Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 213.
2]
"
Freitag, den 28. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Der Alte vom Berge.
merkte, daß der Sohn ärgerlich gestimmt war. Bald aber Was mag er haben?" dachte Zio Pietro, der sogleich nahm er einen angenehmen Duft wahr und freute sich wie ein Kind.
„ Was hast Du mitgebracht?" fragte er.
"
" Fühlt doch!" sagte Melchior.
" Das ist eine Cocomero"*), antwortete der Alte. " Wo ist denn der Schafskopf?" fragte Melchior und setzte sich auf die Matte an der Tür. Er streckte den Kopf vor, pfiff und rief: Basilio! Basiliooo!"
Auch Zio Pietro setzte sich hin. Hund und Kaze umschnupperten als gute Freunde die von Melchior mitgebrachte Frucht.
Bafiliooo!"
Der Hirt antwortete mit einem zitternden, langgezogenen Beee", das wie das Meckern einer Ziege flang; dann pfiff er und kam laufend und in Sprüngen daher, mit einem Hasen
unter dem Arm.
Als er aus seinem Dorfe kam, das vom Orthobene aus fichtbar war, hatte er ein Häslein mitgebracht, so klein, daß er es in der Hand halten konnte; sein Herr duldete, daß er den Hafen aufzog, unter dem Vorbehalt, ihn eines Tages zu braten. Nach den ersten Fluchtversuchen schien das Tierchen mit den langen, gelben Ohren sich einzugewöhnen; es tranf seine Milch, Inujperte sein Brot, fragte an Bio Pietros Gamaschen und big Basilio in die Finger; wenn es sich unbeachtet glaubte, spielte und hüpfte es und wischte sich das Mäulchen mit den Vorderpfoten. Doch seine großen, sanften, stets wachsamen Augen erspähten ein Entweichen.
Bafilio traute ihm nicht; er führte ihn stets an der Schnur
und nahm ihn oft mit sich, wenn er die Ziegen hütete.
Als er in die Hütte trat, band er den Hasen an einen Pflock und warf sich auf die Matte nieder; beim Anblick der Melone lachte er vor Vergnügen und freute sich an dem Geruch.
Hastig und schweigsam aßen sie ihr graues Gerstenbrot. Zu der erusten Gestalt des Alten bildete das frische, braune Gesicht des Knaben einen starken Gegensatz. Bafilio hatte schöne, schwarze Augen, gewelltes, goldbraunes Haar und prächtige Zähne, die aus lachenden, roten Lippen hervorleuchteten.
„ Es wäre wohl an der Zeit, mit Deinem Hafen ein Ende zu machen," sagte Melchior auf einmal.
"
Was wollt Ihr ihm tun?"
" Ihn essen!" sagte sein Herr. " Lieber diese hier," erwiderte Bafilio und nahm die Melone zwischen seine Knie.
" D, auch die, Du dummer Kerl! In Deinem Alter liebt man die Mädchen und nicht die Hasen! Aber vielleicht haft Du ihn gern, weil er Dir gleicht." Er brach ein Stückchen Brot ab und gab es dem Hasen.
,, Er gleicht einer Staße," bemerkte Basilio.
Nein, mit den Ohren da gleicht er Dir und dem Esel. Zum Teufel!" schrie Melchior und zog seine Hand zurück, er hat mich gebissen! Ganz wie Du, siehst Du wohl: Du scheinst ein Dummkopf und bist ein Fuchs!"
Bafilio lachte und war ganz damit beschäftigt, die Melone mit seinem Messer zu zerschneiden.
Haje, Fuchs, bah!" sagte Zio Pietro, dem die herbe Art seines Sohnes nicht gefiel. Auch ein Hase ist ein boshaftes Zier. Sein Atem ist giftig; wenn ein anderes Tier ihn säugt, so vertrocknet dessen Milch. Einmal fand ein Schaf ein Nest mit jungen Hafen, deren Mutter verscheucht worden war. Was tut das dumme Schaf? Es fäugt sie. Nun, sein Lämmchen fängt an hinzufiechen.
"
Hatte das Schaf keine Milch mehr?" frug Bafilio gespannt.
-
*) cocómero Wassermelone; die große, länglich runde Frucht ist außen dunkelgrün, innen tiefrot mit schwarzen Kernen, sehr saftig und in Süditalien sehr beliebt.
„ Nein!"
„ Eulenspiegeleien," sagte Melchior verächtlich. „ Und dann? Und dann?
1904
Erzählt doch, Zio Pietro!
Und der Haje? Und das Lämmchen?"
bei
Doch Zio Pietro schwieg empfindlich und wiederholte
sich:" Was hat er heute nur?"
Dann rief er die Kate: Tortorella?*) und sagte:„ Gebt
den Tieren zu fressen."
Bafilio stieß die Melone gegen den Boden, um sie zu öffnen; sie zerteilte sich in zwei blaßrote, von weißen Samenfernen durchsetzte Hälften.
,, Unreif?" frug Zio Pietro.
eine Scheibe und biß hinein, grollend, daß ihm nichts nach „ Leider Gottes!" murrte Melchior ärgerlich. Er nahm Wunsch gehe.
pfeifen und zu meckern, und Melchior trug die Ueberreste der Dann gingen alle hinaus. Bafilio fing wieder an zu Melone seinem Pferdchen hin.
Von fern fam das Geflingel der Ziegenglocken; doch in der unendlichen Erhabenheit der Landschaft. Zwischen diesen jeder Lärm und jeder Laut verhallte in dem großen Schweigen, mächtigen Bäumen und Felsen erschienen die Gestalten der Hirten klein, ganz klein vor den flaren Firnen.
II.
fleine Quelle hervorsprudelt, hatte Melchior mit vieler Geduld Ein wenig tiefer, unterhalb der Felsen, aus denen eine ein Gärtchen geschaffen mit einem Bassin aus rohem Gestein. Rotblühende Bohnen rankten an hohen Stangen hinauf und eine Reihe Tomaten fing eben an, sich zu röten.
Wie er täglich zu tun pflegte, stieg er auf die Felsen und Pfiff und schlug in die Hände, um die Ziegen herbeizurufen, damit sie zur Tränke kämen, ohne über die Hecke des Gärtchens zu springen. Augenblick anhielt, um mit seinem Stocke den Boden zu be Zio Pietro stieg den Fußpfad hinab, indem er jeden taften. Als er seinen Lieblingsplay, einen in Form eines Armsessels ausgehöhlten Stein neben dem Bassin, gefunden hatte, setzte er sich. Er verspürte den frischen Geruch des Gartens, des feuchten Mooses; er hörte die Ziegen, die unter zitterndem Glockengeflingel, springend und einander stoßend von den Höhen herabkamen, oder die Abhänge erkletterten. In der Nähe des Wasserbeckens wurden sie still und tranken, eine nach der anderen. Wenn Zio Pietro die Hand ausstreckte, fonnte er sie berühren; ganz nahe kamen sie ihm vorüber mit ihrem leisen Katzentritt.
blickend, und zählte sie, eine nach der anderen; immer noch pfiff
Melchior beobachtete sie, durch einen Felsspalt hindurch
er und klatschte in die Hände. Von unten her trieb Bafilio die Ziegen an. Er rief sie mit allerlei sonderbaren Namen; sie hörten darauf, verließen die grünen Stauden und sprangen an ihm vorbei. Zuletzt kam der Mönch, ein alter schwarzer Bock mit weißem Barte, der wartete, bis alle Ziegen getrunken hatten, ehe auch er sich dem Wasser näherte; dann stieß er sie leise mit den Hörnern an und drängte sie zum Abstieg. Eine blieb zurück und stellte sich auf die Hecke, aber ein wildes Hoc! Melchiors und Basilios Gerte trieben sie fort.
Zio Pietro horchte, und als das Geklingel der Glöckchen sich wieder über die Abhänge verbreitete, hörte er noch Melchior hinabsteigen und weitergehen.
Wohin ging er? Bio Pietro empfand stets Angst und Unruhe, wenn der Sohn sich entfernte. Er wußte überdies, daß Paska in diesen Tagen in der Nähe war und beunruhigte sich mehr als je.
Wohin ging Melchior jetzt? Vielleicht zu Paska, um Streit zu suchen?
Hoch über den Felsen hörte der Alte den Wald rauschen, der von einer leichten Brise bewegt wurde; es war ein stetes, einförmiges Surren, gleich dem Schwirren unzähliger Insekten, das den Eindruck der Einsamkeit noch verstärkte. Wenn Zio Pietro allein war, bedrückte ihn dies; und die Stimme des Waldes wiederhallte in seinem Gemüt wie die einer traurigen, endlosen Nacht. Sein Licht war seines Sohnes Gegenwart. Aber seit einiger Zeit fühlte er, daß Melchior, von seiner
*) Turteltäubchen.