Reich hatte diesen Durchbruch vorausgesehen, noch ehe ererfolgt war.„Das kann gefährlich werden� meine Herren, haben sieacht auf die Damen," rief er ihnen zu, und zu den Mädchen inritterlicher und doch entschiedener Weise, die keinen Wider-spruch aufkommen ließ:„Nehmen Sie unfern Arm, wirschützen Sie, aber kommen Sie schnell."Er hatte Luise seinen Arm geboten. Da knackten auchschon die Zweige die ganze Reihe entlang.„Vorwärts!" rief er.„Sollten wir getrennt werden* imVolksgarten finden wir uns wieder!"Sein Ton war voll männlicher Energie. Er handelterasch, mit Ueberlegung und Voraussicht.Unter Schimpfen und Schreien kamen die Züchtendenan ihnen vorüber, kompaktere Massen folgten; bald war derPark von flüchtenden Menschen erfüllt, die, noch immer fi'Angst, unter die Pferde der Ulanen zu kommen, sinnlos dahin-stürmten.Die schönen Chrysanthemen, Pelargonien und Asternwurden schonungslos niedergetreten, während die gelbenBlätter, die den Boden bedeckten, von den Füßen aufgewirbelt,umher flogen.Reich hatte Luise fester an sich gezogen. Indem er seinenArm um sie legte, schützte er sie mit seinem Körper vor demUngestüm der binter ihnen her Eilenden. Sie hatten die Ring-straße zuerst erreicht.Hier war Schutzmannschast in großer Anzahl aufgestellt,bemüht, den Strom zu lenken und einen geordneten Verkehrwieder herzustellen.Beim Eingang zum Volksgarten machte Reich Halt undsah sich um.Er bemerkte die Herren Brandt unweit von ihnen, die mitGusti und Tini am Arm daherkamen.Die Mädchen lachten und freuten sich der glücklich über-standenen Gefahr.„Bin ich froh, daß ich noch leb'," rief Tini, und den altenHerrn loslassend, schüttelte sie sich in übermütiger Laune,„ichHab' schon geglaubt, sie zerquetschen mich, ich habe mich zwarauch nicht geniert, nicht wahr?" wendete sie sich an den Varonund markierte dabei ihre Abwehr in drolliger Weise, was diesenhöchlichst ergötzte.(Fortsetzung folgt.).DieDresdener Kunstausstellung 1904,In Dresden giebt es nicht wie in Berlin und München denGegensatz zwischen alter Kunst und Secession. Frei von Cliquen-Wirtschaft geht hier die Tendenz dahin, das Gute zu geben, wo undwie es wachse. Berlin und München erscheint da recht rückständig.Neben dieser großen Anschauung von dem Wesen des Künstlerischen geht eine erstaunliche Fähigkeit einher, dem vorhandenenMaterial an Bildern, Möbeln, Plastiken den denkbar günstigstenHintergrund zu schaffen.Gerade was Plastik anlangt, können Berlin und München nichtentfernt mit Dresden mitgehen. Be:de stellen ihre plastische Kunstrecht ungeschickt und lieblos. Hier dagegen spricht aus der ganzenAnordnung eine Liebe und ein so natürliches, dekoratives Geschick,daß man schon die kulturelle Vergangenheit Dresdens in An-schlag bringen mutz, um dies zu erklären.Der Höhepunkt der plastischen Kunst sowohl wie der Art, dieserplastischen Kunst den Hintergrund zu geben, der die Konturen hebt,ohne das Ganze zu stören und aus dem inneren Gleichgewicht zubringen, bietet sich uns im Rodinsaal. Diese mächtige Rotunde,die wie ein Tempel wirkt, zeigt bis zur Dreiviertelhöhe eine gelb-liche Tönung der gerundeten Seitenflächen. Da, wo die Wölbungder Krcppel ansetzt, beginnt ein leuchtendes Blau der Fliesen, die inihrer schillernden Buntheit den unterer. Teil umso ruhiger erscheinenlassen. Ein Fries von schreitenden Löwen zieht sich oben in derKuppel herum. In diesem Räume stehen eine Reihe RodinscherWerke. Man kann sich kaum einen schöneren Hintergrund denken.Von den gelblichen Wänden hebt sich das Weitz der Statuen so leichtund zart ab und die Konturen scheinen in undeutlichem Leben zuerzittern. Beinahe wie Tranmerscheinungen, wie plötzliche Inspirationen,die Leben bekamen. geheimnisvolles Leben, erscheinen dieseSkulpturen. Ein eignes Reich thut sich auf, feierlich, still, verschloffeu.Hier zeigt sich wundervoll die verhaltene, jähe Wucht der Kunstdes französischen Plastikers, der dem Augenblick einer spontanen Be-wcgung eine so kraftvoll erhöhte, seelische Bedeutung verleiht. DieBewegung einer Geste wird bei ihm zu einer Offenbarung, die einganzes Wesen, eine ganze Innerlichkeit aufhellt, ein bisher Ver-vorgenes enthüllt. Als Mittelpunkt dieses Saales erscheint der„Denker", eine herkulische Gestalt, die auf einem Felsblock kauert.Alles ist kraftvoll angespannt an dieser Gestalt. Der Futz krümmtsich an den Stein. Die Faust stützt das brette Kinn. Der Blickhaftet am Boden. Diese Gestalt ist so in eine runde Nische.gesetzt,datz sie uns noch begleitet durch die ganze Flucht der folgendenSäle, durch die fortschreitend immer wieder dieser»Denker" nnsrenBlick auf sich lenkt, in der beinahe unwirklichen Beleuchtung desdämmerhaften Lichtes nach und nach verschwimmend, so datz erschließlich nur noch wie ein regelloser Felsblock erscheint.Neben dieser feierlichen Kunst Rodins halten sich andre Werkeschwer. Sie erscheinen wie Alltagskunst dagegen. Doch sind nochsehr feine und tüchtige Skulpturen hier, wie die Arbeiten vonBehn, Gaul, Geyger, Hahn, Hartmann. Hoetger,Hudler, Kruse, Schilling, Meunier, Lederer,Taschner beweisen.Die Dresdener Plastik, die zwei Säle für sich hat, bietet nichtsBemerkenswertes, weder in positiver noch in negativer Hinsicht. Manärgert sich nicht. Man fteut sich nicht. Allerlei„schöne" Linien fichtman, die keinen Anstoß errege». Das Rokkoko wirft hier in derPlastik noch nach. Puppige Allüren sind ins Große übertragen, unddie Sützlichkeit der Formen überragt.Eine Gemäldesammlung, die in ihrer Vollständigkeit, in derfeinen Auswahl des Bedeutenden alles Bisherige übertrifft, ist dieretrospektive Ausstellung. Sie ist so umfangreich, daß sieallein vollständig genügt. Es bietet sich hier Gelegenheit, die ganzeMalerei des letzten Jahrhunderts an den besten Beispielen zustudieren.Welche Unsumme von Arbeit in diesem Zusammenbringenganz verschiedener Kunstwerke liegt, kann nur der Eingeweihteermeffen. Es gehört dazu ein Apparat von Vorbereitungen, die zuihrer Ausführung mehr als ein Jahr beanspruchen. Eine solche Aus-stellung ist in vieler Beziehung äußerst lehrreich. Man sieht einmallückenlos die Entwicklung. Man sieht von bekannten Meistern Neues.man korrigiert sich daraufhin. Es bietet sich Gelegenheit, Bekanntesin andrer Umgebung zum Vergleich heranzuziehen. Da stellt sichmanches anders dar. So lockert eine solche Ausstellung die fest-gewordenen Begriffe und setzt an Stelle der schematischen, lehrhaftenKiinstwffsenschast die lebendige Auschaunng. Selten oder nie bietetsich eine solche Gelegenheit, die Anffasiungen zu vervollständigen.Eine Galerie ist einseitig. Sie hat nur wenig in Besitz. Einesolche Ausstellung, die überall her leiht, ist eigentlicheine ideale Galerie. Auch darin, datz sie nicht für immerbesteht, sondern sich bei Gelegenheit immer wieder neu bildet, leistetsie der Anschauung vorzügliche Dienste. Und da sie naturgemäßdie Höhepunkte nur berücksichtigen kann oder wenigstens das ganzCharakteristische, so ist es ein Vergnügen ohnegleichen, diese Räumezu durchwandern, in denen Perle sich an Perle drängt und die Fülleund Schönheit künstlerischen Strebens so greifbar nahe tritt, daßjede Kritik verschwindet. Hier erscheinen die Persönlichkeiten auf-gefangen in dem großen Spiegel der Begebenheiten, und man ahnt.wie spätere Jahrhunderte wirken werden. Hier steht der Einzelnenicht mehr für sich. Zeit steht gegen Zeit und Volk gegen Volk undgroße kulturelle Gegensätze enthüllen sich. England, Frankreich,Deutschland teilen sich deutlich voneinander. C o n st a b l e, G a i n s-borough, Reynolds— welch feine, künstlerische Art in Eng»land! Und wie imponierend treten die Franzosen auf, mit einerganzen Reihe von Namen— Besnard, Bonheur, Boudin, Cazin.Cordt, Degas, Manet, Monet, Chavannes, Courbet, Troyon— jedereinzelne ein ehrlicher Arbeiter auf seinem Gebiete, führend und pro»bierend ein Leben lang und immer wieder der Meinung der andrensich entgegenstellend.� Und bei uns erst diese furchtbare Oede derromantischen Malerei, diese Anekdoten- und Genrekunst, bis endlichNamen kommen wie Leibi, Lenbach, Feuerbach, Böcklin. Böcklin hateinen ganzen Saal für sich. So gleitet ein ganzes Jahrhundertvorüber. Mühelos genießt man. Und nur die Fülle erdrückt bei-nahe. Denn diese Ausstellung ist nicht nach Zufall zusammen»gebracht. Sieben Säle sind angefüllt mit Bildern und überall merftmau die Hand, die nicht das Anerkannte, in Schema Gebrachtesuchte und nahm, sondern von den schon bekannten Größen etwasEigenartiges, Neues bringen wollte, so datz die alte Zeit nicht ver-staubt, im Lichte alter Wissenschast uns begegnet, sondern wahrhastlebendig aufersteht.»Unter den Dresdener Malern ist der Einfluß bemerkbar, den dieVergangenheit der Stadt ausübt. Es ist Dresden, das immer sich,was Geschmack anlangt, seinen eignen Standpunkt wahrte.C. B a n tz e r gießt ein fein und ohne Anspruch genialtes Bildnis,F r i d e r i c i einen. Sommerlag", Hardenberg einen breit hin»iiesirichencn»Fluß im Sonnenschein", Hegenbarth kräftige Tier-tudien, Kunz feine Landschasts-Stimmuugsbilder, in denen dasGrün der Bäume zu einem eigenartigen Graublau des HinnncIS inGegensatz gebracht ist, P e p i n o ein farbig gut gestimmtes Porträt„Mutter und Kind", Unger giebt in strengen Linien und eignenFarben ein paar Studien, imter denen das„Symbol" genannte Bilddurch den eigentümlichen Konttast des lila Tuches und der hellrotenLippen der Dargestellten auffällt, Wolfgang müller einen„grünen Wald", inan sieht nur die Spitzen der Bäume und Wölkchenim Blauen darüber schweben.Einen eignen Raum erhielt Sascha Schneider, der hier leiderin deutlicher Weise zeigt, wie wenig hinter der großen Geberd»