ihren grohen Stolz darin, die Feder für die Aufgaben von Volk und Menschheit zu führen. In keinem der deutschen   Autoren pocht das Herz der Zeit! Unter den Deutschen   des Langeschen Verlags erzählt einer, und zwar wohl der stärkste und radikalste Satiriker von heute, wie er vor ein paar Jahren nationalliberale Artikel geschrieben und sich über Bismarcks Abdankung geärgert habe; das hat seine satirische Verachtungslaune erweckt. Eine wohl assortierte Welt- anschauung I Dagegen wirkt schon Otto Erich Hartlebens Bemerkung erquicklich rebellisch:.Dann kam ich nach Magdeburg   an die Straf- kammer und da ging's nicht mehr. Da halt' ich den Jammer, daß ich mit den Leuten auf der Anklagebank fast täglich lieber zu Abend gegessen hätte als mit meinen Kollegen auf die Dauer hätten das die einen den anderen übel genommen und ich wär in die Peinlichsten gesellschaftlichen Verlegenheiten gekommen." Ein anderer, der als vergmigter Ehemann der Unsterblichkeit verfallen ist, bemerkt selbstbewußt.'.Wollte man ihn nach seiner politischen Meinung fragen, so würde man ihn in Verlegenheit setzen. Es kommt vielleicht daher, weil er keine politischen Leitartikel liest und Bismarck   tot ist." Der Kultus der schön gezeichneten Raubtiere das ist schon das Höchste an politischem Aufwand, den ein bürger- licher Literat des deutschen Reiches treibt. Wieder einer, und zwar einer von den Führern in den Literatur- stürmen der achtziger Jahre, beichtet:.Politisch parteilos, bin ich denkerisch esoterischer Theosoph." Wer könnte leugnen, daß in all den Gärungen unseres Jahrhunderts nichts so wichtig und notwendig ist, als in der Politik nicht Partei ergreifen, dafür aber esoterischer Theosoph zu sein. Karmal Ein neuerdings vielgenannter Mann, den ein unbegreifliches Mißverständnis für einen Milstäraufrührer ausgeschrien hat, äußert höchst schalkhaft, wen» er noch einmal auf die Welt käme, er würde sein Leben wohl wiederholen:«Nur vor dem Dienen im deutschen Heere Hütt' ich recht bange". Und endlich wäre noch Hermann Bahr  'zu tieimen, der vor Jahren eine witzige Gegenschrift gegen SchäffleS.Aussichtslosigkeit des Sozialismus" geschrieben hat und heute autobiograpisch gesteht: Politisch: früher Sozialdemokrat, jetzt aber Anarchist, da es mein fester Glaube ist, unsere Kultur m liste zugrunde gehen, wenn es ihr nicht gelingt, zur vollkommenen Freiheit zu gelangen, welche durch- aus keine Gewalt mehr nötig hat. Oder sagen wir statt Anarchist lieber: Japaner." Der Mann berichtet mit einer Gleichgültigkeit, als ob es sich um deu Kauf eines neuen Papierkragen handle, daß er ehedem Sozialist, heute Anarchist oder vielmehr Japaner ge- worden sei. Das ist Geist, oder sagen wir statt Geist lieber: Ouatsch I Hermann Bahr   ist nämlich inzwischen Lieferant für die große Papierfabrik geworden, die sichNeues Wiener Tagblatt  " nennt. Das ist die ganze Ausbeute, die man aus den Autobiographien schöpft, wenn man nach den Lebensbetätigungcn der deutschen Schrift- steller forscht; und der Verleger muß geradezu in dem Rundschreiben, in dem er die autobiographischen Skizzen erbat, besonders nach der politischen Gesinnung gefragt haben. Aber trotzdem sind unsere Deutschen   natürlich ernsthafte charakter- volle Persönlichkeiten, die nichts gemein haben mit deu gallischen, liederlichen Windhunden I In dem Katalog findet sich auch eine Skizze von Anatole France  . Der Franzose ist vielleicht der feinste Artist in der heutigen Schriftstellerwelt i diese Kunst hindert ihn aber nicht, daß er seine Lebensbeschreibung mit den Worten schließt:.Ich habe mich keinen Augenblick von den Verbrechern rm Generalstab irreleite» lassen, die Meineid aus Meineid und Fälschung auf Fälschung häuften, um einen Unschuldigen zugrunde zu richten. In diesem Punkte trat ich mit jener großen Fraktion der französischen  Sozialisten, der es klar war. daß aus der Sache eines un- bedeutenden jüdischen Hauptmannes eine große soziale Bewegung hervorgehen konnte. Ich habe immer die Annen geliebt und die Arbeit geehrt. Ich verfolge mit lebhaftem Interesse die Anstrengungen, die das Proletariat aller Länder macht, um seine Emanzipation durchzusetzen. Ich weiß, daß diese Emanzi- pation das Werk der Proletarier selbst sein wird, und wiederhole mit Freude den Ausspruch des verehrungswürdigen Anseele: Die Einigkeit der Arbeiter wird der Weltfriede sein". "Das ist der Literat, dessen höchster Stolz ist, an der Kultur zu arbeiten. Der deutsche Schriftsteller aber ist parteilos, oder war. sofern er sich noch recht erinnert, g e st er n Sozialdemokrat. Deshalb ist der deutscheSinrplicissimuS" auch immer nur ein genialisches Unterhaltungsblatt, die PariserAssiette au Beurre" aber ein revolutionärer Sturm, der jede Woche die Oeffentlichkcit furcht. Joe. Kleines feuületon. s. Ter Dichter derJuden". Jewgcnie Nikclajewitsch T s ch i r i k o w, der Dichter des Dramas, das heut in derFreien Volksbühne" seine Erstaufführung erlebt, gehört dem Kreise von talentvollen Schriftstellern an, die sich im Laufe der letzten Jahre um Maxim Gorki   gesammelt haben. Tschirikow   wurde im Jahre 1864 als Sprößling einer im Gouvernement Simbirsk be- gütertcn Adclsfamilie in Kasan   geboren. In Kasan   besuchte er ein klassisches Gymnasium und die Universität, und zwar gehörte er an- fmigs der juristischen Fakultät an, ging aber bald zum Studium der Naturwissenschaften über. Im Alter von 23 Jahren wurde er wegen»Studentenunruhen" von der Universität relegiert. Bereit» als Student hatte er an verschiedenen Provinzzeitungen, so am Wolgaboten", mitgearbeitet, bis er im Jahre 1903 durch einige Novellen die Aufmerksamkeit des größeren Publikums auf sich lenkte. Seither veröffentlichte Tschirikow eine ganze Anzahl von Erzählungen. in den ersten russischen Zeitschriften, und sein Talent wird von der fortgeschrittenen Leserschaft mit Recht geschätzt. Seine Novellen sind gesammelt in drei starken Bänden erschienen, die bereits mehrere Auslagen erlebt haben. Tschirikow   schildert mit Vorliebe die russische Intelligenz", in der sich während 4>er neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine jähe Spaltung vollzog. Auf der einen Seite standen dieNarodniki", die eine Erneuerung der russischen Ge» sellschast von unten herauf, vom russischen Bauerntum erwarteten und sich in einem verschwommenen Nationaldcmokratismus gefielen. Neben ihnen standen dieKulturniki", die Anhänger der alten liberalen Ideale, denen die vorgeschritteneren Elemente in den sechziger und siebziger Jahren gehuldigt hatten. Im Gegensatz zu diesen beiden Richtungen, die Tschirikow in seinen Erzählungen als völlig abgewirtschaftet und geistig bankerob' schildert, war in den achtziger und neunziger Jahren eine neueJnrelligenz" emporge- kommen, mit frischen, modernen Idealen ein radikal gesinnres geistiges Proletariat, das mit dem alten Plunder abgestandener Weltanschauungen energisch aufräumte und nach neuen Propheten Ilmschau hielt.Ein. paar ehemalige Studenten, eine Hebamme ohne Praxis, ein autodidaktischer Künstler, ein junger Mann. der sich zum Abiturientenexamen vorbereitete" das sind die Ge- stalten, die uns in einer von Tschirikows Erzählungen(«Die Aus- länder") als solcheNeu-Jntelligente" mtgegentreten. Es sind dieselben Elemente, die u. a. auch Gorki in seinenKleinbürgern" gezeichnet hat. Es ist in diesen Kreisen viel von den Marxschcn Theorien die Rede, aber auch Stirner und Nietzsche   spuken dort in den Köpfen. Tschirikow   erwartet auch von diesen Leuten kein be- sonderes Heil für das russische Volk, wiewohl seine Sympathien ihnen offenbar weit mehr gehören als den Anhängern der älteren Richtungen. Alles, was sich in Rußland  intelligent" nennt, be; zeichnet Tschirikow   alsMenschen ohne Boden unier den Füßen". alsEntwurzelte". Mehr und mehr hat sich sein Interesse, wohl unter dem Einflüsse Gorkis  , dem aufgeklärten städtischen Proletariat zugewandt, das allerdings, im Vergleich mit der in Unwissenheit und Roheit hinvcgeticrenden großen Masse, nur erst einen geringen Bruchteil des russischen Volkes bildet. In denJuden" hat sich Tschirikow   einem neuen Stoffgebiet zugewandt einem dunklen. traurigen Milieu, an dem der russische Barbarismus sich bis in die neueste Zeit hinein auf brutalste Weise ausgelassen hat. Ein Original. Von dem dieser Tage in W i c n verstorbenen ehemaligen Professor der Augenheilkunde Dr. Karl Stellwag erzählt einer seiner Schüler imNeuen Wiener Tageblatt":Die jetzt studierende medizinische Jugend kannte den alten Herrn nicht mehr. Die jovialen Professoren der siebziger Jahre sind ihr fremd. Wir, die wir 1890 auf die Hochschule kamen, haben noch zwei solche kennen gelernt: Professor Stricker und den jetzt verstorbenen Hof- rat Stellwag. Der alte Hofrat   war, trotz aller Strenge beim Examen, ein gemütlicher Herr. Etwas korpulent, mit behäbigen Schritten einherschrcitcnd, kam er pünktlich in die Klinik, wo er uns täglich von 8 bis 10 Uhr früh in die Mysterien der Augen» Heilkunde einweihte. Allerdings widmete er auch viel Zeit Gesprächen über dies und jenes, über die Mängel der Einrichtung seiner Klinik, im Gegensatz zu der desjungen Herrn im ersten Hofe" wie er den Leiter der Ersten Augenklinik stets genannt, über seine eigenen Angelegenheiten, und gab uns auch weise Lehren, für unser künftiges Leben als praktische Aerzte. So eine weise Lehre war das wenig liebenswürdige:cave collegam!"(Hüte dich vor dem Kollegen). Beim Examen war er, wie schon erwähnt, streng. Mit Vorliebe prüfte er aus den schwierigsten Kapiteln seiner Disziplin, und als ein Examinand, in der Beantwortung nur schwer vorwärts- kommend, um eine andere Frage bat, sagte Hofrat Stellwag in teil- nahmsvollcm Tone: Ja, lieber Freund, eine noch leichtere Frage kann ich Ihnen schon nicht geben." Einen Prüfling, den er durchfallen ließ und der sehr verzweifelt tat, tröstete er mit den folgenden Worten: Ja, warum sind Sie denn so verzweifelt? Schauen S', der Herr Vorsitzende beim heutigen Examen" und er wies mit einer Handbewcgung auf den Dekan der Fakultätwar mein Schüler, und den habe ich in der Augenheilkunde auch durchfallen lassen. Und sehen'S: er ist doch Hofrat und Dekan geworden. Nicht wahr, Spektabilität?..." Ein anderer Schüler Stcllwags, Dr. Ellenbogen, erzählt in der WienerArbeiterzeitung": Professor Stellwag war eines jener heute so seltenen gelehrtenOriginale", die sich ebenso durch absolute Rücksichtslosigkeit als durch ungekünstelte Warmherzigkeit auszeichnen. Sein trockener, schneidender Humor war in akademischen und nicht» akademischen Kreisen gefürchtet, und eine ganze Reihe seiner von einer echten Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit eingegebenen Bissig- keiten sind berühmt geworden. So ärgerte es ihn mit Recht, daß die armen Studenten so vielen Prüfungsbeisitzern ganz zwecklos die Prüfungstaxen zahlen mußten; und da überdies diese Herren ge» wohnlich zu den Prüfungen zu spät kamen, so kam ihm deren Tätigkeit als ein überflüssiges Schmarotzertum vor. Eines Tages kam einer dieser Herren, ein Statthaltereirat, wie gewöhnlich, eine halbe Stunde zu spät zur Prüfung.»Tlarde venistil"(«pät komme«