Die tJötn Schlaf umflorten Augen gewahrten mit Staunen ftte unfreundliche Gestalt Zia Bisaccias. die aufrecht unter all den schlafenden Männern stand. „Hast Du nicht gehört? Es ist Zeit, zu gehen." „Ich gehe, ick gehe schon." erwiderte er erschrocken. Er erhob sich und machte sich schleunigst fort. Die Morgendämmreung warf einen grauen Schatten über den Hof; der Boden war hart gefroren und der Himmel hing tief herab in gleichförmigem Weist. Basilio erschauerte und empfand ein unsägliches Unbehagen bei seinem Erwachen zur rauhen Wirk- lichkeit und der Erinnerung an das, was die jungen Leute von Paska gesagt hatten. Wieder erfaßte ihn das Verlangen, zu ihr zu eilen, um sie wiederzusehen, um zu wissen, zu wissen .... und auch um das unaussprechliche Glück wieder zu genießen, aus dem Zia Bisaccia ihn herausgerissen hatte. Wes- MMatfp fck-HKVß ÄM.K-PMZ..WMÄh KiöiNi-Mi.'W gleich? Warum war es so kalt? Warum war die Welt so häßlich und das Leben so traurig? „Was machst Du noch da?" schrie die Frau, an die Haus- tür tretend und ihm seine Tasche reichend.„Gel)' schnell, sofort, sonst werden Deine Herren es mich entgelten lassen. Mache jetzt schnell!" Ich gehe zu Paska, dachte er, die Tasche umhängend. „Ich gehe zur Messe," sagte dagegen die Frau;„so können wir ein Stück zusammen gehen." Sie hing ihre Tunika um und zog den schläfrigen, trau- rigen Basilio mit sich. In der Ferne läutete eine Glocke, und hart tönte der Klang in die eisige Luft des trüben Morgens hinein. Zia Bisaccia geleitete Basilio bis zu der Straße, die ins Freie führte und kehrte sich nach ihm um, bis er verschwand. Wie von ihrem Willen getrieben, ging er geradewegs weiter, sah nicht zurück und kehrte nicht um; aber sein Herz schwamm in einem Meer von Bitterkeit. Aus seinen vor Kälte, Schlaf und Schmerz schweren Augen rannen große Tränen; sie netzten seine Lippen und schmeckten bttter. Stumm und lässig stieg er bergan, unter dem traurig weißen Himmel, der Schnee verkündete; die Abhänge waren weiß bereist und die Sträucher längs des Weges starr vor Frost— desselben Weges, den er am Abend vorher jubelnden Herzens hinabgesprungen war. Von Nuoro kamen schwache, vereinzelte Töne der Morgenglocken. Oben, hoch oben, als seine Kehle trocken war und er doch kein Wasser trinken mochte, erinnerte Basilio sich der gestohlenen Traube, die Zia Bisaccia gewiß nicht entdeckt hatte. Er holte sie hervor, und da sie von dem Futter der Tasche beschmutzt war, bückte er sich über den Bach und tauchte sie zweimal hin- ein; dann brachte er sie an den Mund und pickte sie ab. Jede goldene, klar« Beere spiegelte sein Bild wieder: ganz klein, nur mit großer Nase und Lippen; fie waren süß und kalt und erfrischend— aber auch das löste die Bitternis des kleinen Herzens nicht. � Als Basilio daheim anlangte, waren seine Herren zum Aufbruch bereit. Melchior hatte schon auf ihn gewartet und sich über sein langes Ausbleiben geärgert. Sobald er ihn sah, rief er ihm zu: „Hättest Du nicht noch etwas länger zögern können, Füchslein? Hattest Du noch nicht genug Vergnügen gehabt? Wenn ich das gewußt hätte!" „Es scheint Schnee zu geben," entgegnete Basilio;„ich Sachte, Ihr würdet nicht hinuntergehen. Bei Zia Bisaccia haben sie die ganze Nacht gefeiert und mich gar nicht schlafen lassen; ich bin so müde, daß ich kaum noch herkommen konnte." „Du Aermster!" sagte Melchior spöttisch und half dem Alten auss Pferd. „Nun, jetzt kannst Du ja von der Nachtschwärmerei aus- schlafen; hernach werden wir Abrechnung halten!" „Wenn Ihr hinuntergeht, so werdet Ihr wohl nicht heilte Abend zurückkommen, Zio Ptetro. Ihr sollt sehen, es gibt Schnee." „Laß es schneien," sagte Zio Pietro im Sattel, während Melchior ihm die Steigbügel schnallte. „Ich werde gewiß nicht die Hand über Euch halten. .Gute Reise!" Melchior schlug mit der Hand auf die Kruppe des Pferdchens, das sich sogleich in Bewegung setzte, und schritt mismerksam hinterher. Bald waren sie in dem graum Lichte verschwunden. Basilio nahm die Tasche von den Schultern und blie? am Eingang der- Hütte stehen; anscheinend gleichgültig pfiff er vor sich hin und blickte in die leere Ferne. Der Himmel schien sich immer tteser zu senken und mit seinem trüben Weiß die Gipfel der Küstenberge zu verschlingen; die feuchten Felsen bei der Hütte und der düstere, schweigende Wald standen wie in Erwartung. Nur hin und wieder das Geklingel der Ziegen und das Meckern der ersten jungen Zicklein, das wie Kinder» weinen klang. � r.. Ob er wohl heute kommt, sagte Basllio für sich und dachte an den Banditen. Mag er sie verlassen haben, oder sie ihn— ich hasse ihn! Und ich werde es Zio Melchior sagen, daß sie auch mit dem geliebelt hat. Doch was kann mein Herr ihm tun? Was er ihm tun kann, dachte er einen Augenblick später, Wyvf'»..—,—/-■")» O" lUjlltltll. Alle Berge und Hügel verschwanden. Und Felsen und Sträucher, der Wald und die Hütte, wie die Hürde nahmen schweigend die dichte, weiße Hülle auf. Das Gemecker der Zicklein klang noch kläglicher. Basilio lief den Abhang hinab zu den Ziegen, aus deren warmem Fell die weißen Flocken bald schmolzen, und trieb die jungen unter das Laubdach, das neben der Hürde für sie er- richtet war. Von den Müttern gefolgt, sprangen sie unter das schützende Dach und drängten sich alle zusammen cm den Ausgang; Rücken an Rücken standen die zierlichen schwarz und weißen Zicklein, mit den großen Augen uncherschauend. Basilio kehrte in die Hütte zurück; die Katze schlief, der Hase blickte in die Ferne, und der Hund stand am Eingang und bellte die Schneeflocken an, welche der Wind ihm ins Gesicht trieb. Und der Schnee fiel immerzu, in schrägen, gleichmäßigen Linien auf dunstig weißem Hintergrund. Heute wird Zio Pietro nicht wieder heraufkommen, dachte Basilio. Und da er sah, wie der Schnee immer dichter fiel, warf er sich den großen Mantel über den Kopf, nahm die Axt und ging wieder hinaus. Er trieb die nassen Ziegen, die gegen das reine Weiß des Schnees schmutziggelb aussahen, in die Hürde hinein und schloß die Tore. Dann ging er in den Wald und stieg auf die Steineichen, um Zweige abzuhacken, mit deren Laub die Herde während des Schnees gefüttert wurde. Durch das ttefe Schweigen des Waldes erklang dumpf der Schlag der Axt; und bei diesem Klang, der rings im Kreise widerhallte, als ob nicht eine, sondern sechs Aexte bei der Arbeit wären, fanden zwei Karabinieri die Richtung wieder zur Hütte der Carta. Blond und frisch kamen sie in Feld- ausrüstung, mit feuchten Gamaschen und Patrontaschen durch den Wald. Als Basilio sie sah, empfand er Furcht; seit mehreren Stunden wälzte er so finstere, schlimme Gedanken im Kopfe, daß er sich beklemmt fühlte wie ein Missetäter; dann aber erriet er den Zweck, zu welchem jene zwei stattlicheil jungen Mämcer mit dem kalten, tückischen Blick und den großen blauroten Händen daherkamen, und sein Herz schlug heftig: Es war Freude, Sorge, Hoffnung, Furcht! Dennoch traf die Axt fest auf den krachenden Ast und brachte ihm eine gelbe Wunde bei. Die Karabinieri kamen bis an den Baum und blickten hinauf. Einige Späne fielen ihnen auf die Köpfe. „Guten Tag!" sagte Basilio dann, hielt die Axt an den Stamm und stellte sich aufrecht, die Füße auf zwei Aeste gestützt und nach unten blickend.„Wen suchen Sie?" „Wer bist Du?" Er dachte, wenn er einen beliebigen Namen nennte, so würden sie weitergehen. Aber er wollte ja das Gegenteil, und so sagte er: „Basilio Serra, der Knecht Melchior Cartas." Sie wechselten einen schnellen Blick. „Komme sofort herunter und führe uns zu seinem Hause." Er stieg herab, lud die Zweige auf die Schulter, schleppte die großen Aeste hinter sich her und führte die beiden durch das immer dichtere Flockengewimmel nach der Hütte. Dort wärmten sie sich, trockneten ihre Kleider und blickten hartnäckig durch die Türöffnung hinaus, doch so, daß sie von außen nicht gesehen werden konnten. Sie geboten Basilio, sich ganz ruhig zu verhalten. Er gehorchte, setzte sich still in einen Winkel und streckte seine schmutzigen Schuhsohlen gegen das Feuer. Um sich über die peinliche Erwartung hinwegzutäuschen, nahm er den Hasen zwischen die Knie und ließ ihn Männchen machen.
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21 (20.11.1904) 228
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