Die Karabinieri warfen ihm dann und wann einen lallen, geringschätzigen Blick zu, richteten aber kein welleres Wort an V; sie dachten sicher nicht, daß der, den sie für einen großen dummen Jungen hielten, ganz genau wußte, weshalb sie ge- kommen waren, wen sie suchten und weshalb sie durch das fülle Schneegestöber hinausblickten. Nach einer langen Stunde Wartens sah er, wie sie ein- ander einen schnellen Blick zuwarfen, sich mit einem Katzen- sprung zurückzogen und zu beiden Seiten des Eingangs an die Wand drückten. Da ist er! dachte Basilio, warf den Hasen hinter sich und lockte den Hund herbei, damit er nicht belle. (Fortsetzung folgt.), Dei* Vettötanz cua Die Unterwelt ist zur Erde empor gestiegen. Noch eben leuchteten die letzten Blätter an den Bäumen wie seltene märchenhaste Edel- steine. Run ist die Schatzkammer des Herbstes geschlossen. Was unten im Gebüsch noch lose an den Besten hängt, das ist nicht mehr die purpurne Abendstöhlichkeit, die in stiller Seligkeit wangengcrötet zur Ruhe geht, nachdem sie alles, was ihr Tagewerk an Kraft und Schönheit barg, bis zum letzten Rest aufgezehrt. Das find frierende, trauernde Spätlinge, an denen das grohe freudige Sterben vergeblich vorübergegangen. Dieser und jener Strauch wollte ja dem Tode selbst noch neues Leben ablisten. Der Flieder streckte junge grüne Triebe heraus, aber die erste kalte Nacht hat sie in bläulicher Leichen­starre gezeichnet. Man soll nicht leben vor dem Frühling. Unendlich rieselt der schwere Nebel. Auch die Sonne ist, so scheint's, gestorben, und das welke, schattenhaste Licht, an dem die Herzen der Menschen sich erschauernd zu wärmen mühen, strömt nur noch aus den grauen Bahrtüchern, welche die tote Sonne verhüllen. Es gibt kein Morgen mehr, kein neues Erwachen. Der Zeit selbst verstummte der Herzschlag. Und wenn nicht in den verlafienen Nestern der Schwalben die Spatzen lärmten und schwatzten, über Tod und Leben sich erstechend, so wär's, als ob die Natur die Stimme verloren hätte. Das find die leeren Tage, in denen wir den Totensonntag im Kalender verzeichnet finden. Aber auch den Tod wissen loir nicht zu feiern. Wir ehren den Tod, indem wir das Leben schmücken. Wir kränzen die Gräber durch das kühn und groß brausende Dasein. Unser Totenkult ist eng und furchtsam, das Gedenken an Familienkatastrophen, er klebt allzu fest am häuslichen Herd, er wächst uns nicht empor, zur Weltmahnung des ganzen Menschheits- schicksals. Der Tod ist für uns ein nachdenkliches Geschehnis, wenn er uns selbst trifft, unsere Eltern und Kinder, ein paar Freunde, die wir kennen, und ein paar Große draußen, die wir ehren. Nur dann fließen die Tränen, wenn der Tod Müller und Schulze heißt, Hans und Grete. Wir hadern mit dem Schicksal, wenn in unserem Kreise die gewaltige Bewegung des Lebens irgendwo erschöpft versiegt, oder wenn die Unfähigkeit des Lebens sich in jähem, stühcn Zusammen- bruch ankündigt. Der Totentanz ist fiir uns ein Hausball des per- sönlichen Unheils. Die Todesfurcht entfremdet uns der Wirklichkeit deS Lebens, und wir halten fiir Schicksal, was unser eigen Werk. Nicht dem Tod, der sonst die Fackel verlöscht, nachdem die Kraft des Brennens und Leuchtens aufgezehrt, sollten wir bang ins geheimnisvolle Antlitz starren, der Tod ist ein Göttergeschenk der Natur, der letzte Segen des Daseins. Nicht sterben wollejn, heißt begehren, daß man nicht sterben kann. Es läßt sich aber keine wildere Oual und Marter ersinnen als die Verdammnis des ewigen Lebens, vor dem es kein Emra icn gibt. Nicht der Totentanz , zu dem Natur die Fidel süß und sacht streicht, ist das düstere Verhängnis des Daseins. Des Todes sollten wir vielmehr gedenken, der unier eigen Werk, den wir selbst aus- rüsteten zu höllischer Gewalt, den wir bewehrten mit all den Grau- samkeiten einer teuflischen Phantasie. Die Menschheit selbst hat dem stcundlichen, weich lockenden Gevatter Tod den Taumelwank gereicht, der aus dem lindlächelnden Reigen des Zur-Ruhe-Wanderns den wüsten, wahnsinnigen Veitstanz des Todes geschaffen, der über die blutende, stöhnende Erde tollt, die Blüten der Seelen gierig zerreißend und die kunstvollen Tempel der Leiber zertrümmernd. Was frommt es. zu weinen über die Nächsten, die uns starben, dem Tod. den wir selber schufen, weihen wir den Tag, vergießen wir die Tränen für die Fernsten, Fremdesten, die in den durch unsere eigene Schuld entfesselten Veitstanz des Todes hineingerissen wurden I Das Unabänderliche zu beklagen ist Torenweise. Der Totensonntag soll kein Familientaa persönlichen Leides sein, sondern ein aufrüttelnder Gerichtstag der schlaffen Gewissen. Jeder Mensch ist unser Ankläger, der durch die Schuld der Ge- sellschast verkam. Die unzähligen Mllionen, deren sehnsüchtiger Lebensdrang verkümmert, deren tief atmendes Bewußtsein immer enger zusammengeschnürt wurde, bis sie mit toten Seelen den Weg quälender Gewohnheitsarbeit wandelten, die Hirne, deren stürmende Gedanken wir ausdörrten und marterten, bis alles freie Denken erstarb, die Augen, die wir blendeten und denen wir das Licht stahlen, die schwellenden Muskeln, die wir entkräfteten, di« Lungen. die wir vergüteten, und die Wunder der lachenden Kindheit und der geheimnisschwer stuchtdämmernden Jugend, die wir er« barmungSlos würgten das sind die Toten unserer Schuld. Das ist der Zug des Wahnsinns, der unter Tay tobt wie in den Fabriken. der die Dreschmaschinen und Eisenhämmer überschreit, der durch die Kasernen tollt, durch die Gassen der beschmutzten Liebe, der auf den Straßen der russische« Städte rast, der sich in den Blutsümpfen der Mandschurei wälzt und aus dem Sande Südwestafrikas versunkenes Menscheudaseift schlürft. Welch harmloser Bursche ist doch der Knochenmann mit der Sense, wie ihn die verdüsterte Volksvorstellung bildete. Der Tod, den die heutige Menschheit erschuf und als Geißel über die Völket sandte, ist unerschöpflich in der Entdeckung lebenzerreihender Folter- Werkzeuge. In ein paar Granaten steckt mehr Zerstörungskraft, als in allen Marterinstrumenten des Mittelalters zusammen. Millionen von Menschen sind auf der ganzen Erde unausgesetzt tätig, um dem "''ItstfT'diölöm sich stündlich mehrenden ungeheuren Heer der Toten weihen wir keine Empfindung. Die Menschen sind zu Zahlen ge- worden. Unerschüttert lesen wir täglich in dürren Telegrammen, wie wieder hundert, tausend, zehntausend, fünfzigtausend Menschen ge- fallen find. Nur wenn d,e Zahl gar zu riesig anschwillt, erbeben wir Wohl einen Augenblick. Aber niemand denkt daran, daß von diesen hundert, tausend, zehntausend, fünfzigtauscnd Menschen jeder einzelne durch den Tod größeres Leid denen, die ihn liebten, zugefügt hat. als die Toten unserer Nähe den Ihrigen. Niemand durchdenkt die ganze Fülle zertrümmerten Menschenschicksals, das in den namenlosen Massengräbern niodert. Während wir aber den Tod dermaßen gegen die Menschen hetzen, suchen wir wieder das Leben eines einzelnen durch Wälle von Waffen zu sichern. Während die Völker des Zaren verbluten, während man ihnen vor- lügt, es sei sinn- und ehrenvoll für ein Vaterland der Schande ge« mordet zu werden, verbirgt der Schuldige des mit schweren Füßen über die Erde taumelnden Totentanzes seine bleiche zitternde Todes» furcht hinter denselben Werkzeugen, mit denen er den Tod auS- gerüstet hat. Er gab dem Tod alle Macht und Befugnis, damit er ihn selbst vor dem Rächer schütze. Ein Japaner hat unlängst das entsetzende Wort der Weisheit gesprochen: Solange Nur den Menschen nur unsere Kunst gaben, galten wir als Barbaren. Seitdem wir aber die Wissenschaft deS Mordens gelernt haben, find wir plötzlich ein Kulturvolk. In der Tat, die ganze Welt senkt ehrfürchtig ihr Haupt vor dieser Kraft im Töten... Der Totensonntag der Kultur wächst heraus über die kleine Klage der Familienalltäglichkeit. Wir stöhnen nicht wehleidig, daß unsere Vettern und Basen und am Ende wir selbst sterben müssen, sondern wir empören uns gegen die Tötung derer, di» nicht sterben müssen. Nicht den Toten deS eigenen Hauses und der nächsten Gaffe ist unser Totensonntag geweiht, sondern den ruchlos Getöteten der Menschheit. Ko. kleines Feuilleton. b". Die lieden Totem.»Es regnet!" sagte Käthe verdrießlich» .Pfui nein, und ein Schmutz ist, nicht zum durchkommen! Datz kann ja morgen nett werden! Dabei soll man nach dem Kirchhof 1* Na es ist wieder wie voriges Jahr." Die Mutter, die miß dem Flickkorb am Fenster saß ließ die Arbeit sinken und sah gleich- falls in den rcgengrauen Novembertag hinaus:Ja, und vab«1 nach dem Kirchhof! Schöne Aussichten!" Nun, wenn es morgen auch regnet, fahrt doch übermorgen» den Tag nachher pflegt es ja immer schon zu sein." So riet de» Bruder, der noch beim Nachmittagskaffee faß. Uebermorgen?" Käthe war ganz entsetzt.Du kannst Wohl nicht daftir? Wir sollen am Toicnsonntag nicht nach dem Kirchhos» Großmutters Grab soll ungeschmückt bleiben, wo jedes Grab sei« Blümchen hat?" Ihre Stimme wurde etwa? sentimental und etwa» weinerlich. Das geht nicht," entschied die Mutter,das ist man den Toten schuldig, daß man an diesem Tage liebend ihrer gedenkt." Ein Tag im Jahre bleibt den Toten frei," deklamierte Käthtz mit Pathos.Nein, wir müffen hin, PapaS Mutter muß doch ihre» Kranz haben! Unsere Großmutter ohne Kranz, das wäre ja un. erhört!" Unerhört!" stimmte die Mutter bei. Man muß doch seine» Toten Gedächtnis heilig halten! Was würde denn Papa sage«, wenn er von der Reise zurückkommt und hört, wir hätten seine» seligen Mutter nicht mal'n Kranz gebracht?" Wenn er das Wetter sieht, würde er sagen: Geht übermorgen, ehe Ihr Euch'n Schnuppen holt," bemerkte der Bruder trocken. Pfui Willy! Sei bloß nicht so prosaisch!" entrüstete sich Käthe. An'n Sdchupfen zu denken, wenn es so was Heiliges und Poetisches wie das Gedächtnis der Toten gilt! Du hast gar kein Gefühl!" Nein, hat er auch nicht." pflichtet« die Mutter bei,«habe« die Männer alle nicht. Käthchen, wir muffen sogar früh raus nach 'm Kirchhof, damit die Blumen da sind, wenn Tante Lina und ihro