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Stimme aus dem Zuschauerraum: Lassen Sie mich 186 einwandsfreie Bengen haben hier unter ihrem Eide bekundet, fofort als Zeuge bernehmen! daß niemand von ihnen gesehen hat, daß die Angeklagte, wie sie

Der Vorsigende: Ah, Seine Ercellenz, der Hofloch Ihrer behauptet, fein Reifig gestohlen hat. Ich beantrage angesichts der Hoheit der Erbgroßherzogin von Gerolstein ! Sie wollen eine Zeugen- gemeingefährlichen Frivolität der Handlung, der elenden Ge­aussage machen? Bitte, bemühen Sie sich hierher. finnung, die in ihrem Leugnen sich ausdrückt, und der den Staat und die Gesellschaft bedrohenden Tendenz vier Jahre Zuchthaus. Das Gericht ging über das Strafmaß noch hinaus und er­tannte auf fünf Jahre Zuchthaus und zehn Jahre Ehrverlust. -

henge Wertb

Der Hoftoch: Ich lege Wert darauf, diese nichtswürdigen Berleumdungen auf der Stelle zurüdtveisen zu fönnen. Seit einem Menschenalter fast widme ich meine ganze Kraft unermüdlich, Tag und Nacht, der Lösung der socialen Frage, indem ich Altardecken ftifte. Und was ist der Lohn? Man bewirft mich mit Kot, man berfolgt mich, man verdächtigt mich. Das ist die Wahrheit. So wahr mir Gott helfe. i onink

Der Staatsanwalt: Sonst haben Sie keine Beziehungen zu dem Herrn Angeklagten ?

Der Hoftoch: Gott ja, ich stelle ihm so alle Woche mal ne Quittung aus, über 100 000 m., über 300 000 m. und je nachdem auch mal über' ne Million. Das ist in unfren Kreisen so üblich. Man nennt das: Konto- Auflösen." Aber Geld habe ich natürlich nie einen Pfennig erhalten. Und übrigens habe ich mich auch jedesmal sorgfältig danach erkundigt, ob die Summen etiva aus feiner Tasche oder aus den Depots stammen. Der Vorsigende: Ich verstehe durchaus. Jezt ist alles vollständig aufgehellt. Haben Sie noch eine Frage, Herr Staats­

antvalt?

Der Staatsanwalt: Nein.

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Joc.

Kleines feuilleton.mis

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Sekundärbahn gebaut, die sich irgendwo von einer Hauptstrecke ab­and 1k. Jm Norden von Berlin . Ab und zu wird bei Berlin eine zweigt und von da aus durch Felder, Wiesen und Wälder in Ge­biete sich hineinschlängelt, die selbst einem eifrigen Touristen wegen ihrer bisherigen Abgelegenheit von der Bahn fremd geblieben sein fönnen. Wer märkische Landschaft und märkisches Bolt in seiner Ursprünglichkeit kennen lernen will, dem sei die Benuzung solcher Kleinbahnen empfohlen. Von Reinickendorf geht seit wenigen Jahren eine Sekundärbahn nach Liebenwalde , die bei Basdorf eine weitere Abzweigung nach Groß- Schönebeck aufzuweisen hat. Bu nächst durchqueren wir die im Norden Berlins so verbreiteten melancholischen Nieselfelder, die der Nase mehr als dem Auge bieten.

Der Verteidiger: Ich schließe mich dem Herrn Staats- Dann folgen Gebiete überreichlichen Sandes mit dürftigen Kiefern­

anwalt an.

Der Angetlagte: Rann ich nun gehen? ed Der Vorsigende: Bitte, noch einen Augenblick!

Der Gerichtshof zieht sich zurück und kehrt sofort zurüď. Der Vorsigende: Ich habe das Bergnügen, Ihnen Herr Kommerzienrat zur Freisprechung zu gratulieren. Bugleich haben wir, um Sie für Ihren Zeitverlust zu entschädigen, beschlossen, Sie für die Verleihung des Geheimen Kommerzienrats - Titels zu empfehlen.

Borgeführt aus der Untersuchungshaft wird die 67 jährige Witwe Anna Knuschte, die beschuldigt ist, vor einem Bierteljahr aus dem Forst Reißig im Werte von 5 Pfennigen entwendet zu haben. Der Vorsitzende: Gestehen Sie zu, daß Sie am 10. August, 3 Uhr 40 Minuten morgens, diesen frechen Diebstahl begangen haben?

Angeklagte( weinend): Ich bin eine alte, ehrliche Frau. Ich verdiene mir redlich mein Brot mit Waschen.

Der Vorsigende: Sie leugnen also? Welche politische Gesinnung haben Sie?

Die Angeklagte: Ich bin evangelisch. Der Vorsißende: Sind Sie taub? Ich frage Sie Ihrer Partei? Sind Sie Socialdemokratin?

Nein, ich bin wirklich evangelisch.

nach

Die Angeltaste. See, ſtellen ſich bumm! Wir werden

Ihnen gleich auf die Sprünge helfen.

Es werden nunmehr der Ortspfarrer, der Schulze, der Gendarm, der Gemeindehirt, der Lehrer und der Briefträger vernommen, welcher Partei die Angeklagte angehöre.

Nach scharfem Kreuzberhör muß

smis

die Angeklagte zugestehen, daß einmal bei ihr ein Groß­neffe auf einen Tag zu Besuch war, der in Berlin arbeitet.

Der Vorsitzende: Sie sehen: es fommt alles ans Licht. Leuguen hilft nichts. Sie sind Socialdemokratin. Damit ist nun Ihre Schuld schon so gut wie bewiesen. Aber wir müssen gründlich borgehen.

Es werden nach der Reihe 186 8eugen aufgerufen, die Befunden sollen, daß sie am 10. August 3 Uhr 40 Minuten morgens die Angeklagte gesehen hätten, wie sie im Forst ein Bündel Reifig auflas und mit sich nahm, in der Abficht, eine fremde bewegliche Sache sich rechtswidrig anzueignen.

Bon den Zeugen erinnern fich zehn ganz genan, fie im Walde gesehen zu haben, einer sogar, daß fie Reifig auflas, doch schien fie ihm dreißig Jahre jünger als die Angeklagte zu sein. Auch die andern Zeugen haben die Angeklagte sicher einmal gesehen, doch wissen sie nicht genau, wo und wann.

Kein einziger 8euge aber vermag zu beschwören, daß die Angeklagte am 10. August 3 Uhr 40 Minuten morgens nicht das Delift ausgeführt.

Der Staatsanwalt:

heiden, Wiesengräben und selbst Laubwaldstrecken. Bei Zühlsdorf, der ersten Haltestelle hinter Basdorf gegen Liebentvalde, verlassen wir den Zug. Das Stationsgebäude besteht in einem Hüttchen, laum Kiefernwald. Ein Schild an einem Baume trägt die verlockende größer als ein Beitungsliost. Ringsum hoher und niedriger Aufschrift: Gasthaus zur Achthundertjährigen Linde". Das muß natürlich besichtigt werden. Wir folgen dem Handweiser und er­reichen das kleine idyllisch gelegene Dörfchen Zühlsdorf in zehn Minuten. Neugierig schauen die Ortsbewohner uns an, denn Touristen find hier zu Lande noch eine Art Merkwürdigkeit. Wir werden zum Gasthause gewiesen und fizzen auch bald im Schatten des Riefenbaumes. Eine Prachtgestalt, noch in voller Kraft und bon etwa drei Metern Durchmesser. Wir berücksichtigen das rasche Wachstum, das die Linde vor Eichen und andren Bäumen auszeichnet, und ziehen von den acht Jahrhunderten eine Reihe ab; so etwa ans der Zeit des dreißigjährigen Krieges dürfte der Baum stammen. Das ist auch ein hübsches Alter

In der Nähe beginnt eine Seenkette mit dem Lubowsee, die nach Osten über Rahmer- und Wandlitsee zum Liepnißsee in die Gegend von Biesenthal führt. Eine reiche Flora wuchert an den Seeufern auf Bruch und Moor. Aus den Seen entspringt die Briefe, jener Wiesenbach, der über die Bühlsdorfer Mühle westwärts durch fumpfige Niederungen und ständig von Wald umrahmt gegen Birkenwerder fließt. So hat der Tourist von Zühlsdorf aus nach

Often und Westen der Wanderstrecken genug vor sich. Einfache, ſtille

Landschaftsbilder, nur etwa 20 bis 30 Kilometer von Berlin ent­fernt und dennoch ganz und gar noch unberührt von der Nähe der Großstadt und frei von dem Lärm belebter Touristenstraßen.

be. Zweierlei. Der eine Sorb war fertig gepackt, der andre stand noch halb leer. Sorgfam legte Else die Wäsche hinein, Stück auf Stück, hübsch glatt gestrichen, damit sich nichts drückte. Dabei warf sie hin und wieder einen prüfenden Blick zu der Frau am Fenster.

Eine fleine, hagere Alte, sie war gerade dabei, Spiken in eine blaßblaue Musselinbluse zu nähen.

" Sind Sie bald fertig, Frau Jäger?" " Ja, Fräuleinchen, gleich, gleich.

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" Dann noch die Nosa , nicht wahr?" Else stand auf und setzte fich in die Sofaecke. Na, ich werde so lange warten, die Blusen sollen zu oberst, damit sie sich nicht so drücken. Aber machen Sie bloß, in einer Stunde wird der Korb abgeholt."

" Ich bin ja auch gleich fertig, Fräuleinchen."

Wenn wir' n nicht mitgeben fönnen, tommt er ja nicht zur Zeit an, und wir können womöglich morgen abend noch in Reise­fleidern umherlaufen. Ach, morgen abend sind wir draußen. Wie ich mich freue!" Sie flatschte in die Hände.

" Ja, dis glaube ich," nickte die Alte. So in die Sommer­frische gehen, das is fein!"

" Ich möchte ja auch jetzt nicht in der Stadt bleiben, hu, im Sommer in der Stadt, gräßlich!" Else schüttelte sich. Draußen fann man doch umherstreifen. Wie halten Sie es eigentlich aus in der Stadt, Frau Jäger, Sie sind doch auch vom Lande?" " Ja, Fräuleinchen, ja, das bin ich woll!" Die Alte nickte. Und nun wohnen Sie hier auf dem Hof in Berlin . Möchten Sie denn da nie zurück?" Hm

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Wir haben es hier wieder mit einem der traurigen Fälle zu thun, in denen dank der ver­hezzenden und unterminierenden Thätigkeit der Socialdemokratie die festesten Grundlagen unsrer Kultur frech angetastet worden. Sind wir erst einmal so weit, daß man selbst das Eigentum des Forst­fistus nicht mehr respektiert, so ist unser Ende gekommen. Dieses gestohlene Bündel Reisig ist die Höllenmaschine, welche die gegen Die Alte fädelte eine neue Nadel ein. Nee, Fräu­wärtige Gesellschaftsordnung in die Luft sprengt. Dagegen muß mit den lein Elschen, eigentlich doch nicht seh'n Se mal, was hat man ftrengsten Strafen vorgegangen werden. Die Angeklagte ist in den denn auf's Land? Da hab' ich de Feldarbeit machen müssen für's Staatsbefiß eingebrochen, es handelt sich also um einen schweren Jut. Nee, ich bin janz froh, daß wir in de Stadt jekommen sind Einbruchsdiebstahl in idealer Konkurrenz mit der Verächtlichmachung und daß ich's Nähen jelernt hab', dis ist besser als so auf de Felder von Staatseinrichtungen und grobem Unfug. Die Angeklagte rumschuften müffen." hat mildernde Umstände verwirkt, weil fie hartnädig" Aber es ist doch so schön auf den Feldern!" Else sah Teugnet. Ee ist festgestellt, daß fte mit der social träumerisch ins Weite. Ach Gott, wenn dann das Korn so im demokratischen Partei sympathisiert. Wir haben keine Mühe Winde wogt, und man am Waldrand liegen kann und in die Sonne gescheut, um diese dunkle Angelegenheit vollständig aufzuklären. blinzelt durch das Grün... das ist doch zu schön."

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