bleibt,.und doch liegen hier Welten".«UeS— Granit, Blatt, frucht, Wasser. Sonnenspiel— ist Wegweiser und Schlüsselhüter der wigkeit. Urzeit und Gegenwart verwachsen. Fragen und Rätsel erwachen. In der Quelle leben, auf den grünen Zweigen wachsen sie. Alle Sehnsucht der Religion. alle Geheimnisse deiner Kunst, o Mensch I So in die Natur zu sehen, das, du Mensch von heute, ist dein Menschenlos! Und dann ein neuer Nawrlaut, der eine Gedankenferne aufschließt:„Eine Finkenstimme lockt leise aus den grünen Bergen.„Vogelsprachenkund wie Salomo" heißt es in dem Schwalbcnliede aus der Jugendzeit. Aber es heißt dort so vom „Kindermund". Jung werden, nicht alt mit allem Weltblick,— das ist die große Ausgabe. Wieder Kindermund— und doch vogelsprachenkund." So klingt das Vorwort fernschauend aus. Weltfroh, im Reichtum neuen Wissens und Tnipfindens sonnig beseelt. Die Stiimnung des Buches ist gegeben. Und nun hinein in die unerschöpfliche, wunderreiche, wonnige Welt I Bvlsche ist ein Meister im Bauen von Gedankenbrücken. Er grübelt sich seine Konstruktionen nicht ab. Die Bogen schwingen sich leicht und frei, und seine Arbeit jubelt. Es ist etwas Ge- waltiges, was er den Sinnen begreiflich machen will, und das spürt man in seinem— Pathos. Wirklich, von Pathos darf und muß man reden. Aber natürlich ist es inhaltsschwer: Pathos der Empfänglichkeit sowohl als der Verkündigung. Weil er den Wunder- reichtum der Wirklichkeit verkündigen will, reagiert er so empfänglich auf all das Natürliche und Zufällige der Land- schastsbilder. Die Berliner Wasserwerke am Müggelsee haben etwas von Abteistil in ihrer Bauart. In den Küfern umher pflegen sich die heimkehrenden Stare ini Mmz zuerst zu sammeln. Ihr Lied ist der Ostergruß der Natur. Der Klostertypus der Wasser- werke weckt aber die Erinnerung an ein anderes Ostcrgrüßen: an Glockengeläut. Nun bewegt sich das Gedankenspiel zwischen Staren« lied und Glockengetön. Wilder Naturlaut und stilisierte fast ein- geformelte Mcnschenkunst. Das rauschende und summende Starenlied aber ist ein.Lied von den unbegrenzten Möglichkeiten" der Natur- entwickclung. In dem Liede tönt es von dem großen Natur- geheimnis. Eben weil wir heute so viel innigere, festere, weitergcspannte Beziehungen zwischen den Naturerscheinungen zu knüpfen wissen, haben wir erst den Begriff für seine Größe ge- Wonnen. Und für den Wert der geringsten Einzelheit. Die Empfin- dung, die den Star im Frühling zum Singen drängt, kennen doch auch wir Menschen. Eine neue Beziehung, ein neues Spüren des Geheimnisses l Wir haben unsere besonderen Osterträume der Menschenkultur..Was sind sie anders, als selber kleine feine Wellen der allwaltenden kosmischen Zeugungskraft, Wellen des gleichen Prinzips, das Kristalle und Pflauzen, Planeten und Sonnen gebaut hat, Realitälen in alle Unendlichkeiten der Form hinein I" Und nun nimmt Bölsche den Flug zu den Höhen und Weiten der Sternen- und Sonnenallwelt, den Flug, den keiner zuvor so verstand wie er. „Die Glucke bannt mich in ein enges Haus. Und mit meinen Staren dort kann ich über alle Welten schweben. Und ich lausche ihrem Summen— in allem wirren Klang ist jetzt doch etwas wie ein ferner Glockenhall. Nicht so nahe, so einfach, wie wir das lange gedacht haben. Aber doch auch eine Glocke..." Solche Glocken tönen überall in den Bölschebüchern. Wie in allen früheren, so auch in diesem. Und Bölsche lehrt, dem heimlichen, verschollenen Getön zu lauschen. Man muß nur die Wege vom Lebendigen aus rückwärts, abwärts und aufwärts und nach allen Seiten zu finden wissen. Wer das vermag, dem wird alles Tote lebendig. Eben weil eS im Lebendigen aufbewahrt ist. Schreiten, Graben und Fliegen muß man können, und bei Bölsche kann man es lernen. Eine nützliche Kunst! Denn die Zukunft fordert Menschen, die sich auf große Gesichtsfelder verstehen. AllcS aufgespeicherte Naturwissen wird doch erst dann kulturell wertvoll, wenn es zum Blutbildner einer großen Weltanschauung gedeiht, die alles in fester Verkettung zusammenfügt und eins durch das andere in seinem Sinnwerte bestimmt und ausdeutet. Die bedeutsame Fruchtbarkeit des Monismus wird auch in dem neuen Bölschebuche gerade dort äugen- fällig fichtbar. wo Tatsachen der menschlichen Kultur ergriffen, durchleuchtet und in das Weltganze eingegliedert werden.„Gedanken zur Natur und Kunst", heißt Bölsches Buch im Untertitel. Eine Reihe Auffätze machen es zu einer Ergänzung von Dingen, die namentlich in dem prächtigen Bande.Hinter der Weltstadt" abgehandelt wurden. Alles ist hier dem einen Grund- gedanken eingesponnen, daß auch in der menschlichen Kunst eine der im Allgememen der Natnr schaffenden Kräfte sich äußert. Die größte KristS, die unsere Zeit in ihrem tiefsten Geistes- leben überall heute zu bewegen beginnt, nennt Bölsche die Krisis unserer neuen Stellung zu dem Begriff.Natur" überhaupt. Sie gilt ihm— und erhält damit ihre volle Wucht— als Einleitting einer ganz großen religiösen Erschütterung und Er- Neuerung. Der neue Inhalt deS Begriffs gibt aber auch das Mittel, Dinge, die bisher schablonenhaft auseinander- systematisiert wurden, in ihrer inneren Verbindung zu erkennen: Forschung und Kunst. Sie haben ihre Unterschiede, gewiß. Aber in einer höheren Einheit fließen sie zusammen: in ihrer Bestimmung als Element der EntWickelung des Menschen. Und hier enthüllt sich sonnig die Kulturbedcutung der monistischen Weltanschauung. Hören wir Bölsches Worte: »Die Ideale selbst, nach denen der Künstler seine Beobachtungen' elementar umschafft, besser, reicher schafft, find in nicht? verschieden von denen des Naturforschers. Sobald die Frage auftaucht: in welcher Richtung sollen wir denn nun bessern, tauchen au» dem elementaren Grunde des Menschen s dieses sich ent- wickelnden Naturstücks) auch immer die gleichen Wünsche auf: Harmonie, Rhythmus, Friede, Liebe, Gerechtigkeit, immer schmerzloserer Sonnenflug, Genüsse höchster Art in Erkenntnis und Schön» heit. Alle Technik ringt und ringt nur nach dem gleichen Ziel, das die Dichter gesungen, die Maler gemalt, die Bildhauer gemeißelt, die Musiker in Harmonien über uns ausgeströmt haben. Der äußere Schönheitsmensch, der körperliche Jdealmensch, den in höchster Stunde der inneren Wunsch-Schau die größten Bildhauer gesehen und in Marmor zuerst wie in einer ersten Projektton des Ideals verkörpert haben:— er ist genau so das Ziel aller Hygiene, aller Rassen- Züchtung, wie es die Naturforschung in der leiblichen Realität aller Menschen erreichen will. Der Traum einer Weltregierung durch Liebe, wie ihn die Dichter, zumal die großen religionstiftenden Dichter geschaut und in ewigen Gedichten und Evangelien nieder» gelegt haben,— er ist auch das Ideal aller sozialen Entwicklung� aller realen Hoffnungen auf Besserung der Dinge durch Beherrschung der Natur,— er ist das große Zukunftsbild einer Menschheit, die sich selber zum liebenden Gotte wird, weil sie Gottesmacht über die Naturkräfte erlangt und zugleich diese Naturkräfte dirigiert auf die größtmögliche Harmonie der Welt." Diese Gedanken sind eine Hochwarte, von der auS auf Bölsche» ganze Arbeit ein beherrschender Blick zu gewinnen ist. Von hier aus erkennt man so recht: Höchster Knlturzweik ist der Sinn dieser Arbeit, wirkt als Trieb in ihr. Diese Physiognomie des Kämpfers— denn daS ist der Denker und Dichter Bölsche— deS Kämpfers, der sich weite ideale Kulturziele steckt, tritt in aller Deutlichkeit hervor. Auch als einer, der positive Arbeit leisten will, bleibt er der Methode treu, an allen sich bietenden Punkten anzusetzen. Das gerade ist ein Gewinn monisttscher Naturdeuduig: es gibt keine toten Punkte in der Natur, alles entwickelt sich. Und wir Menschen machen in nichts eine Aus- nähme. Was wir uns an gesellschaftlichen Institutionen geschaffen haben, ist als Menschenwerk nicht über die Natur hinausgehoben.. ES hängt von ökonomischen Bedingungen ab. die hin» wiederum von dem Drängen nach einem leichteren Gewinn der Mittel zur Lebensfürsorge abhängig sind, und erweist sich in seinen letzten Wirkungen als wichtiger und wichtigster Faktor der EntWickelung der Gattung Mensch. Also ist eS selbst veränderlich, d. h.: es entwickelt sich. Da aber erst uns der Zu» sammenhang zwischen diesen menschlichen Einrichtungen und dem Gattungsgedeihen sich klar erschlossen, so haben wir als Folge dieser Erkenntnis auch einen Gewinn an Energie zu verzeichnen, bewußt an der richttgen Stelle einzugreisen, um bestimmte EntivickeluugS- Wirkungen zu erzielen. Bölsche also gehört zu denen, die von dieler Energie menschlichen und damit menschheitlichen Entwickelnwollen» mit heiligem Feuer durchglüht sind, und so hat es einen inneren Grund, wenn er sein Werk, in dem die Lust: in dem unerschöpflich reichen Weltbilderbuche organischen Lebens vor- und zurllckzublättern, sich unernuidlich ergeht, ausmünden läßt in„Gedanken über die Schule". Alles hat seine„Welffeite"— selbst die Frage um die Bestini» mung des Verses im Drama, über die ein Abschnitt des Buches sich verbreitet. Ihre Weltseite hat also auch die Frage der Schul» entwickelung. Nicht nur die EntWickelung durch die Schule, sondern die Entwickelung der Schule selbst, die aber in der Höherentwickelung jener besteht. Bölsche packt mit wissender Hand in den Wirrknäuel schulreformerischer Strömungen hinein. Die Schule kann nur ge» deihen in intensivster Verbindung mit dem lebendigen Geistesgewinn der Zeit. Wir haben gegen alles Alte unsere neue Geistes» kulttw: Naturwissenschaftliche und ästhetische Forderungen. die sich das moderne Leben mächtig erobern. bezeichnen ihr Wesen und ihre Kraft. Aber eben die Naturwissenschaft gab uns auch größere Einficht in die geistigen Fähigkeiten und EntwickelungS- Möglichkeiten des Individuums. Welch unendliche Verschiedenheit! Und davon hat alle Schulreform auszugehen. Nicht damit beginnt das Lehramt, schnell Wissen in die unentwickelten Köpfe zu bringen, die erste Aufgabe ist, die Zöglinge kennen zu lernen. AuS dem Ergebnis kommt der Lehrplan.„Die Aufgabe der Schule ist. etwas zu finden und zu entWickel n." Und so erhebt Bölsche folgerichtig seine Sttnnne für eine Individualisierung des llnier» richts, und mit Vorschlägen, wie dieses Ziel prakttsch zu erreichen sei. schließt er sein Buch. Zwei Ziele hat er bei diesen Vorschlägen im Auge, und er glaubt, seine Idee ftihrt auf den richttgen Weg:„Sie bringt einen Vorteil für das ganze Reale, den Existenzkampf, die Berufs- und Brotfrage. Und sie bringt auch einen für das Ethische der Erziehung, sie sucht eine ewige Quelle des Mißlichen, Unsrohen, Widerwärtigen zu verstopfen." Wahrlich, daS Verstopfen dieser Quelle bedeutet Gattungs» gewinn. Was für die Entwickelung der geistigen Kultur nottut. da» ist eine Entlastung der Jugend von allem. Ivas die Schule zu einer drückenden und verfinsternden ZwangSanstalt macht. Bei der Jugend muß eingesetzt werden, wenn der neuen Generation zu» fallen soll, was als höchste ethische Forderung mit Bölsche» Worten lautet: „Heller sollen wir die Welt machen." In diesem Worte enthüllt sich die Weltsette aller Schulsragen. Naturwissenschaftlich und ästhetisch muß alle Bildung durchtränkt
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21 (22.12.1904) 251
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