Anterhaltungsblatt des Zorwärts Nr. 226. Mittwoch, den 16. November. 1904 (Nachdruck verboten.) 15) Oer Elte vom Berge. Roman Von GraziaDcledda. Basilio gewann— Vielleicht durch die Grojzmut seines Gegners, der ein sehr gutherziger Geselle war und die Vorräte seiner Mutter nur nahm, um sie einem armen Schähchcn zu dringen. Freilich hatte er auch die Rinder gestohlen, doch um sie zu verkaufen und mit dem Erlös den Wechsel eines Freundes Air decken. Die weißgesprenkelte schwarze Henite kam seht zum Vorschein und wurde sorglich gerupft und gesengt: sie hatte große gelbe Dotter— ach! wie Zia Bisaccia schreien mochte! Ms Melchior das Huhn an den Spieß steckte, öffnete er den Mund, um die Frage zu tun, die ihm iin Sinne lag. Er blickte den jungen Manu an— und wagte es doch nicht. Nein, nein, nein! Was lag ihm daran? Sollte er so erbärmlich sein, nach einem Weibe zu fragen, das er geschlagen und be- schimpft hatte? Draußen regnete es und durch die Türöffnung war nichts mehr zu erkennen als ein unbestimmtes Grau. Die vier Männer saßen beisanunen und verzehrten ihr Mahl. Der Flüchtling schien sich in dieser Einsamkeit ganz sicher zu fühlen und nichts zu befürchten, als ob jenseits des Nebelmeers keine andere Welt, keine anderen Menschen mehr lebten. Und Melchior fühlte immerzu, wie ihm jene Frage fast den Hals zuschnürte, und während er aß, lachte, plauderte, wartete er nur auf den geeigneten Augenblick, um sie los zu werden. Er erzählte dem Banditen von den vielen Leuten, die diesen Sommer bei der Madonna del Monte die Novena ab- gehalten hatten. „O," jagte er dann Plötzlich in spöttischem Ton,„was macht denn mein Väschen?" Basilio hob seine feingeschwungenen Brauen, aber der junge Bauer zog die seinen fipster zusammen und hörte auf zu kacken. „Ich weiß nichts von ihr," sagte er gleichgültig. Melchior begriff, daß er im Gegenteil allzuviel von ihr wisse und bestürmte ihn nun mit Fragen. „Was macht sie? Wie? Hast Du sie gesehen? Trägt sie noch die Spuren von meinen Ohrfeigen im Gesicht? Liebelt sie noch mit den Stutzern?" „Mit den Herren und mit den Bauern," erwiderte der andere trocken. Das Gespräch verstummte und hinterließ in Melchiors wie in Basilios Herz Zorn und Schmerz. Dann erzählte Zw Pietro eine Geschichte. „Hört! Ein Kaufmaiu� reiste einmal in ein fernes Land, wo es so viel Mquse hatte, daß der König nur Brot zu essen hatte, denn den' Käse fraßen jene..." „Was nrochte man dann wohl denen im Gefängnis zu essen geben?" grinste der Bauer. „Also, was tut der Kaufmann? Er reist nach seinem Lande und holt eine Menge Katzen, die bringt er dem König zum Geschenk, und als der König sieht, wie die Katzen unter den Mäusen aufräumen, da schenkt er dem Kaufmann viele Säcke Gold. Als der Kaufmann nun mit dem vielen Golde in seine Heimat zurückkehrt, da denkt ein neidischer Freund: wenn jener König so viel Gold fiir ein paar Katzen gibt, was wird er mir geben, wenn ich ihm Sacken von wirklichem Wert bringe? Was tut er also? Er bringt ihm seine ganze Habe zum Geschenk, Gold, Perlen, Seide, Wein..." „Auch Käse?" fragte Basilio. „Auch Käse. Und wißt Ihr, was der König nun tut? Da der schlaue Geber nicht gesagt hatte, daß er aus demselben Lande war, wie jener andere, dachte der König, er sei gewiß ans einem Mäusekönigreich wie das seinige und schenkte ihm sechs Katzen. Da mußte der Mann mit langer Nase abziehen." Dem jungen Bauern hatte die Geschichte und die Unter- Haltung in der Hütte so gut gefallen, daß er nun fast täglich dort einkehrte: jedesmal brachte er etwas mit: Wein, Speck, weißes Brot, Salami. Eier und Fleisch, und heiterte durch sein Lachen die armen Hirten auf, deren Behausung jetzt trostlos kalt war. Obgleich Zio Pietro und Melchior befürchteten, daß eines Tages die Karabinicri herauskommen und den fröhlichen Banditen dort abfassen möchten, gewannen sie ihn recht lieb; sie gewöhnten sich so daran, ihn bei sich zu haben, daß sie, wenn er mitunter ausblieb, sich beunruhigten und in dem kalten Bereich des frühen Winters ihre Einsamkeit noch trauriger empfanden. Ueberdies hatten in diesem Jahr die Steineichen an jener Seite des Berges keine Eicheln getragen und es kam daher auch kein Schweinehirt dorthin. Der Wald lag öde und frostig unter dem beständigen Nebel: die Vögel waren fortgezogen, die nassen Felsen sahen grau und düster aus, und von dem ihnen jetzt verdeckten Meere stiegen beständig dunkle Wolken auf. In den ersten Tagen des Dezembers schneite es, doch war's ein leichtes Gestöber nur, und die weitje Decke schmolz bald. Mit der schläfrigen Katze und dem Hasen, dessen in die kalten Fernen gerichtete Augen beständig nach einer Gelegenheit zur Flucht spähten, blieb auch Zio Pietro in der Hütte. Jetzt, wo Melchior selten fortging und das Vergessene vergessen zu haben schien, fühlte der Alte sich ruhiger: er betete andächtig, daß der Winter nicht sehr streng werde, daß viele Zicklein zur Welt kämen, und daß es viel Milch geben möge. Und dann? Er sah zwar den Nebel nicht, doch er fühlte die Kälte, und das Brausen des vom Sturm gepeitschten Waldes gab auch ihm den vollen Eindruck des Winters. Aus der Erfahrung seines früheren Lebens wußte er ja, daß Wind und Regen, Nebel und Schnee notwendig sind, damit der Boden Feuchtigkeit aufnehme, die Bäume von dem abgestorbenen Laube befreit werden, die Quellen sich mit Wasser füllen und alles vom Winter den fruchtbaren Keim des Frühlings empfange. Daher klagte er nie: die Wärme ihres großen Herdfeuers war für ihn wie ein goldiger Lichtkreis; und wie er aus der Traurigkeit des Winters heraus das Wiedercrwachen des Frühlings ahnte, so erhoffte er aus der melancholischen Nesig- nation Melchiors eine bessere Zukunft. Eine neue Liebe würde ihm erblühen; und dann würde sein eigener sanfter Traum Verwirklichung finden: jene wilde Einsamkeit zu verlassen, die letzten Winter in einem weniger engen Heim zu verbringen, jeden Morgen die Messe zu hören! Inzwischen kam Weihnachten heran, und gerade das Ver- langen, wenigstens an jenem Tage die Messe zu hören, verlieh seinem Wunsche Ausdruck, nach Nuoro hinabzugehen. „Ich gehe mit!" sagte Basilio sogleich.„Ich werde Euch führen!" „Ich werde ihn führen!" entgegnete Melchior fest. „Aber auch ich habe ein Recht, an dem Tage die Messe zu hören! Wenn Ihr mich nicht gutwillig gehen laßt, so werde ich doch gehen, ob es Euch� recht ist oder nicht!" „Du sollst auch gehen," sagte Zio Pietro; und da Melchior böse wurde, tat Basilio ganz bescheiden und suchte ihn zu über- rcdew: Weihnachten wäre doch Weihnachten und jeder Christ müßte zum Christkind beten; man hätte doch nur eine Seele! Ja, wenn man zwei hätte, dann wäre es nicht so schlimm, wenn auch eine davon verloren ginge! Aber man hätte doch eben nur eine und... kurz, er wolle nach Nuoro gehen und die Messe hören. Zio Pietro nickte ja, ja; Melchior aber blickte Basilio scharf an und sagte:„Du? Was sprichst Du von Seelen und vom Christkind? Kleiner Fuchs, Du hast nicht zwei/ sondern zehn Seelen und Tu wirst sie alle dem Vater der Hölle aus- liefern." Er erlaubte ihm immerhin, nach Nuoro Hinabzugegen und die Mitternachtsmesse zu hören; bei Tagesanbruch würde er zurück sein, und dann würde Zio Pietro und sein Sohn gehen, wenn das Wetter es erlaubte. Das Wetter erlaubte es. Es war strenge Kälte, doch trocken: der von der Tramontana*) reingefegte Himmel war tiefblau und die fernen, schneebedeckten Berge ragten wie scharfe, alabasterne Zacken am Horizonte auf. Der Wald er- schauerte unter der durchsichtigen, aber eisigen Klarheit des Himmels. Mit blaurotem Gesicht und vor Freude und Kälte tränenden Augen stieg Basilio bergab. Mit dem Vorrücken des Abends stieg die Kälte. Wie ein Füllen sprang Basilio dahin. In der Ledertasche, die ihm über die Schulter hing, gurgelte die Milch, die Zia Bisaccia zum Geschenk bestimmt war, und die sie von einigen Ziegen *)= Nordwind.
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21 (16.11.1904) 226
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