Kredit zu nehmen. So stand denn der Stümper auch nur mit ein paar Tausend Mark im Geheimconto der Pommernbank. Jede Ananas, jeder seidene Unterrock, jedes Stiefelchen und Bändchen wurden Meyers in Moabit mit qualvoller Gründlichkeit nachgerechnet. Daß die Meyerin als wohlthätige Frau eimnal de» Bettel von 20 Marl in dem auch lonst vielseitig Wirksanren Brustausschnitt ihres Gewandes verschwinden ließ, wurde ihr vom Staatsanwalt äußerst verdacht. Und selbst der amtierende Kollege des Hofbankpredigers Sello faird keine Worte der Bewunderung für diese Wohlthätigkeit, die bescheiden nur das Mieder wissen läßt, was die Rechte genommen. Wie anders bei den Pommern . Auf dein wohlthätigen X-Conto allein und das Privat conto des Freiherrn v. Mirbach hat sein Geheimnis über- Haupt nicht entschleiert— standen 600 000 Mark, von denen mehr als dieHälfte spurlos in irgend einem magischen Brustausschnitt der Weltgeschichte verschwunden sind, ohne daß Staatsanwalt und Richternach demVerbleib auch nur gefragt hätten. Den wohlthätigen 20M. der Madame Meyer ist die Oeffentlichkeit der Justiz bis in die intimsten Er- scheinungen des menschlich-weiblichen Körperbaues entrüstet gefolgt, die wohlthätigen 350 000 M. des X-Conto blieben unbefragt. Wer mochte auch so gottlos sein, den Spuren der wahrhast großen Ver- diener auf ihren heiligen Bahnen mit roher Neugier zu folgen! Nein, die Kleinen ä la Meyer sollen sich nicht an die Kunst des großen Verdieners wagen! Sie verdienen schon deshalb strenge Strafe, weil sie die gewaltige Kunst lächerlich machen. Indessen, die rechten großen Verdiener sind auch die pommerschen Grenadiere des Bauschwindels noch nicht. Die idealen Vertreter dieser höchsten irdischen Vethätignng kaufen nicht Waren. ohne zu bezahlen, und beleihen nicht Grundstücke über Wert, sie kaufen Arbeit gegen bloße Anzahlung unter Wert. Wer Arbeit kauft und mcht bezahlt, der erfüllt das feierlichste Gebot des kapitalistischen Rechts und der kapitalistischen Rechtlichkeit. Er wird nicht nur der grüßte Verdiener, sondern auch der ausgezeichnetste Ehrenmann. Auch durch den Prozeß Meyer schritt die Lichtgestalt eines solchen größten Verdieners, bor dem sich das Haupt in Ehrfurcht neigte, em Mann und Held, ganz Tugend und Millionär. Er ent- ließ seinen unseligen Redakteur, weil er gegen seine gebietende Instruktion über eine gesperrte Bank eine Notiz gebracht— seinem Stephany sah er mehr nach!— und diese strenge sittliche Er- habenheit belohnt sich dem Besitzer der„Vossischen Zeitung" in unablässig strömendem Golde. So weit dringt der Ruf und die Kraft solcher Tugend, daß selbst die Kuppler ihm ihr Scherflein bringen und in seinem Blatte Aufnahme begehren; entrichten sie aber die tarifmäßigen Jnseratengebühren, so finden sie offene Anne im Hause der erlesenen Tugend. Die Ratschläge, die Herr Meyer seiner Frau für den Umgang mit großen Verdienern erteilte, hat er sicherlich den, Inseratenteil der „Vossischcn Zeitung" entnommen, nur haben fie ihm nicht die Millionen eingebracht, die sein Verleger aus ihrer Jnserierung zog.— «Joe. KUincs fcuülcton. HS. Das Medaillon. Die alte Frau keuchte, als sie die letzte Stiege hoch oben im Hinterhause erstiegen hatte und in ihr Stäbchen trat. Die Knie zitterten; sie mußte sich erst ein Weilchen in dem alten Korbsessel verschnaufen,«he sie das Gesangbuch mit dem Goldschnitt in das schwarze Futteral gleiten ließ und das Kopftuch von dem dünnen, grauen Haar nahm. Langsam, streichelnd glitten die harten Hände über das Tuch, legten es sorgsam in die alten Falten und verwahrten es in der Schublade bei den weißen Wäsche- stücken. Dafür nahmen sie eine frisch beplättcte blaue Schürze heraus. Während die Alte diese umthat und die Bänder knotete, überlegte sie. Es war ihr, als habe sie etwas vergeffcn; als sei ihr Aeußeres noch nicht ganz in dem häuslichen Stande wie sonst. Das passierte ihr neuerdings öfter. Sie mutzte über Dinge grübeln, welche ihr sonst rein mechanisch von Händen gingen. Ein plötzlich auftauchendes Hungergefühl lenkte ihre suchenden Gedanken dann wieder ab und ließ sie nach der Kommode blicken, wo unter einem Glasgehäuse sonst die kleine, goldene Taschenuhr gehangen. Sie war nicht mehr dort. Und nun fiel es der Sinnenden ein, daß sie die Uhr ja der Schwiegertochter, die ihr allsonntäglich ein Mittagessen brachte, geschenkt hatte. Das heißt— die Alte seufzte bei dem Gedanken— nicht eigentlich geschenkt, nein, aber die junge Frau hatte so viel geredet, hatte es so klar bewiesen, daß sie, die Mutter, doch ganz unnütz das schöne Uehrchen da hängen habe, tage- lang unaufgezogen.... Ein Klopfen. Die alte Frau schrak auS ihrem Nachdenken, entriegelte die Thür und ließ die Schwiegertochter mit dem Essen- korbe herein. Die stöhnte:„Es ist wirUich kein Vergnügen, hier zu Dir theraufzuUettern. Hier," sie begann, den Korb auszupacken,»da bringe ich Dir wieder etwas recht Schönes. Eine Suppe, wie Du sie in keinem Restaurant bekommst. Sieh nur die Fettaugen I Und hier, ein Stück Geschmortes, da kann sich eine ganze Familie dran satt essen. Du hast sicher noch zum Abend davon. Da, da ist auch Salat; ganz frischer Salat in saurer Sahne, Nun, was sagst Du dazu?" Die Alte lächelte zufrieden:»O, ich danke Dir. Wenn Dst wüßtest, was ich schon für einen Hunger hatte!" Sie setzte sich eilfertig zu Tisch.„Du kochst gut, Martha, sehr gut. Ein wahrer Segen für Franz, daß er solche Frau—" sie stockte und löffelte eifrig die Suppe.„Es ist ein richtiger Festtag für mich, Martha. Der Sonntag, mein' ich. Denn in der Woche steht's sehr schlecht um meinen Tisch, wie Du weißt." „Uns geht es nicht viel besser," erwiderte die Tochter.„Trotz, dem, wenn Du Dich entschließen könntest, täglich herumzu, .kommen.. „Nein!" Die Alte wehrte heftig ab.„Es ist mir zu um- ständlich. Und dann," fügte sie wie für sich selber hinzu,„mag ich auch keinem zur Last werden." Die junge Frau hörte das letzte nicht mehr. Ihr Blick heftete sich mit einem Ausdruck der Ueberraschung und Gier tuf einen glänzenden Gegenstand am Sammethalsbande der Schwiegermutter. „Was ist denn das?" Die Alte verschüttete vor Schreck einen Löffel voll Suppe und griff mit der Linken zum Halse:„Das Medaillon?" Dabei fiels ihr ein, daß sie vorhin auf dieses gesonnen und'es abzulegen ver- gessen hatte. „Das ist doch echtes Gold, lvie?'" „Nein, o nein! Ich glaube nicht, daß es echt fft" Tic alte Frau sah ängstlich auf die Tochter, welche aufgestanden war und sich ihr näherte. „Gewiß, ist es echt!" Und mit Vorwurf:„Ich habe es noch nie bei Dir gesehen." „Ich trage es nur zum Kirchgange.'" Und, als wollte sie dem Kommenden vorbeugen, fügte die Mutter mit Angst und Hast hinzu: „Es ist das letzte Andenken an meinen Seligen. Mein Liebstes, was ich habe. Sein Bild ist drin. Sein Bild, wie er jung war." „Ein schönes Medaillon." Die andre ließ es durch die Finger gleiten.„Schwer und gediegen." Sie nestelte am Bande.„Ich darf es mir doch einmal gründlich besehen?" „Nein." Die Alte zitterte.„Nein, laß es.,, laß es sein." Sie preßte beide Hände wie zum Schutz an Hals und Band. „Mein Gott, Hab' Dich doch nichtl" Ein unwilliger Ruck und sie hatte das Medaillon in der Hand. Dann trat sie zum Spiegel und legte sich's vor:„Es würde mir gut stehen." Und nachdem sie sich ein Weilchen bespiegelt:„Willst Du es mir nicht für heuts Nachmittag leihen?" „Es ist das Letzte, Martha." „Leihen, Mutterchen, leihen." Schmeichelnd klang es. „Nein." Die Alte saß in ratloser Angst.„Ich muß zuweilen sein Bild sehen." Bittend:„Gieb es mir wieder, Martha." Die hatte eine Nadel aus dem Haar gezogen:„O, daS Bild nehmen wir einfach heraus;" sie begann in dem Medaillon herum- zustochern. Die Alte zitterte am ganzen Leibe, der Löffel fuhr klirrend auf dem leeren Teller umher. Plötzlich sprang sie auf:„Gieb her!" Das Medaillon war schon in ihrer Hand.„Meine Uhr hast Du genommen und alles. Nun auch noch das! Ich geb' es nichtl Hörst Du: es ist das Letzte und ich geb' es nichtl" Die Tochter war blaß geworden:„So? Auftrumpfen willst Du? Soll ich einmal rechnen, was ich schon gegeben habe? Hier, das schöne Mittagessen jeden Sonntag...." „Du kannst es behalten!" Die Alte keuchte und packte alles zurück in den Korb.„Da, da, behalt's nur. Behalt's nur! Ich will es nicht... will es nicht..." „Du sollst mir das Medaillon doch nur leihen, nicht schenken." „Leihen? Leihen? O, Du, das kenn' ich! Das kenn' ich!" Die Augen der alten Frau begannen zu funkeln.„Du weißt wohl nicht, was Du Dir alles von mir geliehen hast. Aber nichts Hab' ich wiedergesehen, nichts! Doppelt ist Dein Esfen bezahlt! Dreifach!" „Gut!" Die Schwiegertochter setzte eine beleidigte Miene auf und nahm den Korb. An der Thür wandte sie sich noch einmal:„Ich gehe. Entlveder Du giebst mir das Medaillon oder ich bringe Dir keinen Teller Suppe mehr!" „Ich will nichts mehr haben von Dir! Nichts, nichts, nichts! Geh' nur, Du... Du...!" Sic sank schluchzend in ihren Korb- stuhl. Und während die Tochter mit bösem Gesicht die Treppe hinab- stieg, küßte die Alte das Medaillon, halb weinend, halb lachend.—< ie. Reisekrankhciten. Wer von Reisekrankheitcn hört, wird natürlich zuerst an die Seekrankheit denken, die auch ohne Zweifel das häufigste solcher Leiden ist, und zwar in dem Grade, daß eins vollkommene Seetüchtigkeit bei Vergnügungsreisenden mehr zu den Ausnahmen gerechnet wird. Aber auch die heutigen Befördcrungs- mittel zu Lande lassen sich nicht so ganz weißbrcnnen. Seit der Einführung der langen Durchgangswagen auf den Eisenbahnen kann man von vielen Fällen einer Erkrankung an starker Ucbelkeit hören. die sich auf der Eisenbahn ereignen und eine auffallende Aehnlichkeih mit den nur allzubekannten Erscheinungen der Seekrankheit auf- weisen. Es ist anzuerkennen, daß die Durchgmigswagen auf den deutschen Eisenbahnen im allgemeinen ziemlich glatt laufen und für die meisten Leute sogar ein angenehmeres Beförderungsmittel dar-, stellen als die älteren Eisenbahnwagen. Personen aber, die nach der
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21 (10.7.1904) 134
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