Mnterhaltungsblatt des Horwärls Nr. 251. Donnerstag, den 22. Dezember. 1904 (Nachdruck verboten.) 171 Ick bekenne. Roman von Clara Müller-Jahnke . Ich wußte ja nicht einmal, wie diese Sünde hieß. Ich suchte sie in meinem Trotz, meiner Verzweiflung, meinen tausenderlei Lügen und Heinilichkeiten, ich suchte sie in der Verfehlung gegen die Gesetze der Gesellschaft, in der Uebertrctung religiöser Gebote. Nur in dem Einen suchte ich sie nicht, in dem allein sie wurzelte und stand, aus dem sie emporgeschossen war wie eine düfteschwere Giftblume aus den Fiebersümpfen Pontiniens: In der Hingabe an einen Fremden, ohne die vollbewußte Liebeskraft des Weibes, ohne den heiligen Schöpferwillen der Natur. An Leben und Tod, an Vernichtung und Auferstehung habe ich in fener Stunde gedacht, nur an Vinccnti nicht. Auch nicht mit einem Gedanken. * Dann kamen wieder Augenblicke, in denen ich alles, was mich beängstigte, für einen wüsten Fieberspuk hielt. Ich kniff mich mit den Nägeln, ich stach mit Nadeln in das eigene Fleisch, um mich aus dem grauenhaften Traumzustaud zu erwecken. Mitunter stieg dann ein frohes Lachen aus meinem Herzen empor: ich träumte ja bloß, da ich dm Schmerz nicht empfand: wahrhaftig, ich träumte-- und es hätte nur einer ener- gischen Willensanstrengung bedurft, um mich empor zu richten und mir die helle Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen... Nur, daß es zu dieser Willensanstrengung niemals kam! Das ging so weiter zwischen Weinen und Lachen, zwischen Verzweiflung und völliger Stumpfheit bis in eine schwarze, sturmdurchtobte Novembernacht hinein. Ich war am Einschlafen, Liebling. Auf jener klardunklen Grenze zwischen Wachm und Schlaf, wo die Eindrücke des Tages verschwimmm und so manche längst begrabene Er- inncrung in seltsam scharfm, leuchtenden Umrissen von der dunklen Fläche der Nacht sich abzuheben scheint. Eine köst- liche Ermüdung ging durch meine gequälten Glieder, und ich streckte mich mit einem tiefen, befreienden Seufzer wie zum letzten Schlummer aus. Da plötzlich durchzuckte es mich wie ein elektrischer Schlag! Ausrecht saß ich mit einem Ruck: das Blut drohte, mir die Adern zu zersprengen, beide Hände hielt ich gegen die Brust gepreßt. Meine Blicke bohrten sich in die unergründliche Finsternis: mit allen meinen Kräften leuchtete ich in das eigene Innere hinab. In mir, in meinem eigenen Sein, rührte eine Hand an mein Herz, die nicht die meine war... Das war der geheiligte Augenblick, jener einzige Augen- blick im Leben des Weibes, mit dessen schwindelnder Empfindungshöhe sich kein Schaffensstolz, kein Kräftetriumph des Mannes zu messen vermag. Wehe dein Weibe, das dieser Augenblick in den Tiefen der Verzweiflung überrascht! Wehe mir! Und nun war alles klar! Jetzt gab es kein Schwanken mehr und kein Zagen. Jetzt hieß es: Hindurch! Was weiter kommen würde, sollte mich nicht mehr kümmern. Jetzt hatte ich Kraft. Auch die Kraft zur Lüge. Als ich am nächsten Morgen mit gelbbleichem Gesicht und tiefliegenden Augen am Kaffeetische erschien, dämmerte meiner Mutter eine Ahnung der furchtbaren Wahrheit auf. Sie sah mich lang mit seltsam verängstigten, forschenden Blicken an. Du trinkst nicht, Wilma?" Danke. Ich mag nicht. Ich Hab' Eile, bin sowieso eine Viertelstunde verspätet. Du weißt, wie bös es ist, wenn ich zu spät komme." Du siehst aber sehr schlecht aus. Laß absagen, Kind, leg Dich wieder hin." Das geht nicht. Du weißt es längst. Wer sollte mich ver- treten? Daß ich elend aussehe, bemerkt mein Chef gar nicht; das ist meine Privatangelegenheit. Quäle mich doch nicht, Mutter." Sobald ich aber an der Tür stand und meine Jacke zu» knöpfen wollte, griff ich plötzlich mit beiden Händen in die Lust. Meine Mutter umfaßte mich und geleitete mich zum Sofa. Als ich die Augen wieder aufschlug, da saß sie neben mir, todblaß, als sei ihr soeben ein Gespenst vorbeigegangen. Und sie legte die zitternde, welke Hand auf die meine... Dann fragte sie. Hätte sie gesagt:Mein Liebling, hast Du einen Mann zu lieb gehabt, viel zu lieb, so sage es mir. Deiner Mutter Ich hätte die Arme um ihren Hals gelegt und mit einem Aufschrei der Erlösung ihr alles, alles eingestanden. Denn der NameMutter" war mir in dieser Nacht so heilig geworden, daß mich ein Schauer der Ehrfurcht vor mir selbst durchrüttelte. Aber sie fragte anders. In harten Ausdrücken fragte sie, die mich wie Peitschenhiebe trafen. Mit einem verständnislosen Groll, mit einer Bitterkeit, die mir den Hals zuschnürte.. Sie sprang nicht hinzu wie eine Mutter, die ihr Kind in Todes- gefahr sieht, sie schmähte wie eine Dame der Gesellschaft, die vor etwas Unerhörtem stand. Sie glaubte auch nicht an das, wonach sie fragte. Ich richtete mich hoch auf. Ich sah sie an, als habe sie in einer unverständlichen Sprache zu mir gesprochen. Krank bin ich. Ja. Uebcranstrengt. Ick werde mit dem Arzt sprechen. Und wenn ich erst gehört habe, was mir fehlt und was ich tun soll, werde ich es Dir sagen, ohne daß Du nötig hast, mich zu schmähen." Dann ging ich hinaus, langsam, ohne mich noch einmal umzublicken. Auf der Straße Hab' ich leise vor mich hingelacht. Gelacht aus ungeheuerer Angst vor dem neuen Schreckbild, das vor mir aufgetaucht war... Wenn ich meinem Kinde die Lüge als Mitgift in das Leben gäbe! Die Lüge und die Verderbtheit und all' die Gemeinheit, die wie hungriges Raubzeug durch die Finsternis kriecht und dem gehetzten Flüchtling auflauert! Wenn mein Kind mit dem Mal auf der Stirn geboren würde! Herrgott, Herrgott! Und während ich meinen Leit- artikel schrieb. Hab' ich gebetet. Zu einem Gott, an den ich nicht glaubte. Gebetet, daß er mein Kind nicht die Heuchelei entgelten lassen möchte, zu der ich verurteilt war, daß er mich unter der Wucht der Verachtung zusammenbrechen lasse, doch von meines Kindes Schultern jede Bürde hebe. Gott half mir nicht. So mußte ich mir selber helfen. Ich erfand also die Notwendigkeit einer spezialärztlichen Konsultation, und meine Mutter glaubte mir. Ausspannung Ruhe für ein paar Monate. Doch jetzt noch nicht, noch nicht! Vorher mußte ich noch viel Geld verdienen, mußte sparen, damit meine Mutter wäh- rend meiner Abwesenheit leben tonnte. Und nun kam das ärgste: die mitleidigen Blicke der guten Bekannten. Jedem einzelnen mußte ich erzählen, was mir fehlte, was zu tun mir geraten sei, zu welchem Arzt ich ginge... Und das allcrallerschwerste. Du: der Brief an den Mann und die Antwort! Die Hundertmarkscheine. Vier Scheine. Und der Todes- schweiß auf meiner Stirn dazu Zu seiner Schwester sollte ich gehen, ihr Pension geben. So blieb das Geld doch in der Familie. Aber nichts verraten, nicht ihn verraten! Um des guten Beispiels willen nicht! Es sollte den Anschein haben, als ob ich seiner Beichtkinder eines sei, dem er liebreich Und väterlich aus der Not hülfe. Natürlich müsse ich vorher übertreten, damit das Kind katholisch getauft werden könne. Dann kam eine Stelle in diesem Liebesbriefe, die wörtlich lautete: Du gebrauchst in Deinen Briefen so oft den Ausdruck: Dein Kind" als wolltest Du dies Dein ganz besonders be- tonen. Zu allererst, liebe Wilma, ist es doch das Deine. Mir könnten bei derartigen Wendungen ganz sonderbare Gedanken kommen.". Vier Wochen lang Hab' ich mein armes Gehirn zergrübelt darüber, was ich nun tun sollte. Gegen den Uebertritt zu sein