Stimme bereits etwas Weinendes und sein Auge etwas Ge-brochenes. Er glich einem verwundeten Tier.Keßler schob die Menschen beiseite. Dieses Schauspielwar ihm nicht fremd. Ter Mann wohnte mit ihm Tür anTür. Jede Woche machte er mehrere nächtliche Spazierritte,und jedesmal waren die Menschen hinter ihm her, wartetenbis in die späte Nacht hinein auf seine Rückkehr, um dann ihrTheater mit ihm aufzuführen. Er hieß Freitag und war indiesem Viertel eine bekannte Persönlichkeit. Man hielt ihn fürnärrisch und glaubte ein gutes Recht zu haben, ihn Spieß-ruten laufen zu lassen.Keßler hatte es bisher immer vermieden, sich in diesesKampfspiel hineinzumengen. Der Mann war ein Sonder-ling, der auch ihn wie alle Menschen mied, weder seinen Grußerwiderte, noch ihn überhaupt beachtete. Aber in dieieniAugenblick trieb ihn sein Instinkt, sich zwischen den Allen unddiese Bande boshafter Menschen zu stellen.„Wollen Sie augenblicklich machen, daß Sie davon-trollen!" sagte er grob, und dabei packte er einen Burschen,der ihm frech ins Gesicht sah, so fest an, daß dieser lautaufschrie.Das wirkte. Die Menschen wichen furchtsam zurück.und jeht wurde auch der Riegel geschoben und gleich darauferschien der Portier des Hauses.Freitag reichte ihm mit einer königlichen, herablassendenBewegung die Zügel des Pferdes. Dann ließ er Keßler ein-treten und folgte ihm, indem er krachend die Tür zuwarf.Von der Straße her tönten wieder Spottgelächter uud höhnendeRufe.„Bitte sehr," sagte Keßler und blieb stehen in der Ab-ficht, den kleinen, allen Herrn vorangehen zu lassen.Ter schüttelte stumm den Kopf. Er hatte eine Wachs-kerze entzündet und. Keßler blieb nichts weiter übrig, alsvoranzuschreiten.„Plebejer!" murmelte der Kleine und trippelte vorsichtigvon Stufe zu Stufe.„Meinen Sie damit mich?" fragte Keßler belustigt._Ter Kleine blieb stehen und leuchtete mit dem kleinenFlämmchen dem Architekten ins Gesicht.„Reden Sie keinen Unsinn!" erwiderte er dann grob undvon oben herab.Diese Antwort wirkte auf Keßler ungemein komisch. InTon und Gebärde lag Methode. Es war, wie wenn einKönig zu seinem Lakaien spricht.Sie waren jetzt im zweiten Stock angelangt, wo beide ihrQuartier hatten. Jeder hatte zu seinem Zimmer einenSondereingang. Beide holten fast gleichzeitig ihre Schlüsselhervor, um die Zimmertürm zu öffnen.-- Im Duett knarrtendie Schlüssel.„Gute Nacht, mein Herr!" sagte Keßler.Der alte Herr hustete statt jeder Antwort und schlugdröhnend die Tür hinter sich zu.(Fortsetzung folgt.)fNachdrnck verboten.)Stapfen im ScKnee.Von Carl Busse.Der Vorsteher gibt das Zeichen zur Abfahrt. Unwillig schnaufendzieht die Maschine an, und langsam setzt sich der Zug in Bewegung.Der Zug, der mich hierher brachte!Nur wenige Personen stiegen gleich mir aus. Sie blickten michverwundert an— nun gehen sie hastig oder gemächlich zum Dorf.Der Bahnsteig ist nicht gesperrt; jeder kann hinaus oder hinunter.In der kalten Klarheit des Tages leuchtet das Ziegelrot der Häuserherüber. Der Rauch steigt aus den Schornsteinen. Mau hörtKirrende Schläge; sie kommen gewiß aus der Schmiede. Sie machendie Stille noch fühlbarer.Die Pelzmütze auf dem Kopfe stolpert jetzt ein Bengel mitfrechem Naschen aus der Tür des Stationsgebäudes. Er sieht michgroß an und geht zur Pumpe. Blanke Zapfen hängen daran; derBecher an der eisernen Kette ist vereist, und der Schwengel quietscht.Wasser gibt es nicht; der Frost zur Nacht war zu groß. Der Schnee,den man tritt, singt ordentlich.Warum bin ich hier? Auf einer Station, die ich nicht kenne,vor einem Dorf, dessen Name ich kaum jemals hörte?Weil ich die„weiße Sehnsucht" Hab', die mich alljährlich über-fällt, die Sehnsucht nach Schnee und Winter. Sie kommt plötzlich.Wenn die Flocken am Fenster vorbeitanzen, tanzt das Herz. WirHaben als Kinder den ersten Schnee angesungen, wir haben dieHände ausgestreckt und die Mützen hingehalten, wie das Kind imMärchenbuch, das die Sterntaler fing.Und nun kann es noch so dicht vom Himmel kommen— ichsuch' vergeblich nach dem reinen Weiß. In der Riesenstadt ist derSchnee nichts Gutes. Hier schützt er keine Saaten, hier hindert ernur und verwandelt sich in zähen Schmutz. Aber die Kinder der ein»samen Ebenen können die langen Winter ihrer Frühzeit nicht der-gessen. Und jählings kommt die„weiße Sehnsucht" über sie—die Sehnsucht, über weite weiße Felder zu gehen, an Bäumen zurütteln, die sich unter der Schneedecke beugen.Nur deshalb Hab' ich mich in den Zug gesetzt und bin eineStunde lang gefahren— über stille Vororte hinaus zu Orten, dienoch stiller sind. Nun wand're ich die Chaussee entlang und meinHerz wird weit wie die Ebene. Den« Wagenspuren folge ich; mitdem Stock feg' ich die weißen Kappen von den Meilensteinen. DieSperlinge suchen nach Futter; Goldammern sitzen träge, mit fettemBäuchlein, auf den Zweigen. Und als dunkle Flecken spazieren dieKrähen, bald würdig ausschreitend, bald stolpernd, über die endloseweiße Fläche, die sich ringsum breitet.Das Torf blieb zurück. Ich greif' in den Schnee und ball' ihnzur Kugel. Schlachten, die ich als Knabe geschlagen, stehen vor mir,die Bälle fliegen, schneller noch fliegen die jauchzenden Rufe, immervon neuem fassen die rotblaucn nassen Hände ins unberührte Weiß.Da schreit jemand auf und blutet. Irgend einer hat einen Steinin die Schneclugcl geballt. Das kann nur Kochs Emil sein. Aufihn, Jungens I Von Freund uud Feind wird er gepackt. Er stößtmit den Füßen, er kratzt— nützt nichts. Und bald liegt er da, undvon ein paar Dutzend Händen wird sein Gesicht„gewaschen". Erbrüllt, obwohl er dabei Schnee schlucken muß. Zwischen Hals undKragen wird ihm denn noch eine gehörige Portion hineingestopft.Dann mag der Verräter laufen.Ah, es war schön! Wie gut ich werfen könnt' I Und heut? Obich den Baum dort drüben noch treffe? Nein— da fällt die Kugeljenseits des Grabens nieder! Ich versuch' ein zweites ein drittesMal— klatsch, die dritte saß! Vergnügt geh' ich weiter.Drüben liegt eine kleine Schonung. Dann kommt der Wald.Und ich frag' mich, weshalb ich hier auf dem Nllerweltswcge laufe,anstatt durch den jungfräulichen Schnee der Felder zu gehen. Wiedas sein ist, die ersten Spuren durch die himmlische Decke zu ziehen!Man scheut sich fast...Hier läßt sich noch waten. Mitten in den Aeckern bin ich, nie»mand stört mich, nur die Krähen schelten und wünschen mir Unheil,weil ich sie aufschreck'. Bewegt sich dort nichts? Ich ruf' undschwing' den Stock. Aha— Meister Lampe l Schade, daß er aus-reißt! Ich Hütt' ihm sein Futter gegönnt. Wollt' er den Schneescharren, um ein Hainichen zu finden? Er mutz jetzt hungrig seinund klapperdürr— alle Rinden sind angenagt. Und die Lieb' istseine einzige Freude. Has' und Häsin haben heißes Blut im kaltenJanuarius.Mit den festen Stiefeln werf' ich den Schnee auf. Dort ist dieSchonung. Aber sieh'... ich bin doch nicht der einzige, der hier ge»gangen Da sind Spuren... schwere tiefe Stapfen, fest und nichtklein. Sie kommen drüben vom Wege und gehen aus die Schonungzu. Warum sollt' ich denen nicht folgen?Wer war's, der hier gewandert ist gleich mir durchs einsameFeld, das seine Spuren behalten hat? Auch einer mit der weißenSehnsucht? Ein Alter, ein Junger? War's der Holzfäller, der sichden Weg zum Förster kürzte? Warum bin ich kein Indianer—dann fragt' ich nicht. Der weiße Falke oder der große Büffel oderder springende Panther, sie lesen aus den Stapfen die ganzeBiographie dessen, der seiner Straße zog. Aber ich?Halt! Ich Hab' zu früh geklagt. Der Schnee ist zertreten.Kleinere, zartere Stapfen stehen neben den größeren. Sie sind vonder anderen Seite herangctrippelt, sie sind nicht so tief wie dieanderen. Und hier hoben sich die kleinen und die großen getroffen.Nun führen sie, dicht nebeneinander, um die Schonung herum.Der weiße Schnee fängt an, Geschichten zu erzählen.„Schaderack, schaderack!" tönt es plötzlich rauh. Als war' ichauf verbotenen Wegen ertappt, schreck' ich auf. Es sind die Elsternin der Schonung.„Die Schalaster," sagte meine Großmutter,„hatein böses Maul wie die Nachbarin."Die bösen Mäuler klatschten nisig. Die braunen listigen Augenmochten mancherlei gesehen haben, was die großen Füße und diekleinen Füßchen betras.Hier hatten die Beiden stillgestanden. Ein Zweig war geknickt.Vielleicht hatte eine Hand vor Zorn unk Liebe in das Kieferbäumchengegriffen— trotz der Nadeln. Es wächst mir aus den Stapfen einbreiter kräftiger Mensch auf. Falten stehen auf seiner Stirn, dieLippen hat er zusamniengepreßt. Er ist von der schweren ruhigenArt, die hierzulande lebt. Er wackelt nicht her und hin, sondernwo er einmal steht, da steht er. Die Spuren sind sehr tief, als Hütt'er sie absichtlich fest eindrücken wollen. Er bettelt auch jetzt nicht, wodas Mädel ihm sagt, daß alles aus sein muß, und daß der Vaterschon die Hochzeit mit dem anderen bestimmt hat.Aber das Mädchen ist dabei unruhig gewesen, hat sich viel be»wegt. Der Boden verrät es. Sie hat ihm alles gesagt; sie will nurnoch Abschied nehmen. Im Elternhaus ist strenge Zucht; Un»gehorsam wird nicht gelitten.„Das ist mal so... da läßt sich nichtsdagegen machen," spricht sie.