Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 2.

2] du Der Baumeister .

Dienstag, den 3. Januar.

Roman von Felix Holländer. 3weites Kapitel.

1905

Der Rhythmus, den der Wagen hervorbrachte, schuf ihm ( Nachdruck verboten.) eine eigentümliche Musik. Er vernahm deutlich, wie die Musiker kurz vor Beginn der Vorstellung in komischem Durch­einander ihre Instrumente stimmten, wie jetzt der Kapell­meister an sein Pult flopfte, wie die geputzten Damen und Herren, die das Theater bis auf den lezten Platz füllten, sich auf ihre Stühle niederließen, und wie alles in freudiger Er­Minuten sich zum erstenmal heben sollte... Und er saß in regung auf den neuen Vorhang starrte, der in wenigen einer Parkettloge und überblickte das freudige Getümmel und weidete sich an dem pruntvollen Hause, an dem prächtigen Saal, der, in den Farben auf das feinste abgetönt, bei allem Reichtum nirgends überladen war und auf Gottes Welt nicht seinesgleichen hatte... Er las am anderen Tage in den Beitungen, daß diesem Meisterwerk gegenüber alle Bedenken schweigen müßten und daß er mit seinem Bau etwas völlig Neues und Vorbildliches geschaffen habe

Keßler schritt langsam weiter. Der Frühlingswind fuhr fühlend über sein Gesicht. Alles, was er in dieser letzten Biertelstunde erlebt hatte, fam ihm wunderlich vor. Vielleicht hatte er wirklich nur geträumt. Er griff in seine Rocktasche und zog die Hundertmarkscheine hervor, die er lange und mit großem Ernst betrachtete. Da sie zerknittert waren, strich er fie sorgfältig glatt. Es war ihm, als ob er mit dieser arm­feligen Summe seine Zukunft in den Händen hielte. Er kam sich in seinem Selbstbewußtsein gesteigert vor. Er hatte es zu Drenkwitz im Scherz gesagt, während es ihm doch bitter ernst war, daß er im Gefühl der Macht zu jedem Gewaltakt fähig sein würde, um vorwärts zu kommen. Er mußte vor­wärts kommen! Er brauchte Licht Licht von allen Seiten. Nur nicht im Dunkeln stehen! Nur nicht zu denen gehören, die auf der Strecke blieben, die unbeachtet am Wege starben! d

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Er blieb auf einmal stehen. Warum hatte er diesem Drenkwitz seine innersten Gedanken verraten? Man sollte sich vor keinem Menschen aufknöpfen... das war die größte das war die größte Dummheit, die man begehen konnte. Niemand trauen dem besten Freunde nicht!.

Aber Drentwizz war Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle, das stand fest. Und wie sonderbar, daß er ihm nach so vielen Jahren, in denen er nichts von ihm gehört hatte, gerade in dieser Stunde der Bedrängnis über den Weg ge­laufen war! War das Zufall oder Gesetz?

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Dieser Drentwiß! Ein fomischer Kauz! Durch und durch anständig darüber war kein Wort zu verlieren aber doch völlig von der Philistermoral und den sogenannten anständigen Grundsätzen beherrscht. Die großen Gesichts­punkte waren ihm nie aufgegangen das stand jedenfalls fest. Und über das Napoleonsproblem hatte er sich wohl in feiner Stunde des Lebens den Kepf zerbrochen

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Und so ein Mensch war Staatsanwalt maß mit der Elle des bürgerlichen Anstandes und der Duzendmoral und begriff es nicht, daß zu allem Großen ein Wagemut gehört, der unter Umständen an das Verbrecherische stoßen konnte und stoßen mußte. Diese Gesellschaft hielt mit ihrer Gewissen­haftigkeit und Pflichttreue, ohne es zu ahnen, die Entwickelung des Staates auf. Sie hemmte all die latenten Kräfte, die zum Lichte drängten, um neue Werte zu schaffen.

Es war eine Narrheit; zu solch einem Menschen von seinen Plänen und Ideen zu reden. So einer betrachtete alles durch die Brille der Gerechtigkeit und des Staates.

Von der Kaiser Wilhelm- Gedächtniskirche schlug es in lauten Schlägen zwölf Uhr. Er schrak leise zusammen und blickte auf den mächtigen Sandsteinbau, der übergroß in die Nacht hineinragte.

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Wie schlecht wie verdammt schlecht ist das gemacht!" murmelte er vor sich hin. Die hätte ich bauen müssen!" Es kam ja schließlich auf dasselbe hinaus, ob die Menschen in ein Kirchenschiff oder in ein Theater traten. Der Zweck war jedesmal derselbe: die Flucht aus dem grauen Alltag.

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Er erwachte, und weil es ihm in der Droschke zu eng ward, rief er dem Kutscher ein fräftiges Halt!" zu. Der Tarameter zeigte auf eine Mark und sechzig Pfennig. Keßler lachte vergnügt auf.

Heute stimmt alles, dachte er, und eine übermütige Aus­gelassenheit bemächtigte sich seiner.

Minuten von seiner Wohnung in der Schützenstraße entfernt. Er bog in die Mauerstraße ein und war nur noch wenige

fam, ihm so ohne weiteres dreihundert Mark zu leihen. Und Er zerbrach sich den Kopf, wie dieser Drenkwitz nur dazu wie der Mensch sich darüber geärgert hatte, daß man mit einer Mark und sechzig Pfennig in der Tasche einen reinen Kragen trug! Und was für kriminalistische Bezeichnungen er gleich dafür hatte! Das nannte er den Leuten Sand in die Augen streuen" dieser Schafskopf!

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Jetzt trat er in die Schüßenstraße. Lautes Geschrei und Gejohle erfüllte die Nachtstille. Ueber seine Miene glitt ein verstehendes Lächeln: Richtig, er war s! Und unmittelbar darauf sah er einen dunklen Schwarm von Menschen hinter einem Reiter her, der auf seinem Schimmel durch die Straßen galoppierte. Die Menge verfolgte ihn, und ein halbwüchsiger Bengel schrie gellend:

,, Herr Freitag, heut ist Donnerstag!"

Und unter Hohngelächter stimmte der Haufe mit ein und

wiederholte: ,, Hören Sie, heut ist Donnerstag! Sie fallen von Ihrem So hören Sie doch, Herr Schimmel, Herr Freitag! & reitag!... Sind Sie taub, Herr Freitag?"

der Reiter, ein kleiner Herr mit weißen, flatternden Haaren, Und dazwischen freischten sie vor Vergnügen, während der auf dem Kopfe einen mächtigen Salabrejer trug, hilflos, mit verglasten Augen, auf seine Peiniger starrte und dem abgehezten, schnaubenden Gaul die Sporen in die Weichen drückte.

Den fleinen Vorsprung, den er jegt vor seinen Ver­folgern hatte; suchte er ängstlich auszunüßen. Er war vor feinem Hause angelangt und sprang eilig von dem Schimmel. ind mit lauter, heiserer, tiefer Stentorstimme rief er, jeden Buchstaben mit scharfem Akzent hervorstoßend, hintereinander: Portier! Portier! Portier!"

Aber von drinnen rührte und regte sich nichts. Inzwischen hatten seine Verfolger ihn wieder erreicht, und wieder klangen blödsinnige Rufe an sein Ohr, und der Witbold schrie von neuem:

Er dachte wieder an sein" Grundstück am Nollendorf­" Herr Freitag, heut ist Donnerstag!" play. In Gedanken gehörte es ihm längst. Er sah sich auf Sie drängten dicht an ihn heran. Er blickte sie wie ein dem Bauplatz, wo er Befehle und Weisungen erteilte. Er Feldherr zornfunkelnd und verächtlich an, im Innersten vor hielt Konferenzen mit den Geldleuten ab Fabrikanten und Angst vergehend. Den Hut hatte er vom Kopf genommen, Lieferanten antichambrierten bei ihm. Jede Viertelstunde des und seine dichten, weißen Haare wehten, als wollten sie auf Lages war vergeben. Er schwelgte in diesen Vorstellungen... und davonfliegen. Sie sahen zu beiden Seiten des Schädels Ein Tarameter fuhr vorbei. Er winkte mit einer lässigen wie mächtig gespreizte Flügel aus. Bewegung dem Rutscher.

Fahren Sie mich in der Richtung der Schützenstraße:" sagte er von oben herab. Dann Jehnte er sich in das Polster zurück und schloß die Augen. Er hatte nur den einen Ge­danken: Wie war das Geld aufzutreiben, um seinen" Bau­plaz zu erwerben?...

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" Portier!.." rief er von neuem, und seine Stimme schlug dabei über.

Eine Frauensperson von zweifelhaftem Aussehen zupfte ihn plöglich am Rod. Das erregte einen ungeheuren Heiter. feitsausbruch, und von allen Seiten drängten sie auf ihn ein. Als er wieder fein Portier!" ausstieß, hatte der Ton seiner

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