mrs. Barfield und Miß Mary hatte denken müssen. »Ihr geht es doch wohl hoffentlich gut?" O nein, auch nicht, sie kann gar nicht mehr in England leben: sie muß jeden Winter nach Afrika gehen." In diesem Augenblick rollte der Zug in die Blackfriars- Station hinein. Wir werden gerade noch den Vieruhrzug nach Peckham erwischen," sagte Esther. Sie liefen rasch die Treppe hinauf, und William eilte so, daß Esther rufen mußte:Nein, nein, William, das geht nicht; ob wir den Zug kriegen oder nicht, so schnell kann ich nicht gehen." Aber sie erreichten den Zug doch noch, und wieder hatten sie ein Coup6 für sich allein, und er zog beide Fenster herauf, damit sie, wie er sagte, leichter miteinander plaudern könnten. Er redete immer noch von dem Mißgeschick einiger Pferde der Barfields, während Esther von Mrs. Barfield sprechen wollte. Du scheinst sie ja furchtbar gern gehabt zu haben; was hat sie denn für Dich gethan?" Alles, nachdem Du fort warst. Sie war sehr, sehr gut zu mir." O, das freut mich zu hören," sagte William. Also sind sie den Sommer über immer in Woodview und den Winter im Auslande?" Jawohl. Den größten Teil der Besitzung haben sie verkauft: aber Mrs. Barfield, die Heilige Du weißt doch, wir nannten sie immer die Heilige, die hat ihr eignes Ver- mögen, fünfhundert Pfund im Jahr. Damit leben sie denn. so gut es eben geht. Aber sie können sich weder mehr Pferde noch Wagen balten, und Ende Oktober reisen sie stets fort und kommen erst Anfang Mai wieder. Ah! Woodview ist nicht mebr das, was es war. Erinnerst Du Dich noch an die Pracht- vollen Ställe, die sie zu bauen begannen, nachdem Silber- fchwanz das Rennen gewonnen hatte? Na, die sind noch genau in der Verfassung, wie sie damals waren; auch nicht um ein Atom vorwärts gekommen." Wetten scheint keinem einzigen Glück zu bringen. Mich geht es ja nichts an, aber wenn ich Du wäre, so würde ich es aufgeben und lieber irgend eine ordentliche Arbeit anfangen." Mir ist es bis jetzt noch ganz gut bekommen. Wo würde ich denn heute sein, wenn ich nicht gewettet hätte?" Sind also all die Dienstboten fort von.Woodview? Was mag aus ihnen geworden sein?" Erinnerst Du Dich noch meiner Mutter, der Köchin? Sie ist vor ein paar Jahren gestorben." Mrs. Latch! Oh, das thut mir sehr leid!" Na, es war'ne alte Frau! Du erinnerst Dich doch auch' noch John Randals? Der hat jetzt'ne Stelle in Cumberland Place, nahe Marble Arch; manchmal kommt er rum zu mir in denKings-Head" und trinkt was. Sarah Tucker, die hat auch irgendwo in der Stadt'ne Stellung. Was aus Margarets Gale geworden ist, weiß ich nicht." Die habe ich eines Tages im Strand getroffen. Ich hatte den ganzen Tag über nichts gegessen, war fast ohnmächtig vor Hunger, und da führte sie mich in ein Wirtshaus und gab mir zu essen." Hier sind wir endlich in Peckham," sagte William. Sie gaben ihre Billets ab und traten hinaus in eine un- regelmäßig gebaute, kleine Straße voller armseliger, kleiner Häuser und elender kleiner Läden. Hier herum," sagte Esther,hier geht's nach dem Rye." Da wohnt Jackie?" Nicht weit davon. Kennst Du East Dulwich?" Nein, hier bin ich noch nie gewesen." Mrs. Lewis, das ist die Frau, die ihn in Pstege hak, wohnt in East Dulwich, das ist nicht weit von hier. Wir haben von hier etwa noch eine Viertelstunde zu gehen. Das ist Dir doch nicht zu weit?" Wenn ich mit Dir gehe, nein," erwiderte William galant, und sie gingen weiter. Sie kamen durch eine Art Park, über eine kleine Brücke und in ein weites Feld hinein. William verglich dieses mit der Ehester Rennbahn. Aber doch lange nicht so groß?" sagte Esther. Nun wandten sie sich nach rechts und stiegen eine lange, monotone und sehr häßliche Straße hinan, die sich bergauf wand und auf beiden Seiten von ganz kleinen Häusern und noch kleineren Gärten begrenzt war. Auf dem Gipfel dieses Hügels befand sich ein Stück freies Feld, das mit Bäumen be- pflanzt war. Da kam ihnen ein kleiner Junge entgegen- gelaufen, llnd sowie er ihn sah. hatte William die deutliche Empfindung, daß das sein Kind war. Wie der kleine Kerl rennt!" sagte er bewundernd,er wird sich noch den Hals brechen, wenn er nicht vorsichtiger ist." (Fortsetzung folgt.). (Nachdruck verboten.) Das Dreieck. Skizze von Lisa Wenger -Ruutz. Inmitten einer saftigen, grünen Wiese stand ein großes Bauern- haus mit kleinen Fenstern. Vor den Fenstern blühten eine Menge Geranien und Fuchsien, und hinter den Fenstern sah man oft ein altes Gesicht voll Runzeln, mit stark gebogener Nase und freundlichen. manchmal unruhig flackernden Augen. Das war der Matten-Uli, der Vater des jetzigen Bauern. Er war sehr alt und nicht mehr fähig. seinem Sohne irgendwie in der Wirtschaft an die Hand zu gehen, seine Hände zitterten und nur ganz langsam kam er, auf seinen Stock gestützt, vorwärts. VordemHause.aufderSonnenseite.hatte seinSohn eineBank angebracht, da saß der Alte bei warmem Wetter den ganzen Tag. Seine Leute waren nicht unfreundlich gegen ihn, es gab ihm keiner ein unfreundliches Wort, man schob ihn nicht beiseite, wenn er irgendwo im Wege stand, er bekam auch sein rechtes Essen, aber es hatte niemand mehr Freude an ihm, es hatte niemand Zeit für ihn und es hatte niemand Geduld mit ihm. Und ein wenig Geduld mutzte man freilich haben mit dem alten Uli. Er war kindisch ge- worden und seine Geisteskräfte hatten bedeutend abgenommen. Eine einzige Sache beschäftigte ihn noch und die nahm sein ganzes Denken in Anspruch, das war das Dreieck, dasrichtige" Dreieck, wie er es nannte. Er hätte so gerne gewußt, ob an einem richtigen Dreieck alle drei Seiten gleich lang seien. Wie er gerade darauf gekommen, konnte man nur vermuten. Vor einiger Zeit waren neben seinem Land Vermessungen vorge- nommen worden; es hatte sich dabei um ein Dreieck gehandelt, das wie ein Kell in seine Wiese hineingeklemmt war. Der alte Bauer hatte mit regem Interesse an den Verhandlungen teilgenommen. Das Resultat war für chn. daß der Begriff eines Dreiecks, eines richtigen, sich in seinem Kopf festgesetzt hatte und nun darin spukte und ihn beunruhigte. Der Matten-Uli ist übercx, hieß es. Der Vater ist kindisch ge- worden, sagten seine Leute. Und von dem Tag an war es reine Barmherzigkeit, daß man freundlich gegen ihn war, und der Bauer und seine Frau rechneten es sich hoch an, daß sie den Vater nicht aus seinem sonnigen Zimmer mit den Geranien vertrieben und ihm seinen Kaffee gaben um vier Uhr, wenn die Bäuerin sich welchen kochte. Da saß er denn auf seiner Bank vor dem Haus und hielt die große, weiße Hauskatze, die Zenzi, auf den Knien und streichelte sie