Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 97.

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Mittwoch, den 18. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Elther Waters.

Roman von George Moore  . Sowie es bekannt geworden war, daß es unmöglich sei, im Kings Head" eine halbe Krone oder einen Schilling in Papier   gewickelt über den Schanktisch gleiten zu lassen, begann die Kundschaft abzufallen.

Endlich konnte William es nicht länger aushalten, und er erlangte die Einwilligung seiner Frau, wieder als Buchmacher auf dem Rennplatz zu wirken.

Mit dem Eintritt des Frühlings hatte seine Gesundheit sich etwas gebessert, und es lag somit kein Grund mehr vor, warum er zu Hause fizen und die ganzen Tage über den Groll über die schlechten Geschäfte in sich hineinfressen sollte; das wenigstens war Esthers Ansicht; und es erinnerte sie an frühere glückliche Zeiten, als er wieder anfing, den ganzen Tag aus­zugehen und abends zurückzukommen in seinem langen Ueber­rock mit dem über die Schulter gehängten Feldstecher; und wenn er dann vergnügt sagte: Heut sind die Favoriten alle geschlagen worden. Was hast Du denn für mich zu essen, Weibchen?" dann vergaß Esther ihre Abneigung gegen das Wetten über die Freude, ihren Mann wieder vergnügt zu sehen. Wenn er nur auch wieder ein wenig kräftiger geworden wäre! Aber er schien von Tag zu Tag schmäler und schmäler zu werden; und wieviel er auch essen mochte, es schien bei ihm alles nicht mehr anzuschlagen.

Eines Tages fam er nach Hause und beklagte sich, daß er den ganzen Tag über in sechs Zoll hohem, nassem Schmuk hätte herumstehen müssen; er war bis auf die Haut durchnäßt und saß den ganzen Abend zitternd und fröstelud da, mit dem deutlichen Gefühl, daß er krank werden würde.

1904

,, Geh sofort zum Doktor Green," sagte sie; wenn er nicht zu Hause sein sollte, so geh zu einem andern; fomm aber nicht zurück ohne einen Arzt."

Der Doktor sagte aus, ein kleines Blutgefäß sei ge­sprungen, und William würde sich nun eine lange, lange Zeit hindurch sehr schonen müssen.

Den unglücklichen Sprung über den Schanktisch hatte William ausgeführt, weil sich einer der Gäste ein Messer in die Kehle gestoßen hatte. Natürlich wurde eine Untersuchung an­gestellt, und der Coroner forschte nach allen näheren Umständen über den Selbstmord und den Selbstmörder. Die Frau des Toten sagte als eine der Zeugen aus, daß er in letzter Zeit viel Geld im Wetten verloren hätte, und daß er stets nach dem Kings Head" gegangen wäre, um dort seine Wetten zu machen. Die Polizei fagte ferner aus, daß der Wirt des Kings Head" schon einmal zu einer Geldstrafe von hundert Pfund verurteilt worden war, weil er ein Wettlokal gehalten habe; der Vor­fizende der Jury bemerkte, daß es eben diese Wetthäuser seien, die den rapiden Ruin der unteren Klassen herbeiführten, und daß sie alle insgesamt aufgehoben werden müßten. Der Coroner fügte noch hinzu, daß solche Häuser wie der Kings Head teine Konzession bekommen dürften. Auf diese Weise würde man dem wachsenden Unheil am leichtesten steuern können. ,, Viel Glück hat in diesem Hause nie drin gesteckt," sagte William, und das bißchen, das drin war, hat uns jetzt auch noch verlassen. In drei Monaten von jetzt werden wir Hals über Kopf rausgeworfen werden. Noch eine Verurteilung würde mindestens ein paar hundert Pfund, vielleicht gar drei Monate Gefängnis kosten; na, und das wäre dann wohl unser Ende!"

"

,, Man wird uns nie wieder eine Konzession geben," klagte Esther, und das gerade jetzt, wo der Junge in der Schule ist und so gut fortkommt."

,, Es thut mir bitter leid, Esther, solches Unglück über Dich Er wurde wirklich frank und lag mehrere Wochen zu Bett; gebracht zu haben; aber wir müssen nun schon sehen, was sich es schien, als ob seine Stimme ihm nicht mehr zurückkehren noch thun läßt, und das Geschäft so hoch wie möglich zu ver­wollte. Es gab wenig oder nichts für ihn im Lokal zu thun, kaufen suchen. Wenn ich wieder wohl und auf bin, habe ich und er begann nun wieder ein wenig zu wetten. Er setzte sogar vielleicht ein paarmal Glück mit den Pferden. Das ist meine auf ein paar Pferde, die gewannen; aber das waren Glücks  - legte Hoffnung. Aber dieses Haus ist stets ein Unglückshaus zufälle  , auf die man nicht bauen konnte. Da sie den größten gewesen; ich hasse es nun schon nachgerade und werde froh Teil ihrer Kundschaft verloren hatten und fast gar kein Geschäft sein, wenn wir erst raus sind." mehr machten, war es ihm nun schon gleichgültig, ob sie noch Esther seufzte. einmal abgefaßt wurden oder nicht.

Wenn man mich schon hängen will," sagte William, kann man mich ebensogut als Bock aufhängen wie als Lamm," und er begann zuerst heimlich und verstohlen, dann immer dreister Geld über den Schanktisch hinüber anzunehmen.

Ihr wollte es nicht gefallen, daß er von dem Hause, in dem sie so viele Jahre glücklich gelebt hatten, so schlecht sprach.

XLIII.

Während der Wintermonate gelang es Esther so ziemlich, Und mit jedem Schilling, den er für eine Wette entgegenheit auch nicht gerade besser ging, so ging es doch auch nicht William zu Hause zu behalten. Wenn es mit seiner Gesund­nahm, bekam er einen zweiten Schilling für Getränke aus- fchlechter; und sie begann schon zu hoffen, daß das Plazen bezahlt. Es dauerte gar nicht lange, so begannen die Kunden dieses kleinen Blutgefäßes doch noch lange nicht Lungenkrank­wieder herbeizuströmen, und bald war das Lokal im Kings heit bedeuten müßte. Aber die rauhen Frühlingswinde be­Head" wieder alltäglich gestopft voll. famen ihm nicht gut, und doch mußte er öfters ausgehen, denn er hatte wichtige Geschäfte mit seinem Anwalt zu ordnen. Sie wollten alle nur möglichen Mittel aufbieten, um eine Er neuerung ihrer Konzession zu erlangen, und William war voller Hoffnung und Zuversicht, in diesem Kampf mit seinen Gegnern den Sieg davonzutragen.

Sie wußten, daß sie ruiniert sein würden, wenn man sie das zweite Mal abfaßte, aber William behauptete, daß sie es ristieren müßten, und Esther als gute Frau stimmte ihrem Manne bei. Doch war er wenigstens vorsichtig genug, Geld nur von solchen Personen anzunehmen, die ihm ganz sicher schienen. Von jedem Fremden verlangte er, daß er eine Ein­führung mitbrächte, und stellfe dann erst noch Nachforschungen über dessen Persönlichkeit an.

" Ich glaube," sagte er, folange man sich begnügt, in Kleinem Maßstabe zu wetten, kann es auch geheim gehalten werden; wenn man aber mit Gewalt versucht, seine Kundschaft auszudehnen, stößt man bald wieder auf einen Unrichtigen. Es war das Zimmer oben, das mir damals das Genic ge­brochen hat!"

*

An diesem Tage hatte William einen Blutsturz. Mit einem Schrei kam Esther herbeigeeilt. " Ich bin über den Schanktisch gesprungen," sagte William mit matter, kaum hörbarer Stimme.

Ein Blutstrom erstickte jedes weitere Wort, und, sich schwer auf seine Frau stützend, ging er mit schwankenden Schritten nach hinten in die kleine Stube.

Esther zog heftig die Klingel. Das Mädchen kam.

Der Rechtsanwalt nahm sich der Sache mit Eifer an, was natürlich sogleich viel Geld fostete. Troßdem wurde ihnen die Erneuerung der Konzession verweigert, und der böse Nord­wind hörte nicht auf, zu heulen und zu pfeifen. Er schien es auf Williams Tod abgesehen zu haben, und Esther mußte mit einem franken Mann im Hause und fast ohne Geld, denn alles, was sie in das Geschäft hineingesteckt hatten, war nun unwiederbringlich verloren, ihre Anstalten treffen, aus dem Kings Head" auszuziehen.

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William war ihr stets ein guter Mann und die sieben Jahre im Kings Head" waren im ganzen genommen sieben Jahre des Glücks gewesen. Wahrlich, sie konnte nicht sagen, daß sie hier jemals unglücklich gewesen wäre. Das Wetten hatte sie allerdings immer gemißbilligt und William hatte es ja sogar eine Zeitlang aufzugeben versucht, und es gab ja überhaupt so viele Dinge im Leben, die man nicht billigen konnte. Es gab, weiß Gott  , weit schlimmere Pläge auf der Welt, als gerade der Kings Head"; sie wenigstens fonnte nicht