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Wieder stieß der Stock auf den Fels: oben, unten, zur Seite; oft mußte Sio Pietro sich anklammern, um die Steigung zu überwinden. Einmal traf sein Stock vor und unter ihm ins Leere, und der Wind blies ihm stark ins Gesicht. Er dachte:

Ich bin auf dem Gipfel. Wenn ich doch den Abstieg finden Tönnte!

Doch er mußte umkehren, es an einem anderen Punkte versuchen. Hier glaubte er sich besser zurechtzufinden und ge­wissermaßen den Platz zu erkennen: der Stock streifte Gebüsch und Gesträuch mit hartem Laub, das in der Dämmerung milden Duft ausströmte, und deutliches Waldesrauschen stieg von den tieferen Abhängen zu ihm auf.

Ich muß am Cuccuru Nieddu sein, dachte er. Nun bin ich so lange gegangen und nur eine halbe Stunde von Hause entfernt. Ich bin viel umhergeirrt.

et fugtie, vaz ber Abend nahte. Die Nägel noritummten. und Fels und Gesträuch atmeten jenen besonderen, feuchten Geruch, den erst der Schatten bringt. Für ihn freilich machte es wenig aus, ob die Nacht hereinbrach, denn sie fonnte nicht dunkler sein, als seine immerwährende es war; und doch fühlte er instinktive Furcht vor der äußeren Finsternis.

Seine Hände und seine Knie zitterten vor Müdigkeit; feine Kehle war trocken, der Kopf schwer. Und doch dachte er nicht daran, sein Vorhaben aufzugeben.

Etwas Geheimnisvolles, Unwiderstehliches rik ihn mit Was? Melchior oder das Leere, die Gefahr?

Diese, sagte die Vernunft.

Jener, sprach das Herz.

Und der unglückliche Abstieg begann. Die vom raugen Gestein gerigten Hände brannten; die erloschenen Augen erblickten einen fernen, blauen, schimmernden Punkt. Die Wälder unterhalb rauschten stärker im Abendwind.

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Der Alte lag unbeweglich. Sein Gesicht war weißer wie der lange, wirre Bart.

,, Er ist tot!" schrie Basilio, sich aufrichtend und fing bitter­lich an zu weinen. Was habe ich getan, was habe ich getan! Wie kann ich meinem Herrn Rechenschaft ablegen über seinen Vater? Und ich sagte es zum Spaß, daß er ihn tot finden würde! Ach, und nun ist er tot! Er ist tot!"

Aber der Hirte hatte Zio Pietro die Hand auf die Brust gelegt und sagte jett: Dummfopf, solltest weniger schwagen und mehr Mut haben! Er lebt; er muß von da oben herunter­gefallen sein. Wir wollen ihn forttragen."

Sie flochten einige Aeste und Zweige zusammen und streuten Gras und Blätter darauf; so sanft wie möglich hoben sie den Verletzten auf und legten ihn auf die Trage nieder. Er Stöhnte. Basilio und der Hirt erbebten beide.

,, Was habe ich nur getan?" schrie der erstere wiederholt. Was habe ich getan, dachte der Hirt bei sich, sprach es aber nicht aus. Er gebot Basilio, still zu sein, beugte sich über den Alten und sagte leise:

Was habt Ihr, Zio Pietro? Wir sind hier, habt nur Mut!"

Der Alte stöhnte nur; blutiger Schaum färbte seine Lippen und tropfte auf seinen Bart.

Langsam trugen sie ihn nach Hause, mit größter Vorsicht den felsigen Abhang hinabsteigend. Basilio weinte still vor sich hin und biß auf die Unterlippe, um nicht laut zu schluchzen. Unaussprechliche Angst quälte ihn, und in seiner Seele tobte ein Sturm von Jammer.

Ich bin müde, dachte Zio Pietro, und hielt wieder an. Herr, hilf mir! Wo bin ich nur? Ach, könnte ich doch Ruhet finden, könnte ich doch sehen!

Er lehnte den Kopf zurück, als ob er mit verzweifelter Anstrengung das Licht suche; er horchte, aber er hörte nichts anderes, als das Rauschen des Waldes; er jah nichts anderes, als jenen fernen blauen Punkt, der jetzt gleich einem Stern in der Höhe stand.

Der Wind fuhr falt über ihn hin und erneuerte ihm den Schauder der Verzweiflung.

Zio Pietro nahm den Abstieg wieder auf; sein Stod traf auf einen fleinen Vorsprung; durch die vermeintliche Stüße getäuscht, streckte er den Fuß aus, doch der Fuß trat ins Leere, und der Stock glitt ab..

( Schluß folgt.)

Literaten und Kulturarbeiter.

day

Der Simpliciffimus"-Verleger Langen   hat zum Gedächtnis, daß er nunmehr seit einem Jahrzehnt auf Schriftwerke seine Firma fest, einen Verlagskatalog feiner Autoren herausgegeben, der 36 Selbstbiographien enthält. Deutsche   und ausländische Schrift steller haben von ihrem Leben erzählt, zumeist in spöttisch sanftem Karikaturstil. Schulleiden und Verlagsschmerzen scheinen zumeist die großen Ereignisse dieser Schicksale zu sein, das Abiturienteneramen Lebenstende, die Abneigung gegen Mathematik und Latein er­schütternde Tragik. Die 36 Autoren haben sich zufällig zusammen gefunden, aber es liegt in der merkwürdigen Gleichförmigkeit ihrer fidel neckenden Selbstbetrachtungen ein gewisser Aufschluß über Besen und Mission des Literatentums in der gegenwärtigen Gesell­schaft.

Der Verlag hat in zehn Jahren 389 Werke von 117 Autoren Es war ihm, als ob das Waldesrauschen plößlich zu um- herausgegeben und insgesamt fünf Viertel Millionen Bände gedruckt. geheuerem Brausen anwüchse, und der kleine, blaue Punkt in Das ist ein relativer Erfolg, aber nicht viel bei einem Volt von tausend leuchtende Funken zerstöbe. Dann schwieg alles, alles 60 Millionen und einem Kaufbezirk, der über das Deutsche Reich  schwand. Er war vier oder fünf Meter tief hinabgestürzt und hinausragt; und die Zahl schrumpft noch mehr zusammen, wenn man mit dem Rücken auf einen Stein aufgeschlagen. Er wurde erwägt, daß der Verlag auch die Eisenbahnlektüre fultiviert. Der nicht ohnmächtig, doch alle seine Muskeln waren wie gelähmt, männliche Deutsche liest schöne Literatur ja nur auf der Eisenbahn  . der Blutumlauf unterbrochen, und seine Nerven auf eine Weise Die höchste Auflage erzielte Björnsons Ueber unsere Kraft" angespannt, die peinvoller war als jeder Schmerz. Sein 25 000 Exemplare. Björnsons Lebenswert fann mit 24 Stunden Scherlarbeit nicht konkurrieren. Denken verlor sich in dieser Pein.

Als das Blut allmählich wieder regelmäkiger freijte, machte sich auch der Schmerz fühlbar: ein scharfer Schmerz im Rücken, der durch alle Glieder zog. Er versuchte nicht einmal, sich zu rühren, streckte nur die Hand aus, um seinen Stock zu suchen; er fand ihn nicht und dachte, daß sein treuer Gefährte wohl für immer verloren sei, und das schmerzte ihn.

Da erst begann er zu stöhnen, in seine törperliche und seelische Qual getaucht, wie in ein Bad aus rotem, kochendem Blut.

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Es mochte Mitternacht sein, als Bafilio und der benach­barte Hirt, den er zu Hülfe gerufen, nach langem, mühsamem Suchen zu jenem Punkte gelangten.

Um Langen   sammeln sich unter den deutschen   Autoren die Leute, die man für bürgerlich anstößig und gefährlich erachtet. Es find die Männer der Simpliciffimus"-Stimmung, von deren graus famen Gefahren für das deutsche Vaterland man von Zeit zu Zeit in den nationalen Blättern Schreckensdinge lesen kann. Man sollte annehmen, daß gerade sie am ehesten den Weg vom Berufsartisten zum Kulturarbeiter finden, daß sie die Universalität der menschlichen Interessen als Lebensquell ihres Schaffens befißen; das höchste mensche fiche Interesse aber ist die Anteilnahme, die scharf bestimmte Mit­wirkung an den sozialen und politischen Bewegungen. Aber die Selbstgeständnisse der deutschen Autoren, so wenig aufschlußreich fie sonst sind, verraten doch das eine, daß Deutschland   noch immer die Bedientenstube ist, in der die Künstler die leider notwendige politische Tätigkeit der dazu bestellten Bureaukratie überlassen, fie selbst erklären das politische Lied immer noch für garstig, und machen aus der Not ihres Gewerbes, ästhetische Luftfflaven für die Bourgeoisie zu sein, die Tugend einer über den Wolken schwebenden Barteilosigkeit. Deutschland   hat sicher von der ganzen Welt, Ruß land und die Türkei   eingeschlossen, heutzutage die unfähigsten, uns Wie der Mond höher stieg, legte sich der Wind, und tiefste gebildetsten und verwaschensten Regierungsbeamten. Ein Minister, Stille herrschte ringsum; dichter Wald zog sich vom Cuccuru der ein Buch schriebe, wäre eine höchst verdächtige Erscheinung, feinen Tag länger im Amte bliebe. Und Nieddu abwärts, und die schrägen Mondstrahlen zeichneten Wellenlinien in das schweigende Blättermeer, das sich zu un- Bolitik beteiligt, würde seine Kundschaft verlieren. Die Polizei hat Romanschreiber der sich aktiv an der oder Theaterſtüdler bekannten Gestaden hinabsentte. faum noch nötig, die ernstesten und drängendsten Probleme von der Bühne zu scheuchen, die Herren Autoren sind schon selber artig genug, um ihre rein ästhetischen" Kompetenzen nicht zu überschreiten.

Die Sichel des abnehmenden Mondes stieg am Klaren Himmel auf; die Felsen standen schwarz auf filbernem Grunde, und über ihnen zeichnete sich scharf die kleine Pyramide des Vermessungsdreieds ab.

3io Pietro, Zio Pietro, was habt Ihr gemacht?" schrie Bafilio und beugte sich über den armen Alten. Hört Ihr mich? Ich bin's, Bafilio, ich bin hier. Was habt Ihr? Seid Ihr gefallen? So lange haben wir Euch gesucht, Zio Pietro."

ein

Man braucht in dem Langen  'schen Katalog nur die großen Namen der Ausländer zu vernehmen: Tolstoj, Bola, Björnson finden