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Sie schlang ihr Tuch fester um ihre Schultern und blieb, ohne sich zu rühren, auf ihrem Stuhl.
Mit einem leeren Ausdruck starrte sie in die Flamme der fleinen Petroleumlampe, das einzig Wärmende, die vor ihr auf dem Tische stand.
Es schlug sieben,
Die Versammlung war sehr gut besucht, der mittelgroße Saal bis auf den letzten Plazz besetzt. Wie das Bureau zusammengesett wurde, erinnere ich mich nicht mehr. Aber kaum war es gebildet, so erbat auch schon Hasselmann das Wort zur Geschäftsordnung. Er erhielt es und zeigte sich sofort als Meister schlauer Tattit.
Wir haben zwei Punkte auf der Tagesordnung," hub er an, „ bon sehr verschiedenem Interesse. Der erste Punkt betrifft eine
Im Schornstein heulte der Wind, man verspürte seinen Sache von mehr persönlicher Bedeutung, der zweite aber geht alle rauhen Hauch in der Stube.
Elise erhob sich und ging in die Küche.
Mit einem Richtstümpfchen sah sie in der Kiste nach, ob nicht doch noch ein Rest von Kohle vorhanden wäre, und verfuchte mit einer Schaufel den den Boden bedeckenden KohlenStaub zusammenzuscharren. Auch etwas Holz war noch da. Damit könnte sie noch ein ganz nettes Feuerchen zusammenbringen, dachte sie.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über das bleiche Geficht. Da klopfte es an die Thür, sie war nicht geschlossen, und ohne daß der Klopfende die Aufforderung zum Eintreten abgewartet hätte, öffnete er sie rasch.
Ein junger brünetter Mann von kräftigem Wuchs, in Rodenmantel, den weichen runden Hut in der Hand, war eingetreten.
Erstaunt sah sie den Fremden an:„ Was wünschen Sie?" Er antwortete nicht sofort. Sein Blick haftete auf ihrer Gestalt, die in dem dunklen Kleid so schmal und abgezehrt, Schier wesenlos vor ihm stand.
( Fortsetzung folgt.)]
( Nachdruck verboten.)
Aus früberen Kämpfen.
( Schluß.)
Es dauerte eine ziemliche Weile, ehe ich es wagte, mich öffentlich an den politischen Diskussionen im Verein zu beteiligen, trotzdem es mich innerlich nicht wenig dazu trieb. Aber mich schreckte das Vorbild eines jüdischen Genossen ab, der damals viel in Versammlungen sprach. Es war nicht nur ein sehr selbstloser, sondern auch ein sehr intelligenter Mensch, und was er sprach, hatte sachlich gewöhnlich Hand und Fuß. Aber er schwächte den Eindruck seiner Ausführungen dadurch ab, daß er sich beim Reden fortgesetzt verbesserte, und ich war fest überzeugt, daß ich es voraussichtlich ganz ebenso machen würde wie er. Mein Jdeal aber war May Kayser, der trotz seiner Jugend ungemein eindrucksvoll sprach, und Ignaz Auer , der sehr bald unser bester Redner geworden war. Das erste Mal, wo ich selbst das Wort zu nehmen wagte, war in einer Agitations versammlung in Spandau , wohin ich Mar Kayser begleitet hatte. Der Versuch war ziemlich günstig ausgefallen, und Kayser und andre ermunterten mich, auf dem betretenen Wege fortzufahren. Bald darauf sollte ich denn auch in der That als Referent auftreten, und dies unter Umständen, die unsre damaligen Parteikämpfe in Klassischer Weise illustrieren.
Arbeiter ohne Unterschied an. Ich glaube, die Arbeiter Bernaus wollen heute vor allen Dingen über den Socialismus hören, der iezt die Arbeiter allerorts erfüllt. Ich schlage also vor, die Tagesordnung umzukehren und zuerst uns über die Grundsätze des Socialismus zu unterhalten.
hatte. Was wußten in der That die Arbeiter dieses zurückgebliebenen Die Haltung der Versammlung zeigte, daß er gewonnenes Spiel andstädtchens vom Leipziger Hochberratsprozeß? Ebenso far war aber auch, warum er die Tagesordnung umgestellt haben wollte. Referierte Kayfer zuerst über den Hochverratsprozeß, so war zu ges wärtigen, daß er die Versammlung für Bebel und Liebknecht gewinnen, und eine Opposition einen ziem'h schweren Stand haben werde. So geschickt aber Hasselmann war so wenig gehörte Mut zu seinen hervorragenden Eigenschafter Hätte er schon einen stärkeren Anhang in Bernau hinter sich gewußt, so hätte er wahrscheinlich eine noch stärkere Umwandlung der Tagesordnung beantragt. Aber Bernau war im ganzen noch ein unbeschriebenes Blatt, und so hielt er es für geraten, erst das Feld zu sondieren.
Sein Antrag wurde angenommen und mir die ebenso unerwartete wie unerwünschte Ehre zu teil, als erster Referent aufzu
treten.
Mit welchen Empfindungen ich meinen Vortrag begann, wird sich der Leser nach dem Vorausgeschickten selbst ausmalen tönnen. Mir war, wie wenn ich in der nächsten Stunde gehängt werden sollte. Aber nach außen hin scheint diese Stimmung nichts verdorben zu haben. Die Versammlung schenkte mir viel Aufmerksam teit, fargte auch nicht mit ihrem Beifall. Und Hasselmann, der nach mir das Wort ergriff, unterließ jeden direkten Angriff auf meine Ausführungen. Er hielt es für wirksamer, Kayser und mich an einer andren Stelle zu packen, nämlich an dem Umstand, daß wir beide- Juden waren.
" Der Referent," fing er an,„ hat Ihnen ein allgemeines Bild vom Socialismus entworfen. Aber er ist dabei ziemlich abstrakt geblieben. Ich will versuchen, Ihnen das nun an Bildern aus dem eben flar zu machen. Nehmen wir als Beispiel, da ja hier viele Tuchmacher find, das Schicksal der Wolle auf dem Wege ihrer Erzeugung und Verarbeitung."
Und nun schilderte er, wie der Bauer das Schaf zieht und beim Kauf schon vom jüdischen Viehhändler übervorteilt wird; wie dann der Bauer die Wolle zum Markt bringt und dort vom jüdischen Wollhändler ausgebeutet und betrogen wird, während er zugleich dem jüdischen Hypothekenbefizer Wucherzinsen zu zahlen hat; wie weiter der jüdische Wollhändler die Wolle beim Wolltämmer verarbeiten läßt und einen hohen Profit dabei vorwegnimmt. So ließ er die Wolle weiter wandern, und auf jeder Etappe einen Juden erscheinen, der den sie jeweilig weiter verarbeitenden Arbeiter um seinen Schweiß betrügt. In steigendem Maße wurde die Ausbeutung mit dem Judentum identifiziert, und schließlich war der Jude nicht nur der betrügerische Ausbeuter der Arbeit, sondern auch der politische In dem nördlich von Berlin gelegenen Städtchen Bernau , Beschwindler des Volles. Juden beherrschten den Liberalismus, wo viel Weberei getrieben wurde, hatten wir Eisenacher ein Juden fuchten die Arbeiterbewegung im Interesse des Kapitalispaar Anhänger, von denen der eifrigste ein aus Sachsen ein- mus zu spalten. Juden sezten der wahren Arbeiterbewegung, gewanderter junger Weber namens G. Gladewig war. Diefer, die allein im Allgemeinen deutschen Arbeiterverein vertreten set, heute noch ein guter Kampfgenosse, drang darauf, daß von allerhand Organisationen und Organisatiönchen entgegen, die nur Berlin zwei Redner nach Bernau behufs Abhaltung einer Volts- den Zweck hätten, die Arbeiter von ihren wahren Interessen abbersammlung und Gründung einer Mitgliedschaft geschickt würden, zulenten. Sie liebäugelten mit allen möglichen reaktionären und auf Zureden unsres Agitationskomitees entschloß ich mich, die Elementen, wie z. B. mit Welfen und andren Bartikularisten. So Mission als zweiter Referent anzunehmen. Als erster Referent sei es z. B. notorisch, daß 600 Exemplare des Boltsstaat" der sollte Max Kayser den Leipziger Hochverratsprozeß behandeln, Herren Bebel und Liebfnecht aus der Welfenkasse" bezahlt würden. während mir die Aufgabe zugewiesen wurde, die Grundfäße des Die Arbeiter sollten deshalb vor den Wölfen im Schafspelz auf Socialismus zu erläutern. Ich muß bekennen, daß ich nur in der ihrer Hut sein. Nur der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein sei stillen Hoffnung annahm, es werde über dem ersten Referat und der der wahre Vertreter ihrer Interessen und werde sie zum Siege fich anschließenden Debatte keine Beit für das zweite Referat übrig führen. bleiben. Aber es sollte ganz anders kommen.
Als wir am festgesetzten Tage am Stettiner Bahnhof den Zug nach Bernau bestiegen, bemerkte Stayfer, daß drei bekannte Mitglieder des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins , Hasselmann, Ro st und Klindhardt, in den gleichen Zug mit uns einstiegen. Er teilte es mir sofort mit und drückte die Befürchtung aus, daß die Genannten uns nachreifen, um uns unsre Versammlung zu verderben. Und dann wird's schlimm werden," meine er,„ Sie wissen ja, wie Hasselmann ist. Der spürt Ihnen auch den geringsten Fehler in Ihrem Vortrage auf und dreht Ihnen daraus einen Strid. Das ist der beste, aber auch der hinterlistigste Redner der Lassalleaner. Er kann die Massen fanatisieren, und Rost ist ihm an Gehässigkeit, wenn möglich, noch über."
"
In dieser Tonart ging es die ganze, glücklicherweise nicht sehr Lange währende Fahrt. Wie sehr es mich, den Neuling, ermutigte, fann man sich leicht vorstellen, und als sich beim Aussteigen ergab, daß in der That Bernau auch das Ziel der Reise von Hasselmann und Genossen war, verstärkte sich die Intensität meines vorher aus gedrückten stillen Wunsches um etliche Hundert Prozent. Indes, tein Gott hatte Erbarmen.
Dies der mit steigernder Schärfe vorgetragene Inhalt seiner Rede. Unter dem Gesichtspunkt der Wirkung betrachtet, war sie ein Glanz stück schlauer Demagogie. Ohne uns persönlich anzugreifen, hatte Hasselmann uns den Arbeitern als verdächtig hingestellt und zu gleich auch schon gegen eine etwaige Verherrlichung Bebels und Liebknechts eine Mine gelegt. Das bißchen Eindruck, das meine Ausführungen gemacht haben mochten, war durch seine Ansprache vollständig ausgelöscht. Wir waren in jeder Hinsicht in die Defensive gedrängt, und welche Anstrengungen auch May Kayfer, der nuit sprach, machte, Hasselmanns Angriff abzuwvehren, so gelang es ihm doch nicht, den Spieß umzukehren. Die Debatte entwickelte sich zur reinen Bänkerei, an der sich dann noch Rost und Klindhardt be teiligten, und das Ende vom Liede war, daß von der Versammlung, die anfangs wohl 300-400 Teilnehmer gezählt hatte, zwölf Mam für eine von Hasselmann und sieben für eine von uns eingebrachte Resolution stimmten. Der Effekt unsrer Agitationsreise war gründlich vereitelt.
Es sei hier gleich eingeflochten, daß etwa ein Jahr später mir das Los zufiel, in Verbindung mit einem seitdem verschollenen Ge nossen zwei andren Vertretern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins /