Hlnltthaltungsblatt des vorwärts Nr. 193. Freitac;, den 7. Oktober. 1904 (Nachdruck verboten.) 43] Die flucht, Von K. Bagrynowski. Die Verbannten waren daher sehr erstaunt, als Tscherewin schon ziemlich spät am Abend bei ihnen eintrat. Wie, Sie sind nicht bei Kosloff?" Nein. Ich bin nicht eingeladen. Das ist mir sogar angenehm, denn wenn der Isprawnik nicht dabei ist, bin ich nicht gern unter diesen Halunken. Sie sehen mir regel- mäßig zu." Aber trotzdem war er mißgestimmt und ging bald nach Hause. Bei Euch ist jetzt das reine Schlachthaus," sagte er zum Abschied. Ten Tag daraus erschien Mustja gegen Mittag in Alexan- droffs Jurte, und als ihn die Verbannten hinausjagen wollten und ihm vorwarfen� die Wette verloren zu haben, flüsterte er ganz blast vor Entsetzen: Ein Skandal! Tscherewin ist aus dem Spital gesetzt. Der Adjunkt hat ihm solch ein Papier vorgelesen, dast er nicht mal Rizinusöl mehr in der Apotheke bekommen kann." Die Schufte!" fuhr NiehorSki auf. Tscherewin tat ihnen leid, aber sie hatten keine Zeit, zu ihm zu gehen, um' ihn zu trösten. Er wird schon selbst kommen!" Er kam wirtlich, aber erst am anderen Tage. Er war niedergeschlagen und gelb wie eine Zitrone, aber er suchte eine gleichgültige Miene aufzusetzen. Er berichtete ihnen über den ganzen Hergang. In dem Befehl der Gouvernementsbehörde waren die Paragraphen angeführt, die den politisch Ver- bannten jede ärztliche Praxis untersagen. Ter Gouverneur verlangte, das Gesetz solle in.seiner ganzen Strenge auf die Dschurdschnjer Verbannten angewandt werden. Jemand von hier muß eine Anzeige gemacht haben. Das ist ein Machwerk dieses Lumpen von Kosloff. Sie haben mich überwunden!" Nun, Genosse, kommen Sie auch jetzt nicht mit?" fragte Niehorski.' Tscherewin schüttelte den Kopf. Nein! Es dauert mir zu lange!" antwortete er düster. Er streckte sich auf die Bank und sah den mit ihrer Arbeit beschäftigten Genossen schweigend zu. Seio vorsichtig! Ich denke, die Geschichte fängt erst an, und ich bin nur das erste Opfer," warnte er sie.Ihr glaubt es nicht, wie übermütig diese Barbaren geworden sind. Selbst Panteleon trägt den KostlNoch." Uns können Sie nichts anhaben! Ter März ist vor der Tür. Unser Vorhaben ist so weit gediehen, daß wir ihnen im Notfalle die Zähne weisen werden!" Sie konnten sich aber einer großen Unruhe nicht erwehren und sandten am anderen Tage einen Vorposten aus. Pjctroff stand zuerst Wache, aber er sah nichts. Erst als Gliksberg ihn ablöste, gab's Neuigkeiten in Hülle und Mille. Kosloff ist wieder zum Adjunkten gefahren." Unter den Kosaken auf der Wache scheint mir eine große Bewegung zu herrschen." Tenisoff ist beim Doktor." Vater Akakij ist ganz betrunken im Schlitten vorbei- gefahren: der Schlitten war mit einem Stier bespannt." Anfangs nahmen sie diese Nachrichten ernst und suchten eine Erklärung dafür zu finden, aber bald hatten sie sich daran gewöhnt und begrüßten jeden neuen Rapport mit lautem Ge- lächter. Gliksberg war beleidigt und verließ seinen Posten gar nicht mehr. Am nächsten Tage wachte wieder einer von ihnen, denn die Bewegung im Städtchen nahm nicht ab, und Krassuski brachte sogar nichts weniger als angenehme Nachrichten aus der Schmiede. Die Jakuten hatten ihm anvertraut, von den Kosaken gehört zu haben,wenn der kleine Tojon(der Adjun..) erst großer Tojon(Jsprawnik) geworden wäre, dann würde er mit den VerbanntenSicri"(Krieg) machen!" Pjetroff kam ganz aufgeregt von seinem Posten und sagte, er habe Alexandroff von weitem schnell auf ihr Haus zukommen sehen. Bald war dieser da und brächte die Nachricht von einer Haussuchung, die die Polizei bei ihm vorgenommen hatte. Der Kommandant(ein Kosakenunteroffizier) und der jakutische Starost(Schultheiß ) aus Burunuk sind dagewesen. Sie untersuchten das Holz, das auf dem Hofe aufgeschichtet lag, sahen in den leeren Stall, in dem wir das Boot bauen, aber das war glücklicherweise nicht zusammengefügt. Sie fragten, was wir mit den dünnen langen Brettern wollten. Ich erklärte ihnen, wir bauten auf Bestellung der Amerikaner ein Zelt zu meteorologischen Beobachtungen. Mir scheint, er hat's geglaubt." Das war ein guter Einfall, denn Dschurdschnj besitzt meteorologische Instrumente, und der Befehl, hier einen Bc- obachtungspunkt einzurichten, ist schon lange erteilt worden," sagte Samuel.Eins nur will mir nicht gefallen: das Ihr die Amerikaner mit hineingemischt habt." Ja, das geb' ich zu, aber es ist nun mal geschehen," verteidigte sich Alexandroff.Ob sie sich lange mit dieser Er- klärung bescheiden werden, weiß ich nicht." Sie müssen sich bescheiden. Was ist da lange zu reden!" rief Niehorski nervös. Aber wir niüssen auf jeden Fall wissen, was wir tun sollen, wenn sie anfangen, uns zu beobachten. Ich bin fest über- zeugt, wenn ich nicht bei Jan gewesen wäre, wäre die Haus- suchring viel Peinlicher ausgefallen. Ich s. h deutlich, daß meine Anwesenheit ihnen den Mut etwas dämvfte. Es muß jetzt noch einer hin. Vielleicht ziehst Du zu Jan, Pjetroff?" Sie überlegten noch dies und jenes, als ein Kosak eintrat und sagte, der Adjunkt lasse Samuel bitten, gleich zu ihm zu kommen. Der Bote war sehr befangen, aber er wollte nichts weiter sagen. Ich begleite Dich!" rief Niehorski. Nein, das ist rricht nötig, ich will allein gehen!" Die Verbannten blieben in der dämmerigen Stube zurück, drängten sich rrm das verglimmende Feuer und sprachen, von Unruhe gefoltert, kein Wort. Stur über Arkanoffs Gesicht irrte ein leises Läck'eln, das er nicht unterdrücken konnte. Um es zu verbergen, setzte er sich so, daß sein Gesicht im Schatten blieb. Als Samuels schnelle Schritte im Flur erklangen, hielten alle den Atem an. Tscherewin hat sich erschossen," sagte dieser kurz und dumpf, indem er die Tür öffnete. Am dritten Tage wurde Tscherewin begraben. Es war ein wundervoller, sonniger Tag. Einer dieser Frühlingstage, an denen das lange von den Winternächten gefangen gehaltene Licht seine Befreiung zu feiern scheint: an denen es vom Schnee, den die Wärme schon glasig gemacht hat, abprallt und Luft und Erde und Himmel mit einer goldenen blendenden Flut über- strömt. Alles verschwindet, schwimmt ineinander, wird gleich- sam vom Lichte durchstrahlt, niinmt in diesen leuchtenden Wellen märchenhaft phantastische Formen an, und die in dem blendenden Strom schwebenden Neifblättchen schillern in allen Farben des Regenbogens. Die Verbannten trugen den Toten auf ihren Schultern nach dem verschneiten Friedhof, der die Kirche umgab, die sonst grau und farblos, jetzt im Sonnenlicht mit ihren Fenstern und goldenen Kuppeln wie ein zauberischer Kristallpalast erglühte. Als die Leiche in die Gruft gesenkt war und die hinein- geschaufelten Eisstücke auf den Sargdeckel niederprasselten, stimmten die Anwesenden einstimmig den revolutionären Trauermarsch an: Im Tode noch blüht uns der Glaube: Aus unseren Gebeinen erstehen Dereinst uns erhabene Röcher, An Kraft überlegen den Vätern Vom Geiste der Toten gcstählet. Als die traurige Feier vorbei war und sie sich auf den Heimweg machten, trafen sie am Kirchhofstor mit einem Häuflein Dschurdschnjer Bürger zusammen, unter denen sich auch der Adjunkt befand. Was konnte ich dafür? Ich bin nichts als ein ganz ge- wöhnliches Werkzeug. Der Befehl war deutlich. Seine Exzellenz der Gouverneur hatte es befohlen. Sicherlich hat der Jsprawnik in dieser Angelegenheit mit ihm gesprochen. Der Verstorbene hatte selbst darum gebeten. Ein guter talentvoller Mensch. Ich mußte meine Dienstpflicht erfüllen. Was konnte