Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 255.
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Ich bekenne.
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Donnerstag, den 29. Dezember.
( Nachdruck verboten.)
ein
Roman von Clara Müller- Jahnke . Er beschimpfte mich zum zweiten Male auf eine Weise, daß mir ein physischer Ekel die Kehle zusammenpreßte. Das Kind sei nicht das Seine. Denn so argumentierte er wohlausgewachsenes Kind komme nicht acht Monate nach der Empfängnis auf die Welt! Er habe schon lange Argwohn gehegt, sich durch meine erheuchelte Ehrlichkeit aber immer wieder düpieren lassen; auf dem Bahnhofe in St. fchon hätte ich seinen Blick nicht zu ertragen vermocht. Die evangelische Laufe des Kindes habe ihm endlich die Augen geöffnet, und wenn ich das erpreßte Geld nicht in möglichst kurzer Zeit an ihn, der sich selbst in äußerster Bedrängnis befinde, zurück erstatte, so werde er gezwungen sein, seine Maßnahmen gegen mich zu treffen.
Weißt Du, mein Liebling, ich bin ganz ruhig die Treppen zu Elfriedens Wohnung hinaufgestiegen, bin lächelnd an der mich entsetzt anstarrenden Wärterin vorübergegangen und habe später auf Elfriedens Vorwürfe nur die eine Antwort gehabt: " Jetzt dürfen Sie sich über nichts mehr wundern, Fräulein Günther. Am wenigstens darüber, daß ich gesund und kräftig bin. Ich könnte auch nicht auskommen ohne eine volle Menschenkraft."
Bis ich allein war
Oben in meinem Zimmer brach ich vor meinem Bette in Oben in meinem Zimmer brach ich vor meinem Bette in die Knie. Da hatte ich nicht mehr die Kraft, mich zu entkleiden. Und so: auf den Knieen, das Gesicht in die Kissen gepreßt, habe ich gelegen die ganze Nacht.
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Und habe gebetet.
Wild und heiß. Habe geschrieen zu dem, der über den Wolfen wohnen und die Geschicke der Menschen lenken soll mit seiner Vaterhand.
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Habe nur das Eine, Einzige erbeten, für ein ganzes, zertretenes Menschenleben nur die Gewährung der einen Bitte erbeten: Laß mein Kind sterben! Laß es sterben, Herr!"
Als die Glocken von der nahegelegenen Domkirche den Charfreitag einläuteten, als die laue Morgenluft durch die geöffneten Fenster strömte, da pochte irgend jemand leise und vorsichtig an meine Tür.
Mit einem Sprunge war ich auf den Füßen, Niemand sollte mich in Verzweiflung sehen. Ich strich meine zerzausten Haare glatt und zupfte mir den Kragen zurecht.
„ Sofort! Einen Augenblick, bitte!"- Elfriede war es. Sie legte mir den Arm um die Schultern und sah mir mit gütigen Blicken in das verstörte Gesicht. Sie sagten gestern, Sie seien gesund und start. Ich glaube Ihnen, weil ich Ihren Willen kennen gelernt habe. Und heute werden Sie ein vollgerütteltes Maß von Kraft nötig haben!"
,, Was ist geschehen?"
Sie entfaltete ein Blatt, das sie in der Hand verborgen gehabt hatte. Ihr Kind war vom ersten Moment an schwach, Wilma. Und der angeborene schwere Fehler dazu- ich erhielt soeben ein Billett von Dr. Bernstorffer"
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„ Es stirbt!" Ich mußte an mich halten, um nicht in hellem Jubel laut aufzuschreien.
,, Es ist heute Nacht hinübergeschlummert." Da griff ich mit beiden Händen in die Luft, so daß Elfriede mich umfing und mich sanft auf das Bett niedergleiten ließ. Und hier, auf den Kissen, auf denen ich mein Kind geboren, famen mir die erlösenden Tränen. Stunden hindurch habe ich geweint, in Krämpfen geweint. Aus welchem Gefühl heraus? Ich wußte es nicht und weiß es noch heute nicht. Tief aber im Grunde meiner Seele hob sich dämmernd ein Lebenshauch, wollte ein Gefühl empor an das Licht: ein Gefühl des Geborgenseins, der Befreiung.
Ich hatte mein Kind totgebetet.
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Und einige Stunden nach Empfang der Todesnachricht erhielt ich abermals einen Brief von Vincenti, diesmal direkt an meine Adresse.
Er forderte sein Geld. Und drohte mir, er werde, falls er es nicht sofort erhielte, sich an meine Mutter wenden.
1904
Um mein Herz hatten sich eiserne Panzerringe gelegt; jede kindliche Empfindung war erstorben in mir.
Auf den Gedanken, Elfriede um Hülfe zu bitten, bin ich gar nicht gekommen. Ich befand mich im Kampfeszustande fein Recht hatte, mich zu beschimpfen niemals! Und wovon gegen die ganze Welt. Betteln um eines Zumpen willen, der hätte ich denn wiedergeben sollen, was ich mir lieh?
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" Ich will mein Kind noch einmal sehen; ich will zu meinem
Kinde.
von dem langsamen Hinüberdämmern des Geschöpfchens Kunde Helena war in den Mittagsstunden dagewesen, um mir zu bringen, eine Kunde, die der Tod überholt hatte. in diesen schwarzen Stimden empfand ich übrigens die UnIch wies fie ab; ich wollte feinen Menschen sehen. Selbst gerechtigkeit meines Handelns ihr gegenüber. Aber was tat's? dh war eben nicht in der Stimmung, gegen irgend jemand gerecht zu sein.
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Und nach dem Mittagessen welch ein Hohn!- machte ich mich auf den Weg in die Klinik. Zu Fuß natürlich. Ich hatte kein Recht mehr, überflüssiges Geld auszugeben für eine Droschke. Was ich erübrigen konnte in diesen Tagen der Schmach, das war nicht mein Eigentum.
eine Stunde lang. Ich starrte in den grünenden Garten hinab, In dem großen Wartezimmer des Professors saß ich wohl in dessen Mitten sich ein mächtiger roter Backsteinbau erhob: die Frauenklinik, ein Sammelbecken von Qualen, Schmerz und trostlosem Elend. Und Elend auch um mich herum, krüppelhafte Gestalten mit verbundenen Köpfen, verzerrte Gesichter, Denen die Furcht vor der Konsultation oder auch der drohenden Operation aus den fladernden Augen sprach. Und einer nach dem anderen wurde gerufen und verschwand hinter der schweren, eichenen Flügeltür, die in das Sprechzimmer des berühmten Operateurs führte. Endlich wurde auch mein Name genannt. Der Professor saß an seinem Schreibtisch, als ich eintrat. bereits ausgestellt. Ich warf einen flüchtigen Blick auf das Er hatte den Totenschein, den zu holen ich gekommen war, mir dargereichte Papier und zuckte jäh zusammen.
Da stand:
„ Todesursache: Rückgratbruch( vor der Geburt)." und die schüchtern gestammelte Bitte, ob ich die kleine Leiche Dann auch mit dem Arzte das gräßliche Abrechnen nicht noch einmal sehen könne.
schwarzen Härchen abzuschneiden, um sie immer bei mir tragen Ich hatte den dringenden Wunsch, ein Büschel der zu können als ein Wahrzeichen unvergänglicher Schmach und unvergeßlichen Glückes.
Der Professor drückte auf den elektrischen Knopf auf seinem Schreibtisch.
Einer der Anstaltsdiener trat herein. Aus seinem Munde erfuhr ich, daß die Leiche bereits in den Leichensaal gebracht sei und daß ich nicht hinein könne, weil in dem davor liegenden Saale soeben eine schwierige Operation vollzogen würde.
Auch diese Enttäuschung ging über mich hinweg, wie eine von den vielen Laufenden flutender Wogen im Meer. Und nun das allerletzte noch, was geschah mit meinem Kindchen?
„ Sie können die Leiche jederzeit abholen lassen," beantwortete der Arzt die Frage, welche er sicherlich erwartet hatte. " Ich habe Ihnen indessen einer Vorschlag zu machen. Der Fall ist ein sehr seltener und äußerst interessanter, für unsere Wissenschaft von ganz hervorragendem Wert. Und da Ihnen die Abholung der Leiche sowie das Begräbnis bedeutende Kosten verurjachen würden, nun" und der berühmte Mann suchte offenbar nach Worten ,, nun, Sie müssen das nur von der richtigen Seite betrachten, so dächte ich: Sie überließen den ffeinen Körper uns zur Obduktion. Begräbnis und alles übrige übernimmt natürlich die Anstalt. Nur muß ich im Voraus bemerken, daß das Kind kein eigenes Grab erhält, daß mit der Ueberlassung der Leiche an uns diese vollständig in unseren Besitz übergeht."
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Ich starrte dem Manne in das glattrasierte, gespannte Gesicht und überlegte langsam, Wort für Wort, was er eigentlich gefagt und gemeint hatte..
,, Es ist nicht so bös, wie es bielleicht den Anschein hat auf den ersten Blick- Das mit einem solchen Fehler geborene Wesen wäre doch niemals ein lebensfähiger, lebensberechtigter