Der siebente Weltrat: Im Auftrage meiner Regierung habe zu erklären, daß unserer Ansicht nach sämtliche Mitglieder unseres Weltfriedhofs persönlich nach Petersburg reisen sollten, um Nikolaus II. Dank zivilisterter Staaten auszusprechen. Meine Herren I 22. Januar war Ruhniesblatt in Weltgeschichte. Bewies, wie man Frieden vor innerem Feind schützt. Stelle weiter anheim, in zivilisierten Staaten Jnternationalspende für Seine Majestät zu sammeln. �Allgemeine Zustimmung.) Erster Weltrat: Ich glaube, daß die Anregung unseres verehrten Herrn Vorredners der allgemeinen Sympathie sicher ist. Wir können sofort zur Abstimmung schreiten. Wer dafür ist... Der Sekretär: Verzeihen Sie, ich muß Ihnen doch davon Mitteilung machen, dast gegenwärtig der Teufel los ist. Jeden Morgen kriege ich mindestens lOl) Briefe, Aufrufe, Proteste. Alle fordern gebieterisch unser Eingreifen gegen das, was sie die Menschen- schlächterei des Zaren nennen. Wir lollen die russische Regierung außerhalb der Gemeinschaft der Kulturstaaten stellen. Mr sollen die Regierungen zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen drängen, die Verachtung jedem aussprechen, der künftig den Absolutismus durch Gelddarlehen, Kauf russischer Papiere und desgleichen unter- stützt. Endlich sollen wir eine große Sammlung für die Opfer der Metzelei inszenieren... Und alle die Briefschreiber find erst- klassige Berühmtheiten. Der siebente Weltrat: Ekelhafter Blödsinn! Der erste Weltrat: Hm! Gegenüber so vielen Celebri- täten müssen wir doch etwas tun. Die Vorgänge haben doch ihre zwei Seiten. Wie wäre es, wenn wir den Zaren anflehen, zur Be- ruhigung des öffentlichen Gewissens Europas eine Denkmünze für die Hinterbliebenen der Opfer der Metzeleien zu stiften.? �Vereinzelter Beifall, starker Widerspruch.) Der siebente Weltrat(erregt): Ich frage: Sind wi, für Weltfrieden da oder für Revolution? Denkmünze oder auch Denkblatt, ist ausgezeichnete Idee. Aber naturgemäß nicht für Rebellen, sondern für wackere Kosaken, wegen Tapferkeit vor dem inneren Feinde. Der er sie Weltrat: Nicht so hitzig I Verbrennen wir uns nicht unsere Finger. Ich schlage strikte Neutralität vor! Der Sekretär(verzweifelt): Aber es mutz etwas ge- schehen l Wie soll ich denn sonst den Tausenden von Briefschreibern antworten? Der er st e Weltrat: Meine Herren I Der Sekretär hat recht! Es muß etwas geschehen. Wir bringen ihn sonst in eine schiefe Lage. Wir sind all diesen Notabilitäten von Weltruf eine Antwort schuldig. Ich glaube Ihrer Zustimmung gewiß zu sein, wenn ich Ihnen als Vernnttclungsantrag vorschlage: Stellen wir einen zweiten Sekretär an!— lloo. kleines Feuilleton. zr.»Die Sonne." Morgen wird sie sechzig Jahre alt. Aber schon vor beinahe drei Jahrzehnten war sie so rot und rund wie heute. Wenn wir sie damals auf unser Haus zusteuern sahen, dann raunte einer dem anderen zu:„Achtung! Gleich geht die Sonne auf!" Jugend ist respektlos. In Tante Karolinens Anwesenheit aber waren wir artig. Sie hatte eine Hand, eine Hand!... Breit, gewichtig, rot und— lose. Ich Hab sie einmal gespürt und hatte für immer genug davon. Aber das mit der Sonne war mehr wie ein knabenhafter Scherz. Auch heute könnte ich's nicht besser sagen. Nur daß wir damals wohl mehr das Aeußere im Auge hattcki: sobald die Stubentür aufgeklinkt wurde, tauchte eS aus dem dicken Flur wie eine rote Kugel hervor, deren Vordcrfläche sich dann in eine immer lachende Physiognomie verwandelte. Und ein paar helle, vergnügt glänzende Augen strahlten wie wahrhaftiger Sonnenschein ins Zimmer. Dann wurde es lustig bei uns. Tante Karoline konnte stille oder gar traurige Gesichter nicht sehen.»Wozu das? Schiebt's beiseite. Es kommt schon mal wieder anders." Das war ihre ganze Philosophie. Und sie ist gut dabei gefahren,— besser als einige ihrer Geschwister, die alles tiefer und lastender nahmen und sich schtoer in. die plötzlich an sie herantretenden Notwendigkeiten des Lebens schicken lernten. Der Vater hatte Pech gehabt;"Pech und eine zweite Frau, die das böse Märchenwort von der herzlosen Stief- mutter in die Tat umsetzte. Die Kinder der ersten Ehe mußten aus dem Haus. Niemand trieb sie mit Worten. Freilich nicht. Sic gingen allein, nachdem die Stiefmutter den guten Charakter des Vaters in einen unleidlichen umgekrempelt hatte. Und als der Alte starb, fand sich weder ein Testament noch ein Nachlaß an Werten. Tante Karoline hatte nicht darauf gewartet. Sie war noch keine vier Wochen aus dem HauS, da saß sie in einem kleinen Ge- müsekcller zwischen Kohlköpfen, Aepfeln. Kartoffeln und Heringen. Morgens um vier Uhr stand sie auf, sich ihren_ kleinen Vorrat heranzuschaffen, und mancher Schritt, mancher Griff war am Tage zu tun, die ausgelegte Summe und einen geringen Gewinn wieder einzunehmen. Es verdroß sie nicht. Und die Leute kamen gern zu ihr. Denn ein Witzwort gab's fast allemal dazu, ob einer ein Kilo Aepfel nahm oder für drei Pfennige Suppengrünes. UebrigenS: die Aepfell War es eine gewisse Anpassung oder war's nur ein Zufall: wenn man Tante Karoline in dem halb- dunklen Keller zwischen ihren Aepfelkörbcn sitzen sah, so schien's auf den ersten Blick, als habe man in dem runden Gesicht ein Riesen- exemplar jener freundlichen. Obstsorte vor sich. Straffe, rosigg Wangen, dito Stirn, und ein festes, energisches Kinn. Schön war Tante Karoline nicht. Häßlich schon gar nicht. Das Gesunde, Kraftvolle ist's nie. Noch heute dars sich die Sechzigerin sehen lassen. Krücken und Brille braucht sie nicht. Und wo der Fuß auftritt, da zittert's. Trotzdem sie eine„alte Jungfer" ge- blieben ist. Warum? Neulich Hab' ich's erfahren. Zu Weihnachten als ich beim Kaffee ihren„Selbstgebackenen" lobte und dazu neben- bei und scherzhaft die Frage anschnitt, wieso eine Frau mit der- artiger Backkunst keinen Mann gekriegt habe. Im nächsten Augen- blick tat's mir leid, denn es ging wie eine Wolke über das sonnige. Gesicht. Nur einen Moment, dann lachte sie wieder:„Tu, das ist eine lustige Geschichte." Die Stimme zitterte noch ein wenig.„Eine sehr lustige Geschichte. Ich war auch'mal verliebt, verlobt,— verlassen." „Ach was?" Ich schüttete mir vor Erstaunen Kaffee auf die Weste. „Was ist denn dabei zu wundern? Meinst Du, ich hätte kein Herz? O! Erfahren hat's niemand von Euch. Wozu? Aber wenn Du es wissen willst,— paß auf. Einen Roman mußt Du nicht erwarten, mein Junge. Ich bin immer mehr für das Praktische gewesen, wie Du auch an dieser Hand sehen kamist." Dabei bc- wcgte und betrachtete sie lächelnd ihre Rechte. „Aschenbrödel nannten sie mich schon zu Hause. Wenn meine Schwestern auf dem Klavier herumhackten oder die Nase in ein französisches Buch oder Modejourual steckten, dann stand ich in der Küche und scheuerte Töpfe. Freiwillig. Ein Tausch wäre mir grausig gewesen. Den anderen auch. Also waren wir alle zu- frieden und vertrugen uns gut. Damals fing es an mit dem Zilcher . So hieß er; war Telegraphist oder ähnliches. Ein„mittlerer Beamter mit Pensionsberechtigung". Das betonte er. Und betonte bei jeder Gelegenheit, sein weibliches Ideal sei die echte deutsche Hausfrau. Dabei warf er mir Blicke zu und bevorzugte mich vor den Schwestern die übrigens auch höher hinaus wollten.' Mir schmeichelte es. Ich war junA Und er gefiel mir vielleicht deshalb besonders, weil er das vollständige Gegenstück von mir war: schlank, blaß, zart. Ich fing nämlich damals schon an, in die Breite zu gehen. Also: die Sache war gerade im Werden, als die Geschichte mit der Stief- mutter kam. Mir rückten aus. Eine nach der andern. Ich zuletzt. In einen Dienst gehen? Nein. Unabhängig wollt' ich mich machen. Das Erste, was sich mir bot, war der Gemüsekram. Ueber- legt Hab' ich nie lange. Ich griff zu. Und hab's richtig getroffen. Wie der Fisch im Wasser war ich. Den Zilcher hatt' ich schon beinahe vergessen, da, eines Tages klettert er in meinen Keller und steht vor mir. � Zuerst war's mir peinlich. Einen Augenblick.> Dann wischt' ich mir die Hand an der Schürze und reichte sie ihm. Er zuckt zu- sammen. Wenig nur. Hast Dich getäuscht, sagte ich mir nachher. Aber nein. Heute weiß ich's besser. Er erneuert also die alte Bc- kanntschaft, wie er sagte, und bat, hin und wieder einmal vorsprechen zu dürfen.„Warum nicht?" sag ich,„wenn Sie mein Geschäft nicht geniert?"„O," antwortet er und wird ganz rot,„es kommt doch auf den Menschen an." Na ja. auf den Menschen—" Tante Karoline rührte verloren in ihrer Tasse. „Kurz und gut: ich verschoß mich richtig in rhu. Wir wurden einig und verlobten uns. Heimlich vorläufig. In einigen Monaten sollte ich dann das Geschäft aufgeben und dann— na ja; es kam ganz anders, lieber Junge. Nämlich: meine Hände gefielen ihm nicht. Alles sei schön und gut und prächtig an mir, sagte er, bloß die Hände— I Aber da? ließe sich glücklicherweise bessern. Sie müßten nur gepflegt werden. In Alaunwasser baden, riet er heute. Mit Wcizenklcie abreiben, morgen. Oder auch: des Abends mit Vaseline einfetten und über Nacht Handschuhe drüber. Eine ganze Drogeric kam allmählich zusammen.*— Zuerst nahm ich's heiter, lachte und versuchte wohl auch dies und das. Aber es nützte nichts. Wenigstens nicht lange. Natürlich nicht. Er ließ nicht nach; es wurde schon mehr eine fixe Idee bei ihm. Mich langweilte das all- mählich. Dann ärgerte mich die Geschichte. Ich sah ihn auch plötzlich kritisch an. Ich wurde bitter und immer bittrer zu ihm. Wer weiß, dacht' ich, wie das später wird? Das war der Anfang vom Ende. Damals wüßt ich's nicht, drängte ihn sogar eigensinnig, er solle mich nun endlich seinen Eltern vorstellen, wie er schon längst versprochen. Es war ein unglücklicher Tag, mein Junge. Einer über den anderen erregt und in starkem innerlichen Zorn. „Ich würde Dich borstellen," sagte er,„aber mit diesen Händen— unmöglich! Das Gemüscgeschäft läßt sich verschweigen, die—, Hände nicht!"" Die Stimme der Alten bebte:„Wie mir in dem Augenblick zu Mut war, kann ich Dir nicht sagen. Ich kam mir wie grenzen- los gefoppt vor! Aufgesprungen bin ich wohl wie ein gereiztes Tico und dann— na ja," Tante Karolinc senkte die Stimme und be- wcgte leise, die Rechte,—„dann rutschte die hier aus." Pause.„Der kam nicht wieder?" „Nein. Vielleicht bin ich wirklich zu grob gewesen; cS hat mir nachher fast leid getan. Aber in dem Augenblick könnt' ich nicht anders. Und es ist auch gut, daß die alberne Sache damit einen Punkt kriegte. Mit den Männern war ich fertig. Und wollte sich später doch einmal wieder einer herandrängen, dann zeigt' ich ihn» nur diese Patsche. Lose war sie immer." „Ich weiß." „So? Tu kennst sie auch?" Und über den Tisch zu mir herüber strahlte in hellster Heiterkeit das rote, runde Gesicht...
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22 (5.2.1905) 26
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