darüber klagen. Sieben Jahre hatte sie hier gelebt mit ihrem Manne; hatte ihren Knaben hier heranwachsen sehen, und dieser Knabe er war nun fast schon ein junger Mann und hatte eine sorgfältige Erziehung bekommen: also hatte derKings Head" doch auch sein Gutes gebracht! Aber vielleicht war das Haus für Williams Gesundheit nicht zuträglich. Und das Wetten ach, sie war es eigentlich schon müde geworden, immer und immer wieder darüber nachzudenken: und das viele Trinken! Ja, war es denn möglich, das Geschäft zu machen, ohne zu trinken? William mußte doch den Kunden Bescheid thun, wenn sie es verlangten. Plötzlich glitt ein Ausdruck der Furcht und Verzweiflung über ihr Gesicht, und sie blieb stehen und starrte vor sich hin. Sie war gerade damit beschäftigt, ein paar Vorhänge zusammenzurollen, und es fiel ihr plötzlich ein, daß sie gar nicht wußte, wovon sie eigentlich nun leben sollten. Hätten sie nur wenigstens das Geld zurück, das sie in das Haus hinein- gesteckt hatten, dann würde es gar nicht so schlimm um sie stehen. Sieben Jahre der harten, linausgesetztcn Arbeit, un.d nichts, gar nichts damit erreicht zu haben! Hätte sie noch die große Dame gespielt all die Zeit über, viel Geld ausgegeben, ja, dann wäre es anders. Aber sie hatte immer gearbeitet! Pferde hatten gewonnen, Pferde hatten verloren, es hatte fortwährend Mühe, Streit, Zank und Un- ruhe gegeben; und von alledem war nichts übrig geblieben nichts! Das war's, was ihr das Herz so schwer machte. Sie sah sich um in den schon halb geleerten Zimmern und ging die Treppe hinab in das Lokal. Nun würde sie hier nie wieder ein Glas Bier ausschenken. Was für ein mächtiger, kräftiger Mann war William doch gewesen, damals, als sie hierherkam, um hier mit ihni zu leben: unk wie schrecklich verändert war er jetzt! Sehr, sehr verändert Würde sie ihn je wieder kräftig und gesund werden sehen? Sie erinnerte sich an den Tag, da sie von Miß Rice die Erlaubnis erhalten hatte, mit ihm auszugehen. Da hatte er ihr mit Stolz erzählt, daß er dreitausend Pfund besäße: und jetzt? Wie wenig war da- von übrig geblieben! Nein, sie hatte ihm entschieden kein Glück gebracht. Wieviel Geld haben wir noch in der Bank, Schatz?" fragte sie ihn. Etwas über sechshundert Pfund. Ich habe es gestern zusammengerechnet. Aber warum willst Tu es wissen? Etwa um mich daran zu erinnern, wieviel ich verloren habe? Nun ja, ich habe verloren, viel verloren, sehr viel! Na, bist Tu nun zufrieden? Ja?" Ich habe an so etwas gar nicht gedacht." O ja. Tri hast daran gedacht: wozu noch lügen? Aber ist's denn meine Schuld, wenn die Pferde nicht gewinnen? Ich mache mein Geschäft so gut ich's kann." Da sie keine Antwort gab, fügte er in weichcrem Tone hinzu:Ich bin jetzt nur so reizbar, weil ich krank bin, mein Kind: Tu bist mir doch nicht böse deshalb, wie?" Nein, Schatz: ich weiß, daß Du's nicht böse meinst: und ich achte auch gar nicht weiter darauf." Sie sprach so sanft, daß er sie ganz erstaunt ansah, denn er wußte, wie leicht sie in Zorn geraten konnte, und er sagte: Tu bist wahrhaftig die beste Frau, die es je ge- geben hat." Nein, Bill, das bin ich wahrhaftig nicht, aber ich vor- suche, so gut zu sein wie möglich." Es war ein herber, rauher Frühling in diesem Jahr, Williams Husten wurde immer schlimmer, und er begann von neuem Blut zu spucken. Esther wurde jetzt ernstlich besorgt. Der Arzt sprach vom Vrompton-Krankenhause, und Esther bestand endlich darauf, daß William dort hinging und sich untersuchen ließ. Er wollte aber nicht, daß sie mit ihm käme. Und aus Furcht, ihn zu ärgern oder zu reizen, bestand sie auch nicht darauf, sondern saß zu Hause, in banger Furcht auf seine Rückkehr wartend, bald hoffend, bald fürchtend, denn der Arzt hatte ihr gesagt, daß es eine langwierige Krankheit werden könnte. Endlich kam er: bleich und schwach kam er die Treppe herauf, und sie las ihm schon an den Augen ab, daß er schlecbte Nachrichten mitbrachte. Sie fühlte, als sie ihn ansah, wie ihre ganze Kraft sie verließ, aber sie bemeisterte rasch diese Schwäche und sagte: Nun erzähle mir, was hat man Dir gesagt? Ich will eS wissen, ich habe ein Recht dazu." >,Man hat mir gesagt, daß ich die Schwindsucht habe." Das hat man Dir gesagt?" Ja: aber das will noch keineswegs heißen, daß ich sterben muß. Sie sagten sogar, daß sie wohl glaubten, mich kurieren zu können: es giebt viele Leute, die ihr ganzes Leben lang mit einer halben Lunge herumlaufen: und bei mir ist nur erst die rechte Lunge fort." Er hustete und wischte das Blut von seinen Lippen weg, Esther war erschüttert.Na, nun thu mir bloß den Gefallen und mach nicht solch ein Gesicht, oder ich konime noch aus den Gedanken, daß ich morgen schon sterben muß!" sagte er. Sie glauben also, daß sie Dich werden kurieren können?" Ja; sie sagten, ich könnte noch sehr lange leben: aber ich würde nie wieder so kräftig werden, wie ich's früher war." Diese Thatsache lag so auf der Hand, daß sie den Aus- druck des Mitleids in ihren Augen nicht ganz verbergen konnte. Weißt Du," sagte er,wenn Du mich jetzt immer so ansehen willst, möchte ich lieber gleich ins Krankenhaus zurück- gehen. Es ist, weiß Gott, kein lustiger Aufenthalt, aber es wird doch noch immer besser sein als dies hier." Es thut mir nur leid, daß Du so krank bist: aber wenn sie gesagt haben, daß sie Dich kurieren können, so ist es ja gut? das ist immerhin sehr viel." Es war ihre Pflicht, ihren Kummer zu bemeistern und so zu ihm zu sprechen, als ob die Aerzte zu ihm gesagt hätten, daß ihm so gut wie gar nichts fehle, und er mit etwas guter Pflege bald wieder genesen sein würde. Es hatte ja auch keinen Zweck, mutlos zu werden: man mußte im Gegenteil immer auf das Beste hoffen. William setzte sein ganzes Vertrauen auf das schöne, warme Wetter, das nun kommen sollte, und so that sie es denn auch, Aber es war schrecklich für sie, zuzusehen, wie er gleichsam vor ihren Augen dahinschwand, während sie, trotz aller Furcht und Besorgnis im Herzen, ein fröhliches Gesicht zeigen sollte. Und als endlich das warme Wetter kam, schien das noch schlimmer aus ihn zu wirken, als die Kälte vorher. Es schien gleichsam das Leben aus ihni herauszusaugen: er wude bleicher und gelber und verdorrte sozusagen wie eine Pflanze. Dazu kam der ewig wiederkehrende Husten und die Blut- flecken auf seinem Taschentuch, lind das Unglück fuhr fort, sie zu verfolgen: kein Pferd mehr, auf das er setzte, gewann: und ihr Geld und ihr Glück schienen beides gleichsam mit seinem Leben dahinzuschmelzen. Favoriten oder Outsiders, es blieb sich ganz gleich: das Pferd, auf das er gesetzt hatte, verlor das Rennen. Und schon hatte Esther gelernt, den Ruf in den Straßen:Winner! Winner!" zu fürchten. An schönen, sonnigen Abenden saß William auf dem kleinen Balkon, von dem aus er die Straße übersehen konnte, und wartete auf den Jungen mit deni Extrablatt. Dann mußte Esther hinunter- laufen und das Blatt kaufen. Und an den seltenen Tagen, wo es doch passierte, daß er gewonnen hatte, war der Anblick für sie fast noch schmerzlicher und trauriger. Dann begannen seine Augen plötzlich zu glänzen, die dünnen Arme und Hände be- wegten sich nervös hin und her, und er fing an, sich in Plänen und Hoffnungen zu ergehen, von denen sie im voraus wußte, daß sie vergeblich waren. Aber sie bestand darauf, das; er regelmäßig die Medizin, die man ihm in dem Hospital gegeben hatte, einnahm, und dies war keine leichte Ausgabe. Denn in eben dem Maße, wie er gewahr wurde, daß ihm die Medizin nichts nützte, nahm seine nervöse Reizbarkeit an Stärke zu. Er schimpfte auf die Aerzte, er verspottete und verhöhnte Esther ungerechtcrweise, und der kurze, trockene Husten blieb und blieb ihm, und von Zeit zu Zeit, in grausam kleinen Zwischenräumen, jedesmal, wenn er gerade geglaubt hatte, es sei nun vorüber damit, begann das Blutspucken von neuem. lFortsetznng folgt.)! I�aturvnllensdiaftlicke Gcberficbt» Von C u rt Grottewitz. Wenn wir uns von unsrem Gefühle treiben lassen wollten, so würden wir wohl die Würmer ftir das elendesteGewürm" be- trachten, das es giebt. Zwar unsren Regenwurm könnten wir unS noch gefallen lassen, das ist ein leidlich appetitlicher Geselle, den außerdem Darwin zu großen Ehren gebracht hat, als er darauf auf- merksam machte, daß dieses bewegliche, Moder fressende und Moder bereitende Tier wesentlich an der Bildung der Ackererde beteiligt ist.