Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 243.
9]
Ich bekenne.
Sonntag, den 11. Dezember.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Clara Müller- Jahnke . Auf der rechten Seite des Korridors befand sich der Laden, das heißt: ein großes, elegant eingerichtetes Verkaufszimmer, in dessen breiten Schaufenstern die neuesten Tapetenmuster ausgelegt waren. Verkauft wurde dort nur wenig, weil der Geschäftsbetrieb en gros eingerichtet war und die Bestellungen zum größten Teil schrift einen Ginter dem Laden noch dem Hofe zu, lag das Kontor, und an dieses wieder schlossen sich zunächst das Zimmer des Musterzeichners und die Erpeditionsräume an.
1904
er als den Tag meines Eintritts den zwanzigsten März festsette.
Ich erhielt auch ohne Prüfung das vorausgesagte brillante Zeugnis, die Nummer Eins. Der Abschied von meinen Lehrern, die ich lieb gewonnen hatte, fiel mir schwer. Aber ein gewisser Stolz auf die leicht errungene Stellung machte mir den schnellen Uebergang von der Schule in einen verantwortlichen Beruf zu einer Art von Triumphweg. Alle meine Kameradinnen beneideten mich.
*
-
Am Tage vor meinem Eintritt in das Geschäft begleitete ich Lotten zum Bahn. Sie ging mit müden Schritten wie eine Geächtete. Keine der anderen gab ihr das Geleit. Wir beide schritten Arm in Arm, und ich sah, wie tapfer sie die aufsteigenden Tränen bekämpfte.
Auf diesem Wege sprach Lotte zu mir. Sie sprach von ihren zerbrochenen Hoffnungen, ihren begrabenen Träumen, von ihrem von brutaler Mannesfaust zerschlagenem Glück und von dem Weh, das sie über ihre alte Mutter bringen mußte. ,, Um die anderen tut es mir nicht weh, Du, aber das, aber das!!"
"
-
Das Kontor, so einfach eingerichtet wie irgend möglich, -die Fenster vorhanglos, weil nach Norden gelegen, war Und aus den Vorgärten der lieblichen Villenstraße, durch durch eine hölzerne Barriere in zwei Teile geschieden. Rechter die unser Weg zum Bahnhof führte, grüßten uns die Krokusse Hand an dem dreiteiligen Fenster stand ein großer, flacher aus tiefen blauen Augen, und die Anemonenbeete schienen Schreibtisch mit unzähligen, von Papieren und Musterrollen den weißwolkigen Frühlingshimmel über sich wiederzuspiegeln. vollgepfropften Fächern. Papier und wieder Papier, auch fleine Leinenbeutelchen, mit Farbstoffen gefüllt, lagen über der grün beschlagenen Platte verstreut. Auf dem Drehstuhl vor dem Schreibtisch saß eine große, elegant gekleidete Dame mit einem interessanten, energischen Gesicht, die meinen schüchternen Gruß freundlich erwiderte, wobei sie mich einen Augenblick wie musternd anschaute, und dann, ohne sich weiter in der Arbeit stören zu lassen, fortfuhr, die vor ihr aufgehäufte Korrespondenz zu erledigen. Ihr im Rücken lehnte an einem hart an die Barriere gedrängten Stehpult ein junger blonder Mann von hünenhafter Statur. Mir schien es, als sei Sigurd Drachentöter aus Walhall , wohin er tros seines guten Christenglaubens schließlich doch gekommen ist, leibhaftig herabgestiegen und habe am Kontorpult der Tapetenfabrik von Leonhard u. Herrig in Berlin eine Stellung angenommen.
Und was hatte sie böses getan? Einem lieben Worte geglaubt! Sie hatte den Glauben gehabt, der selig macht. Und wenn die Welt nicht so niederträchtig schlecht wäre, sie wäre wahrhaftig gut und rein gewesen. " Das eine sag' ich Dir, Wilma, geh, ehe sie Dich ganz zerbrochen haben."
-
-
-
-
" Ich verspreche es Dir, Lotte." ,, Und wenn er wiederkommt, dann dann schreibst Du mir, Wilma, wie er aussieht und wie sie..." Ich drückte ihr die Hand. Der Zug pfiff. 3um letztenmal grüßte ihr liebes, blasses Gesicht aus dem Fenster heraus. Ich ging heim in mein Pensionat mit Tränen in den Augen und in sehr, sehr ernster Stimmung.
Wuchtig und breit, mit rotblondem, über die Brust herabwallendem Bollbart, mit leuchtend blauen Augen lebhaft um fich blickend so stand er da in all seiner herausfordernden Kraft: Julius Leonhard, des Fabrikbesizers jüngerer Bruder, den dieser eingefangen hatte, um mit brüderlicher Liebe und kaufmännischer Routine den Löwen zu bändigen und den Am anderen Morgen„ trat ich an". Veronika Märtens Himmelstürmer zu einem ehrsamen Geschäftsmann zu erreichte mir die Hand zum Abschied und wünschte mir Segen und ziehen.
Und der junge Siegfried streďte mir mit einer Geberde herzgewinnender Liebenswürdigkeit die Hand entgegen. Um feine Mundwinkel zuckte der Schalt, als er laut und lebhaft sagte:„ Ich heiße Sie in diesen geheiligten Räumen willkommen, fleines Fräulein, und proponiere Ihnen, gute Kameradschaft mit mir zu halten. Ich bin nämlich der Löwe des Kontors: Maler von Geburt und Kaufmann von Beruf. Wer mir nicht gut tut, den freß ich. Zur Zeit kaue ich Federhalter."
Glück.
"
Die Märzensonne schien so blaß und kalt. Nebel trieben über das Häusermeer hinweg. Langsam schlenderte ich die Leipzigerstraße entlang. In der Tasche trug ich mein Frühstückbrot und einen lieben Segenbrief von meiner Mutter. Wo heute Wertheims Prachtpalast sich strahlend erhebt, befand sich damals ein kleines, solides Restaurant: der Leipziger Garten". Hier hatte ich einmal mit meinen Verwandten zum Mittag gespeist. Im Vorüberschreiten warf ich einen suchenden Blick Kam wirklich ein Sonnenstrahl über den öden Hof und hinein. Alles leer so am frühen Morgen... kein freundlicher durch die vorhanglosen Scheiben hindurchgehuscht?-Blick auf dem einsamen Weg! Wenigstens war in dem düsteren, von einem eigentümlich Ein paar Schritte noch dann öffnete sich zum zweitenbeizenden Farbgeruch erfüllten Raum ein helles Lachen er- mal der weite, tiefe Korridor des Kaufhauses vor mir. Heute tlungen, und dieser Laut des Lebens ermutigte mich, troß der wußte ich Bescheid. Zur linken Hand die erste Tür... mißbilligenden Blicke des Chefs, auffeimenden Vertrauens voll Fräulein Günther saß bereits auf dem Drehsessel vor dem meine Hand in die dargereichte Löwenpranke hineinzulegen. Hier also, Fräulein," damit lenkte Herr Herrig meine Aufmerksamkeit auf den mir gebührenden Blaz, hier werden Sie arbeiten. Fräulein Günther wird die Freundlichkeit haben, Sie nach erfolgtem Eintritt mit Ihren Obliegenheiten bekannt zu machen."
Fräulein Günther nickte kurz, ohne sich weiter nach uns umzuwenden. Ihr schien an Herrn Herrigs Wohlwollen nicht mehr sonderlich viel gelegen zu sein. Ich mußte tief aufatmen, - wieder legte sich die Luft eisig und beklemmend mir auf die Brust.
Jenseits der Barriere standen hochaufgestapelte Tapetenballen, bei denen zwei junge Leute herumhantierten. Am Sonnabend abend wurden, wie Fräulein Günther mir später erklärte, die Ballen sämtlich fortgeräumt, weil die Fabrikarbeiter an der Barriere von der Buchhalterin ihren Lohn aus bezahlt erhielten,
Unser Besuch im Kontor war bald beendigt. Herr Herrig entließ mich im Korridor mit einem furzen Kopfnicken, indem
-
mit Papier, Musterrollen und Farbensäckchen bedeckten Schreibtisch. Sie empfing mich aufs liebenswürdigste, zeigte mir Ständer und Riegel, wo ich Hut und Jacke anzuhängen und mein Frühstück zu deponieren hatte.
Dann stellte sie mir Herrn von Woitczecky vor, einen der Expedienten. Im Hintergrunde, jenseits der Barriere, räumte der Hausknecht auf.
Mit einer raschen Bewegung warf Fräulein Günther ihren Drehsessel herum.
Wie alt sind Sie, Kind?" „ Sechzehn Jahre."
Sie sah mich lange an. Ihren tiefen, prüfenden, mütterlichen Blick habe ich damals nicht verstanden; er genierte mich sogar ein wenig.
Fräulein Günther unterwies mich, lieb und gut, Sie wußte Bescheid; ihre schwarzen Augen blizten an diesem ahnungstrüben Vorfrühlingsmorgen wie zwei gütige Sterne. Ich zerbrach mir den Kopf, aus welchem Grunde sie wohl die gute Stellung aufgab; zu fragen wagte ich indessen nicht.