russischen Judenverfolgungen: aber seine christlichen Brüder haben kein Herz für seine Not gehabt. Tas alles war die Nemesis dafür, daß die pflichtvergessene junge Dame die Bellegarder höheren Töchter so schmählich im Stich gelassen hatte. Freilich: Ersatz fand sich bald. Dieser Ersatz war ich. lind so hatte ich denn meinen großen Tag. Acht Mädels, acht- und neunjährig, lieb, drall und süß, wurden meiner Obhut anvertraut. Weißt Du, Schatze!, zur Lehrerin bin ich nicht geboren. Ich glaube: erziehen kann ich und lieb haben auch. Aber zum Lehren gehört eine besondere Art von Strenge, die ich nicht besitze. Lernen taten die Frauenzimmerchen trotzdem etwas bei mir, vielleicht nur aus dein Grunde, weil wir lins gegenseitig lieb hatten. Ein Jahr lang habe ich sie unterrichtet und dann mit Glanz und Gloria in die dritte Klasse der höheren Töchter- schule entlassen. Zwei Taler bekam ich für jede von ihnen monatlich; im ganzen sechzehn Taler. Fünfzig Mark beinah! O, war ich reich! Das süße Gefühl des Geldverdienens half mir über den ersten schweren lliiterrichtstag den Tag nach dieser Nacht hinweg. Und als ich die Kinder einzeln mit Händedruck entlassen hatte, setzte ich mich ruhig an den Mittagstisch und, ge- daiikenlos und empfindungslos meinen vollgehäuften Teller leer... Meine Mutter lächelte befriedigt: die nächtliche Strafpredigt hatte mir augenscheinlich über alle Ueberspannt- heilen glücklich hinweggeholfen. Am Nachmittag trat ich meinen gewohnten Spaziergang an. Aber ich ging nicht wie alltäglich nach dem nahen Stadt- Walde, sondern auf den Friedhof. Du kennst diesen Friedhof, meine Seele. Wir beide haben einst an der Ruhestätte meiner Vorfahren dort gestanden an einem wetterschwülen, regenseligen Frühlingstag. Als die ersten Veilchen blühten. Du kehrtest heim, und ich war eine Stunde noch mit Dir gefahren, bis zur dritten Station. Dort verließen wir den Zug, und ich führte Dich in den blühenden Garten des Todes... Da legtest Du den Arm um mich und küßtest mich auf die Augen. Wir beteten: Du Lcbensflut, die auS den Tiefen quillt Begrabuen Seins und rastlos wächst und schwillt Und von Geschlecht sich zu Geschlecht ergießt"-- Meine Ureltern segneten ihren Sohn. O Du, Du!---- Damals, Tu, an jenem rotgoldenen Frühherbsttage, als ich in wortloser Verzweiflung hinter der Maienrosenhecke dieses Friedhofes kniete, wie hätte ich damals die Seligkeiten meiner Zukunft ahnen sollen? An dieser Hecke ging Albrccht mit seiner Braut vorbei. Weißt Tu, daß es wie im Märchen war? Tie Maienrosen blühten im Oktober. In die blühenden Rosen hinein hielt ich mein Gesicht gedrückt. Er ging zrim Lazarett, das jenseits des Friedhofes lag, und am Arme führte er seine Braut. Da sah ich sie zum erstenmal. Wie eine Drahtpuppe schritt sie neben ihm her, die Hand nach strenger Vorschrift leicht auf seinen Arm gelegt, so daß ein kleiner Raum zwischen ihren Gestalten blieb. Er hatte sich höflich zu ihr hinabgebeugt. Sie konversierten. Ich sah ihnen durch die Rosen hindurch lange, lange nach. Als ich heim kam, schlich ich heimlich in meine Kammer. Ich trug ausgeschnittene Promenadenschuhe an jenem Tage; die zog ich aus und goß eiskaltes Wasser hinein... In meiner Familie ist die Schwindsucht erblich. Das tat ich Tag für Tag. Durch sechzig Tage, durch Sturm und Schnee ging ich in den nassen, kalten, durchweichten Schuhen. Und unterrichtete. Und verdiente. Und lebte. Und hustete... Mit welcher Wonne begrüßte ich diesen Husten! Und wenn ich nun starb, sollte kein Mensch erfahren, warum ich starb. Um die Illusionen meiner Kindheit! Das hätten sie ebensowenig verstanden� wie meine Mutter es verstand. Die sechzig Tage gingen vorbei, und neunzig und hundert... und ich lebte immer noch. Das langsame Sterben wurde mir schließlich langweilig. Und inzwischen hatte Albrecht Hochzeit gemacht, und seine Braut hatte außer ihren Reichskassenjcheinen und sonstigen Herrlichkeiten ein Blüthnersches Pianino und ein Dutzend handgestickter weißer Unterröcke in die Ehe gebracht. Die Welt stand noch, und das Leben ging im aus» gefahrenen Geleise. Da zog ich trockene Schuhe an und nahm Kreosot. Und einen anderen Arzt, weil Albrecht inzwischen ver- setzt worden war. Und als zum anderen Male die Septembersonne in die Maienrosenhecke schien, entließ ich meine Mädels in die hohe Schule, packte meinen Koffer und ging nach Berlin . * Das neue Leben! Ich wußte, daß ich würde arbeiten müssen. Davor hatte ich keinerlei Furcht. Im Gegenteil empfand ich eine starke und tiefe Freude bei dem Gedanken an die Arbeit. Ich fühlte, daß sie die Erlöserin werden mußte von allen Wahngebilden einer durch Schmerz, Sorge und ein frühes sinnliches Empfinden überreizten Kinderphantasie. Vor dem Heimweh hatte ich Furcht. Ich wußte, wie grenzenlos einsam meine arme Mutter sich fühlen würde. Sie geleitete mich in die neue Heimat. Diese Reise nach Berlin war die erste längere Bahnfahrt, die ich unternahm. Hellen Stolzes voll, dem sich doch ein leises Angstgefühl bei- mischen wollte, reichte ich dem Schaffner meine Fahrkarte. Dann wurden die Türen geschlossen, und der Schnellzug be- gann seine rasende Fahrt. In bunter Abwechselung zogen Städte, Dörfer, düstere Kiefernforsten und die goldenen Stoppelfelder der pommerschen Ebene, die sandigen Flächen der Mark an meinen staunenden Augen vorüber. Mitunter kam es über mich wie eine Blendung. Dann lehnte ich mich mit geschlossenen Augen tief in die Ecke zurück und versuchte zu träumen, bis ein neuer gellender Pfiff mich zu erneuter Aufmerksamkeit zwang. Himmelhohe, schwarz» berußte Schornsteine tauchten in der abendlichen, rotgoldenen Unendlichkeit vor mir auf... (Fortsetzung folgt.); j�aNirmllenIcKaftttcKe deberficht. Von C u r t©rotte tvitz. Auch unter den Gespenstern gibt es verschiedene Rangstufen. So ein kleines armseliges Gespenst, das vielleicht im Schornstein rumort oder auch am hellen lichten Tage an einem Kreuzivege hockt, hat nie so bedeutenden Eindruck gemacht als diejenigen, die in finsterer Nacht unter Feuererscheinungen ihr Unwesen trieben. Die Naturwissenschaft hat aber auch den letzteren unter dem Namen Irr- licht, Elmsfeuer, leuchtende Bäume und dergleichen ihr Signalement gegeben, so daß sie nun allgemein kenntlich geworden sind, und nie- mandem mehr einen sonderlichen Schrecken einjagen können. Das Signalement ist gleichwohl noch nicht vollständig. Unter dem Be- griff Irrlicht dürften wohl die verschiedensten Naturerscheinungen zusammengefaßt werden, die elektrische Natur des Elmsfeuers ist dagegen hinlänglich bekannt. Ueber eine dritte Feuererscheinung, die sehr viel Anlaß zu Aberglauben gegeben hat, über leuchtende Pflanzen, hat jüngst Hans Molisch eine gediegene Arbeit geschrieben (Fischer, Jena 1904). Die Erscheinung des Leuchtens ist, wie in der Tierwelt, so auch bei den Pflanzen ziemlich verbreitet. Die niedersten Pflanzen, die Algen, deren es im Meere so viele gibt, leuchten indes nicht. An» gaben über das Selbstleuchten von Vertretern dieser Pflanzengruppe beruhen darauf, daß Tiere, die an den Algen haften, Licht aus- strahlen. Das Meeresleuchten, soweit es nickst von Tieren ausgeht, wird meist von gewissen Pcridineen hervorgerufen. Pflanzen, die man früher zu den Urtieren zählte, denen man aber jetzt eine ge- sonderte Stellung zwischen Algen und Pilzen zuweist. Es ist nicht immer leicht, festzustellen, welche von den vielen mikroskopischen Wesen, die sich im Meere befinden, das Leuchten verursachen. Aber durch sehr sorgfältige Methoden gelang es doch Molisch und einigen anderen Forschern, die Erreger des Meeresleuchtens genau festzu» stellen. In manchen Gegenden, zum Beispiel im Triester Hafen, wird dieses in der HauptsmHe von Peridinoen verursacht. Soweit es sich um leuchtende Bäume handelt, die in früheren Zeiten und in entlegenen Dörfern wohl noch jetzt abergläubische Menschen in Schrecken setzen, sind die Erreger des Lichtes stets Pilze. Bei uns verursacht namentlich der Hallimasch, ein Ver- wandter des Champignons, das Leuchten an verschiedenen Arten faulender Bäume. Sein Hut leuchtet nicht, wohl aber das Myeel, das unter der in Zersetzung begriffenen Rinde der Bäume dahin- kriecht. Man kann sich leicht leuchtendes Holz verschaffen, wenn man Holz und Rinde von faulenden Stämmen in handgroßen Stücken abbricht, sie auf dem Transport nach Hause feucht hält, und dann unter Glasglocken legt, die mit nassem Filterpapier aus» gekleidet sind. Die Stücke fangen oft schon in der ersten Woche an zu leuchten, die Lichterscheinung hält aber meist nur 4- 5 Tage an-