Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 222.

11]

Donnerstag, den 10. November.

( Nachdruck verboten.)

Der Alte vom Berge.

Roman von Grazia Deledda  .

,, Welcher Geschichte?"

" Daß Du Deine Base totschlagen wolltest, vorgestern abend auf dem Berge."

,, Ach, macht mir den Kopf nicht warm!" schrie Melchior und kehrte sich auf den Absätzen um.

Zia Bisaccia trat hinaus und goß das weißliche Wasser fort; dann kam sie mit der tropfenden Kanne und starrte Melchior an, ohne ein Wort zu sagen. Auch er blickte sie an. Sie war eine Frau von mittlerer Größe, fräftig, aber schlank und beweglich wie eine Kaze; auch ihre hellgrauen Augen unter den furzen, geröteten Lidern waren die einer Kate. Ihr schlaffes, runzeliges Gesicht sah aus wie das eines bart­losen Alten und war völlig ausdrucks los; aber die hellen, stechenden Augen und ein paar riefige, knotige Hände, die in steter Bewegung waren, machten aus Zia Bisaccia eine Frau, die nicht zu unterschätzen, manchmal aber zu fürchten war. Das wußten sowohl ihre Schuldner wie ihre Knechte, vor allem aber ihre Söhne, von denen drei wegen Diebstahls im Gefängnis saßen, und ebenso ihr Mann, der Schafhirt war und aus Angst vor ihr nur alle drei Monate zur Stadt herabfam.

Einer der Wenigen, denen sie nicht imponierte, war Melchior. Im Gegenteil hatte er mit seiner phlegmatischen Ruhe manchmal einigen Einfluß auf sie. Auch heute morgen ließ er sie jene Geschichte ausführlich berichten und fragte sie dann: Aber was geht Euch das an? Erstens ist es nicht wahr, daß ich, wie Ihr behauptet, sie totschlagen wollte; auch habe ich weder das Messer gezogen noch ein Gewehr ergriffen. Ich wollte ihr nur eine kleine Lehre erteilen. Aber wißt Ihr etwas von gestern auf heute? Ist sie noch da oben oder ist fie nach Nuoro   heruntergekommen?"

,, Was weiß ich davon?" schrie sie und fuchtelte mit den Fingern. Ich weiß nur, daß Du sie suchst, Melchior Carta! Deine Angelegenheiten fümmern mich gar nicht; aber wenn Du in Ungelegenheiten kommen solltest, so will ich nichts damit zu tun haben. Ich verkaufe Dir Deine Milch, wasche und flicke für Dich, Du bezahlst mich dafür und damit ist es abgetan. Ich brauche Deinen armseligen Stram nicht; Du weißt ganz gut, daß ich in meinem Hause gut daran bin; daß mein Haus voll ist wie ein Ei; daß in meinem Hause Brot ist sie zählte es an den Fingern her in meinem Hause Wein, in meinem Hause Käse, in meinem Hause Wolle, Del, Speck

Zum Teufel auch!" rief Melchior, der mit den Augen den Bewegungen jener dicken, bläulichen Finger gefolgt war. Kurz ich brauche Deine Ziegenmilch nicht, das wollte ich nur sagen; ich will Ruhe haben, und wenn Du vielleicht zufällig der Gerichtsbarkeit in die Hände fallen solltest, so will ch nicht, daß sie kommen und mich in meinem Hause belästigen."

Als ob Ihr die Gerichtsbarkeit nicht fenntet!" sagte Melchior spöttisch.

"

Gerade weil ich sie kenne, gerade weil ich an meinem eigenen Aerger schon genug habe. Uebrigens ist es durchaus fein Uebelwollen, Melchior, wenn ich Dir sage, wie es kommen kann, aber paß' auf, paß' auf!

Sie drohte ihm mit dem Finger und er empfand eine bestimmte Unruhe: Sollte Zia Bisaccia irgend etwas wissen? Sollte Paska gedroht haben, ihm zu schaden? Unter Beihülfe ihrer Courmacher und ihrer Herrschaft konnte sie ihm wohl Uebles zufügen: Daran dachte er jetzt zum erstenmal. Ob­gleich es schon spät war, blieb er noch, um etwas zu erfahren; aber es famen Weiber und Kinder, um Milch zu kaufen, und Zia Bisaccia schwazte und schrie ganz verteufelt, während sie behutsam, ja knapp die Milch zumaß. Melchior beobachtete sie, und als sie einen Augenblick allein waren, sagte er:

Aber Ihr verdient hübsch dabei, Zia Cateri. Man sollte meinen, Ihr mäßet Euer eigenes Blut!"

Einen Pfifferling verdiene ich dabei! Hast Du Dich heute morgen hier aufgepflanzt, um mir aufzupassen? Geh' Deiner Wege, ich muß zum Friedensrichter, wo ich fünfzehn Vorladungen abzumachen habe."

1904

Warum laßt Ihr nicht Euren Mann gehen? Schämt Ihr Euch nicht, da hinzugehen?"

Mich schämen? Und wofür?" schrie sie. Schämen mag sich, wer als Schuldner hin muß, nicht als Gläubiger, wie ich. Mein Mann, mein Mann! Wenn er sich auf solche Sachen verstände, wie auf's Essen! Die Männer! Ihr seid alle Woll­tiere; geh' mir doch! Zu nichts seid ihr gut, als hinter den Weibern herzulaufen, sie zu prügeln, zu mißhandeln, totzu­schlagen..."

Aber wer hat Euch diese Dummheit in den Kopf gesetzt?" fuhr er auf. Ich will es wissen. Ihr wißt etwas und sollt es mir sagen, sofort!"

" Ich weiß nur, daß es eine Schande ist, wenn ein Mann, statt auf sich zu halten, so hinter einem Mädchen her ist,- mit einer geringschäzigen Handbewegung als ob es im Leben nichts Wichtigeres zu tun gäbe. Und dann mir noch sagen, es wäre eine Schande, vor den Friedensrichter zu gehen, weil man mir meine Gerste nicht bezahlt, und den Weizen, das Del, die Wolle, die ich verkauft habe."

Mit zweihundert Prozent Nutzen!"

Mit einem Dreck! Mit so viel, wie es mir gefällt! Im Winter gebe ich ihnen Kredit und im Sommer leugnen sie, die Kanaillen, das Bettelpack!"

Alle werden sie wohl nicht bezahlen," sagte Melchior, um sie wieder zu besänftigen und zu erfahren, was er zu wissen begehrte. Sie lachte vor sich hin, ohne daß sich ein Muskel ihres Gesichtes verzog, spöttisch und ihrer Sache sicher.

,,, ich habe gute Pfänder! Wenn sie nicht bezahlen- ich habe Pfänder und Wechsel! Warum sollen sie nicht be­zahlen? Ist es nicht das meine, was ich verlange? Und haben meine Söhne nicht ein Recht auf Lebensunterhalt?" ,, Aber sind nicht drei im Dienste des Königs? Die unter­hält der doch!" sagte Melchior lachend.

" Ich bin bange, daß Du auch in diesen Dienst treten wirst, und das binnen furzem!" weissagte das Weib und nahm von einem Nagel einen grauwollenen Rock mit rotem Saum.

Meine Zunge soll verdorren," fügte sie hinzu, während sie den Rock überwarf und das Mieder zuhafte; aber Du sollst sehen, Melchior Carta, wenn Du so fortfährst, so wirst auch Du dahin kommen, in den Dienst des Königs!"

Sie ging und schloß die Tür, welche zur Treppe führte, schloß auch das Fensterchen und deckte das Feuer mit Asche. Ernst und beunruhigt ging Melchior ihr nach, und während sie an dem Fenster hantierte, sagte er bittend:

Ihr wißt etwas! Sagt es mir, Zia Caterina, sagt es mir! Ihr müßt es mir sagen! Wer ist gekommen, wer hat mit Euch gesprochen? Sagt doch!"

Ich weiß nichts, nichts! Gott   behüte und bewahre uns, ich habe nichts damit zu tun. Geh' jetzt, es wird spät."

Sie richtete sich auf und schritt hinaus. Melchior nahm feine Milchkanne und ging wieder hinter ihr her, sie bittend und mit Fragen bedrängend; aber er erlangte nichts weiter als ausweichende Reden. Und während er die Milchkanne wieder in den Quersack steckte, drehte die Frau den Schlüssel in der Tür zweimal um und ging stramm und eilig fort.

Er bestieg sein Pferd, kaufte in einer nahen Schenke Wein und schlug den Weg nach Hause ein.

Eine düstere Traurigkeit, eine geheime Unruhe erfaßte ihn. Er war nie ein Raufbold gewesen, nicht gewalttätig, noch ein Dieb; deshalb hatte ihn nie jemand belästigt. Sollte er jetzt den Ruf eines anständigen Menschen einbüßen, seinen Frieden und seine kleine Habe, um einer förichten, hinter Haß sich verbergenden Liebe willen?

Daß er Pasta geschlagen und ihr hatte drohen lassen, war ihm ganz natürlich erschienen: jetzt erst kam es ihm zum Be­wußtsein, was er getan, und er hatte Angst? Nein, Augst  nicht," sagte er bei sich, ballte die Faust und blickte zu den höchsten Felszacken des Orthobene auf. Angst vor wem? Vor Bastas Herrschaft und den jungen Stußern? Sie alle mit­einander mochten ihm wohl einmal die Jacke vollprfigeln und ihn einen Feigling schimpfen; aber was fonnten sie ihm sonst tun? Anzeigen konnten sie ihn nicht, denn er hatte nie ge­stohlen, getötet oder falsches Zeugnis abgelegt. Was hatte er also zu befürchten? Nichts! Und doch hatte er Angst; er fühlte fein Unvermögen einer verborgenen Macht gegenüber und