Mußte ihnen die Hände drücken, während es ihr in den Fingernzuckte, und sich mit einem Scherz ihrer Geneigtheit empfehlen.Sie war krank, sie wollte sich's selbst nicht eingestehen, siefieberte, denn sie mußte ein Engagement haben.Sie flüchtete in die Kirchen, betete stundenlang und ge-lobte Wallfahrten nach Mariazell, wenn die heilige Jungfrausich ihr gnädig erweisen und ihr ihren Beistand leihen würde,damit ein vorteilhafter Vertrag zustande käme.Aber sie hielt es geraten, sich auch nach weltlichen Pro-tektoren umzusehen. Sie suchte ihren alten Freund Reich aus.Er war jünger als sie; sie hatte ihn einst empfohlen, siehatte seine künstlerische Laufbahn in Wien geebnet; er verdankteihr viel; jetzt konnte er etwas für sie thun.Und er war ja auch ein so netter, prächtiger Mensch,ein guter Kollege, ein feingebildeter noch dazu, und dasschätzte sie über alles, wie sie behauptete, nur zu einein solchenkonnte sie Vertrauen haben.Ihm gestand sie ihre Not. Ihre Möbel hatte man ihrgepfändet, ihr Schmuck war versetzt; selbst einen Teil derGarderobe hatte der Hauswirt zurückgehalten.Und das wäre noch alles nichts, aber die Schulden! gegendie 30 000.—„Sixt, das ist mein Weltschmerz," sagte siemit einem cynischen Lächeln hinzu.Als Reich mit einer Strafpredigt anhub, hielt sie ihm denMund zu.„Not auszanken, Mundi, schau, das vertrag i nöt.Schulden Hab i ja immer g'habt, das ist doch nix Neues beimir.'s is nur der Unterschied, daß früher meine Bewunderersie bezahlt haben und jetzt—" sie seufzte, dann war sie Reichan den Hals gestürzt und halb lachend, halb weinend—;„Mein lieber Mundi, Du mußt mich retten. Irgend ein'Strohhalm wirst doch auftreiben können, an den ich michklammern kann."Reich versprach alles— er war ein so guter Kerl, soliebenswürdig und tellnehmend; er versicherte ihr, sie sei nichtvergessen und auch noch nicht ersetzt.„Ueberhaupt nicht ersetzbar," bemerkte sie entschieden, sie'war sofort wieder die Alte.Er wollte eine allerhöchste Persönlichkeit für sie inter-essieren und auch in ihrer momentanen Bedrängnis ihr bei-stehen: er lud sie zu einer Tarokpartie.Ihre alten Freunde, die Brandts, wollte er als Partnermit ihr zusammenbringen. Die spielten sehr schlecht Tarok,aber sie würden sich amüsieren, die Betti gewinnen, alles weiterewürde sich finden. Von solchen vielfachen Millionären dürfteman erwarten, daß sie als„Würzen" ihre Schuldigkeit thunwürden.Und jetzt saß sie den beiden Brandts, Vater und Sohngegenüber und, nachdem sie mit sehr viel Laune ihreamerikanische Tour geschildert, die ihr schrecklich viel Ruhm,aber kein Geld eingetragen hatte, erwartete sie von ihnen einverständnisvolles Eingehen auf ihre pekuniäre Lage, aber dieHerren fuhren in ihren faden Schmeicheleien fort, sie ver-sichernd, daß sie und das Wiener Publikum sie noch immeranbeteten.„Hören's mir auf, mit dem Publikum," rief sie mit er-zwungener Munterkeit, das undankbarste auf der Welt ist einPublikum, und das Wiener ist noch dazu das dümmste vonallen. Freilich, wenn ich jetzt zum Auftreten komm', werden'sAugen und Ohren gehörig aufreißen. Ich bin jetzt besser alsje— jetzt rann ich erst was."Sie reckte sich höher in dem unverwüstlichen Gsaubendes Schauspielers an sich selbst.„Ich werd's ihnen schonzeigen, und wenn ich einige lustige oder gar gerührte Extem-pores loslass', dann liegen's wie ehemals am Bauch vor mir.Nur zum Austreten muß ich kommen, zum Auftreten, zumAustreten!"(Fortsetzung folgt.);Propketenkraft.In das wüste Stimmengewirr einer schlaffen, feigen und ver-logenen Zeit braust, wie ein Wunder, das Prophetenwort Tolstojs,den man den letzten Christen nennen müßte, wenn er nicht vielmehrder erste wäre. Mit einem uralten, wehrlosen, einfältigen Wortdurchdringt er den Wahnsinn, mit ihm ruft er die Zeit zum jüngstenGericht. Es ist das Christenwort von der Nächstenliebe, das seitJahrtausenden die Menschen auf den Lippen führen, während ihreHände morden. Dies eine Wort ist die ganze Kritik Tolstojs, diesein gewaltiges Manifest gegen den russisch-japanischen Krieg belebtund durchleuchtet. Wenn Ihr denn, so ruft er der Welt zu. Christensein wollt, so müßt Ihr Euer Bekenntnis auch bethätigen, zu jederZeit, unter allen Umständen, oder Ihr seid bewußte Verbrecher.Wäre dies Manifest zu andem Zeiten erschienen, etwa gar zurZeit des Friedensukas des Zaren, so wäre es kaum mehr als einberedtes und bewegendes, mystisch die klaren Schlüffe der gesundenVernunft umschimmerndes Traktätlein eines starken Einsiedlers undträumenden Propheten gewesen. Im Augenblick höchster Kriegs»Wut aber in die Welt geschleudert, ist es eine revolutionäre Heilandsihatdes Einzelnen gegen alle Andren. Ein abscheuliches Verbrechen imSinne einer ruchlosen Staatsgewalt, ist es ein Dokument der Ewig-keit im Geiste erlöster Zukunft, das den kaum noch gewagten Glaubenan die menschliche Vernunft, an die erhabene Macht des Guten undWahren wundersam belebt, ist es die That eines Mannes, der freivon jeglicher Menschenfurcht das Wort der Wahrheit und der Ueber-zeugung hinausschreit, ob es auch nach den Paragraphen der Staats»gewalt, Kerker, Verbannung und Tod bedeute. Fürwahr, nochist der Heldentrotz der Bekenners nicht verschwunden, nochnimmt der freie Gedanke den Flug durch Finsternis und Grausen.ob auch der Häscher und Henker hinter ihm jage. Hier ziemt sichnicht hochnäsige Kritik, die so jämmerlich leicht auf das Papier hin»geschrieben werden kann; den Schauern der Ehrstircht vor derProphetenkraft, die kein Zittern vor den Schrecken der Gewalt kennt,sollten wir uns allein hingeben. Und lernen sollten wir alle vondieser unbeugsamen Entschlosienheit, die ihre Erkenntnis ohne Zaudernund Abschwächen verkündet und keinen Widerspruch zwischen Wortund That duldet. Die Wahrheit kann nur eine ganze, unteilbareWahrheit sein. Jede scheue und ängstliche Halbheit ist Tod derWahrheit. Die Einheit der Weltanschauung ist die höchste Leistungder menschlichen Vernunft, begicbt sie sich erst auf den Weg desAbHandelns und Zugebens, so ist die Bahn des wirren Aberglaubensbeschritten, aus dessen blutüberströmtem Labyrinth es keinen Auswegmehr giebt. W i r sollen müssen!Ein unerhörtes Schauspiel! In diesem finsteren Rußland, indem jeder freie Gedanke ein Verbrechen ist, jedes Urteil über dieThateii der Obrigkeit nach Sibirien führt, tritt ein Mann aufund erhebt mitten in den Wirbeln patriotischer Kriegsrasereieine Anklage gegen die Herrschenden, wie sie auch in freien Staatenzu solchen Zeiten noch niemals jemand gelvagt hat. Unverwundbarscheint es wandelt er im Strahlenmantcl seiner Ueberzeugung. Die.Kirche hat ihn verflucht und ihn des Rechtes der ewigen Seligkeitfür verlustig erklärt. Ihn kümmerte der Pfaffenhaß nicht. Seinreligiöses Bewußtsein war zu tief und ernst, als daß es der rohenKirchenmacht nicht ruhig hätte spotten können. So zerreißt er jetztalle Schlingen eines leeren und lügenhaften Patriotismus, in er-habener Vaterlandslosigkeit ruft er die Druckerpresse des Auslandeszu Hilfe, um dem Zaren, den Großfürsten, den Generälen, den In-dustriellen.'den Gcldherren, den Popen, ihre Verbrechen ins Gesichtzu schlendern: Ihr sollt den Nächsten lieben, Ihr sollt nicht töten!Während preußische Richter Angehörige des deutschen Reiches pro-zessieren, weil sie russische Schriften verbreitet, läßt derRusse Tolstoj, ohne daß er aus Rußland flieht, dieWorte hinausgehen:„Dieser ununterbrochene Strom unglücklicher,betrogener ruifischer Bauern, die man»ach dem fernen Osten bringt,diese„nur" sünfzigtausend lebenden Russen, die Nikolai Romanowund Alexej Kuropatkin zu töten beschlossen haben und töten werden,um die Dummheiten. Räubereien und allerlei Scheusäligkeiten zuschlitzen, die in China und Korea unsittliche, ehrgeizige Menschen an-gerichtet haben! Menschen, die jetzt ruhig in ihren Palästen sitzenund neuen Ruhm, neue Borteile und neuen Profit von der Töwngdieser fünfzigtausend ganz unschuldigen, durch ihre Leiden und durchihren Tod nicht das Geringste gewinnenden, betrogenen russischenArbeiter erwarten." Dem Monarchen verleiht das GesetzUnverletzlichkeit. Ein Heer von bewaffneten Dienern schütztdas Gesetz. Aber hinter den Panzerthüren der mordgerüstetenSchützer selbst zittert der Selbstherrscher noch in nnablässiger Todes-furcht vor den Brechern des Gesetzes, das ihm Unverlctzlichkeitverbürgte. In Tolstojs Werk erkennt man eine höhere Unverletzlichkeit,die nicht vom Gesetz gewährt wird, sondern die der Gesetze spottet,eine Uiiverlehlichkeit, die keine Waffe zu ihrem Schutze hat, sondernalle Waffen gegen sich gerichtet weiß, und vor der doch die brutalsteund wchrtüchtigste Gewalt ohnmächtig zurückweicht. Tolstojs Manifesterklärt dem ganzen herrschenden Rußland den Krieg, es ist eineEmt'örung ini Innern während eines zerschmetternden Kampfesgegen einen überlegenen äußeren Feind, vielfälttger Tod drohtsolchem Beginnen, der Prophet aber geht ruhig seiner Arbeit nach,er ist erhaben über jeder irdischen Sorge— mögen sie mit ihmbeginnen, was fie wollen: er mußte aussprechen, was er dachte.Und die blutige Faust des Zarismus bebt vor dem Entsetzlichenzurück, die Heiligkeit des Propheten anzutasten. Das ist dasTröstende dieses unerhörten Vorganges: Es giebt dennoch moralischeMächte, die über jeder Gewalt triumphieren....Es scheint ein jäher Widerspruch Tolstojs Wesen zu zerreißen:der große Dichter ist ein Feind der Kunst, der kühne und klareDenker ein Verächter der Wissenschaft, der reine Künder hellerLebensbejahung ein Asket in düsterer Kutte. Wer jedoch seinManifest gegen den russisch-japanischen Krieg mit Andacht liest, derwird gewahr, wie sich der Widerspruch löst und aufhebt. Tolstoj weistiu demselben Geiste die Flötenspieler und Komödianten zurück, wie eSder Grieche Plato gethan: Sie verwirren und schwächen ihm dieeigentliche Aufgabe des Menschentums, die darin besteht, gemein»sam zu schaffen, nicht zu zerstören. Die Kunst dient denInstinkten der Widersacher des einen erhabenen Zieles, der Menschen-brüderschaft.