im Arme hielt, ging damit in der Stube auf und ab, schaukelte eL, sprach laut und machte überhaupt sehr viel Lärm. Aber «s wollte ihr nicht gelingen, daL Kind zu beruhigen. „Schon wieder hungrig?" sagte sie,„ich habe noch nie ein Kind gesehen, das so beständig nach der Brust verlangt!" und sie setzte sich nieder und knöpfte ihr Kleid auf. Als der junge Arzt eintrat, bedeckte sie sich rasch wieder; er aber bat sie, sich nicht zu genieren, und sprach zu ihr über das Baby. Sie zeigte ihm ein Mal auf dem Halse des Kindes.„Er ist mal sehr krank gewesen, aber jetzt geht es ihm wieder gut," sagte sie. Der Doktor blickte den nach Atem ringenden Vater an. „Wie geht es Ihnen heute?" fragte er. „Ein bißchen besser, danke, Doktor." „Das ist ja schön!" sagte der Arzt und ging zu William hinüber. „Sind Sie immer noch entschlossen, uns zu verlassen?" „Ja, ich will nach Hause gehen— ich will!" „Aber dieses Wetter wird Ihnen sehr schädlich sein; Sie sollten lieber noch—" „Nein, danke. Doktor, danke. Ich möchte nach Hause gehen. Sie sind sehr gut zu mir gewesen; Sie haben alles für mich gethan, was Sie konnten; aber es ist doch nun mal Gottes Wille!— Auch meine Frau ist Ihnen sehr dankbar I" „O ja, Herr Doktor, das bin ich wirklich. Wie soll ich Ihnen je genug dafür danken, daß Sie so gut zu meinem Mann gewesen sind?" „Es thut mir leid, daß ich nicht mehr für ihn habe thun können. Wer Sie werden eine Schwester brauchen, um Ihnen beim Ankleiden Ihres Mannes behilflich zu sein; ich werde sie Ihnen schicken." Als Esther mit Hilfe einer barniherzigen Schwester den Patienten aus dem Bett gehoben hatte, war sie ganz entsetzt über den Anblick seines armen, elenden Körpers. Es war kaum noch etwas von ihm übrig. Seine arme eingefallene, hohle Brust, seine bloßlicgeuden Rippen, seine zu dünnen Stöcken gewordenen Beine, alles das war imsagbar traurig, aber das Schlimmste war seine allgemeine Körperschwäche, die es selbst zwei Frauen schwer machte, ihn anzukleiden. Endlich aber waren sie beinahe fertig. Esther schnürte ihm den einen Stiefel zu, die Schwester den andern; und auf Esthers Arm gestützt stand er da und blickte sich zum letztenmal in diesem Zimmer um. Der große Arbeitsmann drehte sich auf seinem Lager herum und sagte: „Na, adieu, Kamerad!" „Adieu, lebt alle wohl I" Der kleine dreijährige Sohn des Schreibers hing sich angstvoll an die Röcke seiner Mutter. Die furchtbare Schwäche des großen Mannes schien ihn zu ängstigen. „Geh und sage dem Herrn adieu," sagte sie. Schüchtern kam der kleine Kerl hervor und reichte seine Hand. William nahm sie zerstreut, warf einen Blick auf das kleine, dünne, weiße Gesichtchen, nickte dem Vater des Kindes zu und ging hinaus. Als er unten war, erklärte er, er wolle in mer halb offenen Droschke nach Hause fahren. Sowohl der Arzt wie die Wärterin rieten dringend davon ab; er aber bcharrte fest darauf, bis Esther ihn anflehte, um ihretwillen es nicht zu thun. „In diesen geschlossenen Droschken klappert aber alles so furchtbar: namentlich wenn die Fenster zu sind; man kann kein Wort drin reden." Die Droschke rasselte langsam vorwärts, Piccadilly hinauf; und als sie oben angelangt waren, hefteten sich die Augen des-sterbenden Mannes auf den Kranz von glänzenden Lichtern, die über den Park hinwegleuchteten. Es sah hinter dem Nebel- schleicr fast so aus, als sähe man ein naheliegendes Dorf vor sich: und Esther fragte sich innerlich, ob William bei dem An- blick wohl an Shoreham zurückdachte!— sie hatte manchmal Shorcham fast so aussehend gefunden— oder ob er in seinem Innern wohl daran dachte, daß dies wahrscheinlich sein letzter Blick auf London sei! Sie fuhren durch die St. JameLstraße; jetzt kamen sie an dem Cirkus vorüber mit der sich dort stets tummelnden Menge von Männern und Frauen; jetzt an dem Kriterion, das wie gewöhnlich von einer Menge Nichtsthuer umringt war. William beugte sich ein wenig vor, um besser zu sehen, und Esther fühlte, daß er in diesem Augenblick daran dachte, wie er dieses Lokal wohl nie wieder betreten würde. Die Droschke wandte sich nun nach links, und Ester fühlte, daß der Kutscher durch Soho , durch die Old Compton Street und an ihu.u alten Hause vorüberfahren wollte. So geschah es auch. Unwillkürlich blickten Esther und William einander an. Wer mochte jetzt in ihrem Lokal sitzen und Bier und Whisky ausschänken? Und in den Straßen liefen Jungen herum mit Extrablättern und riefen:„Siegerl Siegerl" „Das war heute das letzte Renneu dieses Jahres ge» Wesen l" bemerkte William. Esther erwiderte nichts darauf. Als die Droschke über ein Stück Asphaltpflaster fuhr, sagte William: „Wird Jackie wohl schon da sein und uns erwarten?" „Ja, er ist schon gestern nach Hause gekommen." In Bloomsbury war der Nebel fast undurchdringlich, und als William mit unsäglicher Mühe aus der Droschke stieg, bekam er einen heftigen Husteuanfall und mußte stehen bleiben und sich am Droschkenschlage festhalten.— Esther mußte die Droschke bezahlen, und es dauerte einige Zeit, bevor sie das richtige Kleingeld fand. Würde denn keiner kommen, um die Thür zu öffnen? Sie war ganz erstaunt, als sie sah, wie er ohne ihre Hilfe die Stufen zur Hausthür hinaufstieg und heftig die Klingel zog. Und als sie bezahlt hatte, folgte sie ihm in das Haus hinein. Aber er bestand darauf, ohne ihre Hilfe die Treppe emporzusteigen. „Ich kann allein gehen. Geh Du nur voraus! Ich folge Dir." Und in der That stieg er, obwohl er auf jeder dritten oder vierten Stufe stehenbleiben mußte, allein langsam bis zum ersten Treppenabsatz empor. Sie fragte ihn, ob sie ihm nicht einen Stuhl holen sollte. Da öffnete sich oben eine Thür, und Jackie stand schon auf der Schwelle des erhellten Zimmers, um sie zu erwarten. (Fortsetzung folgt.)! Ausstellung cler berliner SeceMon. u. In dem Bildnis einer einfachen Frau mit in Arbeit und Sorgen geprägten Zügen beweist Bischof- Culm ein vornehm-ruhiges Farbengefühl. Das schwarze Kleid und das müde, gelblich-graue Gesicht steht fein gegen die grüne Rückwand. Die Gegensätze sind malerisch breit gegeben. Nichts Kleinliches ist in dem Porträt. Es ist eine reife Arbeit, die sich unwillkürlich«inprägt. Die gleiche Eigenschaft, großflächig zu sehen, behält Bischof bei in dem Bild „Ausruhen". Müde Leute sitzen unter Bäumen und ruhen mis. Detail ist vermieden. In der stillen Art, mit der das Augen- blickliche sich verflüchtigt, kommt beinahe«ine höhere Bedeutung heraus, die der Maler diesem Moment verleiht. Einfach und still erscheinen diese Bilder, die ohne viel Aufheben in eine andre Sphäre gerückt sind. Es scheint ein Zug zum Monumentalen in diesem Maler zu liegen. Neben diesem Bild hängen eine ganze Reihe Porträts. Nicht ohne Absicht folgen Frankreich , England, Dänemark und dann wieder Deutschland . Das Familienporträt des I. Blanche(Paris ) wirkt kraß und roh. Diese Buntheit, unvermittelt durch malerischen Ausgleich, gicbt die Wirklichkeit vielleicht richtig wieder. So richtig wie eine bunte Photographie. Die Körperlichkeit kommt dabei gut heraus, wirkt aber zugleich unangenehm aufdringlich, ja trivial. Man würde diese Arbeit einem Italiener, nicht einem Pariser zutrauen. Ich erwähne zugleich das Bildnis von Linde-Walthcr, das zwischen Bischof und Blanche hängt. Auch dies Bild hat neben Bischof etwas Unangenehm-Affektiertes. Es ist nicht natürlich. Das Gesicht ist weiß und beinahe kalkig. Auch die beiden andern Arbeiten „Torrero" und„Sevillanerin" sind hohl und beinahe unkörperlich, Aufgettagen wirkt die Buntheit. Es fehlt das Gefühl für inneres, organisches Leben. Alles sieht arrangiert und gestellt ans. Der in Positur stehende Fechter, wie die ebenso nach uraltem Rezept kokett herausfordernd blickende„Sevillanerin". In der Mitte der Wand hängt W h i st l e r. Ueber dem Porttät liegt ein feiner, gleicher, matter Ton. Zwar sieht der Dargestellte ein wenig bärbeißig drein und hält in merkwürdigem Kontrast dazu einen rosa Mantel nebst rotem Fächer im Arm und in der Hand; man denkt an irgend eine Laune des Malers. Doch geht das alles mit dem grauen Hintergrund und dem Schwarz des Anzugs und des Cylinders und der bräunlichen Farbe des Gesichts gut zusammen und ergiebt eine äußerst feine Farbenmischung. Eigenwillig sprang schon Whistler mit seinen Modellen um. Es lettetcn ihn jedoch dabei malerische Gesichtspunkte, oft auch ein leichter Hand zur Ironie, wenn er auf Verstäuduislosigkcit stieß. Neben dem Engländer Whistlcr hängt das schon erwähnte Bild des Dänen Werenskiöld. Den Beschluß dieser internationalen Porttätfolge macht
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21 (25.5.1904) 101
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