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1867 ging Menzel nach Paris   zur Weltausstellung, und diese Erweiterung seines Gesichtstreises brachte ihm vielfältig neue An­regung. Dieser Aufenthalt regte ihn zu tecken, augenblicklichen Elizzen an, die das Leben in Paris   schilderten, das Leben auf der Straße, in den Parks, in den Cafés.

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Wie weit er feiner Zeit vorauseilte, zeigt sich darin, daß er schon 1875 etwas schuf, das von da ab weiter wirken sollte, und ein ganz neues Gebiet der Kunst eröffnete: das Arbeiterbild. Sein Eisenwalzwerk"( ,, Moderne Cyklopen") ist anerkannt als Monument deutscher Malerei. Eg hängt in der Nationalgalerie. Damit gab Menzel etwas ganz Neues. Der Schauplatz ist eine der großen Werkstätten für Eisenbahnschienen zu Königshütte   in Oberschlesien  . Die hochgezogenen Schiebewände lassen allseitig Tageslicht ein. Ein Walzenftrang nimmt das weißglühende Eisen­flück auf. Ein Arbeiter schiebt einen Eisenblock zum Abkühlen hinweg. Drei andere sind mit Zangen an der Glut beschäftigt. Wieder andere waschen sich born oder effen Mittag. Hier ich mit genialem Griff mitten in die andere Zeit hineingegriffen. Ohne jede Anlehnung ist ein Meisterwerk geschaffen, das die Zeiten überdauern wird. Denn nicht nur stofflich ist das Bild von Bedeutung, das Lichtproblem, der Widersteit zwischen der leuchtenden Glut und dem einfallenden Tageslicht ist mit echt künstlerischem Blick erfaßt und wiedergegeben.

Menzel setzte diese Art, in der er einem starken Triebe seiner Zeit charakteristisches Gepräge verlieh, noch später fort, in Dorfschmieden, in die das Licht hineinscheint, in Arbeiterwerkstätten u. a. Mit offenen Maleraugen stand er der Entwickelung gegenüber und hielt fest, was ihm von Bedeutung erschien, rücksichtslos und vorurteilslos. Und nehmen wir nach diesem Höhepunkte des Schaffens noch die Fülle von Zeichnungen, die farbig so lebhaften Aquarelle und Gouachen hinzu, so sehen wir deutlich den Weg vor uns, den Menzel ging.

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Aus fleinen Anfängen arbeitete er sich empor, seiner eigenen Kraft vertrauend, wird Historienmaler, lernt hierbei gleicherweise sich als Maler und Zeichner ausbilden, zu voller Eigenart entwickeln, bleibt aber hierbei nicht stehen, sondern tut den Schritt darüber noch hinaus und wird der moderne Maler, dem die ganzen Gebiete des Lebens offenstehen, der mit klaren Augen alles ansieht, und es um­gestaltend in seiner Sprache weiter gibt. So repräsentiert er in diesem Weg vom Geschichtsbild zum sozialen Lebensbild ein Stück Ent­widelung. In beiden war er Meister, wie er überhaupt in allen Techniken gleichermaßen ein arbeitsamer Schüler und zugleich ein Vollender war.

Ernst Snur.

( Nachdrud verboten.)

Im Gaſthaus zum König Arpad.

Von Georg Busse Palma  . ( Schluß.)

Retten Sie fie, Pan notarios! Sie stirbt, meine Stascha stirbt!" Es war eine Verwandte der jungen Frau, aber in ihren weit aufgerissenen Augen lag viel mehr als die gewöhnliche Angst und Teilnahme; es lag das Grauen darin, dasselbe Grauen, das ich auch in den hundert Männeraugen erblickte, die sich langsam mir zuwandten. Und dies Grauen ging langsam auf mich über und füllte mein Innerstes, es siderte in mein Herz wie schwarze, monotone Gewässer.

Was sollte ich bei einer Sterbenden? Was mußte das für ein entfeßliches Sterben sein, von dem das ganze Dorf in so düsteren Bann gezogen wird?

Fragend blickte ich mich um, und da ballte sich das schweigsame Grauen zu Worten, zu Worten, die nur gemurmelt wurden, aber gemurmelt von hundert Lippen:

Sie betet ihr das Leben ab, Pan notarios! Das Leben!" Wie seltsam das klang!

Die strengen Bauernlippen waren bleich dabei und zitterten. Ein Schauer durchrann mich. Der finstere Glaube ringsum wirkte mit hypnotischer Kraft. Ich wollte lachen und ihnen Mut machen, daß es so etwas ja gar nicht gäbe, aber ich verzerrte nur das Ge­sicht und brachte keinen Laut hervor.

Aus dem Hause heraus röchelte eine Stimme, im tiefsten Gurgelton der Verzweiflung, dumpf und dennoch gell:

Mutter, Mutter, erbarm Dich!"

Dann wurden Stöße hörbar, dröhnende, gewaltige Stöße, als ob ein Körper gegen eine Tür rennt, die fest ist und nicht brechen will.

Hören.

Ich wußte, was das bedeutet, einem das Leben abbeten! Alte Frauen hatte ich mit zudenden Lippen mitunter davon reden Stellt eine Schale Del mit brennendem Docht vor das Bild ber heiligen Jungfrau, kniet davor nieder in brünstigem Gebet und betet um das Leben dessen, den ihr haßt! Könnt Ihr es aushalten, bie Jungfrau unaufhörlich um Erhörung anzurufen, so lange der Docht brennt, dann wird das Leben in Eure Hand gegeben und berlöscht mit dem Licht. So glaubt es das Bolt feit grauer Vor­geit, so glaubt es auch die alte Bäuerin, die hinter versperrter Tür auf den Knien vor der Gottesmutter liegt und um das Leben der Stascha Pallovicz betet!

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Jch awängte mich durch das Bolt. Wo man konnte, machte man mir Blak, und ich tam bis in den Türrahmen des Vorhauses Dort ging es nicht weiter. Aber ich sah über die Köpfe der vor mir Stehenden. Die Tür linkerhand war halb geöffnet. In dem fichtbaren Bett lag die junge Frau, wachsbleich, mit vor Angst halb wahnsinnigen Augen. Neben dem Bett, auf den Dielen, der alte Beteny, zusammengerollt wie ein frierender Hund und gegen den Boden tinselnd. Jenseits des Vorraums aber war die Tür vers sperrt. Dort tauerte Michael Peteny, kniend, als ob man durch die Tür seine demütige Stellung hätte sehen können und flehte aschgrau und mit herzzerreißender Stimme für das Leben seines jungen, unschuldigen Weibes, um Erbarmen für sein ungeborenes Kindi Im Innern wurde aber nichts anderes vernehmbar, als ein näfelntes, monotones Singen, von dem nur der immer wieder­fehrente Refrain:" O Maria- er- höre mich!" verständlich war. Dann sprang der arme Bursche wieder und wieder auf und warf sich mit der Kraft der Verzweiflung gegen die Tür. Doch die Tür war aus Giche, und er flog wie ein Ball in die Menge zurüd. Seine beiden Hände waren schon über und über blutig, und der falte Angstschweiß hatte ihm dicke Strähnen Haar wie kleine Zöpfe in die Stirn geklebt.

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Vom Hofe her wurde über unsere Köpfe hinweg ein Beil hineins gereicht. Der achtzigjährige Dorfrichter vor mir ergriff es und gab es weiter. Michael Beteny stieß einen heiseren Laut aus, als er es in die Hände bekam. Dann donnerte der scharfe Stahl gegen das Eichenholz, gegen die Stelle, wo innen der Riegel saß. Dreimal, fünfmal, sechsmal. Das Beil flog zu Boden. Die gewaltige Wucht feiner Riesenschultern drängte aufs neue gegen die Tür, und dies­frachend und splitternd sprang fie auf.. An der Wand gegenüber der Schwelle hing ein großes, grell­farbenes Muttergottesbild. Auf dem niederen Schrank darunter stand eine irdene Schale, in der flackernd und augenscheinlich dem Berlöschen nahe ein Deldocht brannte; die alte Beteny tniete davor, die mageren, fnochigen Hände brünstig gefaltet und die Augen starr auf das Heiligenbild gerichtet.

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,, Maria, erhöre mich!" Ohne sich umzuwenden, sang sie näselnd und monoton weiter.

Michael Beteny war mit einem Sprunge an ihrer Seite und warf sich vor ihr nieder.

Mutter! so erbarm' Dich doch! Erbarm' Dich, hör auf!" Die Alte schob den Unterkiefer noch weiter vor. Schneller und brünstiger nur näselte sie ihre Litanei.

Da sah Michael Peteny sie mit einem Blick verzweifelter, dem Jrrsinn naher Angst an. Dann pacte er sie mit den blutigen Händen an der Gurgel und schürte ihr die Kehle zu.

In seinem farblosen Gesicht war keine Spur von Zorn, nur Angst, namenlose Angst.

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Die Alte konnte keinen Ton mehr von sich geben. Ihre grünen Augen rollten wütend hin und her. Die Hände hielt sie immer noch gefaltet. Einmal lockerte er den eisernen Griff und im gleichen Moment brach das Maria" von neuem halberstickt aus ihrer Kehle. Die Männer vor mir waren dicht an der Tür stehen geblieben. Ich wollte vorwärts und versuchte mir einen Weg zu bahnen. Aber mit einemmal wichen alle zurück. Wie ein Aehrenfeld, über das ein starker Wind streicht. Ich wurde mitgedrängt und dann, ale ich wieder aufblickte, sah ich, wie die Augen in dem fleischlosen, edigen Kopf fich plöblich verkrampften, umdrehten und weiß hervor quellend sich seitwärts wandten. Ein Zuden lief durch ihren Körper und dann

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Michael Petenh hatte seine Mutter erwürgt. Die Hände noch an ihrer Gurgel, brach er bewußtlos über ihrer Leiche zusammen.

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Der Notar hielt erschöpft ein und trodnete sich mit einem seidenen Tuch die Stirn, auf der helle Schweißperlen standen. Auch feinen Zuhörern war die Ergriffenheit deutlich anzusehen.

Eine düstere Geschichte," sagte der Propst, den buschigen, biden Kopf traurig hin und herschüttelnd. Und was wurde weiter daraus?"

Was weiter daraus wurde? Als ich am anderen Tage nach Gyarmatt zurücfuhr, fuhr aus der Straße vor mir ein leichter Bauernwagen. In dem saß Michael Peteny zwischen zwei Land­jägern. Ein Jahr Gefängnis betam er."

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Was?" fuhr der kleine Pittrich auf. Wofür denn?" " Wegen Totschlag!" antwortete der Notar ruhig. Der Spruch war noch mild. Notwehr konnte nicht angenommen werden, da das Gesetz einen Mordversuch mit unrealen Mitteln nicht anerkennt." " Und deswegen wurde die Stascha irrsinnig?"

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" Ja. Sie sprang aus dem Bett, als ihr Mann abgeholt wurde. Wie sollte sie das begreifen, daß die Gendarmen ihren Mann banden, weil er Weib und Kind verteidigt hatte? Sie lief hinter dem Wagen her eine ganze Strecke, bis sie den unförmigen Leib nicht mehr schleppen fonnte. Da brach sie im Staub zu sammen, zehn Schritt vor meinen Pferden, und Michael Beteny fab sich gerade um! Sie fam ins Spital, ein totes Kind war die Folge all dieser Erschütterungen. Seitdem ist sie irr. Sie hat keine Ahnung, wie lange Zeit schon darüber vergangen ist. Sie weiß nur, daß man ihren Mann in das Komitatshaus geführt hat, und dort wartet sie nun auf ihn. Sie freut sich darauf, ihm das Bündek Lumpen zeigen zu können, das sie für ihr Kind hält."

Mag Gott   den armen Burschen in seinen Schuh nehmen," murmelte der Propst mit feuchten Augen. Ich versteh nicht recht, wie man ihn obendrein verurteilen konnte."