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" Ich würde vierzig vorziehen."

" Ich auch. Na, verlasse Dich also auf Deinen Freund und Kollegen Boury! Der wird die Sache schon machen!"

II.

Kleines feuilleton.

Der Bureauchef nahm die Depesche, welche Miteur ihm Wie die erste Versammlung am Montag, so stand auch diese lette schweigend reichte, sezte seine Brille auf und las.

"

Ist es eine Erbtante?" fragte er.

Miteur nickte.

Eine kleine Erbschaft?" forschte der Vorgesehte weiter.

"

Ich hoffe, eine große. Vielleicht 150 000:

" Sie Glückspilz! Also schön! Ich gebe Ihnen zwei Tage Urlaub, und wenn Ihre Angelegenheiten eine Verlängerung des Urlaubs erfordern, benachrichtigen Sie mich per Telegramm!" Miteur verließ auf der Stelle das Bureau.

Kaum hatte er die Thür hinter sich geschlossen, als die ver­haltene Spannung sich in lauten, heftigen Reden und Ausrufen Luft machte. Bosheit und Neid der lieben Kollegen feierten wahre Orgien!

bleiben."

Hundertundfünfzigtausend Frank! Solch ein Glückskind!" " Mir tann so etwas natürlich nicht passieren!" " Selbstverständlich wird er keine Tag länger im Dienst Was denken Sie! Er wird natürlich von seinen Renten " Von seinen Renten! Soll ich Ihnen ganz offen meine Meinung sagen? Nun, die Leute, die von ihren Renten leben, sind durch die Bank Spitzbuben!"

Teben!"

Rentier! Das ist noch der einzige Beruf, der ihm bei seiner Faulheit zusagen wird!"

"

Zu etwas anderm taugt er in der That nicht!"

er

Er

bt. Die 76. Bersammlung deutscher Naturforscher und Aerzte hielt am Freitag ihre Schlußfißung ab, eine allgemeine Versammlung fämtlicher Abteilungen mit Vorträgen von allgemeinem Intereffe unter dem Zeichen der Entwicklungsmechanik. Zunächst wurde ein bedeutsamer Vortrag über Verbrennungs- Kraft. maschinen gehalten. Dann sprach Prof. Haberlandta Graz über Sinnesorgane im Pflanzenreiche". zeigte, wie feit der ersten Beobachtung besonders fenfibler Teile an Pfangen, die lange Jahrzehnte hindurch lediglich als eine Kuriosität bemerkt wurden, das eindringende Studium gezeigt hat, daß Tast oder Fühlorgane, Organe zur Empfindung der Schwerkraft und solche zur Empfindung von Lichtreizen bei vielen Pflanzen vor­tommen. Ob bei Pflanzen auch Sinnesorgane zur Empfindung chemischer Reize, unsern Geschmacks- und Geruchsorganen ver gleichbar, sich finden, muß vorläufig dahingestellt bleiben. Aber ein principieller Unterschied zwischen Tier- und Pflanzenreich ist nicht vorhanden, weder in physiologischer noch in anatomischer Hinsicht, vielmehr ist auf keinem Gebiete des anatomischen und histologischen Aufbaues die Aehnlichkeit zwischen Tier und Pflanze so groß, wie auf dem Gebiete der Sinnesorgane, und vielleicht darf man folgern, daß physische Vorgänge hier wie dort die Aufnahme der Reize be gleiten. Jedenfalls ist gerade das Gebiet der Einnesorgane, das Tier - und Pflanzenreich am tiefgreifendsten zu trennen schien, zu einer weitspannenden Brücke zwischen beiden geworden. Der letzte Vortrag führte vollständig in das Gebiet der Enta widlungsmechanik zurüd. Er wurde von Prof. Rhumbler­Göttingen über 3ellenmechanik und Zellenleben" gehalten; der Vortragende ging auf eine Reihe einzelner Era bon Kräften gehalten, welche lediglich lebenden Wesen zukommen, jetzt aber auf einfache physikalische Ursachen zurückgeführt sind. Freilich ist es noch nicht gelungen, sämtliche Lebensbethätigungen der Zellen ganz restlos physikalisch und chemisch zu erklären, doch ist die Annahme einer besonderen, nur bei der lebenden Substanz wirt samen Energie für die Zelle keineswegs nötig; sollte sie nötig werden, so müßte diese Energie natürlich dem Kausalgesetz unterworfen sein. Aber aus der bloßen Zweckmäßigkeit der Lebensäußerungen auf eine solche Energie zu schließen, ist unnötig; denn Unzweckmäßiges fonnte fich überhaupt nicht im organischen Leben entwickeln. Wir haben schon bei der Erwähnung von Roug Vortrag be­merkt, daß ein Austragen der Streitfragen, um die es sich hier handelt, auf der Naturforscher- Versammlung nicht gut möglicht. wir fügen heute hinzu, daß die Vorträge zwar ein wertvolles Bild aber doch nur ein einseitiges Bild, da die bekämpften Anschauungen der in der biologischen Wissenschaft vorhandenen Strömungen geben, nicht durch eigne Vertreter zu Worte kamen.

" Nichtsdestoweniger wird er uns von nun ab sehr über die scheinungen im Zellenleben ein, die man früher für Aeußerungen Achsel ansehen

Natürlich!"

" Auf diese Erbschaft hat er schon lange gewartet. Wie er seiner Tante Josephine schmeichelte, ekelhaft schmeichelte!" Ein Beamter erinnerte sich, einmal gesehen zu haben, wie Miteur, der immer mit seinem Atheismus prahlte, seine Tante in die Messe begleitete. Und er schilderte die Tante bis ins fleinste Detail: flein, häßlich, bucklig.

" Ich wette, bemerkte ein andrer," Miteur wird uns nicht einmal einen Schmaus geben!"

" Das wäre ja noch schöner!" rief der Bureauchef. Ich hoffe fogar, er wird uns zu einem folennen Champagnerdiner einladen!" Bahl Er wird sich noch viel um uns fümmern!" " Ich meine," sagte Boury, der bis dahin geschwiegen hatte, ,, ich meine, es giebt ein ganz einfaches Mittel, ihn dazu zu zwingen. Wie auf Kommando verstummten die Kollegen. Aller Blicke hingen gespannt an Bourys Munde, der also fortfuhr:

Ein ganz einfaches Mittel: wir müßten zusammenlegen und einen Kranz für Tante Josephine kaufen. Wenn Miteur uns nicht dafür mit einem Festmahl, würdig eines Lukullus, dankt, ist er der Undankbarste der Undankbaren!"

Und wir dürfen ihm offen ins Geficht sagen, was wir von ihm denken!" rief Vater Patrice, ein alter, cholerischer, dabei ziemlich bornierter Sekretär, der seit zwanzig Jahren vergebens auf Zulage hoffte und inzwischen seine Zeit damit verbrachte, auf die Chefs, die Kollegen, das Leben, furz, auf alles zu schimpfen. Ich zeichne fünfzig Centimes!"

Man ließ eine Liste cirkulieren. Im Nu waren dreiundvierzig Frank gesammelt. Boury erhielt den Auftrag, einen Kranz zu kaufen und das Bureau beim Leichenbegängnis Tante Josephines zu repräsentieren.

III.

Meine angeborene Diskretion verbietet mir, die tollen Streiche der beiden Komplicen und ihrer Freundinnen zu erzählen. Die dreiundvierzig Frank wurden bis auf den letzten Sous berjubelt. IV.

" Was sehe ich, Herr Miteur?" rief der Bureauchef. Sie tragen nicht Trauer um Ihre Tante?"

" Ich denke nicht daran!" erwiderte Miteur, bemüht, eine fläg­liche Miene aufzusehen. Ich denke gar nicht daran! Sie hat mich enterbt!"

"

Es ist schmachvoll!" bekräftigte Boury.

Obwohl diese Nachricht alle Träume von Gelagen und Schmausen zerstörte, nahmen die lieben Kollegen sie doch mit unverhohlener Freude auf. Gott sei Dank, daß Miteug der nämliche bleibt, der er bisher war! Schon der bloße Gedanke, daß er diese Atmosphäre der staubigen Aktenfaszikel, der abgenügten Lederstühle verlassen fönnte, hätte genügt, den Rest ihres Lebens zu vergiften.

Mir thun meine fünfzig Centimes nicht leid," erklärte Vater Patrice. Der Bureauchef, ebenfalls glücklich über das Mißgeschick seines Untergebenen, erging sich in längeren, philosophischen Betrachtungen. Er citierte die Fabel bom Milchmädchen mit dem Milchtopf. Er er­innerte daran, daß man hinieden nu auf seine Arbeit zählen dürfe. Miteur hätte Unrecht gethan, so viel Hoffnung auf die Erb­schaft seiner Tante zu sehen. Die Leftion, welche er erhalten, sei wohlverdient. Sie sei vielleicht ein wenig hart, aber dennoch... Uebrigens," schloß er, bedauere auch ich nicht mein Geld." Wir erst recht nicht! dachten die beiden Komplicen,

Einheitlicher sind die Bestrebungen sämtlicher Naturforscher, so weit es sich um eine bessere Würdigung der Naturwissenschaften im gesamten Leben handelt. Am Donnerstag fand eine Tagung statt, in welcher über eine Reform des mathematisch naturwissenschaftlichen Unterrichtes beraten wurde. Herausgekommen ist nicht viel; die weitere Beratung wurde einer Kommission übergeben. Aber allseitig wurde die Notwendigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis zum Verständnis unsrer Kultur hervorgehoben.

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führer der Gesellschaft es oblag, die Versammlung zu schließen, ge Prof. Ladenburg - Breslau , dem als zweiten Geschäfts­dachte dieser am Tage vorher stattgehabten Diskussion; an sie an­knüpfend sprach er den Wunsch aus, daß die Versammlung mit dazu beitragen möge, eine verständnisvollere Würdigung der Natur­wissenschaften herbeizuführen.

Der Wunsch ist berechtigt; denn thatsächlich gilt größte Inta fenntnis auf naturwissenschaftlichem Gebiete in gebildeten Kreifen nicht als ein Mangel. In den weniger gebildeten Schichten dagegen, bei Arbeitern, wird die Naturwissenschaft durchaus nach ihrem Werte geschätzt. Möchten nur auch die Vertreter derselben dem Wissens­bedürfnis der Massen mehr Rechnung tragen, 3. B. durch Ver­anstaltung öffentlicher Versammlungen im Anschluß an die Tagung wählt worden.

Als Ort für die Tagung des nächsten Jahres ist Meran ges wählt worden.

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Der Kriegskorrespondent am Kochtopf. Aus London wird der" Frankfurter Zeitung " berichtet: Mit grimmigem Humor schildert Mr. Simpson, der Kriegskorrespondent des Daily Tele graph", wie es den Berichterstatter in der Mandschurei geht. Unter der Ueberschrift Die Mandschurei im Schlamm, eine furze, aber interessante Reise", schreibt er aus Liaujang Wie schnell doch ein Haus ein Heim wird! In der Mandschurei steigt jeder Kofen, der notdürftig Schuh gewährt, zu dieser Würde. Er wird mit Ehrerbietung, wenn nicht mit Liebe betrachtet, und man tehrt zu ihm zurück, wie zu einem Ruhehafen. Unser Heim" lag auf der russischen Seite eines großen Hügels. In dem Hause befand sich ein einziger Chinese. Sonst war nichts darin zu finden. Sogar die Matten vom Fußboden waren weggenommen worden. Was von den Rahmen der zerbrochenen Fenster noch übriggeblieben war, diente zusammen mit Maishalmen zur Füllung des Ofens, der auch bald den ganzen Raum behaglich einräucherte. Das Wasser lief uns aus den Augen, und wir mußten fortwährend husten, aber nach