Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 102.

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Donnerstag, den 26. Mai.

( Nachdrud verboten.)

Efther Waters.

Roman von George Moore .

,, Bist Du da, Mutter?", fragte Jackie.

" Ja, mein Liebchen, und Dein Vater auch."

1904

Er stieß einen tiefen Seufzer aus, und Esther sagte:

"

Was nützt es denn, von all diesen Sachen zu sprechen? Es schwächt Dich bloß unnük!"

Aber ich muß sprechen, Esther. Ich könnte ja ganz ruhig und glücklich sterben, wenn ich wüßte, daß für Dich und den Jungen gesorgt wäre. So aber wirst Du von neuem aus dem Hause gehen müssen und für ihn arbeiten

Der Junge sprang vor, um dem Vater zu helfen. Die wie früher. Du wirst dieselbe Geschichte von vorne anfangen Mutter aber flüsterte ihm zu:

-

,, Laß ihn! Er will lieber allein gehen!" Williams Kräfte reichten gerade noch aus, um in das Zimmer hineinzukommen. Dann fiel er total erschöpft auf den Stuhl nieder, den sie ihm rasch hinstellten. Er blickte sich um und schien sich zu freuen, daß er zu Hause war. Esther gab ihm Milch mit etwas Branntwein zu trinken, und all­mählich erholte er sich wieder.

Somm hierher, Jackie!" sagte er, ich will Dich ansehen; tomm hier ans Licht, wo ich Dich gut sehen kann!" " Ja, Vater!"

" Ich werde Dich nicht mehr lange sehen können, mein Junge. Aber ich wollte zuletzt noch mit Dir und Deiner Mutter gemütlich zu Hause sein. Jetzt kann ich noch ein bißchen sprechen; vielleicht kann ich's morgen schon nicht

mehr."

" Ja, Vater!"

" Ich will daß Du mir etwas versprichst, Jackie. Du sollst mir versprechen, daß Du nie etwas zu thun haben willst mit Rennen oder Wetten oder Spielen; denn das hat mir und Deiner Mutter kein Glück gebracht."

" Ja, Vater, gern."

"

müssen."

barg sein Antlik in den Händen und schluchzte laut, bis er Große Thränen rollten über seine Wangen hinab; er durch das Schluchzen in einen Hustenanfall geriet. Plöglich ergoß sich ein Blutstrom aus seinem Munde. Jackie lief nach dem Arzt, und alle Mittel wurden angewandt, jedoch ohne Erfolg. Es giebt noch ein Mittel," sagte der Doktor, wenn aber vorbereiten." Dieses letzte Mittel jedoch erwies sich als er­auch das versagen sollte, so müssen Sie sich auf das schlimmste folgreich, der Blutsturz wurde geftillt und William entkleidet und zu Bette gebracht.

"

Doktor noch, ehe er ging. ,, Er darf morgen nicht vom Bett aufstehen," sagte der

sagte Esther, und kräftig zu werden versuchen. Du hast Dich Du mußt morgen im Bett liegen bleiben, William," heute übermäßig angestrengt."

Sie hatte sein Bett in die wärmste Ecke geschoben, in die Nähe des Feuers, und hatte für sich selbst in der Nähe des Fensters ein Bett aufgeschlagen, obwohl sie nicht viel Schlaf von dieser Nacht erwartete; denn sie wußte sehr wohl, daß sie fortwährend würde aufstehen müssen, um seine Kissen

Du versprichst es mir, Jadie? Ja? Gieb mir Deine zurechtzuschütteln und ihm Milch mit etwas Branntwein ein. Hand darauf und versprich es mir feierlich.", zuflößen. " Ja, Vater, ich verspreche es Dir."

Ich sehe jetzt auf einmal alles ganz klar vor mir. Die Augen sind mir plöglich aufgegangen. Deine Mutter, Jackie, ist die beste Frau auf der Welt. Sie hat Dich wahrhaftig mehr geliebt als ich. Sie hat für Dich gearbeitet aber das ist' ne traurige Geschichte, und ich hoffe, Du wirst sie nie ganz erfahren."

Mann und Frau blickten einander in die Augen, und mit diesem einen Blick gab die Frau dem Manne das still­schweigende Versprechen, daß der Sohn nie davon hören sollte, wie sein Vater sie einst verlassen.

Die Nacht verging; der Morgen dämmerte allmählich in den Tag hinüber, und etwa um zwölf Uhr mittags bestand William darauf, aufzustehen. Esther versuchte es ihm auszu­reden, aber es gelang ihr nicht. Er behauptete, nicht länger im Bett bleiben zu können, aber es blieb ihr nichts andres übrig, als Mrs. Collins hereinzubitten, die ihr beim Ankleiden ihres Mannes behilflich war. Dann setzte sie ihn behaglich in einem Lehnstuhl zurecht. Der Husten war jetzt ganz verschwunden und es schien ihm besser zu gehen. Und in der folgenden Nacht schlief er besser als er lange schon geschlafen hatte. Und als er Sonntag früh erwachte, schien er bedeutend kräftiger und " Sie war immer gegen das Wetten und Rennen ein- wohler zu sein. Zu Mittag bereitete Esther ihm ein schönes genommen, Jackie. Sie hat von vornherein gewußt, daß es Stück Hafenbraten, welches ihm sehr schmeckte. Er sprach aber Unglück bringen mußte; ich war einmal schon recht vermögend, nicht viel, und Esther konnte sich denken, daß er beständig an aber ich habe alles wieder verloren. Geld, das man sich nicht sie und den Knaben und dessen Zukunft dachte. Etwa um ehrlich erarbeitet hat, bringt einem nun einmal fein Glück!" bier Uhr rief er Jackie zu sich heran. Er bat ihn, sich vor " Du hast das, was Du gewonnen hast, redlich erarbeitet," das Licht zu setzen, so daß er ihn sehen konnte, und betrachtete sagte Esther. Tag und Nacht hast Du gearbeitet; bist von ihn dann mit traurig sehnsüchtigen Augen. Dieses still­Rennplatz zu Rennplak unermüdlich gelaufen, und in jedem schweigende Lebewohl war so ergreifend, daß Esther sich weg­Wind und Wetter auf diesen Rennpläßen herumzustehen, war wenden mußte, um ihre Thränen zu verbergen. das keine Arbeit? Die Erkältung, die Du Dir dabei geholt hast, die hat Dich erst so krant gemacht!"

" Ich habe schon gearbeitet, das ist wahr! Aber es war wohl nicht die richtige Sorte Arbeit. Ich kann nicht mehr viel darüber sprechen, Esther, aber die Wahrheit weiß ich jetzt; das, was Du mir gesagt hast, ist die Wahrheit. Geld, das man nicht ehrlich erworben hat, bringt einem fein

Glück."

,, Wie gerne hätte ich Dich zum Manne heranreifen sehen, mein Junge!"

.D, sprich nicht so, sprich nicht so! Ich kann es nicht ertragen!" sagte der arme Knabe und brach in Thränen aus. Stelleicht stirbst Du auch noch gar nicht."

"

,, Dja, Jackie, mit mir ist's nun zu Ende. Ich fühle es," sagte er und deutete mit dem Finger auf seine Brust, ,, daß hier drin nichts mehr ist, womit ich leben könnte; das ist eben meine Strafe."

Strafe? Wofür Vater?"

Ddoch, der Junge soll das wissen! Es soll ihm ein Beispiel sein, außerdem bedrückt es mein Herz!"

Er trank seine Milch und seinen Branntwein aus und blickte seinen Sohn an, der bitterlich weinte. Du mußt nicht so weinen, Jackie! Höre mir lieber zu, denn ,, Weil ich nicht immer gut zu Deiner Mutter gewesen ich muß Dir noch mehr sagen. Deine Mutter, Jackie, ist bin, Jackie." die beste Frau, die je gelebt hat. Du bist noch zu jung, William, aus Liebe zu mir, bitte, sage nichts mehr," um einzusehen, wie gut sie ist. Ich habe auch eine lange sagte Esther. Zeit hindurch nicht begriffen, wie gut sie ist; aber mit der Beit habe ich es doch ausgefunden, und Du wirst es auch verstehen, Jackie, wenn Du erst ein Mann bist. Ich hatte gehofft, Dich noch als erwachsenen Mann sehen zu können, und Deine Mutter und ich, wir hatten immer geglaubt, Dir einmal ein schönes Stück Geld geben zu können. Aber ich habe das Geld alles verloren, das ich Dir hinterlassen wollte, und der schlimmste Gedanke für mich ist nun der, daß ich Esther half ihm beim Entkleiden und sie und Jackie hoben Deine Mutter und Dich in ebenso großer Armut zurücklassen ihn zusammen ins Bett. Er saß aufrecht da und betrachtete muß, wie sie damals war, als ich sie heiratete." fie beide mit seinen sehnsüchtigen, sterbenden Blicken.

Mein Junge soll nichts Schlechtes von seinem Vater hören. Ich verbiete ihm, Dir zuzuhören."

Sie schwiegen einen Moment alle. Bald darauf sagte William, er fühle, daß er matt werde, und möchte sich lieber wieder ins Bett legen.