Nnterhallmgsblatt des HorivärtsNr. 223.Sonntag, den 20. November.1904(Nachdruck verboten.)17?Ver Hlte vom Berge»Roman von G r az i a D cled d a..Nimm Dir den Sack da," sagte Zio Bakis.Er nahm den Sack, breitete ihn auf die.Erde und warf<L$-r Gesicht in den Armen verbergend. Er machte�Smr, suchte Tpuxuuv ,-15,,, Tr i,warmen Lippen auf den seinen, und empfand ein leiden fchaft-liches Glück, weit inniger und tiefer, als er es in der Wirk-lichkeit empfunden hatte. Aber gleichzeitig erfaßte ihn einheftiges Verlangen und die sehnende Hoffnung, Paska baldwieder zu sehen, sie in Wirklichkeit so wieder zu haben, einVerlangen, das ihm fast den Atem raubte. Das Herdfeuermachte ihm heiß, und sein Herz pochte heftig: er wendete sichauf den Rücken, preßte die Hände auf die Augen und spannseinen Traum weiter, seine Erinnerung, sein sehnsüchtiges Ver-langen. Paska war immer bei ihm: er sah und spürte ihreAugen, ihr Gesicht vor sich, sprach zu ihr und sagte ihr Dinge,die er ihr in Wirklichkeit nicht gesagt hatte, noch je sagen würde.Sein Glück war so innig, so heiß sein Verlangen, daß ihmTränen in die Augen kamen: er wischte sie ab und bemerkte erstda, daß Zio Bakis Söhne heimgekommen waren und beimSchmause saßen.„Junger Mensch," sagte der Kahle, als er sah, wie ersich regte,„steh auf und iß!"Basilio richtete sich ein wenig auf und sah, wie die jungenLeute, nachdem sie die Lämmer auf dem hölzernen Fleisch-brett zerlegt, gierig aßen, das Fleisch in den Händen haltendund große Stücke mit den Zähnen abreißend.Das saftige Mahl erschien Basilio widerlich im Vergleichmit seinem glückseligen Traum: er streckte sich wieder hin undschloß die Augen. Doch vermochte er nicht, sich wieder so ab-zuschließen wie vorher: durch seinen Traum drang das leiseSchwatzen und Lachen der Zechenden, das Klirren der Flaschenund Gläser und das Schnarchen des Betrunkenen. Auf einmalhörte dieses auf, der Schläfer reckte sich, gähnte und fragte,ohne die Augen aufzutun:„Wie viel Uhr ist es? Wird es schon dunkel?"Die anderen lachten: er versuchte sich aufzurichten, sielaber wieder hin.„Wo seid Ihr, meine Brüder? Ich sehe Euch nicht. Wohin ich?"„Du bist betrunken," antwortete einer der Brüder.».Schlafe nur!"„Ich betraiken? Ich?" schrie er und stützte sich auf seineFäuste.„Wer bist Du?" Seine geröteten Augen blicktenstumpf und doch drohend.„Still! Wenn Deine Mutter wach wird!" sagte ZioBakis.„Meine Mutter? Wer ist meine Mutter? Wo ist sie?Laßt sie doch kommen! Ich habe weder Mütter, noch Vater,noch Brüder: ich habe nur Feinde!" Er streckte die Faust aus,und da diese Stütze fehlte, siel er wieder hin.„Ich habe nureinen Bruder, aber der ist nicht hier, der ist fort, verbannt.Wo bist Du, mein Bruder, Brüderchen, wo bist Du?"Er fing an zu schluchzen und laut nach seinem verbanntenBruder zu rufen.„Zum Teufel der Wein und wer ihn Dir gab!" fluchteder Kahle, warf sich auf ihn und hielt ihm den Mund zu.».Schweig, oder, bei Gott, ich erwürge Dich!"Der Trunkene röchelte, aber er leistete keinen Widerstandund schlief allmählich wieder ein. Doch die Erwähnung desfernen Bruders schien die Fröhlichkeit der Zechgenossen zutrüben: sie hörten auf zu essen und sprachen betrübt von demBanditen.„Gestern hat man ihn bei den Carta gesehen, das hatmir der Bursche da gesagt," sagte Zio Bakis, auf Basiliodeutend.„Sie werden sich über Paska Carta unterhalten," sagteder junge Bärtige spöttisch.Warum? dachte Basilio bei sich.Zio Bakis seufzte und schimpfte über Paska.„„Warum? Warum?" wiederholte Basilio und erwachteaus seinem Traum.„Um der Sache willen ist mein Sohn ins Unglück qe-kommen. Er stahl zu Hause, um den Weibern Geschenke zumachen und wer zu Hause stiehlt, der stiehlt auch draußen."„Und zetzt?".„Jetzt, scheint es, hat er sie aufgegeben," sagte einer derBruder.,.... Und der andere:„Oder sie ihn! Auf den gefällten BaumMM.em leder mit der Art."„Was weiß der davon," sagte der Kahle geringschätzig.„Wenn die da... Liebhaber zu Dutzenden hat. Nicht mitmeinem Bruder allein hinterging sie ihn und nicht seinetwegenhat sie jenen aufgegeben!"„Aber wenn er sie doch aufgegeben hat?"„Wer, Melchior?"„Nein, mein Bruder."Basilio erbebte: grausam wurde sein Traum zerstört, dasschöne Bild Paskas verdunkelte sich, das kleine, strahlendeGesicht bedeckte sich mit all dem Ruß der Küche Zia Bisaccias.Aus dem süßen Rausch seiner Erinnerungen versank ermit einemmal in beängstigende Leere: er gedachte seiner ersteninstinktmäßigen Eifersucht und begriff jetzt, daß er nicht nurdie Herren hassen müßte, sondern auch die Bauern, die Hirten— jeden Lumpen!In einem Augenblick durchzuckten ihn tausend bittere, ver-worrene Gedanken: er verspürte das Verlangen, aufzustehen,den Verleumdern seiner Paska ins Gesicht zu spucken— unddann hinzueilen, an ihre Türe zu pochen und ihr zuzurufen:Ist es wahr, daß Du mit allen liebelst? Auch mit denSpitzbuben?Doch er rührte sich nicht.Hatte er geträumt? Er rief sich ihr Beisammensein inallen Einzelheiten zurück, fühlte den heißen Kuß Paskas aufseinen Lippen, erzitterte und hätte weinen mögen.War es denn möglich, daß all das, dessen er sich er-innerte, wirklich geschehen war? Ja, es war möglich, es wardie Wahrheit, und gerade weil es die Wahrheit war, mußte auchall das Böse, das sie von Paska erzählten, wahr sein.Aber weshalb liebelte sie auch mit ihm? Zu welchemZweck? Er dachte scharf nach, wie ein erfahrener Mann.Weshalb auch mit ihm? Er war ein armer Bursche, ohneZukunft: er hatte weder Schafe, noch Geld, noch irgend etwasanderes, das er ihr schenken konnte. Warum also sollte sie ihntäuschen, wenn sie ihn nicht ein wenig gern hatte?Nein, sie verleumdeten sie. Vielleicht hatten die jungenLeute ihn bei ihr eintreten sehen und sagten das jetzt ausNeid, damit er es höre und leide.Wie ein Kind redete er sich vor: Aber ich schlafe ja unk»höre gar nichts! Und er lag still, mit klopfenden Schläfen undlitt tiefe Qual.Die jungen Leute bereiteten den Kaffee und gingen dannschwankenden Schrittes fort: Basilio hörte sie in der Fernesingen.Zio Bakis öffnete die Tür, damit die frische Luft denDunst und Eßgeruch vertreibe und brachte die Küche inOrdnung...So vergingen einige Stunden. Durch die Tur schimmertedas Frühlicht eines kalten Wintertages. � Zio Bakis Söhnekamen heim und warfen sich zum Schlafe nieder. Basilio schliefnicht: alle seine Glieder schmerzten ihn und sein Kopf warmüde vom Denken. Endlich verfiel auch er in den Schlaf derErschöpfung. Da sah er Paska wieder vor sich, süß und zärtlich,wie zuvor: ihr Gesichtchen strahlte, und die warmen, rotenLippen drückten sich auf die seinen. Welche Seligkeit! Daswar wie der warme Mittag auf dem Berge: wie das helle,heimliche Flimmern der Sonnenstrahlen: wie der schmeichelndeDuft der Kräuter und die linde Erschlaffung der Muskeln:das Umherschweifen der irrenden Psyche zwischen Traum undWachen: die Wonne des Traums mit der Erinnerung ver-woben.. �Ein heftiger Stoß, eine harte Stimme weckte ihn.„WaS ist?" fragte er. die schweren Lider hebend.„Steh auf und geh, es ist Zeit!"