KaWein, vom Alier zerfresien, aber nicht zerstört. Der Palast stand am Eingang in die syrische Wüste, wurde wahrscheinlich im 6. Jahr- hundert n. Ehr. erbaut. Die ganze Fläche ist mit reichster Ornamentik bedeckt, die dem Stein das Aussehen von Spitzen- gewebe verleiht. Eine unerhörte Fülle von Motiven schlingt sich da durcheinander, ohne den Eindruck des Ueberladenen auf- kommen zu lassen. Die rechte Seite zeigt nur rankendes Ornament, keine Tiere. Die linke Seite zeigt Tiere aller Art, die auf dem Grunde zu beiden Seiten einer Vase kauern, aus der sich die schlanken Stämme und Jweige bis zur Decke emporranken. Zwischen den Zweigen fliegen Vögel. Alles ist lebendig und zwanglos und doch geordnet eingefügt. Blumen wachsen m zarten Stielen aus den, Boden heraus und breiten sich in üppigem Spiel über die Fläche. Breite Zickzacklinien ziehen sich regelmäßig über die gaiize Wand, zwischen denen in Abständen Rosetten erscheinen. Zwischen diesen breiten Linien spinnt sich das Gewebe der Ornamente hin. Ein kräftiger Sockel trägt den Bau, oben springt ein wenig ein feste? Gesims vor. Es muß ein eigenartiger, beinahe märchenhafter Anblick gewesen sein: diese reich übersponnene Fassade im Licht der glühenden Sonne leuchten zu sehen. Der Untergrund ist stark ausgehöhlt, so daß eine tiefe Schattenwirkung das Licht, das allzu grell einfiel, dämpfte und das Gewebe der Linien, das unter den Strahlen flimmerte, leicht wie ein gewirktes Spitzentuch erschien. Die ganze, schwere Fläche ist durch dieses eigentümliche Verfahren, bei dem der Baumeister mit der Sonne seines Landes rechnet, wie aufgelöst. Auf der wuchtigen Stcinfront erscheint ein leichtes Spiel von Linien. Man beobachte diese Fassade von verschiedenen Seiten. Immer heben sich die Linien plastisch heraus. Es fehlt nur die Farbe, dann wäre es beinahe ein Teppich, so reich verschlungen ist die Ornamentik. Im Saal 10 finden wir in den: Schrank an der Eingangswand eine Anzahl Tonscherben, byzantinische und früharabische Stücke. Auch hier die gleiche Phantastik, die gleiche Fülle in der Ornamentik. Selbst die Schrift, die allerdings zeichnerilch so fein geschwimgene Linien liefert, wird in einzelnen Exemplaren mit Geschmack dekorativ verwendet. Proben persisch- islamischer Baukunst sind an den Wänden angebracht. Es sind Nachbildungen der in Backstein ausgeführten Originale. Hervorragend tritt hier schon die eigentümliche Fafiung des Schmucks durch ornamentale Linien auf, die, von der Palastfassade von Mh'chetta und deren Zeit aus- gehend, allmählich zu diesen geometrischen Linien, diesem wechselnden Rankenwerk sich verdichtet. Wieviel Leben ist in diesen Linien! Welch' natürliches Gefühl ftir die Sprache des Ornamentalen. Wie selbstverständlich und organisch hat sich diese Kunst in ihrer Formen- gebung entwickelt. Man möchte beinahe meinen, das unruhige Flimmern des Lichts, der Wüstensonne hätte diese lebendigen, kreisenden, leichten Linien eingegeben. Und dann wieder als Gegenstück diese kräftigen Fliesenmosaike, die auch in diesem Saale hängen, diese leuchtende Pracht der Farben. Es ist, als wäre Sonne in diese Farben hmeingebannt; sie haben einen Glanz, wie wir ihn nicht kennen. Und wie bei der Ptuustfassade bedauern wir, daß diese Sachen hier im Trüben sich zeigen müssen, was namentlich der Fassade schadet, die. wie angedeutet, in Berechnung auf das Licht geschaffen wurde. Vorderasiatische Teppiche und Stoffe enthält Saal S. Die Teppiche stammen aus dem 14.— 17. Jahrhundert. Bemerkenswert bei allen diesen aufs reichste dekorierten Prachtstücken ist trotz dieser fülle der endgültige Eindruck der Ruhe, der klaren Uebersicht, der inheit. An der Hinteren Wand hängt ein großer Teppich, der nanrentlich Tiere in seiner Ornamentik aufweist, Tiere, die ihrer grotesken Haltung nach China weisen. Dort kennen wir auf Götzen- bildern, Vasen, Lackmalereien ähnliche Gebilde. Ein sehr langer Teppich hängt' an der Seitenwand in der Mitte. Auch hier in noch auffälligerer Weise reich stilisierte Tiere, wodurch das Alter des Teppichs<14.— 15. Jahrhundert) zu bestimmen ist. An den beiden äußersten Ecken dieser Wand oben hängen zwei Längstcppiche. die in ihren, wie gegitterten, feingliederig-geometrischcn Muster wie Filigranarbeit wirken. Flimmert hier leicht die Buntheit der Farbe, so stehen als Gegenstück gut dazu die mit großen Blumenmustern dekorierten Stücke, die alle in tiefer Pracht gehalten find, ein dunkles Blau, auf dem breit das Pflanzenornament aufliegt. In der Ecke nach dem ersterwähnten Tierteppich zu hängen noch einige Stücke, die durch die seidige Weichheit ihres Tons auffallen, Teppiche aus Damaskus , die aus der Wolle der Angoraziege hergestellt wurden. Großflächige Wirkung in, ganzen, geistvolles Detail in, einzelnen, dabei spielende graziöse Handhabung der Nüancen, der Farbe, bald tiefleuchtend, bald auffchimmernd, bald nur zart andeutend. Mehrere Schränke enthalten arabische und ägyptische Kleinkunst. Ganz hinten eine Sammlung von GlaSstempeln ägyptischer Herkunft, Notmünzen mit den Namen der Komge und Statthalter, Aichungsstempel für Hohlmaße, Glasgewichte. Daneben ein Schrank mit sog. Mosulgefäßen. Bronzegefäße in getriebener Arbeit, darauf die Muster eingeritzt, ausgelegt m anderem Metall(Tauschierarbeit). Auch hier geometrische Ornamente, Tiere dann und Pflanzen in eigenartiger, reizvoller Verschlingung. Immer wieder muß man die zierliche, elegante Manier bewunder», die doch so sicher und griindlich arbeitet. Im Anschluß hieran betrachte man sich gleich den Kasten, der an der Längsivand steht, dazu bestimmt, den Koran aufzunehmen. Im Schrank daneben ein Deckel. Beides aufs saubarste ausgeführte Metallarbeiten. Bei den Gefäßen ist wieder zu bemerken, wie die Verfertiger immer darauf achthaben, dem reichlich überspinnenden Zierwerk einen großen ruhigen Hintergrund zu geben. Hier ist eS die Form der Gefäße, die stets voll, ausladend und fest ist. Schwere Form, leichter Dekor— das ist der Grundsatz. Oder bei den Teppichen: tiefe Grundfarbe, reizvolles Spiel der Linien darüber. In einer Vitrine finden wir nach Fundorten Mlet, Priene, Rakka geordnet Ton« scherben. Namentlich die aus Rakka (800—1500) stammenden Stücks sind reich und mannigfaltig in der Linienführung und farbig von vollerem Akzent. Ein Schrank daneben zeigt gleichfalls Scherben. die die Namen der Meister aufweisen. Hier ist jedes einzelne Stück interessant und der Betrachtung wert. An einzelnen Scherben be- merken wir einen goldigen Glanz oder einen Schimmer wie Kupfer. Eine Fülle von Vorwürfen, wie wir sie nicht kennen. Arabische Buch- decke! finden wir in dem Glasschrank an der Längswand rechts neben dem Korankasten. Arbeiten in Leder. In feinen Strichen sind hier die Ornamente ausgehoben. Punktierte Felder beleben die Flächen. Dem Material angepaßt, sehen wir die gleiche Formenwelt hier auf das Leder übertragen. Auch ganz tiefen Schnitt finden wir in einzelnen, schweren Deckelexemplaren. Diese Künstler berück« sichtigten fein die Art der Ausführung. Wie ruhig wirkte eine solche Fläche. Nur da« benutze» sie von ihrer Ornamentik für dieses Material, was dem Leder entspricht. Von dem satten Braun heben sich die hellen Linien leicht ab. Diesen arabischen Arbeiten schließen sich in gegenüberliegendem Schrank ägyptische Lederdeckel an<1350 bis 1500), nicht so reich, nicht so voller Leben, aber doch noch eigen und sicher. Einige Arbeiten in Elfenbein und Holz(Schnitzereien) ergänzen noch die Fülle dieser fremdkünstlerischen Welt. Ständer enthalten eine Auswahl arabischer Stoffe; dieselbe Formeusprache übertragen auf die Gewebe, Tierdarstellungen, Pflanzen auf Seide und anderen Stoffen. Und so ist es nicht ohne Bedeutung, wenn wir wenigstens einen flüchtigen Blick in diese fremde Welt getan haben. Wir müssen uns gegenwärtig halten, es sind Höhepunkte von Kulturen, die uns fertig gegenübertreten. Welchen Einfluß diese Welten auf unsere frühere Entwicklung ausüben mußten, läßt sich unschwer ahnen. Immer wieder kamen Wellen herüber, die uns neue Anregungen brachten. Wir sind dieser Kunst Dank schuldig. Wir sind abhängig von ihr und durch sie geworden. So müssen wir fühlen. Und durch diese reifen Kulturen werden wir noch weiter zurück, auf den Ursprung, auf Asien hin verwiesen. Wir sind nur ein ganz vorübergehender Moment neben einem Zeitraum von Jahrtausenden. Darauf weist diese asiatische Kunst. Bis jetzt sahen wir immer nur Griechenland und den Einfluß von Griechenland und Italien in einem bestinimten Zeitraum. Nun iverden wir direkter zu den Quellen hingeführt. Wir fühlen organischer uns im Zusammenhang mit alten Entlvickelungen als ein Teil. Dunkle Gebiete hellen sich da auf, die bis dahin im Dämmer lagen. Bis dahin betrachteten wir die Kunstgeschichte von uns aus und kamen nicht weiter zurück als bis zu bestimmten Höhepunkten naheliegender Kulturen. Nun fassen wir die Beziehungen tiefer. Und von diesem Standpunkte aus müssen wir diele Reste, die uns hier ausbewahrt sind, betrachten. Wir finden in diesem Museum nur die Kunst(die sogenannte hohe Kunst) der christlichen Zeitalter bis zur Neuzeit. Aber schon diese Neste, die in unser Zeitalter hineinragen, geben uns einen Begriff von der hohen Kultur dieser Völker, die uns an Reife und wie spielend vollendeter Schönheit so weit übertrafen.— - Ernst Schur. Kleines feuUleton. -er- Die Moralischen.„Gestern ist er sogar bis elf Uhr oben bei ihr gewesen," sagte Frau Zindler; sie sagte es in einem Ton. als konstatiere sie einen Abgrund allerticfster Verderbtheit. «Bis elf Uhr?" Die Lehrerfrau sah gen Himmel. „Bis els Uhr?" wiederholte der Chor und versank dann in ein entsetztes Schweigen. Die Stricknadeln und die Kaffeetassen klapperten um die Wette, sonst hörte man nichts für die nächsten paar Minuten. „Bis els Uhr" bestätigte Frau Zindler noch einmal.„Ich hörte sie runter gehen. Anni brachte ihn selbst die Treppe hinunter und schloß ruf, und dann haben sie noch volle acht Minuten unten ge- standen, ich Hab' nach der Uhr gesehen. Acht volle Minuten im dunklen Hausflur!... Wie finden Sie nun das?" „Aber das ist ja einfach ein Skandal!"...„Das ist ja empörend!"... Es herrschte eine allgemeine Entrüstung. „Geküßt haben sie sich auch vermutlich da unten," meinte Fräulein Auguste spitzig, ihre lange dünne Nase zitterte förmlich. „Sie haben sich geküßt, ich Hab' es gehört, ich habe die Tür aufgeinacht, natürlich nicht etwa um zu horchen, ich wollte bloß mal hören, tver da so spät noch runterging, und da hörte ich es eben. Sie haben sich geküßt." „Pfui!" rief Fräulein Auguste. „Pfui!" Iinederholten die anderen Damen. „Ich weiß nicht, wie ein anständiges Brautpaar so schamlos sein kann!" meinte die Lehrerfrau:„Das ist ja gegen alle Braut- standsmoral." „Da ist ja die Mutter daran schuld," sagte Frau Rechnungs- rätin Schmidt wegwerfend.„Die Mutter müßte gar nicht dulden, daß ein fremder Herr so lange im Hause bleibt." „Na aber, es ist doch Annis Bräutigam, und sie werden in vier Wochen heiraten," rief Grete Zindler, die eben mit einer frischen Kanne Kaffee hereingelomme», und nun einschenkend von einer zur anderen ging.
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21 (16.11.1904) 226
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