AnterhaltungsSlatt des HorwärlsNr. 163. Freitag, den 19. August.' 1904kNachdruck verboten.)«t Vie fwckt.Von K. Bagrynowski.„Sobald komm' ich nicht wieder her!" dachte Tscherewin,indem er sich fester in seinen Pelz hüllte und sich immer mehrvon der Hütte der Verbannten entfernte.„Die Brauseköpfe! Wieder ist ein Komplott imGänge. Sie verbergen mir etwas. Ich bin nicht verpflichtet,mit ihnen zu Grunde zu gehen, besonders wenn sie mir nichttrauen..."„Warum habt Ihr ihm nichts gesagt?" rügte Woronindie Genossen, als Tscherewin fort war.„Siehst Du, Wronjo, bei Tage schläfst Du und in derNacht liest Du weise Bücher und stellst Berechnungen an, daherkannst Du natürlich nichts wissen, was in der Welt vorgeht,"scherzte Niehorski.�„Tscherewin verkehrt zu viel mit jenen— Herren. Es ist zu seinem eignen Wohl, wenn er nichtsweiß. Wenn er mal eins über den Durst getrunken hat,könnte er sich einem dieser ehrenwerten Leute gegenüber ver-plappern. Er ist weder gewandt, noch erfahren. Jetzt wieder:wozu hat er sich in die lächerliche und häßliche Affaire Mußjagemischt? Wozu hat er sich dem Doktor gegenüber gerecht-fertigt, uns hineingezogen und den Jsprawnik bloßgestellt?Er konnte es doch voraussehen, daß d i e einander nichts an-haben werden, und daß er es wird büßen müssen... Es hatden Anschein, als verteidige er uns, aber je mehr sie an unsdenken, desto schlimmer ist's für uns."„Uebrigens ist's iinmer ain besten, wenn die Dinge fürsich selbst reden. Es thut nicht gut. den Ereignissen durchKommentare zuvorzukommen. Der Eindruck wird dadurchgeschwächt," fügte Alerandroff hinzu.„Das trifft nicht immer zu. Wir hätten Mußja höflicherbehandeln, ihm eine Erklärung geben sollen: ich bin über-zeugt, er hat die Dummheit gemacht, weil er uits gram ist.Jetzt werden wir auch mit den Losen auf Schwierigkeitenstoßen." flüsterte Krassuski mißmutig.Niehorski sah ihn mit einem langen Blick an, ließ dieFaust, auf die er den Kopf stützte, schwer aus den Tisch sinkenund sagte:„Das ist umsonst: wo Bäume fallen, müssen Splitterfliegen. Wenn wir höflich geblieben wären, wären wir ihnnie los geworden. Solchen Menschen gegenüber muß manmit Entschiedenheit auftreten und alle Gefühlsseligkeit fürbessere Zeiten aufsparen. Uebrigens kannst Tu sicher sein,daß Mußja es weniger empfunden hat als Tu."„Wir werden uns noch, weiß Gott wo hineinreden,"gab Krassuski mürrisch zurück, indem er aufstand. Mußjathat ihm leid. Er hatte so viele Nächte mit ihm unter einemDache zugebracht, hatte ihm so manchen Schabernack gespieltund iminer nur ein Lächeln zur Antwort erhalten... Erwar ja nicht geistreich, aber doch so gut zu leiden.„Der arme Kerl, ist's denn seine Schuld, daß er unteruns geraten ist: eher sind wir selbst schuld daran," dachte ermit der erfrischenden Naivität seines zwanzigjährigenHerzens. Er mußte lächeln, als ihm die Schilderung einfiel,die der Franzose von seinem politischen Erlebnis gemacht hatte.„Ich war mit Proben von Galanteriewaren nach Petersburggekommen. Ich begegnete einem Freunde aus Paris, undwir fuhren nach der Insel Arkadien, uns einen fröhlichenAbend zu machen. Wir plauderten über dies und jenes. Erwar Bonapartist, ich desgleichen. Wir tranken eine Flasche.dann noch eine. Es wurde uns etwas wüst im Kopfe.„WeißtDu was," sagt er,„ich will Dir ein hübsches Lied vorsingen,es wird hier allgemein gesungen— nach der Melodie derMarsailleise, aber die Worte sind wehmütiger."„Wenn'sallgemein gesungen wird, dann los," sag' ich.„denn mit demrussischen Staat will ich«in Neutralität" bleiben."„Ja doch,alle singen's," versicherte er und sagte mir die Worte aufrussisch vor:Nach Frankreich zogen zwei Grenadier IDie waren in Rußland gefangen.Er hatte eine hübsche Stimme und ich hielt ihm ganzgut stand.,. Bald waren wir von Zuhörern umringt.Damen, junge Mädchen, Kavaliere. Sie klatschten unsBeifall. Und als die Worte kamen:Der Kaiser, der Kaiser gefangen!rief jemand:„vis!" Also wir noch einmal:Der Kaiser, der Kaiser gefangen!Wieder:„Bis!" und wir wieder:Der Kaiser, der Kaiser gefangen!Ich schloß die Augen, um besser singen zu können undwiederholte:Der Kaiser, der Kaiser gefangen!Da tippt mir jemand auf die Schulter.-. Ich sehmich um:'s ist niemand mehr da— nur der Polizeikommissarsteht vor mir.„Folgen Sie mir!"„Weshalb?"„Nur nichtviel Worte gemacht!" Sie packten mich in eine Droschke undbrachten mich fort. Dann wurde ein Protokoll aufgesetzt undich ins Gefängnis gesteckt. Eine lange Zeit saß ich da, batund schrieb, endlich fragten sie mich, aber nur wenig. Sieließen mich nicht mal ordentlich zu Worte kommen. Gleichhieß es:„Hören Sie auf. nicht viel Worte gemacht." Siesteckten mich wieder ins Gefängnis, wieder saß ich dort einhalbes Jahr und dann wurde mir das Urteil vorgelesen, indem stand, daß ich„wegen Majestätsbcleidigung" zur Ver-bannung verurteilt wäre: ich mußte etwas unterschreibenund dann brachten sie inich hierher. Der Kaiser soll damals,nach den Altentaten, wirklich sein Palais nie verlassenhaben!... Aber was konnte ich davon wissen! Ich sagte,ich wüßte von nichts, ich wäre eben aus Wien gekommen. Sieschüttelten den Kops. Und wenn ich noch was sagen will,heißt's:„Nur nicht viel Worte gemacht!" Ich wiederholeihnen, ich sei„Neutralität", aber es half nichts.— Jetzt aber— Basta! Jetzt ist's aus, jetzt mögen sie sich in acht nehmen!"schrie Mußja gewöhnlich, wenn er zri Ende war. Krassuskisah die blitzenden Aeuglein des Franzosen vor sich, den zer-zausten Bart, die geballte Faust, und lachte.„Der armeKerl! Morgen geh' ich zu ihm."Als er am nächsten Tage in Mußjas Jurte trat, fand erPjetroff und Gliksberg bei ihm, die ostentatiös„Thee"tranken. Es war das ein drohender, stillschweigender„Winkder auswärtigen Mächte" Alexandroff und den„andernAnarchisten" gegenüber, die schlecht mit dem„Genossen" um-gegangen waren.„Wir sind nicht von denen, die glauben, es sei zulässig,ein Individuum gegen seinen Willen auf dem Altar irgendeiner Idee zu opfern. Solch eine Idee hat keinen Wert. Nurdie Ideen sind reif, die in einer gegebenen Epoche von derMehrheit der Menschen verstanden werden und deren man sichnicht zu schämen brmicht. Was hilft eine Idee, die keinenBoden hat!" setzte Pjetroff weitläufig und langweilig aus-einander.„Lesen Sie das bei Spencer nach!" redete Gliksbergin vollem Ernst Krassuski zu.„Laßt mich in Ruhe!" rief der junge Mann. Es warihm peinlich, sie über Alexandrosf und Niehorski herziehenzu hören. Mit seiner Beredtsamkeit war es überhaupt nichtweit her, russisch sprach er, aber sehr schlecht, und ließ sichdaher in keine Erörtcruicgen ein, sah nur ärgerlich drein undzupfte trotzig an seinem kleinen Schnurrbart. Er hatte diegrößte Lust,' fortzugehen, aber Mußja sah ihn so wehmütigan, daß er blieb und plötzlich lustig anfing zu erzählen, wieer vor kurzem auf der Jagd gewesen, wie er sich verirrt hatteund die Finger ihm fast abgefroren wären.Mußja fiel auch der Sonnenstich ein. der ihn einst inAlgier fast ums Leben gebracht. Pjetroff und Gliksbergwaren anfangs über die„sinnlosen" Reden entrüstet undsetzten eine kühle und abweisende Miene auf: nach und�nachaber kamen ihnen auch verschiedene Abenteuer in den Sinn,die sie erlebt hatten, ihre Empörung legte sich, und sie bliebenplaudernd bis spät in die Nacht sitzen.Mußja konnte kaum so viel Thee kochen, wie sie trinkenwollten.Seltucha, die sich im stillen satt gegessen und getrunkenhatte, wie noch nie in ihrem Leben, bekam eine hohe Meinungvon ihrem neuen Einwohner.„Der Franzos ist klug, er stellt sich nur so dumm an.Ihr hättet sehen sollen, wie die„Verbrecher" ihn küßten undumarmten! Und diese Menge Thee, die sie getrunken