Doch Ernst Friedmann bezwang sich und schwieg. Schwieg unddachte nach, immer wieder und wieder dieselben verhaßten Gedanken.die er mit sich trug sein« Tage und Nächte hindurch, die ihm zunicktenschon aus der Frühnebel Rauch und nachts seine Sinne umspannten.Grau kamen sie hercm, grau und verstohlen. Und krochen mitSpinnegebein am dürftigen Lager hinauf und setzten sich frech aufseine versagende Brust, glotzten, ihn an mit den eisigen, tränendenAugen und wisperten leise. Leise und schrecklich.„Du. laß sie fahren, die Hoffnung. Das ist nur ein Blend-werk. Da. steh hin auf dein Leben. Oede ist es. Oede und hart.Arbeiten mußt du vom Morgen bis weit hinaus in die Nacht, ar-beiten eine Arbeit, die dir verhaßt ist im Grunde der Seele, arbeitenfür deinen Herrn als ein Sklave, denn du bist bettelarm und müßtestam Wege verhungern. Er aber kam, sah dich und hat dich gekauft.Gekauft die Kräfte und Frische der stärksten und sehnigsten Jahre, unddu gehst hin und schleppst für ihn. ächzend und stöhnend, schleppst ohneEnde. Kriechende Jahre hindurch. Er aber preßt seine Schätze ausdeinem vergossenen Schweiß und wirft dir elende, Pisten yvhfiAJc,ingftlm lM'Mcge"un�'cherhungerst."" Hörst du es? Dann wird dichschon niemand mehr kennen. Niemand...Darum beug den Nacken und krieche am staubigen Boden.Schlepps und schleppe, ädsze dein ganzes verbittertes Leben hindurch,schleppe deine Jugend hinein zu ihm in den eisernen Schrank und legsie voll Demut zu all den anderen funkelnden Schätzen. Deine geistigeJugend und eigenes Bewußtsein leg auch mit hinein, denn er kauftnicht nur deinen Körper, nein, auch deinen Geist. Hart soll, derwerden, berechnend und grau wie dein Leben, hart und vertrocknetwie sonnenzerstochenes Holz. Stets soll er nur bei der Arbeit seinund bei ihm, seinem Herrn ergeben. Er, dieser Herr, sei dein Ich!Willst du das nicht? Sag es ihm dochl Wenn er dich fortjagt,so liegst du am Wege und verhungerst.Hörst du es wohl? Darum gib sie ihm hin, deine Jugend IBist du dann alt und kannst nicht mehr hasten wie früher, legen sichschneeige Locken um deine durchgrabene Stirn, hat er dich ausgesogenin'taumelndem, herrischen Stolz, daß dein Leben dir scheint wie einSklaventum und die Freiheit ein beißender Spott, hat er deinenKörper gebrochen und deine Seele vergiftet mit dem Widerwillengegen sich selbst und dem Haß gegen Freude und Leben— was wirder wohl tun?O du, hinausjagen wird er dich wie den räudigen Hund:„Alt bist Du, schwächlich und faul, gehe hin, werde jung, dannkomm wieder I"Dann wirst du hingehen zu deinen Kindern, die du einstmalsmit Mühe erzogen, und sie werden dir höhnisch das zuwerfen, wasihr Hund nicht mehr ftißt. Danke dem Tod, deinem Retter— dasLeben birgt Schrecknis und Flüche I"Ernst Friedmann schauerte auf und schüttelte sich wie im Fieber.Und er dachte daran, wie es wohl sein würde, wenn er jetzt fortginge.Hinaus in'die Welt, ganz gleich wohin, immer nur vorwärts undimmer noch weiter hinaus—- hinaus in die Freiheit. Da packte ihneine wilde, berauschende Sehnsucht, so daß er aufjauchzte, froh wieein Kind, in tiefer Erregung.Ja. frei sein von all den bedrückenden, staubigen Fesseln, fteiwie der Vogel in glitzernder Lust und hinausstürmen aus dem engenGewölbe zur ewigen Mutter Natur, frei sein und die Welt seineVaterstadt nennen und Menschen willkommene Brüder, frei undhinaus l Leben das Leben in sich und zum Wohle der anderen, lebenals Mensch und nicht als geformtes Geschöpf I Leben als Schöpferim ewige» Schaffen des Werkes, leben und ftei seini Hinaus lErnst Frredmann richtete sich auf, als wolle er dem neuen Lebenentgegensehen im nächtlichen Dunkel. Da glitt ein Lichtstrahl überdie Wand und zeigte ihm deutlich ein Bild, daS Bild seiner Mutter.Und er sank leise a ufstöhnend zurück.Da kamen sie wieder die alten, verhaßten Gedanken und stiertenchn forschend an mit den steinernen, höhnischen Augen und wispertenleise. Leise und schrecklich.„Was hast du gewollt, du verblendeter, seltsamer Mann? Bondir werfen wolltest du das alte, zerknitterte Leben im Kampf umda? neue, von dir schleudern die fesselnden Bande m Selbstsucht undstrafbarem Stölzl Wie willst du leben ein neues Leben, wenn dunoch nicht die Pflichten des alten erkannt? Da, schau aufl Die hatdich geboren und hat dich mit Sorgen erzogen. Sie war das Lichrdeiner ftöhlicbsten Stunden— dein Schmerz war ihr Schmerz unddeine Freude die ihre. Tie sah dich zum Manne heranreifen undfreute sich still deiner Kräfte, die bettete still deinen Vater zur Ruhund schwieg, denn sie hatte noch dich. Die murmelte tausend Gebetein mütterlich-heiliger Liebe, und jeder ihrer Gedanken war einzigbei dir, denn du bist ihr Alles.Schau auf, sie ist alt und gebrechlich. Wenn du nicht bist, siechtsie hin wie die Blmne in nächtlicher Wüste. Weißt du das wohl?Du sollst die Soune ihres Abends sein und ihr die wenigen Stundenverschönern, du bist ihr Leben, du ihre Welt— und wolltest sie nichtruhig die Augen schließen lassen, die dich gehütet haben ihr ganzesLeben hindurch? Du willst sie von dir stoßen, die Greisin mitflatterndem Haar, willst ihr Gift darreichen, wo jte um Wasser dichanfleht? Hast du den Mut, über Trümmer geheckigten Glückes zurFreiheit zu stürmen? Hinaus in die rauschende Welt, Sonne undFrieden zu schlürfen, während sie hier vor Sehnsucht vergeht.Könntest du jemals wohl froh sein? Und glücklich? Tor, der dubist» nur noch«lender würdest du werden!Bleibe, Ernst Friedmann, lade sie auf, deine Last, und hast«von früh bis zum Abcndl Haste und hungere und ächze— das istdein Leben, das dein Geschick. Sklave sein... Sklave..."Ernst Friedmann war wie von Sinnen und rang die Hände.Aus seiner Brust aber kämpfte ein Seufzer empor, der ein Stückseines Lebens mit fortriß und geformt war aus all jenen Schmerzen.die da hinschleichen über die Erde in lautlosen Nächten mit schleppen.dem Schritt.Im Zimmer aber war tauendes Dunkel, so undurchdringlichund groß, daß es schien, als gebe es nichts außer ihm, als hätte sichalles auf Erden ausgelöst in weiche, zerfließende Schleier und ewigeNacht. Aus der aber stieg etwas auf, blutig und kalt wie der Todmit klappenden Zähnen und gellendem Lachen, das niederkniete anseinem Lager und leise klirrte mit unlösbar-furchtbarrn Fesselnund ihn ansah mit gelben, umränderten Augen— sein Leben.—Kleines Feuilleton.e. w. Dusscl.„Nee, dusseliger hätt'st die Karre gar nicht schiebenkönnen, Karl!" hörte ich vor euiigen Tagen einen Kutscher lackendzu einem anderen sagen.„Ja, ja, Tunteken, mancker lernt'S nie!"fuhr er fort, indem er vor Lacken fast taumelnd seinem Pferde mitder flachen Hand auf den Rücken klatschte. Tunteken wandte mitder bekannten langsamen Drehung des Kopse? ihr« Augen nach demSprecher mir und sah ihn verständnisvoll und wahrscheinlich zu»stimmend an, so weit dies aus dem Ausdruck ihres Blickes zwisckendem schützenden Versteck der Scheuklappen zu ermitteln war.„Ja,Du hast recht, ick bin wirklich ein richtiger Dussel gewesen, helf' ersich l" erwiderte der andere Kutscher. Der Sinn dieser Worteist für jeden verständlich. Er will ausdrücken, daßer ein richtiger Dummkopf war. Die volkstümliche Redewendet dieses letztere Wort aber kaum jemals an, sondern ziehtimmer das Wort Düffel vor. In einer rein niederdeutschen Gegend,z. B. in Hamburg, würde der Mann gesagt haben:„Ja, ick weereen richtiger Döskopp". Streichen wir das kopp weg. so bleibt alsRest Dös, das auch Das ausgesprochen wird, und in der letzterenForm in Klaus Groths Ouickborn zu finden ist. Es bedeutet genaudasselbe wie Dussel. Wie dem Hauptwort Dussel das Tätigkeitswortdusseln zur Seite steht, so dem Hauptwort Dös das Tätigkeitswortdöien. In dem Worte Düffel kann das u auch gedehnt gesprochenwerden und dann erscheint die Form Dusel, wo das weicke i in derMitte nicht weiter befteniden darf, zuinal da in Düffel diebeiden ss auch nur die Kürze deS u andeuten sollen undgemeinhin weich gesprochen werden. Beide Formen sind in ganzDeutschland verbreitet, aber wohl selten in die Schriftsprache auf-genommen worden. Auf englisch heißt Dussel clizeirisss, wo dieSilbe ness gleich dem deutschen nis ist. Es ist unschwer zu er-kennen, daß es ganz dasselbe Wort ist. Die ursprüngliche Bedeutungvon Dussel ist Halbschlummer, schläftiges Hindämmern, und weildie Gedanken sich in diesem Zustande verwirren, so bezeichnet es zu-nächst Betäubung, dumpfes Hinleben, Abwesenheit des klaren Be-wutztseins. Allmählich ist dann daS Wort von der Bezeichnung einesZustaudeS auch auf Personen übertragen worden, so daß ein Dusselsowohl ein Männlein wie auch ein Weiblein sein kann,»ach dermerkwürdigen Einrichtung dieser Welt aber wohl in Wirklichkeitmefftens das erster« sein dürfte.—Theater.Deutsches Theater. Helden. Komödie in 3 Altenvon Bernhavd Shaw. D«uffch von Trebitsch.— Di«reizende Komödie Shaws, die von der„Freien Volksbühne" bereitsvor mehr als Jahresfrist— unter Ausschluß der Oeffentlichkeit.— gespielt wurde, ist nun ins Repertoire des Deutschen Theatersaufgenoinmen. Hoffentlich wird sie sich da lange behaupten. Nachden Berichten über die Premiere am Donnerstag— ich konnte erstdie zweite Aufführung sehen— wurde das Stück mit warmem Bei»fall aufgenommen, und die Kritik hat nach Gebühr seine Feinheitenbeleuchtet und gefeiert. Es wäre schmählich, wenn in dem breitenTheaterpublikum trotz alledem ein Interesse für dies Neue, das endlichmal ein gutes Neues ist, sich nicht erwecken liehe. Bei der Wieder»holung am Freitag, fiir die man ein ausverkauftes Haus hätte er»warten sollen, war das Theater verhältnismäßig schlecht besucht.Das Geistreichste in der Komödie ist der erste Akt. der ein«Situation, wie sie kein auf romantische Edelmütigkeiten erpichterMelodramatiker schöner wünschen könnte, in die lustigste Pcrfiflageauf schwärmende Heldenverehrung verwandelt. Die Handlung spieltzur Zeit des serbisch-bulgarischen Krieges im Jahre 188',. Ein»Bulgarenmädchen, das von der kühnen, sicggekrönten Kavallerie»attacke ihres Verlobten.Kunde erhält, schwelgt auf hohem, mond.scheinbeschienenen Ballone in heroischen Gefühlen. Ein verfolgterOffizier des Serbenheeres erklettert die Mauer und flüchtet in dasdunkle Zimmer der Jungfrau. Draußen knallen Schüsse, die Ver.folger klopfen. Einlaß begehrend, an die Tür. Aber Raina hatMitleid mit dem Fremden und rettet ihn durch weibliche List. Wiespannend, wie rührend, welch- Gelegenheiten zu erhabenen Worten!Aber der gottlose Dichter treibt mit alledem nur Spott. Er amüsiertsich über Raina und läßt den Flüchtling,.Kapitän BIvntschti. einengeborenen Schweizer, eine geradezu beleidigende Natürlichkeit be»