Beispiels willen. Du niemals einen anderen, am wenigsten einen Priester bloßstellen darfst. Das Opfer muß ganz allein auf Deinen Schultern liegen, so wird es Gott um so wohl- gefälliger sein. Wir sollen stets der Gemeinde ein gutes Bei- spiel geben und jedes Aergernis vermeiden. Tue so, und ich werde mit Dir beten zu allen Heiligen." Ich mußte das Schriftstück zum zweiten Male lesen, um es in seiner ganzen Herrlichkeit erfassen zu können. Und dann, als ich es wiederum gelesen hatte, ganz langsam Wort für Wort, dann fühlte ich klirrend eine Kette springen und eine Schwäche von mir fallen. Ich war erstarkt an der janimervollen Feigheit dieses traurigen Märtyrers für sein Volk, dieses heroischen Kämpfers für seine Kirche... Nachdem ich den Brief in tausend Fetzen zerrissen, rannte ich wie eine Rasende in den vom Herbststurm gerüttelten und gepeitschten Wald hinaus. Ich biß die Zähne auf die Unter- lippe, daß das Blut hervorsprang, und wiederholte ununter- brochen, laut vor mich hinsprechend, ein Wort, einen lächcr- lichen Ausdruck, den der Wirbelsturm meiner Gedanken mir immer wieder auf die blutenden Lippen legte:Um so einen Fatzke, um so einen Fatzke!" Ich lachte. Und aushalten müssen bei diesemFatzke", uni meiner alten, betrogenen Mutter willen aushalten niüssen bei ihm um ---- um.. meines Kindes willen! Als ich dies Wort zum erstenmal zu denken wagte, kam ich zur Besinnung. Ich stand auf hoher, kahler Dünenwand, vom Novembersturm umbraust, und der Gischt der mit Donner- laut heranrollenden, an Stein und Klippe sich dreifach über- schlagenden Wellenberge spritzte kühlend und salzig mir in das brennende Gesicht. Da hinab---! Dann hätte ich Ruhe gehabt für alle, alle Zeit, ich und mein Kind. Und ineine Mutter? Meine liebe, alte Mutter was hätte sie beginnen sollen, wenn ich den erlösenden Gedanken zur erlösenden Tat machte? Das war es. Darum mußte ich aushalten bei diesem Feigling und mußte Hülfe annehmen von ihm. Weil ich nicht töten konnte, mußte ich weiterlügen, mußte schmachbedeckt und heimlich in irgend einem Winkel der Großstadt mein Kind zur Welt bringen, mußte mein Kind irgendwo für billiges Geld verstecken, bei Leuten, die es mißhandelten, weil es ihnen eine Ueberlast war... Und das alles, alles: weil die alte Frau nichts wissen durfte von seinein Dasein! Mein Kind, mein armes Kind! Ganz plötzlich überflutete mich eine Woge seltsamer Empfindungen, die, aus den tiefsten Schmerzen emporquellend, in einer Minute alle Stadien des Gefühls durchlief, bis zum höchsten Glücksbewußtsein, bis zur Verzückung sich emporrang, um zuletzt in einem heißen Tränenstroin den befreienden Aus- weg zu finden. So stark, so überwältigend war die Wucht dieser Em- pfindnng, daß sie in ihren Aeußerungen der Verzweiflung gleich kam. Hell aufschreiend warf ich mich auf den sandigen Boden nieder und küßte, da ich das Ungeborene nicht küssen konnte, meine eigenen Hände in einer Art von Taumel, in dem einen, eine Welt von Süße und Zärtlichkeit erschöpfenden Gedanken: Mein Kind!" In jener Stunde habe ich alles Glück des Lebens durch­kostet und alle seine Schmerzen ermessen. Tie Strafe Gottes hing über meinem Haupte. Die Strafe für die große Sünde. Von meinein Kinde würde ich mich trennen müssen um der Mutter willen, die ich belogen und betrogen hatte. Und doch reichten all' die Qualen meiner Seele nicht hin, um irgend ein Reuegefühl in niir erzwingen zu können über die Sünde, die ich begangen hatte. (Fortsetzung folgt. II lNachdruck verboten.) Eine Pfaffenrevolte. (Schluß.) Wie in Spanien  , Deutschland   und England, so kam es auch in Frankreich  , als die zünftlerische Produktion unter dem Einfluß des kaufmännischen Elementes in die manufaktrirelle umschlug und diese Sich in der Refonnation ihren ideologischen Ausdruck schuf, zu Wirt- chastlichen Gegensätzen, die schließlich in Bürgerkriege auSklangcn. Speziell in Frankreich   erzeugte dieser Kampf die sonderbarsten Blüten, die zumal heute, in der Zeit des übcrwucherndenKlerikaliSmus, nicht ohne' Interesse sind. In den Zwist mischte sich nämlich daS Ringen um die königliche Gewalt selbst: das lothringische HauS der Guisen und die teilweise protestantischen Bourbonen zankten sich in der erbau- lichsten Weise um den Thronnachlaß der aussterbenden Valois. Die Guisen hatten es verstanden, die Geistlichkeit und die reaktionären Teile des Adels mit den zünstlerischen Elementen der Städte zu verbinden; in der Hauptstadt traten noch die zahlreichen Krämer und vor allem das Proletariat hinzu, während sich die reicheren Bürger, wie das nach dem oben Gesagten erklärlich ist, auf die Seite des Königs schlugen. Die Partei der Guisen, die Liga, fußte auf den geistlichen Brüderschaften, die sich über daS ganze Land verbreiteten und von geistlichen Ultras, insbesondere Ordensleuten, geleitet wurden. Die Hauptstadt spaltete sich förmlich in ein zwiefaches Kriegslager. Heinrich Hl. stellte Truppen im Quartier des Louvre auf. während die Guisen die volkreichen Quartiere der Universität, des Grave und de? Maubcrtplatzes und der Hallen bewaffneten. Paris   wurde vom sog. Rat der Sechzehn geleitet; es stellte nämlich jedes der 16 Quartiere der Stadt, welch letztere der alten zünstlerischen und militärischen Einteilung entsprachen, einen Ver- treter. Dieser Rat bestand durchweg ans Handwerken». Neben ihn trat derAusschuß" der Liga, der die sonderbarste Zusammensetzung aufwies. Advokaten, Gerichtsboten, bankrotte Handelsleute, ein ehe- maliger Fechtmeister, vor allem aber Krämer, Handwerker und Gcwerbsleute führten in ihm das große Wort. Das treibende Element aber warenfanatische, Ausruhr predigende" Geistliche, die Kanzelredner, die die Verfertiger von Bilden» und Flugschristen, die heiligen" Bruderschaften und ihre Prozessionen zu immer stärkeren Angriffen gegen den König trieben. Schließlich sah dieser seines Bleibens nicht mehr in der Stadt. Er entwich, ward jedoch am Stadttor von ReSle trotz seiner Verkleidung von den liguistischen Posten erkannt, die nicht nur das Seil der Fähre zer- schnitten, in der er über die Seine setzte, sondern sogar auf ihn Feuer gaben. Nur mit genauer Not entkam er nach Rambouillet  . Von diesem Augenblick an warf der Leiter der lothringischen Partei, Heinrich von Guise, jede Rücksicht auf seinen Namensvetter Heinrich III.  , den letzten der Valois, beiseite. Das Parlament, die städtische Miliz, die Präpositur der Kaufleute, kurz alle Stellen in Paris   wurden Kreaturen der Familie Guise in die Hände gegeben, die von jetzt ab bis zum Jahre ISgl die Stadt völlig in ihrer Gewalt hatte. Mit ihnen teilten sich die Pfaffen, insbesondere die Jesuiten  , in die Herrschast. Das Ganze war eine förmliche Pfaffen-Republik mrt Heinrich von Guise als Diktator an der Spitze. Der König, der sich in- zwischen nach Chartres   begeben hatte, machte einen schwachen Ver- such, die Bevölkerung zurückzuwinnen und hob an einem Tage nicht weniger als 36 Steueredikte auf. Den Ligisten ging es jedoch darum, ihn wieder in ihre Botmäßigkeit zu bringen. Eine Pro- zession der heiligen Brüderschaft der Büßenden versuchte, ihn zur Rückkehr zu bewegen. Es war daS ein ebenso gotteslästerliches wie den König verspottendes Mittel, denn beides, Prozessionen wie gerade jene Brüderschaft, hatte Heinrich HL stets sehr begünstigt. Mt Recht bemerkt zu dieser Prozession der Historiker Schlosser, an dessen Darstellung die folgende Schilderung sich anlehnt, sie erinnere un- willkürlich air den Marsch der Pariser   nach Versailles   im Jahre 1789. Dem Zuge voran ging ein Kerl mit langem, schmutzigem, ungekäinmtein Bart und mit einem groben Bußkittel bekleidet, über den am breitem Ge- henk ein krummer Säbel hing. In der Hand hielt er eine rostige Trompete, der er die widrigsten Töne entlockte. Ihm folgten drei ebenso schmutzige Individuen, die statt des Helmes schmierige Koch- töpfe und außer ihren Bußkitteln Ringelpanzerhemde, Armschieiren, Panzerhandschuhe und Hellebarden trugen. Mit wütenden Blicken und wunderlichen Gebärden suchten sie das andrängende Volt ab- zuwehren. Ihnen folgte der Bruder Ange von Joyeuse, ein Hof- mann, der ein Jahr zuvor Kapuziner geworden. Er stellte den zur Schädelstätte gefiihrten Heiland vor. Er hatte zu diesem Zweck sich binden und, un, seinen alten Freund, den König Heinrich, der dies alles mit ansehen mußte, eher zu rühren, sich Bluts- tropfen ins Gesicht malen lassen. Außerdem schleppte er, scheinbar mit großer Anstrengung, ein langes Kreuz von an- gestrichenem Pappdeckel und ließ sich von Zeit zu Zeit unter Aechzen und Seufzen auf die Erde fallen. Neben ihm schritten zwei junge Kapuziner in Chorhemden, die Jungfrau Maria und Maria Magda- lena vorstellend. Sie taten als wenn sie weinten und warfen sich, so oft jener zur Erde fiel, nach dem Takt ihm zu Füßen. Vier andre Trabanten, den drei ersten sehr ähnlich, hielten das Seil, init dem Ange gebunden war. und gaben ihn, weit hörbare Peitschen» chläge. Hinter dieser Komödie folgten dann die anderen Büßer. Die Maskerade verfing nicht. Heinrich Hl. begab sich noch weiter ab von Paris  , nach Roue». Von hier aus schloß er durch Vermittelung semer Mutter, der berüchtigten Katharina von Medici  , einen vorläufigen Frieden mit den Guisen. Er bekräfttgte unter Eid, er werde nicht eher ruhen, bis die Ketzer ausgerottet; ferner sollte tünfttg niemand ein Amt erhalten, der sich nicht durch bischöfliche Bescheinigung oder durch die Aussage von zehn zuverlässigen Männern als guten Katholiken ausweise. Im Grunde war das die völlige Unterwerfung des Königs unter die Guisen und damtt unter Adel und Geistlichkeit. Aber die weitgetriebene Nach- siebigkeit war nur scheinbar und auf Täuschung berechnet. Schon n den letzten Tagen des Jahres(1Ü88) ließ Heinrich LH. den Herzog ermorden und den Bruder desselben, den Kardinal von Lothringen  ,