haben von allen Zeitgenossen anscheinend den stärksten, nachhaltigsten Eindruck auf Ibsen   gemacht. Jenen nennt er den Befreier, der ihm wie dem gesamten nordischen Geistesleben ganz neue Ausblicke eröffnet habe; in diesem bewundert und liebt er die tatenfreudige Lebensbejahung, die Großzügigkeit einer.wahrhaft königlichen Seele". Das.ganz Große, das, was unbedingt das Größte für mich und die ganze Richtung meines Lebens gewesen," schreibt er im Jahre 1865 an den norwegischen Freund,.war, Dir begegnet zu sein und Dich wirklich gefunden zu haben." Und nach einer langen Periode der Entfremdung, am Lebensabend, wacht das Gefühl einer beinahe ehrfürchtigen Liebe in ihm wiederum auf. Welche Huldigung Mi den Charakter des Freundes, wenn der alte Ibsen   das Leben Björnsons dessenbeste Dichtung" nennt. Die Lücke der Scnnm- lung, daß sie nur Ibsens   Briefe, nicht die an ihn gerichteten, mit- teilt, empfindet man nirgends so wie in diesem Teile der Kor- respondenz. Viele offenbar höchst charakteristische Wendungen würden, wenn man die Gegenäußerungen Brandes und Björnsons kennte, eine schärfere Bestimmtheit gewonnen haben. Sehr dankenswert wird die Mosaik der über vier Jahrzehnte verstreuten Briefstücke durch eine kurze biographische Einleitung er- gänzt, die, insbesondere über die Chrijtianiaer Verbindungen Ibsens, sein Verhältnis zu Björnson und zu den politischen Parteiverhält- nissen Norwegens   Interessantes bringt. In seiner Jugend war Ibsen   auch politisch radikal. Als der arme Apothekerlchrling i. I. 1830 nach Christiania   kam, um sich auf das UniversitätLexamen vor- zubereiten, wurde er durch einen Freund mit der von Markus Thrane   geleiteten Arbeiterbewegung bekannt gemacht. Er nahm an den Versammlungen und Demonstrationen teil und schrieb Artikel für Thranes Blatt. Die Verhaftung der Führer und Ibsens   Ab- reise nach Bergen, wo er eine Dramaturgenstellung am Theater erhalten, lösten die Beziehungen. Die Arbeitersache, der Gedanke einer demokratisch-sozialen Politik schwindet nun, scheint es, auf Jahrzehnte aus Ibsens   Gesichtskreis. Schwer hatte er um das tägliche Leben zu kämpfen; die dramatischen Dichtungen seiner ersten Periode brachten so gut wie nichts und der Dramaturgensold, den er in Bergen und später in der Zeit von 1857 64 in Christiania  von hauptstädtischen Bühnen bezog, reichte, zumal nach seiner Ver- heiratung, zum Unterhalt nicht hin. Ohne den materiellen Beistand der Freunde in Christiania   wäre er der äußersten Not verfallen, hätte er, als die Regierung ihm ein kleines Stipendium für die Reise nach Rom   auswarf, die Heimat nicht verlassen können. In jenen Jahren knüpfte sich der enge Bund mit Björnson, der, damals schon auf den Höhen des Ruhmes, anfeuernd, helfend, wo er immer konnte, dem Ringenden, an dessen Genius er glaubte, zur Seite trat. An ihm hat Ibsen   seine schwankende Zuversicht oftmals auf- gerichtet. Ibsen   weilte schon im Auslande, ehe die politische Bewegung in Norwegen   eine schärfere Zuspitzung erhielt. Björnson wurde ein Führer der die nationale Selbständigkeit des Landes und eine Demokratisierung des Rcgierungssystems anstrebenden Volkspartei, während die sog.Holländer" ein sreier Literaten, und Gelehrten- verein, dem Ibsen   in Christiania   angehörte, großenteils ins kon- servative Lager abschwenkten und gegenüber derNInabhängigkeits- Propaganda den Skandinavismus eine Politik möglichst engen Zu- sammenschlusses Norwegens  , Schwedens   und Dänemarks  , ver- traten. Es ist aus den Briesen   nicht klar, was für Ibsens   Stellung- nähme das letzthin Entscheidende war: die Antipathie gegen alles spezifisch Norwegische  , insbesondere das bigotte Norweger   Bauern- tum, oder eine ganz allgemeine antidemokratische Aesthetenstimmung oder der Zauber, den der skandinavische Reichsgedanke auf ihn aus- übte? Jedenfalls hat er mit seinen Wünschen lange auf der Seite derRechten" gestanden. Bei der Bewerbung um ein jährliches Dichtergehalt, das das norwegische Parlament fast einstimmig be- willigte, erbat vr in einem seltsamen Schreiben die Befürwortung des Königs. Er wende sich an ihn, heißt es da, nicht um ein sorgenfreies Auskommen zu erhalten, sondern weil er der Unter- stützung für sein Lebenswerkdas Volk zu wecken und es zu lehren, groß zu denken", bedürftig sei:und er wisse, daß er mit dieser Kennzeichnung des eigenen Streben? sich selbst als einen Streiter unter seiner Majestät geistigem Banner bezeichnet habe." Die Annahme eines Ordens verteidigt er mit dem Ärgu- ment, er sei in einer Monarchie geboren und kein Freund der Re- publik, ebensowenig ein Asket, der sich gut gemeinten Ehrungen und was ist ein Orden anders? zu entziehen denke. In seinem Peer-Gynt witterte man zu Hause verhüllte Spitzen gegen die nor- loegische Unabhängigkeitspartei, und derBund der Jugend" wurde als offene Verhöhnung der Linken aufgefaßt. Als bald darauf Björnson die Dänen aufforderte, den Rcvanchegedanken und die Hoffnung auf eine Wiedcrerorberung Schleswigs   fahren zu lassen, grisf Ibsen ihn als.Wetterhahn" und als Verräter an dem skandi- navischen Ideale in grimmigen Versen an. Einer der Jbsenbriefe aus d. I. 1872 liest sich geradezu, als hätte ein konservativer Scharf- macher ihn geschrieben. Nur dieganz unverantwortliche Feigheit, Nachgiebigkeit und Kompromißlerei fast aller derer, die dazu berufen sein sollten und mußten, die Grundlage unserer Gesellschaft zu schützen", habe die Erfolge der Opposition ermöglicht;königliche Ratgeber, die Jnnbeck und Björnson auf freien Fuß herumlaufen ließen, qualifizierten sich dazu, selbst ins Loch gesteckt zu werden". In dieser Periode hat Ibsen   das zeigen zahlreiche Aeuße- rungen in seiner Korrespondenz mit dem Liberalen Brandes überhaupt jedes Augenmaß für politische Dinge und deren Be- deutung für daS gesamte kulturelle Leben verloren. Sein nach
innen gekehrter auf das Aesthetifche und subjektiv Moralische gs. richteter Individualismus treibt ihn in einem Wirrwarr wunderliche� bald anarchistisch, bald reaktionär schimmernder Paradoxen hinein,- Er träumt von einerRevolutionierung des Menschengeistes", die einst den Staat beseitigen werde; und scheint damit vor BrandeS Seine Gleichgültigkeit gegenüber allen Kämpfen, die sich nur um üe Rechtsordnung im Staate, um die staatsbürgerliche Existenz der Individuen drehen, rechtfertigen zu wollen. Der Heroisnius, den die Italiener im Kampfe um nationale Einigung beweisen, reißt ihn zu Worten der Bewunderung hin, aber dann, sobald die neuen Zustände sich konsolidieren, schlägt die Stimmung sofort um in spöttische Literaten-Jronie:So hat man denn also zetzt Rom   uns Menschen fortgenommen und es den Politikern überantwortet. Wo sollen wir nun hin? Rom   war die einzige friedsame Stätte, die die wahre Freiheit genoß, die Freiheit von der politischen, Freiheitstyrannei l" Daß derStaat der Fluch des Jndi- vidiums sei", demonstriert er u. a. andem Volk der Inden, dem Adel des Menschengeschlechts." Wodurch hat sichdieses Volk in Absonderung, in Poesie erhalten, trotz aller Roheit von außen? Dadurch, daß es sich nicht mit einem Staat herum zu schleppen brauchtet" Wonach also, da die Juden als zersprengte Elemente doch auch in Staaten leben, ihre Jahrhunderte lange Rechtlosigkeit, ihr Ausschluß von politischer Betätigung in diesen Staaten Grund der von Ibsen ihnen nachgerühmten Vorzüge sein müßte! In seinem Haffe gegen dieLiberalisten, die ärgsten Feinde der Freiheit", kommt es ihm gelegentlich auch nicht darauf an, den Absolutismus zu rühmen:Unter ihm gedeihen Geistesfreiheit und Gedankenfreiheit am besten, das hat sich in Frankreich  , später in Deutschland   und jetzt in Rußland   gezeigt!" Die Tatsache, daß ein absolutistisches Regiment, wie die Geschichte beweist, einen hohen Aufschwung in der Literatur und Philosophie einer Nation nicht ausschließt, gilt ihm als Zeichen, daß die unfreieste Staatsverfassung die Geistes- und Gedanken- freiheit am besten fördere! Weiter läßt sich die Sophistik nicht gut treiben. Leider findet sich in den späteren Briefen nirgends eine kritisch- prinzipielle Auseinandersetzung mit solchen Stimmungen und Ideen. Nachklänge findet man auch später. Die argwöhnische Abneigung gegen alles Parteiwesen, die sich höchst charakteristisch und mit reich- lichen Sophismen versetzt noch in einem Briefe aus dem Jahre 1382 ausspricht, erinnert lebhast an jene Vorstellung-,- kreise, an die leeren Gedankenspiele, die ihn das Wesen des staatlichen Lebens so gründlich hatten verkennen lassen. Aber im ganzen verschiebt sich seine Stellungnahme wesentlich. Seine kühnen kritischen Gesellschaftsdramen paßten zu romanlisch kon- servativen Liebhabereien herzlich schlecht. Die Entrüstung der Presse und der Leute von der Rechten in Norwegen   und das mutige Eintreten Björnsons für die verfehmten Stücke hat stark auf ihn, lvohl auch auf seine politischen Ansichten gewirkt. Die beide» einstigen Freunde näherten sich wieder. Ein in der Mitte der achtziger Jahre an Björnson gerichteter Brief zeigt deutlich den Umschlag. Ibsen  wanit, man möge die Hemmungen, mit denen die Opposition insbesondere bei dem Einfluß der Bauern zu ringen haben werde. nicht unterschätzen, aber er bekennt sich darum doch rückhaltlos zu einer entschlossen freiheitlichen Politik:Ginge es nach mir. so müßten bei uns alle die Unprivilegierten sich zusammentun und eine starke resolute Partei von Draufgängern gründen, deren Programm auS- schließlich auf praktische und produktivere Reformen, auf eine sehr ausgedehnte Erweiterung des Stimmrechts, eine Regulierung der Stellung der Frau, die Befteiung des Volksunterrichts von allerhand mittelalterlichem Krame gerichtet wäre usw. Und noch entschiedener sprach er bald darauf in einer Rede zu Dront  - heimer Arbeitern sich aus: Die in Europa   sich vorbereitende soziale Umgestaltung, durch die die Stellung des Arbeiters und der Frau in der Gesellschaft geändert werden soll, ist es,auf die ich hoffe und harre, für sie will ich wirken und werde ich wirken mein Leben lang nach besten Kräften." Von ihnen, den Arbeitern und Frauen,.die unter dem Drucke einer Partei noch nicht unersetz- baren Schaden erlitten haben"(!) erwartet er, daß sie einen neuen Adel deS Charakters, des Willens und der Gesinnung in daS Staatsleben, tn Volksvertretung und Presse bringen würden. Die Rede schließt mit einem Hoch auf den Arbeiterstand und seine Zukunft. Unmöglich konnte die moderne, mächtig anschwellende sozialistische Bewegung an einem auf das Große gerichteten Geiste wie dem Ibsens   spurlos vorübergehen. Nebe» jener Ansprache bezeugt daS ein Brief vom Jahre 1800, der die Angaben eines englische,  . Interviewers, freilich in sehr diplomatisch reserviertem Tone, be- richtigt. Ibsen   hebt hervor, daß er, wenn nicht mit den sozialistischen Systemen", so dochmit den verschiedenen Seiten dieser Frage" sich eingehend nach besten Kräften beschäftigt habe; wenn der ZeitungS korresp ondent ihn sagen lasse, daß er nicht zur sozial- demokratischen Partei gehöre, so wäre es Pflicht geivesen, hinzu- zufügen, daß er ebensowenig zu einer anderen Partei gehöre; er habe eben das Bedürfnis, ganz unabhängig zu arbeiten und seinem eigenen Kurs zu folgen. In seiner eigentlichen Lebensarbeit, Die Charaktere und Schicksale von Menschen zu schildern", sei er ohne alle Absicht, zu seiner Ueberraschung und Genugtuung,in gewissen Punkten doch zu demselben Resultat gekommen wie die sozialistischen   Moralphilosophen durch wissenschaftliche Forschung. So vorsichtig die Worte gewählt sind, schimmert das sympathische Interesse Ibsens   doch unverkennbar hervor. Indessen, was dann weiter