Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 133.

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Freitag, den 8. Juli.

( Nachdrud verboten.)

Im Vaterbaufe.

Socialer Roman von Minna Kautsky  .

17. Kapitel.

Frau Witte," sagte der Eingetretene kaum hörbar. Da wandelte sich der befremdende Ausdruck ihres Ge­fichts zu freudigem Erkennen: Frizel, mein Kind!" Der junge Mann empfing die ihm Entgegenstürzende in seinen Armen.

,, Meine liebe, liebe Mutter!"

Ihr Kopf ruhte einen Augenblick an seiner Brust. Dann schlug sie die noch immer schönen Augen zu ihm auf und ihn liebevoll betrachtend, suchte sie sich Zug für Zug aus dem männlichen Antlitz ihren alten Frizel zusammen.

Er trug einen Bart, der veränderte ihn, in vier Jahren hatte er Zeit gehabt zu wachsen, aber die Augen, die guten treuen Augen waren dieselben, sie blickten mit derselben Innig­feit, die sie an ihnen gewohnt war, und wie er jegt lächelte, erhielt sein ernster Mund jenen jugendfrischen Zug, der ihr sympathisch war.

"

Mich so zu überraschen, kein Wort hat er mir geschrieben, böser Bub, hattest mich wohl schon ganz vergessen?" " Das glauben Sie doch selbst nicht. Ich kann Ihnen ja gar nicht sagen, wie ich mich auf diesen Moment gefreut habe, wie ich" Er stockte und fügte dann ruhiger hinzu:" Ich bin schon einige Mal hier gewesen und wieder fortgegangen, ich wollte Sie allein treffen. Heute sah ich die Ihrigen fort­gehen und da-"

-

,, Bist Du noch immer so tindisch?"

Das bin ich. Sie müssen Geduld mit mir haben." Als er ihre Hand ergreifen wollte, zog sie sie rasch zurück und sagte lächelnd:

" Ich habe in der Kohlenkiste herumhantiert, meine Hände find schwarz, ich muß sie erst waschen; geh nur hinein, ich tomme gleich nach."

Er gehorchte.

Als sie nach einer Weile ins Zimmer trat, stand er am Fenster und wendete ihr den Rücken zu.

" So, mein lieber Frig, jetzt gieb mir die Hand," sagte fie herzlich, Du bleibst bei mir, Du sollst mir erzählen-" Langsam drehte er sich zu ihr um, in seinen Augen glänzte es feuchter zerdrückte die Thränen.

-

" Ja, wir wollen uns, alles sagen, Mutti- nichts vor einander verhehlen, nicht wahr?"

Er nahm ihre Hand in die seine, die war hart und schwielig, wie ehemals, aber ihr Druck war sanft, von ängst licher Behutsamkeit.

1904

Unglaublich rasch war Frizz wieder zurück, gefolgt von Sem Kohlenträger, der seine Rast in der Küche ablud und sich entfernte.

Bald brannte ein starkes Feuer im Ofen, dessen Gluf den Boden weithin erleuchtete.

1901

Er hatte den Stuhl nahe zu dem ihrigen gezogen und fragte zärtlich, wie es gehe.

seien.

" Immer im alten," meinte sie ausweichend. Da sei nicht viel zu berichten. Sie wollte von ihm hören, er sollfe ihr von Berlin   erzählen, wo er das letzte Jahr in Arbeit ge­standen, sie wollte wissen, was er dort gesehen, was er ver­dient hatte, und welches seine jetzigen Aussichten und Pläne Er hielt nicht zurück, offen und schlicht sprach er mit ihr, wie ein erwachsener Sohn zu der Mutter spricht, die seine Ver­traute geworden war. Draußen brauste es stärker gegen das Haus. Der Wind rüttelte an den schlecht schließenden Fenstern und warf von Beit zu Zeit grobförnigen Schnee gegen die Scheiben. In der Stube aber war es allmählich warm und behaglich geworden.

Alle Geräusche des Hauses waren verstummt, man hörte nur seine Stimme, sie klang voll und sonor.

Auf die Verwendung eines Freundes hatte er eine Stelle als Monteur in der Maschinenfabrik von Paul Brandt er­halten und als sie erstaunt fragte, wie es denn möglich sei, daß er es in so furzer Zeit so weit gebracht, nachdem er doch feine regelmäßigen Studien gemacht, meinte er achselzuckend: Das kommt bei manchem von selbst. Man arbeitet doch immer mit den Maschinen, da lernt man ihre Konstruktion genau kennen, und endlich kann man sie zusammenstellen, besser als irgend einer. Er hoffe seinem Posten gewachsen zu sein."

,, Und Du bleibst nun hier?"

,, Er nickte ihr lächelnd zu: Mich hält hier so viel, nicht zum mindesten der Kampf. Wir haben nun auch in Dester­reich Arbeit bekommen. Ich komme gerade zurecht, um mit. zuthun."

,, Was ist das für eine Arbeit?"

" Wahlarbeit, Mutti. Es handelt sich um ein Großes, das uns so nahe geht, dessen Gelingen so sehr in unserm Interesse liegt, daß wir eigentlich gar nichts andres wollen und denken sollten, als wie wir's vollbringen."

belebte; aus seinen Augen brach eine Flamme, die klarer als Erstaunt blickte sie in sein Gesicht, das sich eigentümlich seine Worte verriet, was seine Seele erfüllte.

Der große Kampf, den die österreichische Arbeiterschaft zur Erringung des Wahlrechts Jahre hindurch mutig geführt hatte, war zu ihren Gunsten entschieden worden.

Nach langem Baudern hatte die Regierung ganz plötzlich Sie warf einen raschen Blick nach dem Tisch. Dort, just fünfte Kurie war eingeführt, schon waren die Wahlen aus­das Gesetz herausgebracht. Ein allgemeine Wählerklasse, eine neben der Lampe, lag der Zettel des Kohlenhändlers. Sie geschrieben, über Hals und Kopf sollten sie durchgeführt nahm ihn an sich. Seine Augen sahen nach einer andern Richtung.

Die kostbaren Teppiche, die Vasen und sonstigen Lurus­artikel, die ihm einst imponierten, die er bewundert hatte, waren verschwunden. Nur der geliebte Bücherkasten stand noch am alten Fleck und links und rechts davon die Bilder des Großvaters in goldenen Rahmen.

" Set Dich, Frit," sagte Elise und nahm selbst im Lehn­stuhl Play.

Er hatte sich dem Ofen genähert und legte die Hand über die Kacheln, als wolle er sich daran erwärmen.

O, der Ofen ist falt," bemerkte er ruhig. Das Feuer ist ausgegangen, darf ich einheizen?"

Wenn Du damit ein Feuer zustande bringst?" sie deutete auf den leeren Eimer, den sie hereingebracht.

Nein, das treffe ich nicht; mit so dürftigem Material giebt sich ein Schlosser nicht ab," scherzte er, ich muß ordentlich einfeuern können. Wenn Sie erlauben, Frau Witte, ich bin gleich wieder da."

Ohne ihre Antwort abzuwarten, rannte er hinaus. Sie seufzte. Er hatte den Zettel gelesen, er wußte, wie es um sie stand,

werden.

Es war das Ereignis des Tages, sie wußte kaum etwas davon.

"

Wir haben es nun, jezt wird's vorwärts gehen!" rief er in fröhlicher Zuversicht. Es ist zwar ein miserables, ganz verhunztes Wahlrecht, was sie uns da gegeben, ein wahrer Hohn ist diese fünfte Surie, aber wir sind doch froh, daß wir sie haben. Die Arbeiter werden nun zum ersten Mal zur Urne gehen, wir werden eine Anzahl Vertreter ins Parlament bringen, aber vorher heißt's arbeiten. Die Regierung hat uns überrumpelt. Man will uns feine Zeit laffen, die Wahlen vorzubereiten, reinfallen sollten wir, aber das wird nicht ge­schehen, den Gefallen werden wir ihnen nicht erweisen." Willst Du mitstimmen?" fragte Elise.

Ob ich will? Natürlich möchte ich, aber ich darf nicht. " Darfst nicht?"

" Ist das nicht sonderbar bei einer allgemeinen Wähler­flasse? Ist bin Desterreicher, bin 24 Jahre alt und doch nicht wahlberechtigt."

Du hast doch nichts begangen?" Er lachte.