Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 220.

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Dienstag, den 8. November.

( Nachdrud verboten.)

Der Alte vom Berge.

Roman von Grazia Deledda  . Nichts, gar nichts, nirgends. Der Hafe mußte wirklich gestohlen sein. Vielleicht, weil er auch heute morgen an einen Diebstahl gedacht und sogar einen begangen hatte? Ach was! Eine Papierblume nehmen war doch etwas anderes als einen Hasen stehlen!

" Niederträchtiger, der Du an mein Eigentum gerührt haft!" sagte er und ballte die Fäuste." Heraus mit Dir, wenn Du ein Herz hast, heraus!"

"

Aus, aus, aus" wiederholte das Echo.

Bald darauf vernahm er Melchiors Pfiff, der ihn zum Frühstück rief; langsam und still schlich er hinauf, die Augen auf den Boden geheftet. Die Rose vergaß er.

" Was hast Du?" fragte sein Herr.

,, Sie haben mir den Hasen gestohlen.

" Den Hasen haben sie Dir gestohlen? Dann werden sie wohl auch noch anderes gestohlen haben. Das heißt also, daß Du fort gewesen bist?"

Der Hase wird sich davongemacht haben," sagte Zio Pietro zitternd und kehrte sein Gesicht gegen Basilio, wie um ihm Stillschweigen aufzuerlegen.

" Ja, er wird sich davongemacht haben," sagte Basilio schnell.

Doch Melchior merkte, daß da etwas vorgefallen war; er betrachtete den Vater, dann Basilio, schwieg jedoch, und sein düsterer Brick ging in die Ferne.

Später, nachdem die Ziegen getränkt waren, fand er auf der hellen, sonnenbeschienenen Königsterze die große, brennend­rote Rose; ein Blutflecken hätte ihm nicht größeres Staunen erregt. Er nahm die Rose, betrachtete sie und pfiff Bafilio, der noch immer nach seinem Hasen suchte. Als er ihn kommen sah, legte er die Hände auf den Rücken, um die Rose zu ver­bergen. Wie er dastand im Sonnenschein, glänzten seine Augen gelblich.

Hast Du den Hasen wieder gefunden?" rief er Basilio entgegen. Nein!"

" Das heißt also, daß er gestohlen worden ist?" " Ich weiß nicht."

" So, Du weißt nicht? Aber ich weiß es, Du junger Fuchs, ich weiß, daß Du heute morgen die Ziegen allein gelassen hast. Wo bist Du gewesen? Sprich und sage die Wahrheit, sonst werde ich sie Dir mit der Seele zusammen herausholen!" Aber, Zio Melchior, ich bin nirgends hingegangen, was seht Ihr mich mit solchen Augen an

"

Wer ist denn hier gewesen? Ich will es wissen! Sofort! Die Herrschaften vom Berge vielleicht?" Niemand, Zio Melchior, niemand, bei meiner Seele, oder Ihr sollt mich nie wiedersehen!"

Verfluchter Bengel!" schrie Melchior außer sich, ich werde Dir Deine Lügen austreiben! Und wer anders als Du hat diese Roje hier aufgeſtedt, wer? Siehst Du sie oder siehst Du sie nicht?"

Er warf ihm die Rose ins Gesicht und schüttelte ihn bei

den Ohren.

Da er Melchior noch nie so erzürnt gesehen, fürchtete Basilio sich; und wohl wissend, daß er von Zio Pietro nichts zu befürchten hatte, sagte er alles; die Rose aber hatte er in der Kirche gefunden".

Melchior hörte ihm begierig zu; es war ihm, als ob er noch von den bösen Träumen der letzten Nacht gequält werde; und während Basilios Ohren von seinem festen Griffe brannten, röteten sich die seinen vor Zorn und Scham.

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Und das hat mein Vater getan!" schrie er auf, und schlug sich auf die Hüften. Gott  , o Gott! ist der Alte denn verrückt? Es ist ja nicht möglich, und dieser Bengel lügt. Sich so zu erniedrigen, mit der da sprechen... und im Hause jener Leute figen und trinken. Oh Dio, Dio mio! was wider­fährt mir, in welche Grube bin ich gefallen? Sie wollen mich verderben, sie wollen mich morden. Warte nur, warte!"

Er eilte fort und Basilio hinter ihm her, furchtsam und schweratmend.

1904

Das habe ich angerichtet," sagte er sich. Jetzt wird er seinen Vater totschlagen, dann wird er mich totschlagen und uns in eine Kluft werfen, wo uns niemand mehr sieht. Soll ich nicht lieber fortlaufen?"

Doch größer noch als seine Furcht war seine Neugier und er lief hinter seinem Herrn her, nicht etwa, um dem Alten zu Hülfe zu kommen, sondern um zu sehen und zu hören, denn er begriff noch nicht recht, was das für eine Geschichte zwischen seinem Herrn und Paska war. mädchen hatte er immer nur teilweise gehört; jetzt wollte er seinem Herrn und Paska war. Ihre Gespräche über das aber einmal alles wissen. Doch in seinem Laufe schien Melchior sich zu beruhigen; an der Gartenhecke blieb er stehen, kehrte sich um, ließ Basilio herankommen und sagte ihm:

,, Du kennst jegt jenes leichtsinnige Ding, wenn Dir Dein Leben lieb ist, geh' zu ihr und suche sie unter vier Augen zu sprechen; sage ihr, und ändere auch nicht ein Wort, sonst werde ich Dir Deine Augen ändern! Sag' ihr so:

,, Mich schickt Melchior Carta, Dein Vetter, und er läßt Dir sagen, daß Du fortgehen sollst, verstehst Du, noch heute fortgehen und nach Nuoro   zurückkehren; Du sollst ihn nicht ins Verderben bringen, sonst wird es mit Deinem Spaß vorbei sein." Weiter nichts, aber das sage ihr. Also wie wirst Du jagen?"

Ich werde sagen: Mich schickt Melchior Carta, Dein Better, und er läßt Dir sagen, daß Du fortgehen sollst, noch heute fortgehen und nach Nuoro   zurückkehren. Du sollst ihn nicht ins Verderben bringen, sonst wird es mit Deinem Spaß vorbei sein."

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Gut so! und sage ihr auch noch, sie solle nur nicht glauben, daß ich den Alten zu ihr geschickt habe, oder zu ihrer Herrschaft, der Teufel soll sie holen. Sag' ihr, daß ich mich vor keinem fürchte, daß ich auf ihre Herrschaft pfeife und daß ich mit ihr noch nicht abgerechnet hätte. So, jetzt geh', laufe!" aber doch ein heimliches Vergnügen bei dem Gedanken, Paska Basilio machte sich widerwillig auf den Weg, verspürte wiederzusehen und vielleicht das Hündchen zu erwischen; er hatte indes noch keine hundert Schritte gemacht, als sein Herr ihn zurückrief.

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Was wollt Ihr denn noch?" schrie er ärgerlich.

" O, schreie nur nicht, sondern denke daran, daß ich auch mit Dir noch nicht fertig bin. Nimm dies und trage es dahin zurück, wo Du es gefunden" hast."

Er warf ihm die Rose zu, weil er dachte, daß dies ein passender Vorwand dafür sei, daß Basilio nochmals zu dem Kirchlein hinaufstieg.

ein Credo zum heiligen Antonius, daß Ihr ihn wieder findet." Sucht mir doch den Hasen wieder," bat Basilio. ,, Sprecht

schlossen, sich freundlich mit seinem Vater zu verständigen, und Melchior ging zur Hütte, einigermaßen beruhigt, und ent­ihn zu bitten, solche Schritte nicht wieder zu tun.

Zio Pietro saß vor der Hütte, ein blaues Taschentuch um die Schultern geschlagen, und fämmte sich mit einem alten, hölzernen Kamm; die filberweißen Haare glänzten in der Sonne.

Melchior blieb stehen, sah ihm zu und wußte nicht recht, wie er die unangenehme Sache anfangen sollte. Was sollte er fagen? Daß Basilio alles verraten hatte? Das mußte schmerzlich sein für den Alten, der so manche Stunde mit dem Hirten allein blieb und großes Vertrauen zu ihm hatte. Sollte er sagen, er habe es von Leuten gehört, die auf dem Berge zur Messe waren? Wenn aber Bafilio, nachdem er ihm alles gesagt, nun ebenso dem Alten gegenüber tat? Dann hätte diefer, de: n die Lüge vor allem zuwider war, gegen alle beide Mißtrauen hegen müssen. Während er noch darüber nachsann, hörte Zio Pietro mit fämmen auf, nahm das Tuch von den Schultern und schüttelte es aus; dann sagte er: Melchior, sieh einmal das Tuch nach, ob etwas darauf ist...

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Melchior nahm das Tuch, betrachtete es aufmerksam, untersuchte auch Hals und Schultern Zio Pietros, fand aber zum Glück nichts.

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" Ihr seid so rein wie Gold," sagte er und dachte dabei: Was soll ich ihm sagen? Warum soll ich dem Aermsten über­haupt etwas davon sager? Er ist alt und schwach wenn er heute morgen den Weg, gemacht hat, so hat er es sicher in guter Absicht getan und er ist gewiß bestraft genug durch die Demütigung, die er erfahren hat."