Unterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 99. Freitag, den 20. Mai. 1904 (Nachdruck verboten.) e-n Bftbcr Tlaters. Roman von George Moore . Inzwischen war das Pferd, auf welches er erst hatte setzen wollen, in den Wettpreisen heraufgegangen: er aber sagte, er miiszte noch sehr vorsichtig sein: sie hätten nur noch hundert Pfund übrig, er müßte mit dem Gelde sehr sparsam und weise umgehen: denn dieses Geld bedeutete sein Lebensblut: wenn er dieses Geld verlöre, würde er damit nicht allein sein eignes Todesurteil unterschreiben, sondern auch das ihre. Er könnte ja noch längere Zeit leben, das wüßte keiner aber sicher war es das hatte ihm der Doktor gesagt, daß er niemals wieder im stände sein würde, zu arbeiten, wenn er nicht nach Aegypten ginge. Und selbst wenn er bald sterben müßte, würde er sie in schlimmeren Verhältnissen zurücklassen, als jene, in denen er sie gefunden hatte: und das noch dazu jetzt, wo der Junge schon fast herangewachsen war. O, es war furchtbar! Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und schien von dem bloßen Gedanken ganz erschüttert zu sein. Dann kam wieder der Hustcnanfall, der ihn dermaßen mitnahm, daß er, so lange er dauerte, nur noch an sich selber denken konnte. Esther gab ihm etwas Milch zu trinken, und er sagte: Es sind noch hundert Pfund da, Esther. Das ist nicht viel, aber es ist immerhin etwas. Ich glaube nicht, daß es mir viel nützen wird, nach Aegypten zu gehen: ich werde doch niemals wieder gesund werden. Es wäre schon am besten, ich ginge in den Fluß: dann würde ich wenigstens nicht mehr so viel Geld kosten und Dir zur Last sein." Rasch legte Esther ihre Arbeit nieder, ging hinüber zu ihm und umschlang ihn mit beiden Armen. William, William! Du sollst nicht so reden; ich erlaube es Dir nicht. Ich würde es Dir nie vergeben können, wenn Dri so etwas thätest. Ich würde nie wieder gut von Dir denken können. Nie!" Na gut. Alte: Hab' nur keine Angst! Ich habe zu viel an die versluchten Pferde gedacht, und das hat mich'n bißchen niedergedrückt. Es wird schon noch alles so oder so in Ordnung kommen. Ich gknibe sicher, daß Mahomed den Great Ebor gewinnen wird; glaubst Du's nicht auch?" Du hast das beste Urteil von Allen: und sie behaupten ja auch Alle, daß er gewinnen muß, wenn er nicht lahm wird." Gut, dann soll Mahomed mein Geld auf dem Rücken tragen; morgen setze ich auf ihn." Nun er sich endlich entschlossen hatte, auf welches Pferd er wetten wollte, hoben sich seine Lebensgeister wieder. Er war jetzt ini stände, auch gelegentlich von andern Dingen zu reden, von ihrem Sohne und dessen Zukunft, für die sie zahl- lose Pläne entwarfen. Aber an dem Tage des Rennens selbst befand sich William vom frühesten Morgen an in einer kaum niehr zu bändigenden Aufregung. Früher war er ein sehr gleichmiitiger Gewinner und Verlierer gewesen: er hatte wohl ein bißchen heftig geflucht, wenn er stark verlor, aber direkt vor dem Rennen hatte Esther ihn nie in großer Aufregung gesehen. Freilich war diesmal der Zweck seines Wettens auch ein ganz andrer als sonst, und seine Aufregung und Leiden mit anzusehen, wollte Esther fast das Herz brechen: auch nicht einen Augenblick konnte er irgendwo still sitzen. All jenen tausend widerstreitenden Gefühlen von Furcht und Hoffnung und Verzweiflung widerstandslos preisgegeben im voraus schon erschöpft von der Aufregung der Erwartung, stand er jetzt da mit dem Rücken an das Büffett gelehnt und wischte sich die großen Schtveißtropfen von der Stirne. Eine brennende Sonne glühte auf den Scheiben ihrer Fenster; die Hitze im Zimmer war fast wie die eines Back- vfens; und er mußte schließlich in das Wohnzimmer gehen, um sich dort niederzulegen. Da lag er nun, in Hemdärmcln, ganz erschöpft, kaum inehr im stände, Atem zu holen; der einst so muskulöse, kräftige Arm war fast zu einem Nichts gusammengeschrumpft: die Haut daran und auch die seines Gesichts war gelb, ganz gelb: er sah aus, als hätte er gar kein Klüt mehr in den Adern. Wenn Esther ihn ansah, wagte sie kaum noch die Hoffnung zu hegen, daß irgend ein Klima im stände wäre, ihn wieder gesund zu machen. Einmal fragte er sie, was die Uhr sei: und als sie es ihm sagte, meinte er: Jetzt ist das Nennen im vollen Gange." Ein Paar Momente später sagte er:Ich glaube, Mahomed hat gewonnen, mir ist so, als sähe ich ihn am Ziele ankommen!" Er sprach so, als ob er ganz sicher sei, sagte aber noch kein Worc von den Abendzeitungen. Esther fühlte, daß er sterben würde, wenn diese Hoffnung) sich als triigerisch erwiese, und sie kniete an seinem Bett nieder und betete zu Gott, daß er das Pferd gewinnen lassen möge! Dieses Pferd bedeutete ja das Leben ihres Mamres; einen andern Gedanken vermochte sie jetzt gar nicht mehr zu fassen. O, wenn doch nur das Pferd gewänne! Nach einiger Zeit sagte er: Es nützt nichts mehr, jetzt noch zu beten; die Sache ist doch jetzt schon entschieden; aber ich fühle, daß wir gewonnen haben. Geh' ins andre Zimmer aus den Balkon und warte da, bis Du den Jungen mit dem Ertrablatt kommen siehst." Von dem winzigen Balkon aus konnte sie ein langes Ende ihrer Straße und auch der nächsten Straße überblicken. Ueber London sah sie einen blaßgelben Himmel sich ausbreiten, und sie betrachtete den scheinbaren Frieden, der über den Dächern lag, mit Verzweiflung in der Seele. Es lag etwas wie Hoff- nung und Beruhigung zugleich in diesem ruhigen, einfarbigen Gelb. Aber plötzlich erzitterte sie heftig. Sie hörte Ruf ertönen:Winner! Winner!" Er ertönte gleichzeitig von Norden, Osten und von Westen; drei Jungen schrieen gleich- zeitig die Nachricht in die Welt hinaus. O Gott!" dachte sie,wenn es eine schlechte Nach- richt ist..." Aber sie hatte seltsamerweise das Gefühl, als müßte es, unfehlbar eine gute Nachricht sein. Sie ging vom Balkon ins Zimmer zurück, eilte die Treppe hinunter und dem Jungen entgegen. Sie hatte den halben Penny bereits in der Hand, und während er sich bemühte, ein Exemplar von dem Haufen unter seinem Arm loszulösen, und ihre llngeduld dabei wohl bemerkte, sagte er: Mahomed hat gewonnen!" Da schien das Pslaster unter ihren Füßen fast zu ver- sinken: sie sah auch nicht mehr die scheidende Sonne; vor ihren Augen drehte sich alles wie im Kreise, und ihr Herz war ganz voll, übervoll von der Glückseligkeit, die sie dem armen, tranken Menschen, der da oben im Hinterzimmer auf dem Bette lag, bringen durfte. Sie eilte die Treppe hinauf. Gute Nachricht!" rief sie ihm zu. Er nickte.Das habe ich erwartet!" sagte er. Sein ganzes Gesicht wurde brennend rot, und das Leben schien ihm plötzlich zurückzukehren. Er setzte sich auf und nahm ihr die Zeitung aus der Hand. Aha!" sagte er,ich habe auch mein Platzgcld zurück; ich hoffe, Stack und Journeyman werden heute Abend rein» kommen; ich möchte mit ihnen beiden darüber sprechen. Komm', gieb mir einen Kuß, mein Liebchen: ich werde also doch noch nicht sterben. Es ist auch wahrhaftig kein angenehmer Gedanke, daß man sterben soll; daß man keine Hoffnung mehr hat, weiter zu leben, und ohne Rettung und Erbarmen unter die kalte Erde gesteckt werden soll!" Das nächste, was er nun that, war, auf ein Pferd für das Aorkshire Handicap zu setzen. In diesem Fall hatte er kein Glück, aber er hatte auf mehrere Pferde beim Sandown Park mit Glück gesetzt und hatte am Ende der Woche schon fast Geld genug zusammen, um nach Aegypten zu gehen. Aber die Doncaster Woche brachte ihm wieder viel Pech. Er verlor das meiste von dem gewonnenen Gelde wieder und mußte nun aus die Newmarket -Rennen warten, um dort sein Verlorenes zurückzugewinnen. Das Dumme daran ist," sagte er,daß das Geld mir eben nur dann was nützen kann, wenn ich's bis Ende Oktober beisammen habe: denn die Aerzte sagen, die Novembernebel können mir gar leicht den Garaus machen." Zwischen Doncaster und Newmarket verlor er wieder ein« Wette, und dieser Verlust drückte seine Gemütsstimmung be- trächtlich herab. Er sah ein, daß es nichts nutzte, gegen das Schicksal anzukämpfen. Warum also nicht schon ruhig in