Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 227.

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Freitag, den 18. November.

( Nachdruck verboten.)

Der Alte vom Berge.

Roman von Grazia Deledda .

VIII.

Zia Bifaccia bereitete die Tunke für die Maccheroni; in einer Pfanne aus rotem Ton zerrührte sie die zerstoßenen Nüsse, nahm mit einem hölzernen Löffel kochendes Waffer aus dem großen Kessel und goß es darüber. Der heiße Rauch des Herdfeuers wehte um ihre Hände und schlug ihr ins Gesicht. Ihr Mann saß ängstlich zusammengefauert auf dem Boden und beobachtete stumm jede Bewegung der Frau. Sie nahm einen Maccheroni aus dem Kessel, führte ihn zum Munde und sagte dann, ohne nur den Kopf zu wenden:

,, Sie find gar. Nimm den Ressel herunter, Bakis" Das Männchen sprang auf, ergriff den Henkel, hob den Kessel ab und setzte ihn eilends zu Boden: er blies schnell auf die verbrannte Handfläche.

"

Dummkopf, Dummkopf, der Du bist! Wußtest Du nicht, daß der Henkel glühend heiß ist?" schrie die Frau.

Zio Batis flagte nicht, um sie nicht noch mehr zu reizen; er Iniete vielmehr bereitwillig nieder, nahm den Löffel, hob die Maccheroni aus dem Kessel und legte sie vorsichtig auf die Schüssel, in der Zia Bisaccia sie mit der Tunke vermischte.

Der heiße Dampf umhüllte Mann und Frau; die Herd. flamme schlug hell durch den jeẞt leeren Dreifuß auf.

" Sia Caterina," sagte Bafilio, der glückselig lachte und all seine prächtigen Zähne zeigte, soll ich den Dreifuß abstellen, sonst kocht der Teufel."

Er spielte auf den nuoresischen Aberglauben an, daß der unsichtbare Teufel seine Mahlzeiten auf den Dreifüßen focht, die leer über dem Feuer stehen. Aber Zia Bisaccia war nicht zu Scherzen aufgelegt.

" Set Dich darauf, wenn Du ihn nicht auf dem Feuer sehen magst."

"

Wen, den Teufel?"

Nein, nein, den Dreifuß," sagte Zio Bakis gutmütig. ,, Sei nur ruhig, mein Sohn!"

Zia Bisaccia richtete noch Brot und Wein her und er­wartete dann ihre Söhne; doch es schlug acht, achteinhalb, neun Uhr und die Söhne kamen nicht. Endlich, nach neun, fam einer, der dem vagierenden Bruder sehr ähnlich war; die Müze rutschte ihm auf dem Kopfe, die Beine fnickten und seine Augen stierten; er war sinnlos betrunken.

Die Mutter gewahrte es sofort und fuhr ihn an: Habe ich darum auf Dich gewartet? Du Trunkenbold, elender Taugenichts. Wir wollen essen, Bakis. Sieh nur, ob es der Mühe wert ist, mit dem Essen auf Deine Söhne zu

warten."

Essen wir" erwiderte er refigniert.

Sie aßen. Der junge Mensch sprach kein Wort und war nur bemüht, die Mütze auf dem Kopfe festzuhalten; er fostete einen Maccheroni, fpuckte ihn aus und wollte nichts mehr davon. . ,, sie schmecken Dir nicht?" schrie die Mutter höhnisch. Was möchtest Du denn, mein Schatz? Schweinebraten vielleicht?" Vielleicht"- stotterte er und lachte leise in sich hinein, als ob er an sehr luftige Dinge dächte; dann streckte er die Hand nach dem Wein aus, aber die Mutter nahm die Flasche schnell fort, hielt fie in die Höhe und sagte:

Wenn Du willst, schlage ich sie Dir auf dem Kopfe ent­zwei, denn im Leibe hast Du schon genug davon.

Er widersprach nicht, sondern lachte nur immer. Zio Bakis und Basilio aßen unterdes mit vollen Baden. Sie schwiegen und mischten sich nicht ein auch dann nicht, als Zia Bisaccia, da sie sah, wie der Sohn schwankend aufstand, sich auf ihn stürzte, ihn schlug und ihn zwang, sich wieder hin­zusetzen.

,, Still da! ganz still!" fuhr sie ihn an. Oder willst Du auch dahin, wo Deine Brüder sind? In den Käfig oder in den Wald? Ist es noch nicht genug an zweien, dreien, Du Trunkenbold? Nicht gerührt, sag' ich Dir, sonst sollst Du an die Christnacht denken!"

1904

Er lachte nur immer; doch kaum saß die Mutter, so stand er auf und schwankte der Tür zu. Sie fiel nochmals über ihn her, stieß ihn zurück und schloß die Tür.

Bio Batis machte Bafilio ein Zeichen, daß er nicht den Mund auftun solle: und Basilio, beobachtete und schwieg. Er war so glückselig, daß auch eine Bluttat ihm in jenem Augenblick als ein Scherz erschienen wäre.

Trozz Zio Bakis Behutsamkeit band seine Frau nun wieder mit ihm an, nachdem sie eine Matte auf den Boden gebreitet hatte und den Sohn gezwungen, sich niederzulegen.

,, Da siehst Du, was Du für Söhne hast, Du armseliger Mann! Hättest Du sie nicht besser bei unserem Herrgott gelassen? Statt fie so zu erziehen, hättest Du lieber nicht heiraten sollen, hättest da oben in Deinem Schafstall bleiben sollen! Und das sind Männer!" schloß sie verachtlich.

Erst nachdem sie alles aufgeräumt und ihrem Mann ver­boten hatte, auszugehen, ging fie zu Bett, und Zio Bakis konnte aufatmen. Er frug Bafilio, woher er fei, nach seiner Familie, wie viel Lohn die Carta ihm gäben, ob Zio Pietro gesund sei, was er mache und wie er die Zeit verbringe, auch ob ihre Hütte mitunter von Banditen aufgesucht würde.

Bafilio antwortete in spöttischem Ton, denn er machte fich heimlich über den Alten lustig, den er nach seinem Be nehmen gegen seine Frau für den dümmsten Menschen von Nuoro hielt; und aus instinktmäßiger Abneigung gegen den Schwachen und Dummen sagte er ihm nicht, daß der Bandit, der in ihrer Hütte einkehrte, sein Sohn war gerade das, was der Alte wohl durch seine Fragen zu erfahren hoffte. Seine Meinung änderte sich jedoch, nachdem Zio Batis ihm ein Geschichtchen erzählt:

,, Pietro Carta!"- rief er blößlich aus, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände um das Knie. Er schwieg einen Augenblick und seine Augen leuchteten auf in weit zurüc liegenden Erinnerungen; dann sagte er: Ein braver Mann, der! Ich erinnere mich, als wir jung waren, und ich mit Caterina liebelte, da war auch einmal Weihnachten, und ich hatte nichts, das ich meiner Liebsten hätte schenken können; da ging ich zu ihm und sagte: Laß mich ein Schweinchen Deines Serrn stehlen, ich gebe Dir fünf Lire!" Obgleich wir gute Freunde waren, jagte er mich fort und schrie: Ich verkaufe meine Treue nicht um einen Scudo! Mach', daß Du fort­kommst, und wenn Du es Dir beikommen lässest, hier etwas anzurühren, so wirst Du den Weihnachtstag nicht bei Deiner Geliebten verbringen!" Aergerlich lachend ging ich weg, und da ich nicht wußte, was ich unternehmen sollte, geriet ich in die Hände meines zukünftigen Schwiegervaters. Es fiel mir ein, daß dort auch einige Ferkel standen, die als Geschenk für die Richter in Sassari bestimmt waren, welche einem Bruder Caterinas den Prozeß zu machen hatten. Was tue ich? Ich schleiche mich heran wie ein Dieb, dringe in die Hürde ein, pade eins der Ferkel bei der Schnauze, drücke sie fest zusammen und stoße ihm mein Messer ins Herzchen."

Und das gehörte Eurem Schwiegervater?" frug Basilio, während Bio Bakis die Faust ballte und tat, als ob er zu­stoßen wollte.

Wem sonst? So brauchte das Ferkelchen die Reise nach Saffari nicht zu machen: es wurde anderen Tages hier bei Caterina in guter Gesellschaft verspeist." ,, und

-

Aber..." sagte Basilio voller Bewunderung Eure Schwiegereltern und Eure Braut merkten nicht, daß das Geschenk ihnen selbst gestohlen worden war?"

,, Keine Spur! Aber als der schlaue Pietro Carta hörte, daß in der Hürde meines Schwiegervaters ein Ferkel fehlte, dachte der es sich gleich. Eines Tages ging ich an seiner Hütte vorbei, grüßte ihn und sagte lachend: Und gibst Du mir heute ein Ferkel?" Da spuckte er aus und antwortete nicht einmal. Seitdem ist unsere Freundschaft geschwunden; ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Ist er jetzt anders? Ach ja! Sie haben mir gesagt, daß er nichts mehr sieht."

,, Wenn er auch nicht sieht, so fühlt und hört er!" sagte Basilio tückisch.

,, Er ist noch immer derfelbe."

Dieses Geschichtchen also wandelte seine Meinung über Zio Batis; das Männchen däuchte ihm einer von denen zu sein, von denen das sardische Sprüchwort sagt: ribu mudu,

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