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Bracht. Nun müssen Sie nur noch Thee   aufbrühen und uns was zut essen geben." Eugenie zündete eine Kerze an und ging in den an­Stoßenden Raum. Samuel stand auf und folgte ihr. Wenn Sie erlauben, will ich Ihnen leuchten."

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" Ich danke. Bemühen Sie sich nicht."

" Ich bin eben beim Isprawnik gewesen!" fügte er leiser hinzu.

" Hat er Sie rufen lassen? Er hat sich wohl nach dem Pferde erkundigt?"

" Ja. Er hat gefragt, ob es wahr sei, daß Sie das Pferd einem Zafuten verkauft haben, denn er habe es selbst kaufen wollen. Berstehen Sie? Was soll ihm das Pferd? Er hat schon ein Paar. Ich denke, der Jakut   ist eine Finte und alles andre auch. Sie ahnen etwas und haben eine ganze Kabale ersonnen, um die Wahrheit herauszufriegen und das Pferd zu konfiszieren." Ian ,, Und was jagt mein Mann dazu? Haben Sie mit ihm gesprochen?"

" Ich hab' gesagt, das Pferd wird verkauft!" rief Arkanoff aus dem andern Zimmer.

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Das Pferd braucht Herr Jan. Er fährt Heu. Er hat das Pferd fast das ganze Jahr hindurch gefüttert. Ich finde es nicht in der Ordnung, ihm das Tier jetzt zu nehmen. Mag er es bis zum Frühling behalten."

Ich will ihm lieber ein paar Rubel geben, daß er sich ein andres mieten kann. Ich habe keine Luft, so lange zu warten, bis das Pferd konfisziert wird und wir in die Batsche kommen. Ich bin überzeugt, sie haben Wind von der ganzen Geschichte, und es wird gar nicht mehr lange dauern, bis die Untersuchung eingeleitet wird. Und um das Maß voll zu machen, waren die Donquichotte noch wißig genug, zu sagen, das Pferd gehöre mir."

" Das war wirklich eine Dummheit," stimmte ihm Ticherewin bei.

Eugenie stellte ihre Tasse zornig auf den Tisch.

Sie müssen meinem Manne immer ohne Grund Angst machen. Wie fommt Ihr nur auf eine Untersuchung? Alle find an Ort und Stelle. In den Bergen hat sie niemand ge­sehen. Es können also nur Vermutungen im Spiele sein, und dagegen ist nichts zu machen. Wenn wir es mit unsrer Vor- und Einsicht erst soweit gebracht haben, wie Sie es wünschen, dann werden wir uns wohl vor unserm eignen Schatten in acht nehmen."

phon

med 1804.

( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Eduard Mörike  .

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8. September.

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1904.

Was ist es mit diesem Dichter, dessen Name heute, wo sein Geburtstag sich zum hundertsten Male jährt, lauter und weiter tlingen wird als je zuvor? Als er vor fast dreißig Jahren, in einer Zeit, die allem dichterischen Wesen mit ungeheuerlicher Ver­ständnislosigkeit gegenüberstand, starb, schrieb kein Geringerer als der Dichter Gottfried Keller  : Wenn sein Tod nun seine Werke nicht unter die Leute bringt, so ist ihnen nicht zu helfen, nämlich den Leuten." Damals war den Leuten allerdings nicht zu helfen, und auch heute noch ist der Sieg, den Mörites Dichtungen über die Zeit errungen, kein Sieg, der sich Maffen unterworfen hat. Aber aus der Stille heraus machen die Werke ihren Weg, langsam aber ficher, in immer größere Streise hinein, und das Urteil steht fest: Mörike   ist einer der wenigen Dichter aus der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, die zukünftigem ästhetischen Genußbegehren etivas zu schenken wußten,

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gleich Erzieher und Propheten für ihre Nation sind, und sie sind bei weitem die einflußreicheren; es giebt aber andre, die nur Künstler sind und sein wollen, sie bieten, was nur die Kunst bieten kann: Ergänzung der Wirklichkeit, Erfüllung des Lebens; zu diesen reinen Künstlern gehört Mörike  ." Man lege den Nachdrud auf den Wirklichkeitscharakter der Dichtung Mörifes und man weiß, weshalb er, der längst gestorben, in der Gegenwart neu zum Leben ge­langen kann.

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Man fühlt sich versucht, bei Mörikes Namen eine Abhandlung über Kunst zu schreiben und die Zeit ganz zu vergessen, der sein Leben angehörte. Und doch wieder, wenn wir seine Art an dem Gesamtbilde seiner Zeit messen, gewinnen wir ein wichtiges den tiefen Gehalt feiner Schöpfungen zit Element, war ein Mensch und Mensch der Einsamkeit würdigen: Stille des äußeren Lebens, aber einer, der mit wachen Sinnen aus der Enge in die Weite spähte und gesund zu wägen und fich zu begeistern wußte. Er mochte in der Natur gern von der Höhe in die lichte Weite sehen, und so auch im Leben und zu den Dingen der Wirklichkeit. Er hatte ein Urteil, das von der Philisterhaftigkeit seiner Gegenwart frei war und das Richtige ohne Grübeln, gleichsam instinktiv fand, aber er war weder Forscher noch Kämpfer. Er konnte sich wohl ins Kleine versenken, aber nicht ins Kleinliche verlieren, er wußte vielmehr das Große und die Größe zu nehmen, und ihm wurde wohl, wenn er den Großen menschlich vor sich sah, wie Goethe fich in Dichtung und Wahrheit gegeben. Und mit diesem Wesen lebte er in einer engen fleinen Weltlichkeit, die ihre zeitlichen Kämpfe nicht groß zu führen vermochte, weil sie noch tief in den Kinder­schuhen steckte. Aus folchen Zügen gemischt, von solchen Bedingungen der Umwelt berührt war der Mensch, der hinter den Dichtungen, die Mörifes Namen tragen, stand.

Mörife, der in Ludwigsburg   als Sohn eines für die spekulative Naturphilosophie der Romantik begeisterten Arztes geboren, in Tübingen   zum Theologen gebildet, dann schwäbischer Dorfpfarr­vifar und endlich Pfarrer in Cleverfulzbach wurde, stand in engster persönlicher Fühlung zur schwäbischen Dichterschule, deren Häupter Juftinus Kerner, Ludwig Uhland  , Gustav Schwab   waren. Es wäre aber verkehrt, ihn in den Ring dieser Schwabendichter einspannen zu wollen. Ihre Grenzung war seiner Kunst zu eng. Eben weil fie reinste, am Urquell menschlichen Empfindens aufgefangene Kunst war. Zu ihm ziehen Fäden von ganz andrer Seite. Mörifes Nei­gung für Schiller und den unglücklichen Hölderlin giebt einen Finger­zeig. Antikes und Nomantisches mischte sich in ihm.

Seine litterarische Stellung tritt deutlicher noch hervor, wenn man seine Gegnerschaft gegen den eklektischen Formentünstler Rickert und gegen die von der radikal- politisch gerichteten bürgerlichen Tagesmeinung getragene Bewegung des jungen Deutschland   be­achtet. Er stellte sich gegen Guztow und fühlte sich von Heine geradezu abgestoßen. Bei Heine vermißte er den Geist der Wahr­haftigteit so sehr war dieser Dichter seinem inneren Wesen fremd. Zwischen Heine und den schwäbischen Dichtern gab es fein friedliches Dulden; man bekämpfte, verspottete sich, lehnte sich gegenseitig ab, und Mörike   nahm an dieser Stimmung teil. Er hatte auch an der politischen Lyrik der vierziger Jahre feine Lust und spitte in den Briefen an seine Freunde manchen Spottpfeil über Herwegh  . In alledem wirkte vornehmlich seine fünstlerische Ueberzeugung. Politik war ihm in fünstlerischer Form eint Unding. Ein paar wenig bedeutende Verse über Königsmoral sind alles, was in poetischer Form die politische Gefiunung Mörites berrät. Er war fein erdentrückter Jdealist und nahm an der poli­tischen Bewegung seiner Zeit mit ganzem Herzen teil. Die deutsch­nationale Tendenz, die als Erbteil der Romantit in der schwäbischen Dichterschule lebendig war, giebt die Farbe seiner politischen Ge­Sand, der Kotzebue   erdolchte, geschwärmt. Das burschenschaftliche, finnung an. Als Schüler schon hatte Mörife für den Burschenschafter spielerische Drum und Dran stieß ihn aber ab, und mit radikalem Wesen, das ihn zu lebhafterer Teilnahme an den Ereignissen von 1830 gebracht haben könnte, hatte er feine Berührung. Er trat ſeinen Pfarrdienst an, der ihm gar nicht zusagte, machte einen Versuch, sich im freien schriftstellerischen Berufe fein allzeit tnappes Brot zu er­werben, fehrte aber schnell in seine pfarrdörfliche Weltabgeschieden heit zurück und bielt sich die pfarramtlichen Pflichten nach Möglichkeit vom Leibe. Nervöse Kränklichkeit brachten deni kaum vierzigjährigen bereits die Pensionierung. Ein Wort von ihm war: Echte Dichterschaft verförpert eine Kraftwirkung der Kultur, und es fommit nur auf einen männlichen Entschluß an, um auch inner­so auch ist es mit dem Verständnis für diese Dichterschaft. Die halb des Kirchendienstes der ganze ungeteilte Mensch zu bleiben." Maffe der Zeitgenossen Mörites hatte sehr wohl Dichter, die fie Jetzt hatte er ganz seine Freiheit und fonnte er feinen Reigungen leben. Er that es, versorgt von seiner Schwester Klara, in land­fannte, auch wirkliche" Dichter, aber die ganz besondere Art, zu der ein Mörile zählte, ging ihr freilich nicht ein. Ihr noch nicht. licher Stille, schrieb an fleineren Dichtungen, sammelte Bersteine Es fehlte die kulturelle Reife, die ein inneres Bedürfnis nach dieser rungen, trieb Töpferei und unterhielt mit seinen Freunden emsig brieflichen Verkehr. höchsten geistigen Wirkung erreichter Kultur erzeugen konnte. Die Lieder, Stimmungen, Balladen, epische Dichtungen, Märchen, Majse mußte erft hineinwachsen in das, was sich über dem Boden, Novellen, einen Noman hat Mörike   geschaffen. Früh begann fein auf dem sie in der Niederung von einem Wirrsal von Hemmungen Wert, langsam schritt es vor, und das Alter Mörife starb am umfesselt lag, als geistige Frucht, von einzelnen getragen, hoch 4. Juni 1875- fügte nur wenig mehr zu den Gaben der Jugend emporwölbte. Auch was Mörits in fich trug und in seinem und Manneszeit hinzu. In vier nicht allzu starken Bänden*) liegt gemächlichen Schaffen spendete zählte im großen Strome das Lebenswert des Dichters vereinigt, aber die vier Bände bergen des Werdens und war ein Element seiner von materiellen einen goldenen Schatz. Mörike   war nicht ein Dichter, der die Muse Triebfräften im wesentlichen anders als er gerichteten Zeit. In einem der jüngst über Mörite veröffentlichten Werke, einem zu sich zwang: er war ja ein wirklicher Dichter, der zu warten fritischen Buche Karl Fischers, heißt es: Die Dichter sind es vor allem, weiß, bis dichterische Offenbarung in ihm aufquillt und die Dinge die diejenigen Instinkte ihres Volkes wach erhalten, die in be­

stimmten Zeitabschnitten unterdrückt sind. Es giebt Dichter, die zu

*) Leipzig  , G. 3. Göschensche Verlagshandlung.